TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/23 W177 2211215-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.02.2021
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Entscheidungsdatum

23.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W177 2211215-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Robert BITSCHE, Nikolsdorfergasse 7-11/Top 15, 1050 Wien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 16.11.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 28.12.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sei sowie er sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekenne. Seine Muttersprache sei Dari. Er habe keine Schulbildung erhalten und sei zuletzt Chauffeur gewesen. Er sei verheiratet und habe drei Kinder. Afghanistan habe er bereits im Jahr 2011 verlassen und sich danach ein Jahr in Pakistan und drei Jahre im Iran aufgehalten. Mitte 2015 sei er aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben worden. In seinem Heimatland habe er einen Reisepass beantragt, den er im November 2015 erhalten habe. Er sei danach wieder in den Iran gereist, von wo aus er schlepperunterstützt über die Türkei nach Europa gebracht wurde. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er Afghanistan verlassen habe, weil er als Chauffeur gearbeitet habe. Er habe einen Freund gehabt, der für eine ausländische Firma gearbeitet habe. Für diesen habe er etwa ein Jahr lang Fahrten durchgeführt. Er habe gut verdient, aber auch gewusst, dass dies gefährlich sei. Er sei eines Tages auf dem Heimweg in der Provinz Ghazni von Taliban kontrolliert und festgenommen worden. Da sie von seinen Tätigkeiten gewusst hätten, hätten sie ihn bereits fixiert und mitnehmen wollen. Glücklicherweise sei ein Konvoi der afghanischen Armee aufgetaucht. Es sei zu einem Kampf gekommen, in welchem er sich befreien und fliehen habe können. Er sei zu seiner Familie nach Hause gegangen und mit dieser nach Pakistan geflohen. Da er dort nach einem Jahr keine Arbeit gefunden habe, sei er in den Iran gegangen, wo er drei Jahre illegal gelebt und gearbeitet hätte. Mitte 2015 sei er wieder nach Afghanistan abgeschoben worden und sofort gemerkt, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert hätte und die Taliban sehr aktiv wären. So habe er sich wenige Monate versteckt gehalten und seinen Reisepass beantragt, damit er nach Europa fliehen könne.

3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) am 03.07.2018 gab der BF an, dass er gesund und arbeitsfähig sei. Er stellte richtig, dass er Afghanistan 2010 verlassen habe und für sechs Monate in Pakistan gewesen sei. Danach sei er ein Jahr im Iran gewesen und 2012 nach Afghanistan abgeschoben worden. Er sei sofort nach Pakistan gegangen und habe sich ein Jahr dort aufgehalten. Danach sei er für 2,5 Jahre in den Iran gegangen und wieder nach Afghanistan abgeschoben worden. Dann habe er seinen Reisepass beantragt und sei mit einem Visum legal in den Iran gereist, ehe er nach Europa weitergezogen sei. Er nehme bei Bedarf einige Medikamente gegen Kopf- und Magenschmerzen ein und benütze ein Nasenspray. Er legte daraufhin sowohl integrationsbegründenden Unterlagen als auch afghanische Dokumente vor. In seinem Heimatland habe er kein Problem mit der Polizei oder sonstigen staatlichen Stellen gehabt. Es habe dort auch keine Probleme aufgrund seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit gegeben. Eine Sanktionierung durch den Staat befürchte der BF nicht. Er sei weder in Haft noch politische aktiv gewesen.

Er sei afghanischer Staatsbürger, gesund und seine Muttersprache sei Dari. Er sei vier oder fünf Jahre in die Grundschule gegangen, jedoch habe er wegen der Taliban dort nicht viel gelernt. In Afghanistan habe er ab 2006 fünf Jahre lang als Taxifahrer gearbeitet. Er sei verheiratet und habe drei Kinder. Sein Wohnort sei in der Nähe des Dorfes XXXX in im Distrikt XXXX im der Provinz Ghazni gewesen. Seine eigene Familie sowie seine Mutter und seine Schwester würden in Pakistan aufhältig sein. In Afghanistan habe er keine Verwandten mehr. In Österreich sei einer seiner Cousins auch in einem Asylverfahren. Er würde derzeit für Arbeiten am Bauhof bezahlt werden. Er verrichte auch ehrenamtliche Tätigkeiten.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass er Taxifahrer gewesen sei und er Fahrten für einen Freund, der Bauunternehmer gewesen sei, durchgeführt habe. Die Taliban seien immer gegen Ingenieure gewesen und hätten den BF eines Tages aufgehalten. Sie hätten sein Auto durchsucht und ihm klargemacht, dass sie wissen würden, dass er für diese Baufirma arbeite. Er sei blutig geschlagen und mit einem Tuch fixiert worden. Er sei mit seinem Taxi zu einem Stützpunkt der Taliban gebracht worden. Dort habe es dann ein Gefecht mit der afghanischen Armee gegeben, im Zuge dessen er fliehen und nach Hause gehen habe können. Danach habe er sofort sein Auto verkauft und sei mit einem Schlepper nach Pakistan gereist.

