TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/19 W195 2173143-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.02.2021
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Entscheidungsdatum

19.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W195 2173143-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.02.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 16.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei einer Erstbefragung am 17.07.2015 gab der BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, er sei ins Ausland gegangen um zu arbeiten und Geld zu verdienen. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab er an, in Bangladesch keine Arbeit zu haben.

I.2. Am 29.06.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, im Sommer 2014 Bangladesch verlassen zu haben. Er sei Mitglied der Bangladesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP). Der BF habe Probleme mit den Mitgliedern der Regierungspartei Awami League (im Folgenden: AL) gehabt. Am Wahltag sei die Wahl durch die Mitglieder der AL verfälscht worden. Es sei zu Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern der AL und der BNP gekommen. Auch die Polizei sei gerufen worden. Bei dieser Auseinandersetzung seien drei Mitglieder der BNP getötet und viele verletzt worden. Die Mitglieder der BNP seien dann von der Polizei verhaftet worden. Den Mitgliedern der AL sei nichts passiert. Der BF sei auch verhaftet worden, aber sein Onkel habe Geld bezahlt, sodass der BF freigekommen sei. Der BF sei von den Mitgliedern der AL mit Steinen geschlagen worden. Gleich danach sei der BF ausgereist.

Dieser Vorfall habe sich am 04. oder 05.02.2014 in der Hauptschule XXXX zugetragen.

Bis zu seiner Ausreise im Sommer 2014 habe sich der BF versteckt gehalten. Sein Onkel habe ihm bei seiner Flucht geholfen.

Auf Vorhalt, dass die Wahlen bereits am 05.01.2014 stattgefunden hätten, gab der BF zu Protokoll, das seien andere Wahlen, lokale Wahlen, gewesen. Das seien die Lokalwahlen in den Stadtbezirken gewesen. Dem BF wurde weiter vorgehalten, dass laut den Länderinformationen zu Bangladesch die Kommunalwahlen in den Stadtbezirken am 30.12.2015 stattgefunden haben. Dazu gab der BF an: „Das war aber so.“ Dem BF wurde weiters entgegengehalten, bei der Erstbefragung im Juli 2015 lediglich vorgebracht zu haben, ausgereist zu sein, um einer Arbeit nachgehen und Geld verdienen zu können. Dazu gab der BF an, dass das falsch niedergeschrieben worden sei.

Der BF sei ein Mitglied der BNP gewesen. Er hätte mit anderen Treffen der Mitglieder organisiert. Er sei auch noch bei einer Demonstration in XXXX gewesen. Wann das gewesen sei, wisse er nicht mehr. Das sei aber vor dem anderen Vorfall gewesen. Der BF habe auch Probleme mit dem Bruder seines Großvaters gehabt. Er wolle ein Grundstück, welches dem BF gehöre. Der BF habe das Grundstück von seinem Großvater bekommen, weil er der einzige männliche Enkel gewesen sei. Sein Großvater und dessen Bruder seien beide verstorben.

Mit dem Sohn des Bruders seines Großvaters habe der BF noch Probleme. Dieser habe auch vier Brüder. Diese Probleme bestünden seit 2012. Das Grundstück habe der BF erhalten, als er acht Jahre alt gewesen sei. Der BF könne sich Dokumente zum Besitz dieses Grundstückes nachsenden lassen. Die Verwandten seien oft, ca. fünf- oder sechsmal gekommen. „Er hat uns geschlagen, wir haben den Vorfall der Polizei gemeldet, die Polizei hat nichts unternommen, weil dieser Mann die Polizei bestochen hat.“

Im Falle einer Rückkehr fürchte der BF, umgebracht zu werden. Die Polizei könne ihn mitnehmen. In anderen Landesteilen könne er sich nicht niederlassen, weil ihn die Polizei überall finden würde.

I.3 Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.09.2017, XXXX wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.4. Mit Schriftsatz vom 05.10.2017 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – im Beschwerdezeitpunkt durch die XXXX vertretenen – BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.

