TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/23 W177 2199208-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.02.2021
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Entscheidungsdatum

23.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W177 2199208-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, LL.M, Mozartstraße 11/6, 4020 Linz gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, Außenstelle Innsbruck, vom 22.05.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.08.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 02.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 02.12.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er aus der Stadt Mazar-e Sharif stamme. Seine Muttersprache sei Farsi. In Österreich würden noch eine Mutter und sein Bruder aufhältig sein. Er habe in seinem Heimatland weder eine Schulbildung noch eine Berufsausbildung erhalten. Zuletzt habe er dort als Obst- und Gemüsehändler gearbeitet. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Qadelbash und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil er und sein Bruder dort Probleme mit Aufständischen gehabt hätte. Diese hätten ihr Auto benutzt und bei Weigerung eine Todesdrohung gegen diese ausgesprochen. Sie hätten ihnen daher das Auto gegeben, weshalb es Probleme mit der Polizei gegeben habe, weil diese gemeint hätte, dass der BF und sein Bruder mit den Aufständischen kooperiere. Sei wären geflohen, weil ihnen der Tod durch die bewaffneten Männer gedroht hätte. Er befürchte im Falle seiner Rückkehr, durch einerseits durch die Aufständischen getötet zu werden, andererseits fürchte er, wegen der Probleme mit der Polizei, eine unmenschliche Bestrafung durch den Staat.

3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) am 04.06.2018 gab der BF an, dass er gesund und arbeitsfähig sei. Er legte auch ein Konvolut integrationsbegründenden Unterlagen vor.

Er sei afghanischer Staatsbürger, schiitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Qadelbash. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er stamme aus der Stadt Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh. In Österreich seien seine Mutter und sein Bruder, dieser auch mit dessen eigener Familie, aufhältig. Seine Muttersprache sei Dari. Der BF habe in seinem Heimatland weder die Schule besucht noch eine sonstige Ausbildung erhalten. Er habe Arbeitserfahrung als Installateur und Obstverkäufer gemacht. Der Familie sei es in Afghanistan gut gegangen, zumal sie innerhalb der Provinz in ein ländliches Gebiet gezogen sei, wo sie ein Haus bezogen habe. Österreich habe er zu seinem Zielland auserkoren, weil er auf der Flucht nur Gutes über dieses Land gehört habe.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass er in seinem Heimatland kein Problem Behörden oder staatlichen Stellen, abgesehen von der Polizei, gehabt habe. Es habe dort auch keine Probleme aufgrund seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit sowie zu einer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gegeben. Eine Sanktionierung aufgrund seiner politischen Gesinnung befürchte der BF nicht, er sei auch politisch nie aktiv gewesen.

In dem Dorf, in dem die Familie zuletzt gelebt habe, habe die Familie ein Auto für den Warentransport besessen. Eines nachts seien ihm unbekannte und bewaffnete Männer gekommen und hätten das Auto mitnehmen wollen. Da die Familie gedacht habe, dass es Diebe wären, hätte sie Widerstand geleistet, wobei der BF auch verletzt worden sei. Diese Personen hätten das Auto schließlich mitgenommen und nach zwei Tagen wiedergebracht. Dies sei mehrmals und über drei Monate lang passiert, wobei die Familie zumindest verbalen Widerstand geleistet habe. Sie hätten erfahren, dass es sich hierbei um waffentransportierende Taliban gehandelt hätte. Da sich die Situation nicht gebessert habe, hätten sie schließlich beschlossen, das Dorf zu verlassen. Als das Auto nach einigen Tagen nicht zurückgekommen sei, hätte die Familie erfahren, dass dieses von der Polizei beschlagnahmt worden wäre. Die Ehefrau des Bruders des BF hätte auch mitgeteilt, dass Polizeisoldaten bei ihnen zu Hause gewesen wären und nach ihnen gesucht hätten, weshalb sie gleich nach Mazar-e Sharif gegangen wären. Da sie auch dort erfahren hätten, dass man nach ihnen suche, hätten sie die Familie nach Mazar-e Sharif nachgeholt und das Land verlassen.