Dieser Vorfall habe sich im Herbst 2010 ereignet. Vier bis fünf Tage danach sei er nach Pakistan geflohen. 2012 sei er nur für einen Tag in Afghanistan gewesen. Auch im Jahr 2015 habe er sich nur anderthalb Monate in Afghanistan aufgehalten. Da er Angst gehabt habe, dass ihn die Taliban finden würden, habe er sich schnell einen Reisepass und ein Visum für den Iran organisiert. Ein Jahr vor dem 2010 zugetragenen Vorfall habe er noch einen Drohbrief erhalten. Diesen habe er aber nicht ernst genommen. An einem anderen Ort in Afghanistan könne er auch nicht leben, weil ihn die Taliban überall finden würden. Es sei ihm wirtschaftlich auch gut gegangen, jedoch fürchte er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan wegen der Taliban um sein Leben.

In Österreich habe er viele österreichische Freunde, besuche er Kurse und sei in der Nachbarschaftshilfe tätig. Er wolle arbeiten, lebe aber von der Grundversorgung. Für Arbeiten auf einem Bauhof bekomme er aber Geld. Freiwillig würde er nicht in ein Heimatland zurückkehren wollen.

4. Mit Bescheid vom 16.11.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass der BF seine Fluchtgeschichte vage, widersprüchlich und in keiner Weise plausibel dargelegt habe, sodass dieser die Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen sei. Der BF habe weder zu seiner Tätigkeit als Taxifahrer noch zum fluchtauslösenden Vorfall zeitliche Details angeben können. Ebenso habe der BF die Entführung durch die Taliban nur vage und detailarm geschildert. Insbesondere habe der BF keine Details zu seiner Flucht von den Taliban gemacht, was für eine konstruierte Geschichte spreche. Ebenso wiedersprach sich der BF bezüglich der Richtung, in die er damals gefahren sei und gab an, dass er vor dem Gefecht mitgenommen worden sei, anderenfalls habe das Gefecht direkt bei der Kontrolle stattgefunden. Mit der Schilderung, dass er davor bereits einen Drohbrief erhalten habe, habe er sein Vorbringen gesteigert. Diese Steigerung sei ein weiterer Grund, der für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens spreche. Da der BF seine aktuelle Gefährdungslage ausschließlich auf diesen Fluchtgrund aufgebaut habe, sei es nicht glaubhaft, dass der BF im Falle seiner Rückkehr der von ihm angeführten Gefahr ausgesetzt sei. Da der BF in seinem Herkunftsland sozialisiert worden sei und er auch mit der dortigen Kultur vertraut sei, sei ihm eine Rückkehr in eine afghanische Großstadt zumutbar.

Betreffend einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben würden bei der Rückkehrentscheidung die öffentlichen Interessen überwiegen.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 16.11.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 16.11.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

6. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 10.12.2018 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde festgehalten, dass die belangte Behörde nicht berücksichtigt hätte, dass der BF bei der Erstbefragung nach seiner Flucht unter besonders psychisch belastet gewesen sei. Außerdem habe er in der Gesamtbetrachtung bei seinem Fluchtvorbringen jederzeit gleichlautende Angaben gemacht. Ebenso habe die belangte Behörde Widersprüche aus aktenwidrig konstruiert und Nichtnennungen von manchen Details wären mit der afghanischen Kultur vereinbar gewesen. Jedenfalls würde sich sein Vorbringen bezüglich der Vorfälle mit den Taliban mit den in Afghanistan vorherrschenden Sitten und Lebensgewohnheiten decken.