Neben Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes, der behaupteten Fluchtgründe und weitwendiger Zitierung von Länderberichten wurde dabei soweit wesentlich begründend ausgeführt, dass das BFA seiner Entscheidung unvollständige Länderberichte zugrunde gelegt habe. Das bengalische Justizsystem sei nicht schutzfähig. BNP-Mitglieder würden grundlos inhaftiert, misshandelt und verletzt. Das BFA habe es darüber hinaus verabsäumt, Berichte darüber einzuholen, ob auch „einfache“ Parteimitglieder der BNP verfolgt würden. Ein Abgleich mit einschlägigen, aktuellen Länderberichten sei der Beweiswürdigung ebenfalls nicht zu entnehmen. Das BFA habe das Verfahren mit einer mangelhaften Beweiswürdigung und Begründung belastet. Der BF werde aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei, sohin aufgrund seiner politischen, oppositionellen Einstellung in seinem Heimatland von staatlicher Seite verfolgt. Der BF könne keine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen, weshalb ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Da er keine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen könne, sei ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Zudem habe der BF eine Beschäftigungsbewilligung seitens des Arbeitsmarktservices (im Folgenden: AMS), spreche gut Deutsch, habe ein Deutschzertifikat A2 erlangt und habe ein Konvolut an Integrationsunterlagen vorgelegt, weshalb die Rückkehrentscheidung für unzulässig erklärt werden hätte müssen.

Es wurden die Anträge gestellt, den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und dem BF Asyl zu gewähren, in eventu den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung das BFA zurückzuverweisen, in eventu, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu, die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und festzustellen, dass die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gem. § 55 AsylG 2005 vorlägen, in eventu, dem BF eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz zuzuerkennen, sowie jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

I.5. Mit Schreiben vom 09.10.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.6. Mit Schreiben vom 26.01.2021 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und damit dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand Dezember 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 15.02.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.7. Am 15.02.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsanwaltes des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Eingangs wurden noch Empfehlungsschreiben sowie ein aktueller Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung vorgelegt.

Gleich zu Beginn der Verhandlung behauptete der BF, dass er bei der Erstaufnahme am 17.07.2015 hinsichtlich des Fluchtgrundes „er sei nur zum Arbeiten hierhergekommen“ falsch zitiert wurde.

Er selbst sei gesund und leide an keinen dauerhaften Erkrankungen.

Er habe seit drei Jahren – somit seit 2018 - keinen Kontakt mehr mit seiner Familie, welche aus Mutter, Vater und vier Schwestern, zwei davon verheiratet, bestünde (BVwG S 4). Er würde sie nicht mehr erreichen, zuvor hatte er wöchentlichen Kontakt. (BVwG S 9). Seine Familie hätte die Ortschaft verlassen, weil die Onkel väterlicherseits und die Polizei Druck machen. Er habe auch keine Nummern von den Schwestern, die bereits verheiratet sind. Diesen Kontakt zu den Schwestern habe er 2016 verloren (BVwG S 9).

Der BF habe nur einen Onkel väterlicherseits („Onkel vs.“). Die „Flucht“ und die Kosten dafür habe der „Onkel vs“ organisiert (BVwG S 7). Auch mit diesem habe er keinen Kontakt mehr (BVwG S 10). Dieser habe ihn 2014 „weggeschickt“ und seit 2015 habe er keinen Kontakt mehr.

Der Vater sei Landwirt gewesen, es sei finanziell „mittelmäßig“ gewesen.

Er sei in XXXX am XXXX geboren. Er habe „seit meinem 12. Lebensjahr, als ich 12-13 Jahre alt war. Seitdem. Also seit ich 13-14 Jahre alt war, sowas“ in XXXX der XXXX Bangladeschs gewohnt. Zu den Wohnverhältnissen in Bangladesch befragt gab der BF an, dass er dort in einer Mietwohnung war.

