TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/3 W198 2238331-1

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Veröffentlicht am 03.03.2021
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Entscheidungsdatum

03.03.2021

Norm

AlVG §44
B-VG Art133 Abs4
Koordinierung Soziale Sicherheit Art65
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W198 2238331-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Josef HERMANN und Mag. Rudolf NORTH als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX Wien, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Währinger Gürtel vom 15.10.2020, GZ: XXXX , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2020, WF: XXXX , in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am 25.09.2020 stellte XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer), Staatsangehöriger Polens, beim Arbeitsmarktservice Wien Währinger Gürtel (im Folgenden: AMS) einen Antrag auf Arbeitslosengeld.

2. Im Verwaltungsverfahren füllte der Beschwerdeführer am 29.09.2020 einen Fragebogen zur Feststellung der Grenzgängereigenschaft aus. Dabei gab er an, dass er während seiner letzten Beschäftigung in Österreich täglich in seinen Wohnsitzstaat Polen zurückgekehrt sei. Der Beschwerdeführer habe während seiner letzten Beschäftigung in Österreich einen Wohnsitz in Österreich an der Adresse XXXX Wien gehabt. Seine Ehefrau und sein Sohn würden in Polen an der Adresse XXXX leben.

3. Mit Bescheid des AMS vom 15.10.2020, GZ: XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom 25.09.2020 gemäß
§ 44 AlVG iVm gemäß Artikel 65 Abs. 2, 3 und 5 der VO EG Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit mangels Zuständigkeit des AMS zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als Grenzgänger mit Wohnstaat Polen und Beschäftigungsstaat Österreich anzusehen sei, weil der Beschwerdeführer während seiner letzten Beschäftigung in Österreich wöchentlich in seinen Heimatstaat Polen zurückgekehrt sei und daher nicht der Staat der letzten Beschäftigung, sondern der Wohnstaat zuständig sei.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12.11.2020 fristgerecht Beschwerde. Begründend führte er aus, dass er kein Grenzgänger sei, zumal der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen ausschließlich in Österreich liege, wo er überwiegend wohne und mehrheitlich (mehr als die Hälfte der Woche) arbeite. Er könne nichts dafür, dass sein letzter Dienstgeber ihn gekündigt habe. Er führte weiters aus, dass er an allen Wochenenden seine große Familie in Polen besuche, wie ein anderer Arbeiter, der seine Familie z.B in Salzburg besuche. Er stelle daher den Antrag, ihm das Arbeitslosengeld für den ihm zustehenden Zeitraum zuzuerkennen.

5. Im Verfahren über die Beschwerde erließ das AMS als belangte Behörde gemäß § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG eine mit 14.12.2020 datierte Beschwerdevorentscheidung, mit der die Beschwerde abgewiesen wurde. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner wöchentlichen Rückkehr zu seiner Familie nach Polen sowie in Gesamtbetrachtung seiner Lebensumstände als echter Grenzgänger gemäß Art. 65 Abs. 2 erster Satz der GVO (883/2004) iVm Artikel 1 lit f GVO (883/2004) anzusehen sei. Für diese sei nicht der Staat der letzten Beschäftigung, sondern der Wohnstaat zuständig.

6. Mit Schreiben vom 18.12.2020 stellte der Beschwerdeführer fristgerecht einen Antrag auf Vorlage. Darin wiederholte er im Wesentlichen sein Beschwerdevorbringen und führte ergänzend aus, dass er nach einigen Wochen Wintersperre beim selben Dienstgeber wie zuvor seine Vollzeitbeschäftigung fortsetzten werde. Er legte diesbezüglich eine Einstellzusage vom 18.12.2020 vor.

7. Der Vorlageantrag und die Beschwerde wurden gemäß § 15 Abs. 2 letzter Satz VwGVG unter Anschluss der Akten des Verfahrens am 05.01.2021 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist polnischer Staatsangehöriger und stellte beim AMS am 25.09.2020 einen Antrag auf Arbeitslosengeld.

Vor seiner gegenständlichen Antragstellung auf Arbeitslosengeld stand der Beschwerdeführer in Österreich zuletzt in der Zeit von 25.04.2016 bis 25.09.2020 beim Dienstgeber XXXX in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis. Der Beschwerdeführer übte eine Tätigkeit im Ausmaß von 39 Wochenstunden als Bauhelfer aus. Er hat nie am Wochenende gearbeitet und hatte an den Freitagen überwiegend bereits um die Mittagszeit Dienstschluss.

Der Beschwerdeführer kehrte während seiner letzten Beschäftigung in Österreich wöchentlich nach Polen zurück, wo seine Ehefrau und sein fünfjähriger Sohn leben. Er wohnt in Polen in einer Wohnung gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn. Die Distanz zwischen der Adresse des Beschwerdeführers in Wien sowie der Adresse in Polen beträgt 506 Kilometer und die Fahrzeit beträgt ca. fünfeinhalb Stunden.

