TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/18 L521 2147758-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.02.2021
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Entscheidungsdatum

18.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53
FPG §55 Abs1a

Spruch


L521 2147758-2/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 17.12.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 29.07.2020 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.“

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 29.07.2020 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.“

III. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

IV. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 17.07.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Sechshauserstraße am der Antragstellung folgenden Tag gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am im Spruch angeführten Datum in Bagdad geboren, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und des sunnitisch islamischen Glaubens sowie verheiratet. Er habe neun Jahre die Grund- und drei Jahre eine Berufsschule besucht. Zuletzt sei er beschäftigungslos gewesen. Die Eltern, die Ehegattin, die Tochter, zwei Brüder und eine Schwester würden im Herkunftsland oder einem anderen Drittstaat leben.

Zu seinen Ausreisegründen befragt gab er an, wegen der Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten um sein Leben gefürchtet zu haben. Er habe Angst, von den Milizen getötet zu werden.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 12.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, im Beisein einer Vertrauensperson und eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen.

Zur Person legte der Beschwerdeführer insbesondere dar, Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er habe zuletzt gemeinsam mit seiner Familie in einem Haus in Bagdad im Stadtviertel Dora gewohnt und sei Angehöriger der arabischen Volksgruppe, verheiratet sowie Vater einer minderjährigen Tochter. Er bekenne sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung und habe sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre die Hauptschule und drei Jahre eine Höhere Technische Lehranstalt in Bagdad besucht. Er sei ausgebildeter Elektriker und habe gelernt Fernseh- und Radiogeräte zu reparieren. Sein Vater bzw. seine Familie besitze ein Autohaus. In diesem Unternehmen habe auch er ab Anfang 2008 gearbeitet bis die Unruhen zwischen den sunnitischen und schiitischen Milizen begonnen hätten. Seine Familie habe zudem Dattel- und Orangenplantagen besessen und habe er dort gelegentlich geholfen. Sein Vater habe weiterhin im Autohaus gearbeitet und auf diese Weise in der Vergangenheit und aktuell den Lebensunterhalt der Familie finanziert. Seiner Familie sei es wirtschaftlich gut ergangen. Sein Großvater besitze ein großes Haus, welches er bewohnen könne.

Gegenwärtig würden sich seine Eltern, die Ehegattin, die Tochter, zwei Brüder und eine Schwester im Irak aufhalten. Seine Eltern und zwei Brüder würden weiterhin im Stadtviertel Dora leben. Seine Ehegattin und seine minderjährige Tochter würden zeitweise bei seinen Schwiegereltern in einem schiitisch dominierten Stadtviertel und zeitweise bei seiner Familie im Stadtviertel Dora wohnen. Er stehe mit seiner Ehegattin täglich über Telefon und WhatsApp in Kontakt.

Zum Ausreisegrund befragt wiederholte der Beschwerdeführer, von den schiitischen Milizen bedroht zu werden; sein Cousin und sein Bruder seien bereits festgenommen worden.

Weitere Angaben zu dem behaupteten ausreisekausalen Sachverhalt machte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen durch den Leiter der Amtshandlung.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer insbesondere eine Kopie seines Reisepasses sowie seinen Personalausweis, ein Berufsschulzeugnis, seine Heiratsurkunde, Kopien der Dokumente seiner Ehegattin und Tochter und die Kopie eines irakischen Gerichtsurteiles vom 04.02.2016, mit dem sein Cousin zum Tode verurteilt worden sei, sowie eine Fotografie, die eine zerstörte Mauer zeigt, vor. Des Weiteren zeigte der Beschwerdeführer ein Video vor, in dem gefällte Dattelpalmen und Rauch zu sehen waren.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.).

4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2019 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2019, I403 2147758-1/24E, als unbegründet abgewiesen. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund werde der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt. Der Beschwerdeführer habe sich widersprüchlich verantwortet und insbesondere sein Vorbringen in der Beschwerde maßgeblich gesteigert, indem er erstmals behauptet habe, er und sein Cousin seien im Oktober oder November 2013 von schiitischen Milizen schwer gefoltert worden. Es bestünden ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger des sunnitisch islamischen Glaubens im Irak von Gruppenverfolgung bedroht wäre.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Bagdad sei möglich und zumutbar. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung. Der Beschwerdeführer stamme aus einer wohlhabenden Familie und verfüge weiterhin über familiäre Anknüpfungspunkte in Bagdad.

5. Die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2019 erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof lehnte dieser mit Beschluss vom 24.02.2020, E 4069/2019-8, ab. Gleichzeitig wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Mit Beschluss vom 31.08.2020, Zl. Ra 2020/19/0232-4, wies dieser die außerordentliche Revision zurück.

6. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2020, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, binnen drei Tagen in der im Spruch dieser Entscheidung genannten Betreuungseinrichtung bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft zu nehmen.

7. Mit Note vom 15.07.2020 brachte das belangte Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes sowie eine in eventu beabsichtigte Verhängung der Schubhaft aufgrund des Umstandes, wonach er der Verpflichtung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet bislang nicht nachgekommen sei, zur Kenntnis und legte die anzuwendenden Rechtsvorschriften dar. Dem Beschwerdeführer wurde darüber hinaus die Beantwortung von Fragen, insbesondere zu seinem Privat- und Familienleben, aufgetragen.

8. Mit handschriftlich verfassten Schreiben vom 27.07.2020 nahm der Beschwerdeführer zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes sowie zur in eventu beabsichtigten Verhängung der Schubhaft Stellung und brachte vor, ein Restaurant, zwei Fahrzeuge und einen Angestellten zu haben. Aus diesem Grunde könne er daher derzeit nicht ausreisen und würde noch „ein bisschen Zeit“ benötigen.