Als er „17/18 Jahre“ Jahre alt war habe er eine Koch/Kellner Ausbildung gemacht. Diese dauerte bis zu drei Jahre. (BVwG S 6). Nach dieser Ausbildung habe er nicht mehr gearbeitet (– somit ca. ab dem 20. Lebensjahr, dies wäre 2008 -). Er sei „in der BNP-Organisation“ involviert gewesen; dies ist widersprüchlich zur weiteren Aussage: Der BF sei „2012 bis 2013, 13, 14, also 2012 plus die Hälfte von 13“ arbeitslos gewesen (BVwG S 8).

Bei der BNP sei er nicht angestellt gewesen, aber Mitglied. Als „Mitglied“ habe er monatlich „70 – 80 oder 100 €“ erhalten (BVwG S 6). Die BNP habe ihm „das für maximal 3 Jahre, 2 bis 2°1/2 Jahre bezahlt (BVwG S 6); widersprüchlich dazu: dieses monatliche Gehalt habe er „4-5 Monate“ lang bezogen, dies sei „4 Monate vor der Wahl“ gewesen (BVwG S 9). Die BNP würde den Mitgliedern die Kosten für das Hinbringen und Demonstrieren übernehmen. Der BF habe keine Führungsposition gehabt (BVwG S 9).

Im Zuge der Verhandlung konnte festgestellt werden, dass der BF eine Konversation in deutscher Sprache führen kann, weil der Sprachwortschatz ausreichend ist. Die Antworten erfolgten bemühter maßen in vollen Sätzen und entspricht dem Integrationszeugnis Niveau B1 (Urkundenvorlage durch RA)

Der BF hat in Österreich keine Verwandten, keine Kinder und auch keine Beziehung.

Der BF arbeitet als Kochgehilfe (mit Zustimmung des AMS; Urkundenvorlage RA) und erhält dafür monatlich netto zwischen € 650 und 1.300; er zahlt € 440 an Miete und Strom sowie € 47 für die Heizung (BVwG S 11). Da er als Kochgehilfe arbeitet könne er im Restaurant zu Mittag essen, das Abendessen müsse er sich selbst besorgen. Er habe einen Arbeitsvorvertrag in Vorlage gebracht, er könne weiter bei dem Unternehmen arbeiten (Urkundenvorlagen RA).

Sein Freundeskreis bestünde aus Arbeitskollegen, österreichische Freunde als auch bengalische. Er habe freiwillige Hilfsleistungen in einem Pflegeheim erbracht (BVwG S 12; Urkundenvorlagen RA).

Der BF habe Bangladesch im Sommer 2014 verlassen. Er sei mit dem Flugzeug von XXXX nach XXXX geflogen.

Zu den Fluchtgründen befragt gab der BF an, dass er gleich „nach der Wahl“ im Jänner 2014 festgenommen worden sei. Es sei dies [wörtlich im Protokoll]: „eine „lokale Wahl“ gewesen, eine „national“…“ (BVwG S 8).

Hinsichtlich der Grundstücksstreitigkeiten gab der BF an:

Der Großvater hatte Grundstücke in XXXX Als der BF „4/5“ Jahre alt war (andere Aussage vor BFA: „acht Jahre“), sei der Großvater gestorben (somit ca 1992/1993).

Geerbt hätten „die vier Söhne, also die „Onkel vs“ und Söhne vom Bruder des Großvaters“; auch der BF habe etwas geerbt, der Großvater habe „etwas geschrieben“ (BVwG S 13f).

Mehrmals über die Verwandtschaftsverhältnisse nachgefragt, wie viele Söhne der Großvater hatte, gab der BF an, es seien 2 Söhne gewesen, der Vater und der „Onkel vs“. Dieser „Onkel°vs“ habe keine Kinder und hätte ihm dieser bei der (späteren) Flucht geholfen.

Aber der Großvater hatte auch einen Bruder, welcher vier Söhne hatte.

Der Großvater habe die Hälfte der Grundstücke dem Vater des BF und seinem „Onkel vs“ vermacht, die andere Hälfte hätten die vier Söhne des Bruders des Großvaters erhalten.