Angesichts der in Afghanistan vorherrschenden Sicherheitslage und der einhergehenden langen Abwesenheit des BF von seinem Heimatland hätte die belangte Behörde dem BF zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Dem BF sei aufgrund seiner persönlichen Umstände, insbesondere der langen Abwesenheit aus Afghanistan, keine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar. Seine Abschiebung nach Afghanistan sei unverhältnismäßig und eine Rückkehrentscheidung würde auch in sein Privatleben eingreifen.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 12.12.2018 vom BFA vorgelegt.

8. Mit Schreiben vom 16.10.2019 teilte der RA Mag. Robert Bitsche mit, dass er seitens des BF bevollmächtigt wurde, diesen in gegenständlicher Rechtssache zu vertreten.

9. In einer seitens der rechtsfreundlichen Vertretung des BF am 09.12.2019 ergangenen Stellungnahme wurde ein Konvolut an integrationsbegründenden Unterlagen vorgelegt und festgehalten, dass sich der BF in Österreich nachhaltig integriert habe sowie er über keinerlei Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge.

10. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 19.05.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W199 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung W177 neu zugewiesen.

11. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 20.11.2020, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine bevollmächtige Vertretung und eine Zeugin, persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete, mit Schreiben vom 21.10.2020 entschuldigt, auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der BF gab zu Beginn der Verhandlung an, dass er psychisch und physisch in der Lage sei, der Verhandlung folgen zu können. Danach erfolgte die vorläufige Beurteilung über die politische und menschenrechtliche Situation in seinem Herkunftsstaat, auch unter der Berücksichtigung von COVID-19. Hierzu gab der BF keine Stellungnahme ab.

Er führte aus, dass seine Ehefrau und seine drei Kinder in Pakistan aufhältig wären. Diese habe er seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Er sei in Afghanistan von 2006 bis 2010 Taxifahrer gewesen, wobei er von Ende 2008 bis Ende 2009 Personen für internationale Organisationen chauffiert habe. 2009 habe sechs Monate nicht gearbeitet, weil sein Vater von den Taliban getötet worden sei. Danach habe er noch sechs Monate gearbeitet. Das genaue Datum, wann er aufgehört habe, als Taxifahrer zu arbeiten, wisse er nicht mehr. Sein Vater sei ein ehemaliger Kommandant bei den Mujaheddin gewesen und deswegen von den Taliban getötet worden. Er habe ein Lebensmittelgeschäft gehabt und sei von den Taliban geköpft worden. Konkrete Umstände, die zu seinem Tod geführt hätten, wisse er aber nicht. Einen Drohbrief habe er 2009 erhalten. In diesem sei er ein Verräter genannt worden und die Taliban hätten ihm mit dem Tode bedroht. Er habe danach sechs Monate nicht gearbeitet. In dieser Zeit habe er das Geschäft des Vaters weitergeführt. Da er danach als Taxifahrer aufgehört habe, sei er auch nicht mehr von den Taliban bedroht worden. Ob diese Drohungen in Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters gestanden sei, wisse er nicht.

Anschließend legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen sowie medizinische Unterlagen vor. Der Rechtsvertreter des BF hielt fest, dass der Einvernahmeleiter und der Bescheidausfertiger nicht dieselben Personen gewesen wären, sodass die Ausführungen zum persönlichen Eindruck des BF nicht richtig sein können. Des Weiteren wurde die Situation des BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan erörtert.

Der BF gab zu seiner Integration in Österreich an, dass er zuletzt den Deutschkurs auf dem Niveau B1 besucht habe. Er habe eine Krankenpflegerprüfung. Er habe in einem Lebensmittelgeschäft, auf einem Bauhof, in der Kirche und im Pfarrhaus bei Arbeiten mitgeholfen. Seine Rechtsvertretung hielt fest, dass sich der BF außergewöhnlich integriert habe. Er spreche sehr gut Deutsch, habe ein dichtes Netz an österreichischen Freunden und eine Arbeitsplatzzusage, sodass einer Selbsterhaltungsfähigkeit nicht mehr im Wege stehe. Er habe auch keinerlei Anknüpfungspunkte nach Afghanistan mehr, zumal seine Familie in Pakistan lebe. Aufgrund des Lock-Downs habe auch nur eine Zeugin namhaft gemacht werden können, obgleich viele Personen hätten mitkommen wollen.