9. Am 29.07.2020 stellte der Beschwerdeführer vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Leoben den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Im Gefolge der Erstbefragung legte der Beschwerdeführer zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung befragt dar, dass am 25.04.2020 einige - vermummte - Männer in Polizeikleidung in Zivilfahrzeugen zum Haus seiner Familie gekommen seien. Diese hätten seinen Vater mitgenommen und sich nach dem Aufenthaltsort seiner Person und seines Bruders erkundigt. Am 03.06.2020 habe seine Mutter einen Anruf von der Polizei erhalten, dass sein Vater mit vier oder fünf Einschüssen gefunden worden sei. Die Ermittlungen der Polizei gegen „Unbekannt“ bezüglich dieser Entführung würden bis zum heutigen Tag andauern. Er selbst habe keine Ahnung, was das Motiv dieser Männer für die Tötung seines Vaters gewesen sei. Er würde vermuten, dass es um finanzielle Interessen gegangen sei, da seine Familie einige - beliebte - Liegenschaften am Ufer des Tigris besitze. Es habe allerdings zuvor keine Geldforderung gegeben. Sein Bruder befinde sich seit diesem Zeitpunkt im Nordirak und müsse noch einige Dinge erledigen, bevor er - glaublich legal - in die Türkei reise. Er habe bereits im Rahmen seines ersten Asylverfahrens erzählt, dass sie wegen ihrer Liegenschaften bedroht worden seien. Sein Vater habe daraufhin unter Hinweis auf schriftliche Unterlagen dargelegt, dass dieser Grund ihnen gehöre, woraufhin diese Männer all ihren Besitz, auch ihre Plantagen, verbrannt hätten. Ob es nun erneut diese Männer gewesen seien, könne er nicht sagen. Seine im Irak bei seinen Schwiegereltern lebende Ehegattin sei noch nie von diesen Männern bedroht worden. Die irakische Polizei sei seit 2015 zweimal bei seiner Ehegattin gewesen und habe sich nach seinem Aufenthaltsort erkundigt. Deshalb würde er glauben, dass ein irakischer Festnahmeauftrag bezüglich seiner Person existiere. Bei einer Rückkehr in seine Heimat würde er auch entführt und umgebracht werden. Er habe gehört, dass sein Name auf einer Liste der Polizei oder der Regierung stünde, wonach er bei einer Einreise in den Irak sofort festgenommen werden solle.

10. Der Beschwerdeführer wurde am 19.08.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, in deutscher Sprache - im Beisein eines ab zwanzig Minuten nach Beginn der Einvernahme anwesenden Dolmetschers für die arabische Sprache - von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter zu seinem neuerlichen Asylantrag niederschriftlich einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bei der Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben getätigt zu haben. In der Folge wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine in der Erstbefragung getätigten Ausführungen zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung, wobei er nunmehr darlegte, dass am 25.04.2020 zwei uniformierte und vier nicht uniformierte Personen mit einem Zivilfahrzeug zu seinen Eltern nach Hause gekommen seien.

Weitere Angaben zu den behaupteten Gründen für die Folgeantragstellung machte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen durch den Leiter der Amtshandlung.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer insbesondere eine Kopie einer irakischen Sterbeurkunde samt deutscher Übersetzung seinen Vater betreffend und eine Kopie eines Deutschprüfungszeugnisses - Niveaustufe A2 (Prüfungsdatum: 23.06.2017) vor.

11. Dem Beschwerdeführer wurde am 19.08.2020 mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 über die beabsichtigte Zurückweisung seines neuerlichen Asylantrages wegen entschiedener Sache in Kenntnis gesetzt.

12. Am 31.08.2020 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, nochmals in deutscher und arabischer Sprache im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache und einer Rechtsberaterin von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter zur Wahrung des Parteiengehöres niederschriftlich einvernommen.

Abgesehen von Ausführungen zur Person, zum Familien- und Privatleben in Österreich und zur Integration tätigte der Beschwerdeführer weitere Angaben zu den behaupteten Gründen für die Folgeantragstellung nach entsprechenden Fragen durch den Leiter der Amtshandlung. Im Übrigen verzichtete der Beschwerdeführer auf eine detailliertere Stellungnahme zu den ihm ausgehändigten Länderberichten, da er Kenntnis von der Lage im Irak haben würde.

13. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2020, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für eine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 FPG 2005 wurde wider den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Unter einem wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1
BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte - zusammengefasst - fest, dass sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen auf die Beweggründe des bereits rechtskräftig entschiedenen Asylverfahrens gestützt habe. Die neuen Angaben des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters und einem gegen ihn bestehenden Haftbefehl stellten sich außerdem als nicht glaubhaft dar. Die allgemeine Lage im Herkunftsstaat habe sich ebenfalls nicht wesentlich zum Nachteil des Beschwerdeführers geändert.

14. Gegen den dem Beschwerdeführer am 04.09.2020 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2020 richtet sich die im Wege der seinerzeitigen rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchzuführen, in der Sache ferner in Stattgebung der Beschwerde den angefochtenen Bescheid in seinen Spruchpunkten I. bis V. aufzuheben und das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zuzulassen sowie die Spruchpunkte VI. bis VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben, in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und das Verfahren an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Begründend wird nach Darlegung des Verfahrensganges und dem Hinweis, wonach der Bescheid in den Spruchpunkten I. und II. ein anderes Antragsdatum nenne als dies in der Begründung des angefochtenen Bescheides der Fall sei, als Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens moniert, dass hinsichtlich der vorgelegten Sterbeurkunde keine weiteren Ermittlungen durch die belangte Behörde vorgenommen worden seien. Insoweit im gegenständlichen Fall zwei widersprüchliche Übersetzungen dieses Dokumentes vorliegen, wäre es Aufgabe und zentrales Element der Beweiswürdigung gewesen, Widersprüchlichkeiten im Rahmen einer schlüssigen Beweiswürdigung zu gewichten, entsprechend zu würdigen und die Erwägungsgründe hiefür darzulegen oder eine weitere Übersetzung in Auftrag zu geben. Ferner ergebe sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht, dass die Ermordung seines Vaters mit den im Erstverfahren vorgebrachten Verfolgungsgründen in Verbindung stünde und hätte es hiebei entsprechender weiterführender Ermittlungen durch die belangte Behörde bedurft. Weder die letztlich nicht geklärte Formulierung in der Sterbeurkunde des Vaters noch die mangels weiterer Ermittlungen unzutreffende Feststellung, dass die vom Beschwerdeführer nunmehr geltend gemachten Gründe in Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbingen im Erstverfahren stünden, vermögen die Zurückweisung in den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides zu rechtfertigen.

Im Hinblick auf seine Situation im Bundesgebiet bringt der Beschwerdeführer vor, seit fünf Jahren und zwei Monaten in Österreich zu leben, seit 2019 keine Grundversorgung mehr zu beziehen und aus seiner selbständigen Tätigkeit in der Gastronomie selbsterhaltungsfähig zu sein. Er verfüge über eine Mietwohnung, welche er ohne Beihilfen der Gebietskörperschaften finanzieren könne und sei sprachlich, wirtschaftlich/ beruflich und in persönlicher Hinsicht bereits sehr gut integriert. Er verfüge über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, den er im Laufe seines bisherigen Aufenthaltes immer weiter vergrößern konnte. Seit der letzten Entscheidung im Erstverfahren am 25.09.2019 habe er den von ihm geführten Betrieb und somit seine Einkommensquelle etablieren und seine Deutschkenntnisse weiter verbessern können. In Zusammenschau mit der seither längeren Aufenthaltsdauer begründe dies einen neuen Sachverhalt auch hinsichtlich seines Privatlebens in Österreich im Sinne des Artikels 8 EMRK, der einer eingehenderen Beurteilung durch die belangte Behörde zu unterziehen gewesen wäre.

Der Beschwerde ist ein Konvolut an Unterlagen zur Bescheinigung der Integration des Beschwerdeführers in Österreich angeschlossen.