Das Grundstück (ein Baugrundstück), welches der BF erhalten habe, hätten diese ‚Onkel‘ („die vier Söhne“) jedoch in Besitz genommen. Er (und sein Vater) habe gegen diese keine Chance. Sie würden das Grundstück seit 2013 nutzen, wobei der BF trotz oftmaliger Nachfrage nicht mitteilte, in welcher Art sie es „nutzen“ würden. Der BF habe weder einen Anwalt genommen oder die Geschichte vor das Dorfgericht gebracht. Sie hätten auch kein Gericht beansprucht, „zu der Zeit hatten wir keine Idee“. Er habe keine Dokumente dazu (andere Aussage vor BFA: der BF könnte „Dokumente besorgen“), auch zu Hause gäbe es nichts darüber. Er habe nur von seinem Vater und dem „Onkel vs“ erfahren, dass dieses Grundstück ihm gehören würde.

Der konkrete „Fluchtgrund“ seien die Probleme „mit der BNP“ (BVwG S 16). Nachdem ihn die Polizei festgenommen habe, hätte es Probleme mit Anzeigen gegeben.

Die erste Anzeige sei am 05.02.2014 erfolgt, „also nach der Wahl 25.,26.,27. Jänner“. Die zweite Anzeige stamme von Ende Februar 2014.

Bei der ersten Anzeige ginge es um Fahrzeugbeschädigung, Fahrzeugbrand und Demonstrationen, bei der zweiten Anzeige um die angebliche Beschädigung des Büros des politischen Gegners der Awami League.

In beiden Anzeigen würde der BF namentlich genannt werden (BVwG S 17).

Die erste Festnahme sei am 28.02.2014 erfolgt (BVwG S 17). Er sei einen Monat lang festgehalten worden. Sein zuvor genannter „Onkel vs.“ habe ihn dann freibekommen

Über Befragung des Rechtsanwaltes musste der BF zugeben, dass es keinen schriftlichen Haftbefehl oder Aufzeichnungen darüber gäbe. Ob ein Strafverfahren eingeleitet wurde könne er ebenfalls nicht sagen. Er wisse auch nichts über den Anwalt in Bangladesch, seinen Namen oder die Anschrift, es habe alles der „Onkel vs.“ gemacht (BVwG S 19)

In Griechenland habe er nicht um Asyl angesucht, er wusste nicht, was zu tun sei. Er habe erst in Österreich um Asyl angesucht, vorher sei es ihm nicht in den Sinn gekommen um Asyl anzusuchen, weil er niemanden hatte. Erst über Aktenvorhalt gab der BF zu, dass er bereits in Ungarn um Asyl ansuchte, aber dann das Lager verlassen hätte, weil man ihn angeblich wegschickte.

Danach wurde das LIB sowie die aktuelle Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf Bangladesch beleuchtet.

In der abschließenden Stellungnahme fasste der engagierte RA des BF den oben dargestellten Sachverhalt zusammen und verwies auf das LIB. Darüber hinaus sei der BF mehr als fünf Jahre in Österreich und „außerordentlich“ integriert, er ginge einer Beschäftigung nach, er stelle auch keine Gefahr für die öffentliche Ruhe und Ordnung dar. Es sei eine Rückkehrentscheidung unzulässig, der BF sei auch gemeinnützig tätig gewesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.

Der BF ist im Ort XXXX geboren und hat dort gelebt, bevor er/seine Familie nach XXXX zog. Er hat in seinem Heimatland für acht oder zwölf Jahre die Schule besucht und drei Jahre Koch/Kellner gelernt und als solcher gearbeitet. Danach (vermutlich ab 2008) war er arbeitslos.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. In Bangladesch halten sich die Eltern und vier Geschwister des BF auf, zu denen angeblich kein Kontakt besteht (Aussage BVwG; andere Aussage vor BFA 29.06.2017: Kontakt zu Eltern und meinen vier Geschwistern (AS 189)).

Festgestellt wird, dass der BF vor dem BVwG behauptete, er habe

-        Keinen Kontakt zu seinem „Onkel vs“ seit 2015

-        Keinen Kontakt zu seinen verheirateten Schwestern seit 2016

-        Keinen Kontakt zu seiner Familie seit „drei Jahren“.