Die bewaffneten Männer seien zu dritt oder viert etwa sechs Monate vor ihrer Ausreise aus Afghanistan das erste Mal zu ihnen gekommen. Sie seien sehr unfreundlich gewesen und wären gewaltsam vorgegangen. Sie hätten auch Todesdrohungen ausgesprochen, falls der BF zur Polizei gehen würde. Der BF sei etwas überrascht gewesen, als das Auto nach zwei Tagen wieder zurückgekommen wäre. Das Auto sei zwei- bis dreimal pro Monat mitgenommen worden, wobei der BF und sein Bruder in weiterer Folge bei Rückgabe des Autos nicht mehr getraut hätten, mit diesen Personen zu sprechen, weil diese immer brutal vorgegangen wären. Da es keine Diebe gewesen wären, hätten sie sich in der Umgebung umgehört und erfahren, dass es Taliban gewesen wären. Abgesehen davon hatten sie die typische Kleidung der Taliban. Nachdem das Auto nicht mehr zurückgekommen sei, hätten sie bei gut informierten Geschäftsinhabern nach diesem gefragt und erfahren, dass dieses Auto, gefüllt mit Sprengstoff, von der Polizei beschlagnahmt worden sei. Die Polizei sei bereits das erste Mal zu Hause gewesen als der BF und sein Bruder nach dem Auto gesucht hätten. Dieser Besuch sei drei oder vier Tage nach dem endgültigen Verschwinden des Autos gewesen. Die Polizei sei dann täglich gekommen, jedoch hätten sich der Bruder und der BF schon in Mazar-e Sharif befunden. Die Polizei hätte immer das Haus durchsucht, weil sie nicht geglaubt hätte, dass der BF und sein Bruder nicht dort gewesen wären. Die Polizei selbst hätten sie zuvor nicht kontaktieren wollen, weil sie Todesdrohungen erhalten hätten. Nun würde die Polizei sie aber als Komplizen dieser Leute sehen. Außerdem funktioniere die Polizei in Afghanistan nicht. Warum eine Terrormiliz immer wieder ein Auto zurückbringen sollte, könne sich der BF nicht erklären. Eventuell hätten sie die Fahrzeuge wechseln wollen, um nicht von der Polizei identifiziert zu werden. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von der Polizei verhaftet zu werden. Als vermeintlicher Komplize der Taliban würde ihm eine lange Haftstrafe drohen. Er habe es sogar vorgehabt, in einen anderen Landesteil Afghanistans zu ziehen, doch aufgrund der Fahndung durch die Polizei, hätte er diese Idee wieder verworfen, weil die Polizei in ganz Afghanistan nach ihm suchen würde.

In Österreich lerne er Deutsch und verrichte gemeinnützige Arbeiten. Er wolle Deutsch bis zu Stufe B2 lernen und danach als Installateur arbeiten. Er lebe von der Grundversorgung und gehe ins Fitnesscenter. Im Bundesgebiet würden seine Mutter und sein Bruder mit dessen eigener Familie leben. Ebenso habe er hier Freundschaften geschlossen.

4. Mit Bescheid vom 22.05.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005(Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass der BF seine Fluchtgeschichte nicht glaubwürdig vorgebracht habe. Im Vergleich zur Erstbefragung habe er diese dahingehend gesteigert, dass er explizit anführte, dass Taliban die Verfolgungsakteure gewesen wären und diese Waffen und Sprengstoff transportiert hätten. Ebenso habe der BF damals nicht angegeben, dass das Auto von der Polizei beschlagnahmt worden sei und diese mehrmals nach dem BF zu Hause gesucht hätte. Auch habe der Bruder des BF keine Involvierung des BF in das erste Treffen angeführt. Der BF sei aber nicht nur wegen der Anführungen dieser wichtigen Details nicht glaubwürdig gewesen. Es sei auch nicht lebensnah gewesen, wie der BF das Treffen mit bewaffneten Taliban in der Nacht geschildert hätte. Ebenfalls seien die Angaben, warum der BF wegen der erlittenen Verletzungen nicht zum Arzt gegangen wäre, nicht plausibel gewesen. Ebenso habe der BF, im Vergleich zu seinem Bruder, nicht darlegen können, wie viele Männer damals gekommen wären. Ebenfalls sei es nicht lebensnah gewesen, dass die Taliban ein Auto wieder zurückbringen würden, zumal der BF auch keinen plausiblen Grund für diese Vorgehensweise hat vorbringen können. Ebenso sei es nicht nachvollziehbar gewesen, dass der BF nicht die Polizei verständigt habe, wie er noch von einem normalen Diebstahl ausgegangen sei. Des Weiteren habe sich der BF widersprochen, in dem er angeführt habe, dass er zumindest verbal Widerstand geleistet hätte, andererseits er auch angab, aus Angst nicht mehr mit den Taliban gesprochen zu haben. Da auch zahlreiche Zeitangaben im Vergleich zum Vorbringen des Bruders des BF ersichtlich gewesen wären, müssen bei der Fluchtgeschichte von einem gedanklichen Konstrukt ausgegangen werden. Diese Ansicht stützen auch die vagen und oberflächlichen Angaben des BF bei der Nachfrage, die ihn bedrohenden Männer detailliert zu beschreiben. Ein weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit sei es gewesen, dass weder der BF noch sein Bruder genaue Datumsangaben haben machen können.