15. Die Beschwerdevorlage langte am 22.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

16. Mit E-Mail des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.09.2020 wurde die belangte Behörde aufgefordert, die bezughabenden Vorakte ehestmöglich an das Bundesverwaltungsgericht zu übermitteln.

17. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.09.2020, L521 2147758-2/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

18. In Entsprechung der Aufforderung vom 23.09.2020 langten am 08.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht die Vorakte zur Person des Beschwerdeführers ein.

19. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.10.2020 wurde dem Beschwerdeführer im Wege der seinerzeitigen rechtsfreundlichen Vertretung mitgeteilt, dass aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde hervorgehe, dass die vom Beschwerdeführer betriebene Lokalität am 28.07.2020 einer Kontrolle durch die Finanzpolizei unterzogen worden sei. Insoweit wurde der Beschwerdeführer ersucht, innerhalb von zwei Wochen ab Zugang dieser Erledigung bekannt zu geben, ob bzw. durch welche Behörden Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet worden seien.

20. Mit Eingabe vom 05.11.2020 teilte der Beschwerdeführer im Wege der seinerzeitigen rechtsfreundlichen Vertretung mit, dass mit Ausnahme einer Strafverfügung vom 20.08.2020 wegen der fehlenden Gewerbeanmeldung keine weiteren Verwaltungsstrafverfahren anhängig seien. Hinsichtlich der genannten Strafverfügung des Bezirkshauptmannes von Murau vom 20.08.2020 erlaube sich der Beschwerdeführer ferner mitzuteilen, dass die gegen ihn verhängte Strafe von EUR 300,00 am 31.08.2020 zwar bezahlt worden sei, er allerdings schon zum Zeitpunkt der Kontrolle durch die Finanzpolizei über eine entsprechende Gewerbeberechtigung, welche am 22.07.2020 (erneut) entstanden gewesen sei, verfügt habe. Das freie Gewerbe des Beschwerdeführers sei mit Wirkung vom 22.07.2020 (neuerlich) eingetragen worden, nachdem er bereits zuvor über entsprechende gewerberechtliche Berechtigungen verfügt habe. Um weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden, habe er sich dennoch dazu entschieden, die ausgesprochene Geldstrafe in der Höhe von EUR 300,00 zu bezahlen. Im Übrigen brachte der Beschwerdeführer vor, am 28.09.2020 die Integrationsprüfung Modul I abgelegt zu haben. Er habe zwar zuvor schon über ein Sprachzeugnis auf dem Deutschniveau A2 verfügt, nun habe er aber die Integrationsprüfung (inklusive Werteprüfung) auf demselben Niveau erfolgreich nachgeholt. Da er über sehr gute Deutschkenntnisse - über das Niveau A2 hinaus - verfüge, sei von seiner Seite beabsichtigt, auch die Integrationsprüfung Modul II zeitnah abzulegen.

Der Stellungnahme sind mehrere Unterlagen zur Bescheinigung der Integration des Beschwerdeführers in Österreich angeschlossen.

21. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.12.2020 wurden dem Beschwerdeführer im Wege der seinerzeitigen rechtsfreundlichen Vertretung aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Irak (Länderkundliche Informationen zur Lage in der Republik Irak vom 22.10.2020, Auszug aus dem EASO Bericht „Iraq, Security situation“, vom Oktober 2020, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation „Irak, Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad“, vom 07.09.2020 und Kurzinformation der Staatendokumentation „Naher Osten, COVID-19 - aktuelle Lage“, vom 14.08.2020) zur Kenntnisnahme übermittelt und die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 16.12.2020 oder am 17.12.2020 in der Verhandlung mündlich freigestellt.

22. Mit Eingabe vom 11.12.2020 gab die seinerzeitige rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt.

23. Mit Telefax vom 14.12.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die bis zur Übermittlung des das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beendenden Erkenntnisses oder Beschlusses an den Beschwerdeführer, jedoch längstens bis 31.12.2020, geltende Bevollmächtigung des Vereines Menschenrechte Österreich bekanntgegeben.

23. Am 17.12.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, eines Vertreters der ihm beigegebenen und von ihm bis längstens 31.12.2020 bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, die Gründe für seine neuerliche Antragstellung umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Der Beschwerdeführer brachte im Gefolge der Verhandlung ein aktuelles Unterstützungsschreiben seiner Wohnortgemeinde vom 10.12.2020 in Vorlage.

Ein Vertreter der belangten Behörde blieb der mündlichen Verhandlung unentschuldigt fern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, er ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung.

Der Beschwerdeführer wurde am im Spruch genannten Datum in Bagdad geboren und lebte dort im sunnitisch geprägten Stadtviertel Dora gemeinsam mit seiner Ehegattin und seiner minderjährigen Tochter in einem im Eigentum seines Großvaters stehenden Haus. Seine Muttersprache ist Arabisch, er spricht auch die türkische Sprache in geringem Ausmaß. Seine Ehegattin und seine minderjährige Tochter leben bei seinen Schwiegereltern in einem schiitisch geprägten Stadtviertel am Stadtrand von Bagdad. Ein Bruder befindet sich derzeit in der Türkei und pendelt von dort beruflich in den Nordirak. Weitere Familienangehörige des Beschwerdeführers halten sich weiterhin im Stadtviertel Dora auf. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Familienmitgliedern im Irak in Kontakt.

Der Vater des Beschwerdeführers verstarb im Juni 2020 eines gewaltsamen Todes. Die Identität oder das Motiv der Täter waren nicht feststellbar. Der Beschwerdeführer genoss eine mehrjährige Schulbildung (Grundschule, Hauptschule und Höhere Technische Lehranstalt) auf Maturaniveau und erlangte hiebei auch eine Ausbildung zum Elektriker. Der Beschwerdeführer stammt aus einer wohlhabenden Familie. Vor der Ausreise aus dem Irak war der Beschwerdeführer mehrere Jahre im Unternehmen seines Vaters im Bereich An- und Verkauf von Fahrzeugen erwerbstätig.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Er leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

In Österreich leben - abgesehen von einem Cousin, dazu soglich - keine Verwandten des Beschwerdeführers. Der Cousin XXXX , geb. XXXX , stellte ebenfalls am 17.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017, Zl. XXXX , abgewiesen, es wurde kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und schließlich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Der Cousin des Beschwerdeführers erhob dagegen fristgerecht Beschwerde, das Beschwerdeverfahren ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Der Beschwerdeführer verfügt außerdem über zwei Schwäger und vier weitere Verwandte seiner Ehegattin in Schweden.