Der BF ist im Juli 2015 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist nicht in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Der BF verfügt in Österreich über eine Beschäftigungsbewilligung seitens des AMS und verdient monatlich netto zwischen € 600 und 1.300,- .

Der BF arbeitete ehrenamtlich in einem Pflegezentrum.

Der BF verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.

Der BF spricht Deutsch auf dem Niveau B1 (Zertifikat vorliegend) und bemüht sich bei ausreichendem Wortschatz in vollständigen Sätzen zu antworten.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist gesund. Er nimmt dauerhaft keine Medikamente.

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Generell wird festgestellt, dass der BF hinsichtlich Jahreszahlen (und nicht nur hinsichtlich einzelner konkreter Datumsangaben) und Geschehnisabläufen – sowohl zu seinem Lebenslauf als auch zu politischen Ereignissen (zB Wahlen) - widersprüchliche und unschlüssige Antworten gegeben hat. Vor allem bei den von ihm angeführten Jahreszahlen oder Zeiträumen wollte sich der BF öfters nicht festlegen. Festgestellt wird, dass somit die Glaubwürdigkeit der Antworten des BF diesbezüglich verringert ist.

Nicht festgestellt werden kann eine konkrete politische Verfolgung des BF in Bangladesch.

Festgestellt wird, dass der BF jedenfalls kein Funktionär der BNP war; ob der BF tatsächlich Mitglied war bleibt letztlich unklar bzw unglaubwürdig („Mitgliedschaft“ ist eine „Funktion“; s BVwG S 8f), der BF dürfte – damals arbeitslos - für „Aktivitäten im Wahlkampf“ eine Art „Aufwandentschädigung“ im geringen Umfang von der BNP erhalten haben. Der BF ist widersprüchlich hinsichtlich der Dauer der „Bezahlung“, nämlich zwischen „4 bis 5 Monate“ und „2 bis 2,5 Jahre“.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet, es gäbe zwei Anzeigen gegen ihn. Festgestellt wird, dass der BF dazu ausführt, es gäbe „keinen schriftlichen Haftbefehl oder Aufzeichnungen darüber“.

Festgestellt wird, dass der BF nicht weiß bzw. nicht sagen kann, dass ein Strafverfahren eingeleitet wurde.

Festgestellt wird, dass der BF nichts über seinen Anwalt in Bangladesch, etwa seinen Namen oder die Anschrift, weiß.

Zusammenfassend wird somit festgestellt, dass mangels Schriftlichkeit keine Anzeigen oder Haftbefehle gegen den BF in Bangladesch vorliegen.

Festgestellt werden Streitigkeiten wegen Grundstücken (Bauland) zwischen dem BF und Verwandten in Folge einer Erbschaft nach seinem Großvater, welcher vor mehr als 25 Jahren verstarb. Schriftliche Dokumente hat der BF dazu nicht vorgebracht, ebenso wenig wie eine Darlegung, welche gerichtlichen oder außergerichtlichen Schlichtungen, etwa durch die Dorfgemeinschaft bzw. sonstigen Schritte seitens des BF diesbezüglich wahrgenommen wurden („zu der Zeit hatten wir keine Idee dazu“).

Eine konkrete, asylrelevante Verfolgung des BF wegen der verwandtschaftlichen Grundstücksstreitigkeiten konnte nicht festgestellt werden.

Festgestellt wird, dass der BF keine staatlichen, gesellschaftlichen oder gerichtlichen Institutionen in Anspruch genommen hat, um seine behaupteten Ansprüche durchzusetzen.

Festgestellt wird, dass der BF in der Ersteinvernahme am 17.07.2015 angab, „Ich bin ins Ausland gegangen um zu arbeiten und Geld zu verdienen“. Festgestellt wird, dass der BF jede Seite dieses Einvernahmeprotolls unterfertigte, die Richtigkeit bestätigte und keine Verständigungsprobleme angab. Festgestellt wird somit, dass die Aussage des BF, lediglich diese eine Antwort sei fehlerhaft übersetzt worden, unglaubwürdig ist.