Der Beschwerdeführer ist seit 30.03.2010 an der Adresse XXXX Wien hauptwohnsitzgemeldet. Bei dieser Adresse handelte es sich um ein 38,26m² großes - als Geschäftslokal tituliertes - Mietobjekt, das der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Vater bewohnt. Der Vater des Beschwerdeführers benützt das Schlafzimmer, während der Beschwerdeführer im Wohnzimmer auf der Couch schläft.

Es konnten keine über die berufliche Tätigkeit hinausgehenden persönlichen oder sozialen Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich festgestellt werden.

Festgestellt wird, dass der Lebensmittelpunkt und das Hauptinteresse des Beschwerdeführers in Polen gelegen sind.

Seit 09.11.2020 steht der Beschwerdeführer in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis bei der XXXX .

2. Beweiswürdigung:

Dass der Beschwerdeführer in der Zeit von 25.04.2016 bis 25.09.2020 beim Dienstgeber XXXX in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis stand, ergibt sich aus den beim Sozialversicherungsauszug. Die Feststellungen zur Ausgestaltung der Tätigkeit (kein Wochenenddienst, freitags Dienstschluss zu Mittag) ergeben sich aus der Stellungnahme des damaligen Dienstgebers des Beschwerdeführers vom 02.12.2020 sowie aus den übermittelten Aufzeichnungen der Arbeitszeit („Zeitspannen-Bericht“).

Die Wohnsitzverhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus der Abfrage aus dem Zentralen Melderegister, aus den Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der Erhebung an seiner Wohnadresse am 14.10.2020 sowie aus dem Mietvertrag vom 10.01.2017, in welchem festgehalten ist, dass es sich bei gegenständlichem Mietobjekt an der Adresse XXXX Wien um ein Geschäftslokal handelt. Im Mietvertrag ist festgehalten, dass der Mietgegenstand nur zu Bürozwecken (Baubranche) verwendet werden darf.

Die Feststellungen zur Adresse des Beschwerdeführers und seiner Familie in Polen ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur Distanz sowie zur Fahrzeit ergeben sich aus einer Recherche auf Google Maps.

Zu der Feststellung betreffend die wöchentliche Rückkehr des Beschwerdeführers nach Polen während seiner letzten Beschäftigung in Österreich ist beweiswürdigend wie folgt auszuführen: Im Fragebogen gab der Beschwerdeführer an, dass er während seiner letzten Beschäftigung in Österreich täglich in seinen Wohnsitzstaat Polen zurückgekehrt sei. Dieser Angabe kann aufgrund des Umstandes, dass die Distanz zwischen der Adresse des Beschwerdeführers in Wien sowie der Adresse in Polen 506 Kilometer und die Fahrzeit ca. fünfeinhalb Stunden beträgt, nicht gefolgt werden. Vielmehr ist von einer wöchentlichen Rückkehr auszugehen, wie dies auch vom Beschwerdeführer im weiteren Verlauf des Verfahrens gleichlautend angegeben wurde. So führte er im Zuge der Erhebung an seiner Adresse in Wien am 14.10.2020 aus, dass er jeden Freitag gegen 17:00 Uhr mit einem
9-Sitzer-Bus, der ihn von seiner Adresse in Wien abhole, nach Polen zu seiner Frau und seinem Sohn fahre. Am Sonntag um 16:00 Uhr fahre er wieder zurück nach Wien. Er mache dies jedes Wochenende. Auch in der Beschwerde bestätigte der Beschwerdeführer seine wöchentliche Rückkehr, indem er ausführte: „Ich besuche an allen Wochenenden meine ziemlich große Familie in Polen.“ Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren zu keinem Zeitpunkt eine wöchentliche Rückkehr nach Polen bestritten. Im Vorlageantrag hat er zwar eine wöchentliche Rückkehr nach Polen nicht mehr dezidiert erwähnt, er hat jedoch die diesbezügliche Feststellung des AMS in der Beschwerdevorentscheidung auch nicht bestritten. Auch die Dienstzeiten des Beschwerdeführers während seiner letzten Beschäftigung in Österreich (kein Wochenenddienst, freitags Dienstschluss zu Mittag) sprechen für eine wöchentliche Rückkehr des Beschwerdeführers. Überdies ist eine Nutzung des Mietobjekts an der Meldeadresse des Beschwerdeführers in XXXX Wien, XXXX nur zu Bürozwecken gestattet, was bedeutet, dass ein kontinuierlicher Aufenthalt des Beschwerdeführers zu Wohnzwecken an dieser Adresse gemäß dem Mietvertrag gar nicht erlaubt ist.

In einer Gesamtschau ist daher von einer wöchentlichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Polen im verfahrensrelevanten Zeitpunkt auszugehen.

Dass der Beschwerdeführer keine über die berufliche Tätigkeit hinausgehenden persönlichen oder sozialen Bindungen in Österreich hat, ergibt sich daraus, dass diesbezügliche Hinweise im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen sind und vom Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht wurden.