1.2. Der Beschwerdeführer reiste im März 2014 auf legale Weise unter Verwendung seines irakischen Reisepasses auf dem Landweg aus dem Irak in die Türkei aus und gelangte schließlich nach einem etwa sechszehnmonatigen Aufenthalt in der Türkei von Istanbul ausgehend schlepperunterstützt Mitte Juli 2015 nach Österreich, wo er am 17.07.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.3. Der Beschwerdeführer führte zu seinem ersten Antrag vom 17.07.2015 zusammengefasst im Wesentlichen wie folgt aus: Die Familie des Beschwerdeführers sei Zielscheibe schiitischer Milizen, welche ihn und seinen Cousin bereits entführt und gefoltert hätten; zudem seien sein Bruder und der Bruder seines Cousins grundlos inhaftiert worden.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2019, I403 2147758-1/24E, zugestellt am 25.09.2019, wegen der Unglaubwürdigkeit seiner Person bzw. der Unglaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens rechtskräftig abgewiesen, auch subsidiärer Schutz wurde nicht gewährt und die wider den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung bestätigt.

Der Beschwerdeführer brachte in weiterer Folge beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG ein, dieser wurde mit Beschluss vom 12.11.2019, E 4069/2019-4, die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24.02.2020, E 4069/2019-8, wurde die Behandlung der Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2019 abgelehnt. Gleichzeitig wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Mit Beschluss vom 31.08.2020, Ra 2020/19/0232-4, wies dieser die außerordentliche Revision zurück.

1.4. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2020, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, binnen drei Tagen in der im Spruch dieser Entscheidung genannten Betreuungseinrichtung bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft zu nehmen.

Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nicht nach. Der Beschwerdeführer handelt somit der ihm mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2020 aufgetragenen Unterkunftnahme zuwider, zumal der Beschwerdeführer weiterhin in XXXX wohnt.

1.5. Am 29.07.2020 stellte der Beschwerdeführer vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Leoben den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer führte zur Begründung des verfahrensgegenständlichen zweiten Antrages auf internationalen Schutz anlässlich seiner Erstbefragung am 29.07.2020 aus, dass am 25.04.2020 einige - vermummte - Männer in Polizeikleidung in Zivilfahrzeugen zum Haus seiner Familie gekommen seien. Diese hätten seinen Vater mitgenommen und sich nach dem Aufenthaltsort seiner Person und seines Bruders erkundigt. Am 03.06.2020 habe seine Mutter einen Anruf von der Polizei erhalten, dass sein Vater mit vier oder fünf Einschüssen gefunden worden sei. Die Ermittlungen der Polizei gegen „Unbekannt“ bezüglich dieser Entführung würden bis zum heutigen Tag andauern. Er selbst habe keine Ahnung, was das Motiv dieser Männer für die Tötung seines Vaters gewesen sei. Er würde vermuten, dass es um finanzielle Interessen gegangen sei, da seine Familie einige - beliebte - Liegenschaften am Ufer des Tigris besitze. Es habe allerdings zuvor keine Geldforderung gegeben. Sein Bruder befinde sich seit diesem Zeitpunkt im Nordirak und müsse noch einige Dinge erledigen, bevor dieser - glaublich legal - in die Türkei reise. Er habe bereits im Rahmen seines ersten Asylverfahrens erzählt, dass sie wegen ihrer Liegenschaften bedroht worden seien. Sein Vater habe daraufhin unter Hinweis auf schriftliche Unterlagen dargelegt, dass dieser Grund ihnen gehöre, woraufhin diese Männer all ihren Besitz, auch ihre Plantagen, verbrannt hätten. Ob es nun erneut diese Männer gewesen seien, könne er nicht sagen. Seine im Irak bei seinen Schwiegereltern lebende Ehegattin sei noch nie von diesen Männern bedroht worden. Die irakische Polizei sei seit 2015 zweimal bei seiner Ehegattin gewesen und habe sich nach seinem Aufenthaltsort erkundigt. Deshalb würde er glauben, dass ein irakischer Festnahmeauftrag bezüglich seiner Person existiere. Bei einer Rückkehr in seine Heimat würde er auch entführt und umgebracht werden. Er habe gehört, dass sein Name auf einer Liste der Polizei oder der Regierung stünde, wonach er bei einer Einreise in den Irak sofort festgenommen werden solle.

Bei der nachfolgenden Einvernahme vor dem belangten Bundesamt am 19.08.2020 wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine in der Erstbefragung getätigten Ausführungen zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung, wobei er nunmehr darlegte, dass am 25.04.2020 zwei uniformierte und vier nicht uniformierte Personen mit einem Zivilfahrzeug zu seinen Eltern nach Hause gekommen seien.

1.6. Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid zum verfahrensgegenständlichen Antrag damit, dass sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen auf die Beweggründe des bereits rechtskräftig entschiedenen Asylverfahrens gestützt habe. Die neuen Angaben des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters und einem gegen ihn bestehenden Haftbefehl stellten sich außerdem als nicht glaubhaft dar. Die allgemeine Lage im Herkunftsstaat habe sich ebenfalls nicht wesentlich zum Nachteil des Beschwerdeführers geändert. Eine glaubhafte oder maßgebliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes sei nicht eingetreten.

1.7. In der Beschwerde wurde zu deren Begründung zusammengefasst im Wesentlichen vorgebracht, dass hinsichtlich der vorgelegten Sterbeurkunde keine weiteren Ermittlungen durch die belangte Behörde vorgenommen worden seien, was eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens begründe. Insoweit im gegenständlichen Fall zwei widersprüchliche Übersetzungen einer irakischen Sterbeurkunde den Vater betreffend vorliegen würden, wäre es Aufgabe und zentrales Element der Beweiswürdigung gewesen, Widersprüchlichkeiten im Rahmen einer schlüssigen Beweiswürdigung zu gewichten, entsprechend zu würdigen und die Erwägungsgründe hiefür darzulegen oder eine weitere Übersetzung in Auftrag zu geben. Ferner ergebe sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht, dass die Ermordung des Vaters mit den im Erstverfahren vorgebrachten Verfolgungsgründen in Verbindung stünde und hätte es hiebei entsprechender weiterführender Ermittlungen durch die belangte Behörde bedurft.

Im Hinblick auf seine Situation im Bundesgebiet brachte der Beschwerdeführer vor, seit fünf Jahren und zwei Monaten in Österreich zu leben, seit 2019 keine Grundversorgung mehr zu beziehen und aus seiner selbständigen Tätigkeit in der Gastronomie selbsterhaltungsfähig zu sein. Er verfüge über eine Mietwohnung, welche er ohne Beihilfen der Gebietskörperschaften finanzieren könne und sei sprachlich, wirtschaftlich/ beruflich und in persönlicher Hinsicht bereits sehr gut integriert. Er verfüge über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, den er im Laufe seines bisherigen Aufenthaltes immer weiter vergrößern konnte. Seit der letzten Entscheidung im Erstverfahren am 25.09.2019 habe er den von ihm geführten Betrieb und somit seine Einkommensquelle etablieren und seine Deutschkenntnisse weiter verbessern können. In Zusammenschau mit der seither längeren Aufenthaltsdauer begründe dies einen neuen Sachverhalt auch hinsichtlich seines Privatlebens in Österreich im Sinne des Artikels 8 EMRK, der einer eingehenderen Beurteilung durch die belangte Behörde zu unterziehen gewesen wäre.