Die nunmehr einvernommene Zeugin gab nach Wahrheitserinnerung an, dass der BF seit fünf Jahren in ihrer Heimatgemeinde leben. Er sei anfangs unauffällig gewesen, jedoch immer an gemeinnützigen Tätigkeiten interessiert gewesen. Mittlerweile habe er Angebot, dass ihn die Gemeinde am Bauhof einsetzten könnte. Er habe sich aber auch integriert und nicht nur die Arbeiten erledigt, sondern sei auch zu Festen mitgekommen. Sie sei seit 2015 der Flüchtlingsbetreuung zugeteilt und wisse daher, dass er als einziger der gekommenen Männer übriggeblieben sei. Er sei arbeitswillig, ehrlich, zuverlässig und pünktlich. Er habe ihr westliche Qualitäten. Älteren Personen seien auch seine Freunde gewesen. Zuletzt sei eine ältere Frau gestorben, die sehnlichst auf den Verfahrensausgang gewartet habe. Er habe auch alle anfänglichen Schwierigkeiten gemeistert, jedoch habe er auch Sehnsucht nach seinen Wurzeln. Dass er ausgezeichnet Deutsch spreche, wurde seitens des erkennenden Gerichts festgehalten. Die Zeugin vermeinte, dass er kostenlos Kurse erhalten würde. Mittlerweile sei er auch eine Schlüsselstelle im Heim, wo er zwischen der Leitung und anderen Männern vermitteln würde.

Danach erfolgte in weiterer Folge der Schluss der mündlichen Verhandlung. Gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG entfiel die Verkündung der Entscheidung.

12. Mit Schreiben vom 09.02.2021 erkundigte sich eine Privatperson, die im Zuge der mündlichen Verhandlung am 20.11.2020 als Zeugin einvernommen wurde, um den aktuellen Verfahrensstand und verwies darauf, dass der BF das fixe Angebot für einen Arbeitsvertrag auf dem Bauhof habe. Eine Anstellung hänge nun vom Ausgang dieses Verfahrens ab.

13. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Afghanischer Reisepass

?        Afghanische Tazkira

?        Todesanzeige des Vaters des BF

?        Fotos aus Österreich, Einladung mit Fotos

?        Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen (zuletzt Niveau B1)

?        Zahlreiche Empfehlungs-, Integrations- und Unterstützungsschreiben

?        Unterstützungserklärung und Unterschriftenaktion

?        Arbeitsvertrag, Einstellungszusage auf einem Bauhof

?        ÖIF-Zeugnis Deutsch A2 und Deutsch B1

?        Zahlreiche Bestätigungsschreiben für die Teilnahme an der Durchführung von gemeinnützigen Tätigkeiten

?        Fotos, die den BF in diversen Lebenslagen in Österreich zeigen

?        Medizinische Unterlagen (Bestätigung über psychotherapeutische Behandlung, ärztliches Attest betreffend Schlafstörungen, Schreiben eines Zahnarztes)

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und gehört der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und generell gesund. Der BF ist zwar in ärztlicher Behandlung, wobei seine Schlafstörungen mit handelsüblichen Medikamenten behandelt werden und befindet sich in einer Psychotherapie. Seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind nicht so schwerwiegend, dass sie unter die von höchstgerichtlich judizierten Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK zu subsumieren wären.

Der BF wurde in Afghanistan geboren und hat sich dort zumindest bis zum Jahre 2010 aufgehalten. Vor seiner Ausreise nach Europa im Herbst des Jahres 2015 folgten langjährige Aufenthalte im Iran und in Pakistan. Der BF wurde zweimal wegen seines illegalen Aufenthaltes vom Iran nach Afghanistan abgeschoben. Seine Heimatprovinz ist Ghazni. In dieser Provinz hat sich der BF während der Zeit in Afghanistan immer aufgehalten. Er hat in Afghanistan einige Jahre die Grundschule besucht und kann auf eine langjährige Berufserfahrung als Taxifahrer zurückgreifen. In seinem Heimatland leben keine Angehörigen mehr. Seine Mutter und seine Schwester sowie dessen eigene Familie, bestehend aus seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern, halten sich in Pakistan auf.

Dass der BF in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte hat, folgt aus seinen Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (vgl. Erstbefragung, Seite 3). Der BF gab in seiner Einvernahme vordem BFA an, dass sich in Österreich ebenfalls ein Cousin im Asylverfahren befinden würde (vgl. Niederschrift, Seite 6). Von einem bestehenden Familienleben zu dieser Person kann nicht ausgegangen werden, zumal der BF diese Person nur einmal erwähnt hat.