Aus allen diesen Umständen ergibt sich, dass der Lebensmittelpunkt und das Hauptinteresse des Beschwerdeführers in Polen gelegen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – vorliegend sohin das AMS Wien Währinger Gürtel.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle des AMS.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung des § 56 Abs. 2 AlVG normiert ist, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservices das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören, zu entscheiden ist, liegt im vorliegenden Fall Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.

Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages, der gegenständlich nicht vorliegt, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden. In der Beschwerde wurden keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substantiierter Weise aufgeworfen und war gegenständlich auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen (VwGH 31.07.2007, Zl. 2005/05/0080). Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß Art. 1 lit. f der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist ein Grenzgänger eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in den sie in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich zurückgekehrt. Art. 1 lit. j leg. cit. definiert den "Wohnort" als den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes einer Person.

Aus Art. 65 Abs. 2 1. Satz der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 geht hervor, dass sich eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen muss. Nach dieser Bestimmung kann sie sich zusätzlich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dem er zuletzt eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.

Nach Art. 65 Abs. 5 lit. a leg.cit. erhält der Arbeitnehmer Leistungen - und somit Arbeitslosenunterstützung - nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten (vgl. das Urteil des EuGH vom 11. April 2013, Rs C-443/11, Jeltes, u.a., Rn 31).

Voraussetzung für den in Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vorgesehenen Statutenwechsel ist, dass der Ort der letzten Beschäftigung und der Wohnort der (voll)arbeitslosen Person auseinanderfallen. Als Wohnort gilt nach der Definition des Art. 1 lit. j der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person. Dieser ist nach der Rechtsprechung des EuGH dadurch gekennzeichnet, dass es sich um den Ort handelt, in dem sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen der betreffenden Person befindet. Ein Indiz zur Feststellung dieses Ortes ist etwa der Wohnort der Familie (vergleiche das Urteil des EuGH vom 17.02.1977, Rs 76/76, Di Paolo, Rn 17 und 20 sowie Felten in Spiegel [Hrsg], Kommentar zum Zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht, Art. 65 VO 883/2004, Rz 7 [2013]). Neben den familiären Verhältnissen sind, um festzustellen, ob ein Mitgliedstaat der Wohnstaat eines Arbeitnehmers ist, obwohl dieser in einem anderen Mitgliedstaat im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, die Dauer und Kontinuität des Wohnorts bis zur Abwanderung des Arbeitnehmers, die Dauer der Abwesenheit - unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände jedes Einzelfalls - und deren Zweck, die Art der in dem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergibt, zu berücksichtigen (vergleiche die Urteile des EuGH vom 13.11.1990, Rs C-216/89, Reibold, und vom 11.11.2004, Rs C-372/02, Adanez-Vega, Rn 37 sowie die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.06.2009, Zl. 2009/08/0066, und vom 22.02.2012, Zl. 2009/08/0293).

Im gegenständlichen Fall stand der Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zuletzt in der Zeit von 25.04.2016 bis 25.09.2020 beim Dienstgeber XXXX als Bauhelfer im Ausmaß von 39 Stunden pro Woche im Großraum Wien in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis.

Er ist in dieser Zeit wöchentlich zu seiner Familie nach Polen zurückgekehrt.

Wie oben festgestellt und beweisgewürdigt hatte der Beschwerdeführer aufgrund seiner Wohnverhältnisse und seiner Familiensituation seinen Lebensmittelpunkt in Polen und war das Hauptinteresse des Beschwerdeführers in Polen gelegen.

Im Lichte der o.a. Judikatur folgt daraus, dass der Beschwerdeführer - trotz seines beruflichen Naheverhältnisses zu Österreich – seinen Lebensmittelpunkt in Polen hatte. Wie ebenfalls festgestellt und beweisgewürdigt liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich über persönliche oder soziale Bindungen verfügt, die über jene zu seinem Wohnort in Polen, wo seine Familie lebt, hinausgehen. Im Hinblick auf die Frage des Wohnortes sind zwar auch die "Absichten" zu berücksichtigen; dies aber nur, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergeben (VwGH, 22.02.2012, Zl. 2009/08/0293).

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer seit 09.11.2020 wieder in Österreich in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis steht, die Arbeitslosigkeit sohin nur von kurzer Dauer (eineinhalb Monate) war, hat – entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers – keine Auswirkungen auf die gegenständlich zu behandelnde Rechtsfrage.

Die Beschwerde ist somit als unbegründet abzuweisen, weil der Beschwerdeführer während seiner letzten Beschäftigung vor der Antragstellung in Polen gewohnt hat und somit der Wohnmitgliedstaat Polen für die Zuerkennung einer Arbeitslosenunterstützung zuständig ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Arbeitslosengeld Grenzgänger Lebensmittelpunkt Wohnsitz Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W198.2238331.1.00

Im RIS seit

12.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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