1.8. Dem Beschwerdeführer droht im Irak keine aktuelle, konkrete und individuelle Gefährdung oder Verfolgung seiner Person durch Angehörige (schiitischer) Milizen oder einer extremistischen Organisation und auch nicht durch Angehörige staatlicher irakischer Behörden. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Begründung seines verfahrensgegenständlich zweiten Antrages auf internationalen Schutz vom 29.07.2020 wird keine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende individuelle Situation im Rückkehrfall im Herkunftsstaat oder in sonstigen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen seit der Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2019, I403 2147758-1/24E, glaubhaft aufgezeigt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Begründung seines verfahrensgegenständlich zweiten Antrages vom 29.07.2020 weist keinen glaubhaften Kern auf.

Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Bagdad auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefährdung oder psychischer und/ oder physischer Gewalt aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Islam sunnitischer Prägung ausgesetzt.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der allgemeinen Lage im Irak im Sinne einer Verschlechterung der Lage ist seit der Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2019, I403 2147758-1/24E, ebenso wenig eingetreten, wie eine maßgebliche Änderung der Rechtslage.

Weitere Hinweise auf das Bestehen eines Sachverhaltes, welcher die inhaltliche Prüfung des verfahrensgegenständlich zweiten Antrages auf internationalen Schutz vom 29.07.2020 gebieten würde, kamen bei Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen nicht hervor.

1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Die irakische Hauptstadt Bagdad ist im Luftweg mit Linienflügen (Schwechat - Istanbul oder Doha oder Amman - Bagdad) direkt und gefahrlos erreichbar.

1.10. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Wohnmöglichkeit im vor seiner Ausreise bewohnten Haus seines Großvaters oder bei in Bagdad lebenden Familienangehörigen. Er verfügt über Schulbildung auf Maturaniveau und Berufserfahrung im familieneigenen Unternehmen im Bereich An- und Verkauf von Fahrzeugen. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

1.11. Der Beschwerdeführer reiste rechtswidrig in Österreich ein und hält sich seit Mitte Juli 2015 durchgehend in Österreich auf. Vom 17.07.2015 bis zum 25.09.2019 verfügte der Beschwerdeführer über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht als Asylwerber. Bis zur Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2019, I403 2147758-1/24E, am 25.09.2019 hielt sich der Beschwerdeführer somit als Asylwerber rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Zwischen dem 25.09.2019 und dem 29.07.2020 verfügte der Beschwerdeführer über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet und war zur Ausreise verpflichtet. Der Ausreiseverpflichtung kam der Beschwerdeführer nicht nach. Er ist nicht rückkehrwillig. Ab dem 29.07.2020 kam dem Beschwerdeführer aufgrund seines zweiten Asylantrages faktischer Abschiebeschutz zu. Seit der Zulassung des Folgeantrages (vgl. OZ 13, S 13) hält sich der Beschwerdeführer wieder rechtmäßig als Asylwerber im Bundesgebiet auf (VwGH 19.06.2017, Ra 2016/19/0297).

Der Beschwerdeführer bezog seit der erstmaligen Antragstellung bis 20.03.2019 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Ab Mitte März 2019/ Anfang April 2019 betrieb der Beschwerdeführer als Einzelunternehmer in XXXX ein reglementiertes Gewerbe (Gastgewerbe in der Betriebsart Restaurant). Im Mai 2020 meldete er - nach Kündigung seines gewerberechtlichen Geschäftsführers und Zurücklegung des Gastgewerbes - ein freies Gewerbe mit dem Wortlaut „Gastgewerbe in der Betriebsart Verabreichung von Speisen in einfacher Art und Ausschank von nicht alkoholischen Getränken und von Bier in handelsüblichen verschlossenen Gefäßen, wenn hierbei nicht mehr als acht Verabreichungsplätze (zum Genuss von Speisen und Getränken bestimmte Plätze) bereitgestellt werden“ an. Diese Gewerbeberechtigung endete zunächst am 10.06.2020 nach Zurücklegung der Gewerbeberechtigung bzw. Zurücklegung des Fortbetriebsrechts. Am 22.07.2020 wurde dieses freie Gewerbe erneut vom Beschwerdeführer angemeldet. Der Beschwerdeführer entnimmt dem Betrieb zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes monatlich etwa EUR 1.000,00 bis EUR 1.500,00 und verfügt über ein Sparbuch mit einer Einlage in der Höhe von EUR 3.000,00.

Der Beschwerdeführer besuchte sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache in den Jahren 2015 und 2016 in einer Volksschule in XXXX und bei der Caritas der Diözese Graz-Seckau. Ferner nahm er an einem „Sprach- bzw. Integrationscafe“ teil. Der Beschwerdeführer legte am 23.06.2017 die Sprachprüfung des Österreichischen Integrationsfonds auf dem Niveau A2 und am 28.09.2020 die Integrationsprüfung des Österreichischen Integrationsfonds (bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Sprachniveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen) ab. Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache in fortgeschrittenem Ausmaß. Eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer in deutscher Sprache ist gut möglich.

Der seit Oktober 2020 verheiratete Cousin XXXX , geb. XXXX , lebt mit dem Beschwerdeführer „unter der Woche“ in einem gemeinsamen Haushalt und arbeitet im Gastronomiebetrieb des Beschwerdeführers. Die Zeit zwischen Sonntag am Abend und Dienstag verbringt der Cousin hingegen bei dessen Ehegattin in Wien. Amtlich gemeldet ist der Cousin an der Wohnadresse des Beschwerdeführers nicht. Ein über normale soziale Kontakte unter erwachsenen Cousins hinausgehendes Nahe- und/oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Cousin kann nicht festgestellt werden. Zu den in Schweden lebenden Verwandten der Ehegattin des Beschwerdeführers besteht kein Kontakt.

Der Beschwerdeführer verfügt hier über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem auch österreichische Staatsangehörige beziehungsweise in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören. Der Beschwerdeführer hat im Erstverfahren und im gegenständlichen Verfahren Unterstützungserklärungen seiner Freunde und Bekannten vorgelegt. Der Bürgermeister der Wohnortgemeinde attestiert dem Beschwerdeführer etwa Freundlichkeit, Offenheit, die Aneignung sehr guter Deutschkenntnisse und eine positive Integration in der Gemeinde. Einzelne Unterstützer bescheinigen dem Beschwerdeführer zudem schnelle Lernfähigkeit, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, ein Bemühen um Integration, Interesse am Leben und den Bräuchen in Österreich, Engagement beim Erwerb der deutschen Sprache, eine zuvorkommende Art und gemeinsam Freizeit sowie Festtage verbracht zu haben. Zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Bekannten/ Freunden besteht allerdings kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis und auch keine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung. Ein ehrenamtliches oder gemeinnütziges Engagement des Beschwerdeführers ist - abgesehen von der aktiven Beteiligung beim Projekt „Flüchtlinge helfen die Biodiversität Europas bewahren“ - nicht feststellbar. Darüber hinaus war und ist der Beschwerdeführer nicht in Vereinen oder Organisationen aktiv; er ist ansonsten auch nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich.