Das Vorbringen der polizeilichen Verfolgung sei deswegen nicht glaubwürdig gewesen, weil es nicht nachvollziehbar gewesen sei, dass der BF den Entschluss zum Verlassen des Heimatlandes erst nach der polizeilichen Verfolgung gefasst habe und es auch jedweder Plausibilität entspricht, dass die Polizei immer dann beim BF zu Hause vorbeigekommen wäre, wenn dieser nicht zu Hause gewesen sei. Im Übrigen hätte die Polizei den Bruder und den BF leichtens in einem Gästehaus in Mazar-e Sharif ausfindig machen hätte können, wenn sie tatsächlich an einer Verfolgung dieser beiden Personen interessiert gewesen wäre. Des Weiteren basiere die polizeiliche Verfolgung – sowie eine konkrete Verfolgung durch die Taliban – nur auf bloßen Vermutungen, zumal der BF niemals direkten Kontakt zur Polizei gehabt habe. Ebenso könne nicht von einer gänzlichen Korruptheit der afghanischen Polizei ausgegangen werden und es müsse darauf hingewiesen werden, dass sich der BF auch an eine Menschenrechtsorganisation hätte wenden können.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre dem BF sogar eine Wiederansiedlung in Mazar-e Sharif zumutbar. Ebenso könnte sich der BF in Kabul ansiedeln, weil ihm diese Stadt als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen würde. Eine Gefahrenlage im Sinne des Art. 3 EMRK würde beim BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht vorliegen. Es bestünde daher im Falle seiner Rückkehr auch keine reale Gefahr, die einer Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Betreffend die Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen überwiegen.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 23.05.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren als Rechtsberatung zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 23.05.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

6. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 20.06.2018 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der schwierigen Situation der Rückkehrer ein Gutachten von Friederike Stahlmann über dieses Beweisthema beantragt. Dass der BF und seine Familienangehörigen ihr Vorbringen in wesentlichen Grundzügen im Kern gleich geschildert hätten, spreche für deren Glaubwürdigkeit. Ebenso ziehe die belangte Behörde ihre Widersprüche ausschließlich aus der Erstbefragung her und habe diese auch verkannt, dass solche Vorfälle mit den Länderfeststellungen zu Afghanistan durchaus einhergehen. Dies führe auch dazu, dass dem BF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt hätte werden müssen, weil dieser eine wohlbegründete Furcht vor den Taliban und der Regierung geltend gemacht habe. Ebenso gehöre er der sozialen Gruppe der Familienangehörigen an.

Angesichts der in Afghanistan vorherrschenden Sicherheitslage hätte die belangte Behörde dem BF zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen, weil dem BF aufgrund seiner persönlichen Umstände keine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei. Ebenso habe sich der BF trotz kurzer Aufenthaltsdauer gut integriert.

Abschließend wurde das Durchführen einer mündlichen Verhandlung beantragt.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 21.06.2018 vom BFA vorgelegt.

8. Mit Schreiben vom 27.06.2018 legte die nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung des BF, der MigrantInnenverein St. Marx, eine Vollmacht vor, den BF in gegenständlichem Verfahren rechtsfreundlich zu vertreten.

9. Mit Schreiben vom 06.02.2019 bat die rechtsfreundliche Vertretung des BF um eine baldige Entscheidung in dieser Rechtssache und legte mit Schreiben vom 23.08.2019 und 30.09.2019 jeweils ein Konvolut an Integrationsunterlagen betreffend den BF vor.

10. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.05.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache vom bisher zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der Gerichtsabteilung W177 neu zugewiesen.

11. Mit Schreiben vom 23.06.2020 legte die nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung des BF, der RA Dr. Helmut BLUM, LL.M., eine Vollmacht vor, den BF in gegenständlichem Verfahren rechtsfreundlich zu vertreten. Ebenso wurde ein Konvolut an bereits dem Gericht vorliegenden Integrationsunterlagen betreffend den BF eingebracht.

12. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 31.08.2020, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine bevollmächtige Vertretung und die Mutter des BF, als Zeugin einvernommen, persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete mit Schreiben vom 20.07.2020 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der BF gab zu Beginn der Verhandlung an, dass er in der Lage sei, der Verhandlung folgen zu können. Danach erfolgte die vorläufige Beurteilung über die politische und menschenrechtliche Situation in seinem Herkunftsstaat, auch unter der Berücksichtigung von COVID-19 und es wurde der bisherige Verfahrensgang seitens des erkennenden Richters zusammengefasst und die Aktenteile zum Inhalt der heutigen Niederschrift erklärt. Des Weiteren wurden die Asylentscheidungen seiner Familienangehörigen verlesen.

Der BF gab an, dass er in Afghanistan keine Verwandten mehr habe. Er könne auch die Narben zeigen, die ihm damals zugefügt worden seien. Die Personen wären regelmäßig zu dritt oder viert und mehrmals pro Woche gekommen. Diese seien in der Nacht gekommen und vermummt gewesen. Sie hätten von bekannten Händlern erfahren, dass ihr Auto für Waffentransporte verwendet worden wäre und dieses die Polizei beschlagnahmt habe. Danach sei auch die Polizei mehrmals binnen einer Woche täglich zu ihnen nach Hause gekommen, jedoch seien hierbei der BF und sein Bruder nie anwesend gewesen, zumal sich diese in der Stadt aufgehalten hätten. Vor den Problemen mit der Polizei habe die Familie noch an eine innerstaatliche Fluchtalternative gedacht, jedoch wäre dies danach nicht mehr möglich gewesen, weil die Polizei ihnen unterstellte hätte, dass sie mit den Taliban kooperiert hätten. Aus den Nachrichten habe er auch erfahren, dass man deswegen lange und ohne richtige Gerichtsverhandlung ins Gefängnis komme. Er wurde aber auch nicht mehr in seine Heimatregion zurückkehren können, weil sich die Sicherheitslage dort und generell in ganz Afghanistan drastisch verschlechtert habe. Ebenso habe er Angst vor den Taliban und der Polizei wegen seiner bereits geschilderten Probleme. In eine andere Provinz innerhalb Afghanistans könne er nicht gehen, weil er dort mit der afghanischen Regierung Probleme hätte. Er habe in Afghanistan weder ein soziales Netzwerk noch könne er dort auf ein faires Verfahren hoffen.

Auf Nachfrage bestätigte der BF, dass diese Personen zwei bis drei Mal pro Monat gekommen wären, um sich das Auto zu holen. Dass die Polizei zu ihnen nach Hause gekommen wäre, hätten sie durch die Ehegattin des Bruders erfahren. Die Polizei hätte dabei auch das Haus durchsucht und verwüstet.

Danach führte die rechtfreundliche Vertretung des BF an, dass dieser auch wegen seiner westlichen Orientierung nicht nach Afghanistan zurückkönne. Der BF vermeinte, dass er feiere und Alkohol trinke und er sich an den Rhythmus unter der Woche zu arbeiten und am Wochenende zu feiern gewöhnt habe. Er selbst sei vor Corona ehrenamtlich bei der Gemeinde tätig gewesen, ungefähr 30 Stunden pro Woche. Vor März 2020 habe er zwei Monate beim Roten Kreuz ausgeholfen. Im Jahr 2019 habe er nicht gearbeitet, weil er Bildungs- und Deutschkurse besucht hätte. Für seine westliche Orientierung würden auch noch sprechen, dass er gelernt habe, Probleme mittels reden zu lösen, anderen Menschen zu helfen und die Frauenrechte hier besser wären. In Afghanistan könnten keine Grillpartys veranstaltet werden, wo Männer und Frauen in kurzer Kleidung teilnehmen würden.