Der BF ist in Österreich bislang strafrechtlich unbescholten. Der BF ist daher in seinem Herkunftsstaat auch nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

Der BF hat sich nach seiner Ausreise aus Afghanistan im Zeitraum von 2010 bis 2015 einige Jahre im Iran und in Pakistan aufgehalten. Er reiste im Herbst des Jahres 2015 legal mit einem Reisepass und einem Visum in den Iran aus. Von dort reiste er schlepperunterstützt über die Türkei in Griechenland auf das Gebiet der EU ein. Am 28.12.2015 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert. Er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 28.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er Afghanistan verlassen habe, weil er als Chauffeur gearbeitet habe. Er habe einen Freund gehabt, der für eine ausländische Firma gearbeitet habe. Für diesen habe er etwa ein Jahr lang Fahrten durchgeführt. Er habe gut verdient, aber auch gewusst, dass dies gefährlich sei. Er sei eines Tages auf dem Heimweg in der Provinz Ghazni von Taliban kontrolliert und festgenommen worden. Da sie von seinen Tätigkeiten gewusst hätten, hätten sie ihn bereits fixiert und mitnehmen wollen. Glücklicherweise sei ein Konvoi der afghanischen Armee aufgetaucht. Es sei zu einem Kampf gekommen, in welchem er sich befreien und fliehen habe können. Er sei zu seiner Familie nach Hause gegangen und mit dieser nach Pakistan geflohen. Da er dort nach einem Jahr keine Arbeit gefunden habe, sei er in den Iran gegangen, wo er drei Jahre illegal gelebt und gearbeitet hätte. Mitte 2015 sei er wieder nach Afghanistan abgeschoben worden und sofort gemerkt, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert hätte und die Taliban sehr aktiv wären. So habe er sich wenige Monate versteckt gehalten und seinen Reisepass beantragt, damit er nach Europa fliehen könne.

Der BF wurde weder von den Taliban noch einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung entführt, festgehalten oder von diesen oder dieser bedroht. Der BF wurde seitens der Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung nicht aufgefordert mit diesen oder dieser zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der BF wurde von den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung weder angesprochen noch angeworben noch sonst in irgendeiner Weise bedroht. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung, er wird von diesen oder dieser auch nicht gesucht.

Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt ist.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch eine sonstige regierungsfeindliche Gruppierung oder durch andere Personen.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara oder aufgrund seiner langjährigen Abwesenheit konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Es kann daher festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

1.3.    Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet zwar an Schlafstörungen und befindet sich in einer psychotherapeutischen Behandlung, jedoch sind diese Erkrankungen nicht an der Schwelle einer ernsthaft lebensbedrohenden Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würden. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.

Die Angehörigen des BF leben derzeit in Pakistan. Der BF hat in Afghanistan weder Verwandte noch Bekannte. Die Familie des BF kann ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht finanziell unterstützen.

Der BF hat dennoch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut, weil er jahrelang in seinem Heimatland in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist. Außerdem hat der BF in Afghanistan einige Jahre die Schule besucht und jahrelang Berufserfahrung als Taxifahrer gesammelt.

1.4.    Zum Leben in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 28.12.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 28.12.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der BF hat, abgesehen von einem einmal genannten und sich ebenfalls im Asylverfahren befindlichen Cousin, keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale der Abhängigkeit zu diesem Cousin.

Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Asylwerbern. Er hat Interesse am sozialen Leben und den Zusammenkünften in seiner Wohnsitzgemeinde. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und ist auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist der BF kein Mitglied von Vereinen.

Der BF besuchte zahlreiche Deutschkurse und konnte dies auch durch Teilnahmebestätigungen bestätigen. Er ist daher in der Lage, bei klarer Standardsprache über vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. auf Deutsch zu reden. Darüber hinaus kann er über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.

Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat jedoch zahlreiche gemeinnützige Tätigkeiten auf dem Bauhof, in einem Lebensmittelgeschäft und in der Pfarre durchgeführt. Der BF war auch in der Nachbarschaftshilfe tätig. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF jedoch nicht gelungen.

1.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Politische Lage

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (in der aktuellen Fassung vom 21.07.2020), bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Stand 21.7.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020)

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Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Stand 29.6.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Stand: 18.5.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Län-der tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

0.       Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG

Erläuterung

Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse „wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere po

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

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