1.12. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Er hält sich seit seiner ersten Antragstellung in Österreich auf und verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.13. Zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement Bagdad werden folgende Feststellungen getroffen:

Das Gouvernement Bagdad ist das mit ca. 4.555 km² flächenmäßig kleinste Gouvernement des Landes und beherbergt die gleichnamige irakische Hauptstadt Bagdad. In Bagdad lebten 2018 offiziellen Schätzungen zufolge 8,1 Millionen Menschen (die Einwohnerzahl variiert je nach Quelle und Zählweise zwischen 6,6 bis zu 9,7 Millionen Einwohnern). Obwohl Bagdad das kleinste Gouvernement im Irak ist, hat es die höchste Einwohnerzahl von allen Gouvernements. 87% der Bevölkerung des Gouvernements leben in der Stadt Bagdad selbst. Die Hauptstadt ist das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes und beherbergt die stark geschützte grüne Zone.

Die Stadt Bagdad ist in neun Verwaltungsbezirke gegliedert: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, Al Rashid, Rasafa und 9 Nissan (‘new Baghdad’). Die restliche Fläche des Gouvernements beherbergt die Verwaltungsbezirke Al Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib, die den sogenannten „Bagdad Belt“ bilden und die Vororte beherbergen.

Im Jahr 2019 schätzte das irakisch zentrale Statistikbüro die Einwohnerzahl des Gouvernement Bagdad auf 8.340.711 Menschen, von denen 1.043.279 Menschen in den ländlichen Gebieten des „Bagdad Belt“ und 7.297.432 Menschen in den städtischen Gebieten von Bagdad City leben. Die CIA schätzte die Bevölkerung von Bagdad-City im Jahr 2020 auf 7.144.000 Menschen. Obwohl Bagdad das flächenmäßig kleinste Gouvernement im Irak ist, hat es die höchste Anzahl von Einwohnern aller Gouvernements, wobei 87 % davon in den städtischen Gebieten von Bagdad City leben. Das Gouvernement Bagdad hat damit die höchste Bevölkerungsdichte im Irak.

Gouvernement und Stadt Bagdad weisen eine gemischte Bevölkerung aus Schiiten und Sunniten mit einer geringeren Anzahl christlicher Gemeinschaften auf. Während die meisten Stadtteile in Bagdad in der Vergangenheit von einer Mischung aus Sunniten und Schiiten bewohnt waren, führte die gewaltsame Säuberung im Zuge der konfessionellen Konflikte insbesondere in den Jahren 2006 und 2007 dazu, dass die Stadt viel stärker religiös geteilt und von den Schiiten dominiert zu sein scheint.

In wirtschaftlicher Hinsicht sind der größte Teil der produzierenden Betriebe, der Finanzwirtschaft und der Handelsunternehmungen in und um Bagdad konzentriert. Mindestens die Hälfte der irakischen Großindustrie befindet sich im Gouvernement Bagdad. Das Ölfeld östlich von Bagdad ist 65 Kilometer lang und 11 Kilometer breit und verfügt über eine Reserve von 8 Millionen Barrel Rohöl. Darüber hinaus ist Bagdad über Verkehrswege mit dem Rest des Landes gut verbunden und verfügt mit dem Bagdad International Airport über einen der wichtigsten Flughäfen im Irak.

Sicherheit von Verkehrswegen:

Der Overseas Security Advisory Council (OSAC) beobachtete die Existenz von improvisierten Kontrollpunkten zusätzlich zu den zahlreichen Sicherheitskontrollpunkten der Regierung in der Stadt Bagdad. OSAC stellte auch fest, dass die Maßnahmen zur Beschränkung des Zugangs zur Internationalen Zone (Grüne Zone) im Dezember 2018 gelockert wurden. Nachdem sich im Oktober 2019 regierungskritische Proteste in Bagdad ausbreiteten, wurde der Zugang zur Internationalen Zone jedoch wieder eingeschränkt. Berichten zufolge kann sich der Einlass zur Internationalen Zone je nach Sicherheitslage schnell ändern, was die diplomatischen Missionen, den privaten Sektor und die Ansässigkeit direkt beeinflusst. Iraq Humanitarian Fund und iMMAP untersuchten die Gefährdung durch Sprengmittel auf Straßen im Gouvernement Bagdad zwischen dem 1. und 30. April 2020. Die Analyse ergab Straßen der Kategorie „Primary Risk Road“ (rot) in Tarmiyah, Abu Ghraib und Mahmoudiya und damit überwiegend im Bereich des „Bagdad Belt“. Straßen der Kategorie „Secondary Risk Road“ (orange) wurden in den oben genannten Gebieten sowie in Mada'in und in geringem Ausmaß in einzelnen Vierteln von Bagdad-City definiert.

Rückblick:

Vom Jahr 2013 an intensivierte der Islamische Staat seine terroristischen Aktivitäten in Bagdad dramatisch. Insbesondere schiitische Ziele in der Stadt Badgda wurden von VBIEDs (Autobomben) angegriffen. Mit dieser Strategie versuchte der Islamische Staat, einerseits die Unfähigkeit der irakischen Behörden und der irakischen Sicherheitskräfte im Hinblick auf die Gewährleistung von Sicherheit zu demonstrieren und anderseits die neuerliche Formierung schiitischer Milizen zu provozieren. Die Angriffe mit VBIEDs setzte sich auch 2014 fort. Die anfängliche Befürchtung im Sommer 2014, dass der Islamische Staat auch die Stadt Bagdad überrennen könnte, verwirklichte sich nicht. Dennoch kam es zu Kämpfen zwischen den Milizen des Islamischen Staates und der irakischen Armee in Zaidan und Abu Ghraib im Westen des Gouvernements (in etwa 20 km Entfernung zum Stadtzentrum). Auch in den Städten al-Mahmudiya und Latifiya südlich der Stadt wurden Schießereien mit Kämpfern des Islamischen Staates gemeldet. Darüber hinaus waren im Jahr 2014 öffentliche Plätze in schiitischen Bezirke in Bagdad weiterhin Ziele regelmäßiger Terroranschläge des Islamischen Staat.