In Österreich wolle er die B1-Sprachprüfung ablegen und danach als Installateur arbeiten. Seine Mutter würde auch seine Hilfe benötigen, zumal diese krank sei und sein Bruder mit seinen eigenen Kindern immer viel tun habe. Er besuche seinen Bruder alle zwei Monate und mit seiner Mutter telefoniere er mehrmals täglich. Derzeit habe er eine Einstellungszusage bei einem Autohändler. Falls er nach Afghanistan zurückmüsste, habe er wegen Corona Angst um sein Leben. Sowohl die medizinische Versorgung als auch die Medikamente wären für ihn nicht leistbar.

Seine Mutter sei pflegebedürftig. Derzeit versorge sie sein Bruder oder der afghanische Nachbar. Sonst habe sie niemanden, der sie unterstütze. Die als Zeugin einvernommene Mutter des BF vermeinte, dass sie ganz alleine wäre und dringend Hilfe benötigen würde. Sie könne fast gar nichts alleine machen, also weder alleine zum Arzt gehen noch alleine einkaufen. Der BF habe sich schon um sie gekümmert, als sie in Österreich noch zusammengelebt hätten. Durch Corona sei sie noch eingeschränkter geworden, sodass sie den BF unbedingt benötigen würde. Ihr anderer Sohn habe viele familiäre Verpflichtungen, weshalb er sich nicht um sie kümmern könnte.

Dass der BF von seinen Angehörigen getrennt lebe, resultiere daraus, dass diese nach Erhalt des subsidiären Schutzes umgezogen wären. Er selbst wohne derzeit alleine.

Festgehalten wurde, dass die Mutter des BF grundsätzlich orientiert gewesen sei und eine emotionale Bindung zum BF deutlich spür- und erkennbar gewesen wäre. Unter der Prämisse, dass der nachzureichende Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung des BF bezüglich der erhöhten Pflegebedarfs der Mutter keinen weiteren Verhandlungstermin nach sich ziehe, wurde in weiterer Folge die mündliche Verhandlung geschlossen. Gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG entfiel die Verkündung der Entscheidung.

13. Nach Erbetens einer Fristerstreckung der rechtsfreundlichen Vertretung des BF mit Schreiben vom 28.09.2020 auf 12.10.2020, legte diese mit Schreiben vom 13.10.2020 ein ärztliches Schreiben über die Pflegebedürftigkeit der Mutter vor. Neben einer Medikamentenverordnung vom 07.09.2020 war diesem zu entnehmen, dass die Mutter des BF unter Gastritis, Schlafstörungen, Untergewicht und Appetitlosigkeit leide. In weiterer Folge wurde erwähnt, dass das erkennende Gericht auch festgehalten habe, dass die emotionale Bindung zwischen dem BF offensichtlich gemacht worden sei.

Ebenso wurden, zum Beweis seiner außergewöhnlichen Integration, bereits zwei dem Gericht vorliegenden Teilnahmebestätigungen an Integrationskursen aus dem Jahr 2019 vorgelegt.

14. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Teilnahmebestätigungen an der Durchführung gemeinnütziger Arbeit

?        Teilnahmebestätigungen an Bildungskursen

?        Zahlreiche Referenz- und Empfehlungsschreiben

?        Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen

?        Diverse Fotos von Freunden

?        ÖSD-Zeugnis zur Integrationsprüfung (Niveau A2)

?        Anmeldebestätigung zur Integrationsprüfung B1

?        Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs

?        Einstellungszusage

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Qadelbash gehört der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.