Festgestellt wird, dass der BF allfälligen Behelligungen im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen kann. Festgestellt wird, dass der BF keine exponierte Persönlichkeit ist, sodass nicht zu erwarten ist, dass er im Falle einer Rückkehr von staatlichen oder privaten Akteuren landesweit gesucht würde.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

COVID-19:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020

Politische Lage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).

Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020

?        DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020

?        DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020

?        DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020

?        Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020

?        Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020

?        NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

?        Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Sicherheitslage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020

?        AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020

?        EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020

Rechtsschutz / Justizwesen:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

Allgemeine Menschenrechtslage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Die Menschenrechte werden nach der Verfassung mit Gesetzesvorbehalten garantiert (AA 21.6.2020). Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 9.2020; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 9.2020). Die Verwirklichung der in der Verfassung garantierten Rechte ist nicht ausreichend (AA 21.6.2020).

Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen sowie Folter (USDOS 11.3.2020). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2.000 Mitglieder der RABs (Rapid Action Battalion (RAB), Spezialkräfte für u.a. den Antiterrorkampf) wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen (ÖB 9.2020, siehe auch Abschnitt 4).

Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen (EEAS 1.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestehen fort (USDOS 11.3.2020). Das Informations- und Kommunikationstechnologiegesetz (Information and Communication Technology Act - ICT Act) wird angewandt, um Oppositionelle und Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen Verleumdungsdelikten juristisch zu verfolgen (USDOS 11.3.2020).

Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 2020). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Polizeibeamte an der Erleichterung des Handels mit Rohingya-Frauen und -Kindern beteiligt waren. Formen der Unterstützung von Menschenhandel reichen dabei von „Wegschauen“ über Annahme von Bestechungsgeldern für den Zugang der Händler zu Rohingya in den Lagern, bis hin zur direkten Beteiligung am Handel (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        EEAS - European External Action Service (1.1.2019): Statement by the Spokesperson on parliamentary elections in Bangladesh, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/56110/node/56110_es, Zugriff 13.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        UNHROHC- United Nations Human Rights Office of the High Commissioner (o.D.): View the ratification status by country or by treaty - Bangladesh, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx?CountryID=37&Lang=EN, Zugriff 11.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Bewegungsfreiheit:

Letzte Änderung: 13.11.2020

Die Freiheit, sich im Land zu bewegen, ist relativ unbeschränkt (FH 2020; vgl. AA 21.6.2020). Grundsätzlich respektiert die Regierung die Rechte der inländischen und ausländischen Bewegungsfreiheit, Emigration und Rückkehr von Bürgern, mit Ausnahme der zwei sensiblen Regionen Chittagong Hill Tracts und Cox’s Bazar. Die Regierung hat 2015 Restriktionen für ausländische Reisende in diese Gebiete, in denen viele nichtregistrierte Rohingyas außerhalb der zwei offiziellen Flüchtlingscamps in den Städten und Dörfern leben, angekündigt, allerdings war die Art der Umsetzung zum damaligen Zeitpunkt noch unklar (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020).

Es liegen keine Einschränkungen hinsichtlich der Ein- oder Ausreise vor (ÖB 9.2020; vgl. FH 2020; AA 21.6.2020). Personen, die in der Vergangenheit bereits ihren Pass verloren haben, bekommen allerdings oft nur Reisepässe, die für wenige Monate gültig sind, ausgestellt. Generell kommt es zu teils enormen Verzögerungen bei der Reisepassausstellung (ÖB 9.2020). Ein Ausreiseverbot besteht für Personen, welche verdächtigt werden, an den Kriegsverbrechen während des Unabhängigkeitskrieges 1971 beteiligt gewesen zu sein (ÖB 9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Frauen brauchen keine Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner, um zu reisen. Minderjährige über zwölf Jahren brauchen keinen gesetzlichen Vertreter, um einen Pass zu beantragen. Sie dürfen auch alleine reisen, bedürfen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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