Das Vordringen der Milizen des Islamischen Staates über Mossul in den Zentralirak im Juni 2014 führte zur Mobilisierung schiitischer Milizen in Bagdad. Während die irakische Armee in erster Linie die Sicherheit im Zentrum von Bagdad gewährleistete, waren schiitische Milizen hauptsächlich in den Vorstädten und im Bagdad-Belt präsent. Die neuerliche Formierung dieser Milizen weckte bei der sunnitische Minderheit Erinnerungen den die konfessionellen Unruhen in Bagdad in den Jahren 2006 und 2007, als schiitische Milizen konfessionell motivierte Säuberungen zu Lasten der sunnitischen Bevölkerung Bagdads durchführten. Im Laufe des Jahres 2014 gab es zwar neuerlich Berichte über konfessionell motivierte Übergriffe durch schiitische Milizen und es wurden Morde von sunnitischen Zivilisten Angehörigen verschiedener schiitischer Milizen zugerechnet. Die groß angelegten konfessionellen Unruhen und Übergriffe der Jahren 2006 und 2007 wiederholten sich in Bagdad jedoch weder 2014, noch zu einem späteren Zeitpunkt.

Dem Institute for the Study of War zufolge stellte der Islamische Staat im Jahr 2016 die terroristischen Angriffe auf Bagdad mit Autobomben und Selbstmordattentätern zunächst für einige Monate ein, nahm jedoch im April und Mai 2016 diese Taktik wieder auf. Im Zeitraum vom 4. April 2016 bis zum 11. Mai 2016 wurden 23 Angriffe mit Autobomben und Selbstmordattentätern registriert. Dabei wurden hauptsächlich Sicherheitskräfte und Kontrollpunkte, aber auch Märkte, Begräbnisse und Pilger zum Beispiel attackiert. Der Fokus auf Angriffe auf Zivilisten und schiitische Pilger führte dazu, dass bei den Bombenanschlägen in Bagdad im April 2016 zahlreiche Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden. Im Mai 2016 zündete der Islamische Staat beispielsweise eine Bombe im schiitischen Verwaltungsbezirk Sadr City, wobei 52 Menschen getötet und Dutzende Menschen verletzt wurden. Am 11. Mai 2016 führte der Islamische Staat in Bagdad drei gleichzeitige Anschläge durch, bei denen 93 Zivilpersonen getötet und viele weitere Menschen verletzt wurden. Im Juli 2016 wurden bei dem Selbstmordbombenanschlag im Verwaltungsbezirk Karada 324 Menschen getötet, als der Islamische Staat eine in einem Lastkraftwagen verborgende Bombe vor einem Einkaufszentrum zündete. Dem Experten Joel Wing zufolge setzte der Islamische Staat seine Angriffe aus den ländlichen Gebieten rund um Bagdad aus auch im Jahr 2017 fort, die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle ging jedoch bereits 2017 von durchschnittlich zwölf Vorfällen auf drei Vorfälle pro Tag zurück. Im Jahr 2017 ereigneten sich letzte größere terroristische Anschlüge des Islamischen Staates auf Märkte und Geschäfte in Bagdad. Zum Beispiel wurden 35 Menschen bei einem Autobombenanschlag im schiitischen Verwaltungsbezirk Sadr City im Januar 2017 getötet. Eine Autobombe vor dem Al-Kindi-Krankenhaus in Bagdad tötete drei Menschen, zwei sich gegen Schiiten richtende Selbstmordanschläge auf einen Markt in Bagdad forderten noch im Januar 2017 28 Todesopfer. Die Zahl terroristischer Angriffe des Islamischen Staates auf Menschenansammlungen in Bagdad ist in der Folge nach dem ersten Quartal 2018 signifikant zurückgegangen (zur aktuellen Sicherheitslage siehe unten).

Sicherheitskräfte im Gouvernement Bagdad:

Die Einheiten der irakischen Armee in Bagdad unterstehen dem Baghdad Operations Command (BOC), das in zwei Gebiete unterteilt ist, das Karkh Area Command und das Rusafa Area Command. Die Special Forces Division (SFD) des Premierministers ist für die Sicherheit in der grünen Zone und den Schutz des Premierministers verantwortlich und kann vom Verteidigungsministerium, dem BOC, dem Joint Operations Command (JOC) sowie dem Premierminister selbst eingesetzt werden. Die SDF wird auch für Sicherungsaufgaben in Bagdad herangezogen, insbesondere während der schiitischen Pilgerreisen.

Dem Karkh Area Command untersteht die 6. irakische Armeedivision mit verschiedenen Brigaden, die in und außerhalb der Stadt stationiert sind. Zuletzt übernahmen Einheiten der 6. irakische Armeedivision die Kontrolle über eine Militäreinrichtung in Abu Ghraib, die zuvor von Beratern der Streitkräfte der Internationalen Koalition genutzt wurde. Die dem Rusafa Area Command unterstehende 9. irakische Armeedivision ist derzeit nicht in Bagdad stationiert. Die Bundespolizei des irakischen Innenministeriums ist in Bagdad durch drei Bundespolizeidivisionen vertreten. Die dem Innenministerium unterstellte paramilitärisch organisierte irakische Bundespolizei (FP) hat in Bagdad mehrere Divisionen stationiert. Die 1. Federal Police Division sichert den Südwesten, Westen, Südosten und die Kanalzone (östlich der Hauptstadt) von Bagdad. Die 2. Federal Police Division, die einzige mechanisierte Division der FP in Bagdad, wird hauptsächlich zur Terrorismusbekämpfung in Bagdad und den Bagdad-Belts, zur Sicherung von Pilgerwegen und zu Aufgaben in Zusammenhang mit der Strafverfolgung herangezogen. Die 4. Federal Police Division deckte das südliche Bagdad und Gebiete südlich der Hauptstadt ab und betreibt das Gefängnis in Karkh. Ergänzend steht westlich von Bagdad die 3. Brigade der Emergency Response Division (ERD) zur Verfügung.