Der BF wurde nach seinen Angaben in der Stadt Mazar e-Sharif, in der gleichnamigen Provinz geboren und sich während der Zeit in Afghanistan immer in dieser Provinz aufgehalten. Er hat in Afghanistan keine Schule besucht und kann dort weder auf eine Berufsausbildung noch auf Berufserfahrung zurückgreifen. In seinem Heimatland leben keine Angehörigen mehr. Seine Mutter und sein Bruder sowie dessen eigene Familie bestehend aus dessen Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern, halten sich im Bundesgebiet auf. Der Mutter des BF wurde im Jahre 2018 seitens des BVwG der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkennt, der Bruder des BF und dessen Familienmitglieder erhielten im Jahr 2019 denselben Aufenthaltsstatus wie die Mutter des BF. Zu seinen Mutter besteht regelmäßiger telefonischer Kontakt, wobei der BF seine Angehörigen auch in Abständen von mehreren Monaten besucht. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF ist in Österreich bislang strafrechtlich unbescholten. Der BF ist daher in seinem Herkunftsstaat auch nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

Der BF ist nach seiner Ausreise aus Afghanistan über Pakistan, den Iran und die Türkei in Griechenland auf das Gebiet der EU eingereist. Am 02.12.2015 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 02.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil er und sein Bruder dort Probleme mit Aufständischen gehabt hätte. Diese hätten ihr Auto benutzt und bei Weigerung eine Todesdrohung gegen diese ausgesprochen. Sie hätten ihnen daher das Auto gegeben, weshalb es Probleme mit der Polizei gegeben habe, weil diese gemeint hätte, dass der BF und sein Bruder mit den Aufständischen kooperiere. Sei wären geflohen, weil ihnen der Tod durch die bewaffneten Männer gedroht hätte. Er befürchte im Falle seiner Rückkehr, durch einerseits durch die Aufständischen getötet zu werden, andererseits fürchte er, wegen der Probleme mit der Polizei, eine unmenschliche Bestrafung durch den Staat.

Der BF wurde weder von den Taliban noch einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung entführt, festgehalten oder von diesen oder dieser bedroht noch wird er von den staatlichen Behörden gesucht. Der BF wurde seitens der Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung nicht aufgefordert mit diesen oder dieser zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der BF wurde von den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung weder angesprochen noch angeworben noch sonst in irgendeiner Weise bedroht. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung, er wird von diesen oder dieser auch nicht gesucht. Festgestellt wird, dass der BF auch nicht seitens der staatlichen Behörden verfolgt wird, weil ihm diese eine Kooperation mit den Taliban unterstellen würden.

Der BF ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der BF hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim BF vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.

Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt ist.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch eine sonstige regierungsfeindliche Gruppierung oder durch staatliche Behörden oder andere Personen.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Qadelbash konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Es kann daher festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

1.3.    Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Dem BF würde selbst bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Balkh, insbesondere der Stadt Mazar-e Sharif, aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Da seine Herkunftsprovinz Balkh nicht zu den volatilen Provinzen Afghanistans zählt, ist eine Rückkehr in diese möglich.

Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist dem BF auch noch – neben einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif – die Ansiedlung in einer der größeren Städten Afghanistans zumutbar. Auch bei einer Ansiedelung in der Stadt Kabul oder der Stadt Herat kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und auch in Kabul oder Herat einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung auch in der Stadt Kabul oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde; er ist gesund. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.

Für den Fall, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine Unterstützung von seiner Familie, mit der er in regelmäßigem Kontakt steht und die ebenfalls im Bundesgebiet aufhältig ist, erhalten würde, hat der BF jedenfalls die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut, weil er in seinem Heimatland in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist und er dort auch jahrelang Arbeitserfahrung gesammelt hat.

1.4.    Zum Leben in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 02.12.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 02.12.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der BF hat, abgesehen von seiner Mutter und seinem Bruder, der samt dessen eigener Familie in Österreich lebt, keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale der Abhängigkeit zu seiner Familienangehörigen in Österreich. Insbesondere sind im Verfahren keine besonderen Umstände hervorgekommen, dass die Mutter des BF auf die Unterstützung bzw. Hilfe des BF in Österreich angewiesen ist.

Der BF pflegte in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Asylwerbern. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und ist auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist der BF kein Mitglied von Vereinen.

Der BF besuchte zahlreiche Deutschkurse und konnte dies auch durch Teilnahmebestätigungen bestätigen. Er ist daher in der Lage, auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren.

Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über eine Einstellungszusage und ist zuletzt ausschließlich gemeinnützig tätig gewesen. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF jedoch nicht gelungen.

1.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Politische Lage

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (in der aktuellen Fassung vom 21.07.2020, bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Stand 21.7.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020)

.

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Stand 29.6.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Stand: 18.5.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öff

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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