Die Stadt Bagdad und die Vororte werden grundsätzlich von den irakischen Behörden kontrolliert. In der Praxis teilen sich die Behörden jedoch die Verteidigungs- und Strafverfolgungsaufgaben mit den schiitisch dominierten Milizen der Volksmobilisierungseinheiten (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), was zu einer „unvollständigen“ oder überlappenden Kontrolle mit diesen Milizen führt. Das BOC ist das am besten ausgestattete Kommando der irakischen Streitkräfte und demnach bei Einsätzen mit einer entsprechenden Stärke vertreten. In der Vergangenheit gelang es schiitische Milizen in Bagdad dennoch, Verbrechen zu verüben, Stützpunkte und Kontrollzonen im nordöstlichen und südlichen Teil des Gouvernement Bagdad zu errichten und es kam in seltenen Fällen sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den irakischen Sicherheitskräften. Dem Experten Michael Knights zufolge haben PMF-Milizen im Gouvernement Bagdad kein operatives Hauptquartier, es gibt jedoch Stützpunkte im Bagdad-Belt. Berichten zufolge hat die schiitische Miliz Kata'ib Hizbollah eine Kontrollzone in Jurf as-Sakr, 40 Kilometer südwestlich von Bagdad, geschaffen. Die Miliz Kataib Al-Imam Ali versucht, eine Basis im südöstlichen Teil des Bagdad-Belt zu errichten. Asa'ib Ahl Al-Haqq dominiert im nördlichen Teil des Bagdad-Belt. In Bezug auf Bagdad-City berichtet Michael Knights, dass PMF-Milizen in zahlreichen Teilen des Irak über lokale Büros zur Mittelbeschaffung und Rekrutierung verfügen. Die höchste Konzentration solcher Büros ist in Bagdad-City gegeben. Darüber hinaus haben sich PMF-Milizen in Bagdad-City Einflussbereiche geschaffen. In der Palästina-Straße ist die Miliz Kata'ib Hizbollah dominierend, in Sadr City Saraya al-Salam und Asa'ib Ahl al-Haqq, in Karada und Jadiriyah die Badr-Organisatzu und Kata'ib Al-Imam Ali. In diesen Gebieten heben Milizen Steuern von Unternehmen und auf Immobilientransaktionen ein, ferner werden Berichten zufolge im Gouvernement Bagdad von schiitischen Milizen Waffen gelagert. Die unabhängige Nachrichtenagentur Iran Wire veröffentlichte eine am 8. Mai 2020 aktualisierte Karte, auf der die Präsenz folgender PMU-Gruppen in der Stadt Bagdad gezeigt wurde und stellte die Gesamtzahl von Kämpfern im Irak und in Syrien für jede Gruppe zur Verfügung:

?        Al-Khorasani Brigaden (3.000 Kämpfer) in Gherai‘at, Al-Bayda’a, und Bo'aitha und dem Hauptquartier in Karada

?        Saraya al-Salam (nunmehr 7.000 Kämpfer im Rahmen der PMF, zuvor 20.000 Kämpfer unter der Bezeichnung Jaysh Al-Mahdi) mit dem Hauptquartier in Sadr City

?        Al-Tayyar Al-Risali (2.000 Kämpfer) in A502 and 9 Nissan

?        Liwa Abu Fadl Al-Abbas (500 Kämpfer) in Safaraat und Al-Saadoon

?        Kataib Al-Imam Ali (Anzahl der Kämpfer unbekannt) in Al-Mutanabi

?        Badr-Organisation (10.000 Kämpfer) in Mansour, Suwaib and Al-Rasheed

?        Saraya Ashoura’a (6.000 Kämpfer) in Abu Nuwas

?        Asa’ib Ahl Al-Haq (15.000 Kämpfer) am Diyala-Fluss und in Bab Al-Sham

?        Kata’ib Jund Al-Imam (bestehend aus mehreren Brigaden mit einer unbekannten Anzahl an Kämpfern)

Laut einer im September 2019 veröffentlichten Forschungsarbeit waren neben Einheiten der irakischen Armee und der FP im Gouvernement Bagdad die PMF-Brigaden 1, 2, 4, 20, 22, 23, 24, 26, 28, 47 und 110 stationiert. Darüber hinaus entstand im Jahr 2014 getrennt von den PMF-Milizen ein als „Defense Hashd“ bezeichneter loser Zusammenschluss kleinerer Gruppierungen, die in erster Linie in den Gebieten des Bagdad-Belt stationiert und nominell dem Verteidigungsministerium angegliedert sind. Dem Experten Michael Knights zufolge stehen dem Verteidigungsministerium auf diesem Weg sechsundfünfzig Checkpoint-Einheiten zur Verfügung, die vom BOC geführt werden und die in Einrichtungen der irakischen Streitkräfte ausgebildet wurden. Die PMF-Milizen erkennen die Defense Hashd nicht als Teil der Volksmobilisierungseinheiten an.

Im März 2020 wurde eine neue Gruppierung namens Usbat Al-Tha'irien (Liga der Revolutionäre) gegründet. Diese Gruppierung hat sich zu tatsächlichen und versuchten Angriffen auf US-Ziele bekannt und veröffentlichte Luftaufnahmen wichtiger US-Einrichtungen im Irak. Damit verfolgt die Gruppierung das Teil, die US-Truppen zu Vergeltungsschlägen zu provozieren, der die Tötung irakischer Zivilisten oder irakischer Sicherheitskräfte zur Folge hat. Auf diese Weise soll öffentlicher Unmut gegen die ausländische Militärpräsenz gefördert werden.

Islamischer Staat:

Mehrere Quellen berichteten über verstärkte Aktivitäten des Islamischen Staates in Bagdad in den Jahren 2019 und 2020. Ein BBC-Artikel vom 23.12.2019 berichtet, dass sich der Islamische Staat zwei Jahre nach dem Verlust der letzten Territorien neu organisiert. Die BBC zitierte einen hochrangigen kurdischen Beamten der Terrorismusbekämpfung, der davor warnte, dass der Islamische Staat von den politischen Unruhen in der irakischen Hauptstadt Bagdad und dem wachsenden Gefühl der Entfremdung der irakischen Sunniten profitieren würde. Business Insider berichtete, dass der Islamische Staat seit Mitte 2019 in ländlichen Gebieten östlich und nördlich von Bagdad Aktivitäten entfalten würde. Der Experte Joel Wing beobachtete demgegenüber, dass der Islamische Staat zwar im Jahr 2019 den Versuch unternommen habe, in Bagdad-City Fuß zu fassen und es dabei zu mehreren Bombenanschlägen gekommen sei, dann aber der Schwerpunkt der Aktivitäten des Islamischen Staates in ländliche Gebiete verlagert worden sei.

Im Mai 2020 stellte das an der Militärakademie West Point eingerichtete Combating Terrorism Center (CTC) in einem Bericht fest, dass es aktive Angriffszellen des Islamischen Staates in folgende Gebieten des Gouvernement Bagdad gibt: Tarmiyah; Tadschi/Saab al-Bour; Abu Ghraib/Zaidon; das Latifiyah/ Yusufiyah/ Mahmudiyah-Dreieck; Jurf al-Sakhr; und Jisr Diyala/Madain. Die Quelle fügte hinzu, dass die Zunahme der Aktivitäten des Islamischen Staates rund um Bagdad vor allem im Norden und Westen des Bagdad-Belt stattgefunden habe, wobei im nördlichen Bereich des Bagdad Belt von der Gruppierung Shamal Al-Bagdad Wilayat aktiv ist. Berichten zufolge dient eine dort beheimatete wichtige Durchgangsstraße als Bindeglied zu anderen Gebieten mit Aktivitäten des Islamischen Staates und als Drehscheibe für Kämpfer und Material aus Syrien bzw. aus Anbar.

US-geführte internationale Militärpräsenz:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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