Entscheidungsdatum
07.04.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L502 2148421-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2017, FZ. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.02.2021 zu Recht erkannt:
A)
1. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I, II und III, erster Satz, als unbegründet abgewiesen.
2. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III, zweiter Satz, stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
3. Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 1 und 2 AsylG wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.
4. Spruchpunkt III, dritter Satz, und Spruchpunkt IV des Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 22.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 24.04.2015 erfolgte seine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde das Verfahren zugelassen.
3. Mit Eingabe vom 06.04.2016 erstattete er beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine schriftliche Stellungnahme zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und brachte unter einem mehrere Beweismittel in Vorlage.
4. Er wurde mit Urteil des XXXX vom XXXX erstmals strafgerichtlich verurteilt.
5. Am 14.09.2016 wurde er beim BFA zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Er brachte dabei weitere Beweismittel in Vorlage, die in Kopie zum Akt genommen wurden.
6. Am 04.01.2017 wurde er ein weiteres Mal zu seinem Antrag einvernommen.
7. Am 18.01.2017 brachte er beim BFA weitere Beweismittel in Vorlage.
8. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 06.02.2017 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde sein Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV).
9. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 07.02.2017 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
10. Gegen den ihm am 08.02.2017 persönlich zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seines ehemaligen Vertreters vom 21.02.2017 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Unter einem wurden weitere Beweismittel vorgelegt.
11. Mit 24.02.2017 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.
12. Mit Eingaben seiner ehemaligen Vertretung vom 04.04.2017 und vom 01.08.2017 brachte er mehrere Beweismittel in Vorlage.
13. Am 27.02.2018 langte im Wege des BFA eine Verständigung über eine gegen ihn vorgenommene polizeiliche Amtshandlung beim BVwG ein.
14. Am XXXX wurde er abermals vom XXXX strafgerichtlich verurteilt.
15. Mit Eingaben seiner ehemaligen Vertretung vom 25.10.2018 und vom 07.03.2019 wurden weitere Beweismittel in Vorlage gebracht.
16. Am 29.05.2020 langten im Wege des BFA die Information über den Vollzug seiner ersten strafgerichtlichen Verurteilung sowie die Information über die Abmeldung von der staatlichen Grundversorgung beim BVwG ein.
17. Am 25.09.2020 langte im Wege des BFA eine Information über seinen Antrag auf Inskription bei der XXXX ein.
18. Mit Eingabe vom 04.02.2021 gab seine nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung die Vollmachtserteilung bekannt und erstattete unter einem eine Urkundenvorlage.
19. Am 05.02.2021 und 09.02.2021 erfolgte die Vorlage weiterer Beweismittel durch die rechtsfreundliche Vertretung.
20. Das BVwG führte am 11.02.2021 eine mündliche Verhandlung in der Sache des BF in dessen Anwesenheit und der seines Vertreters durch. Er legte im Zuge dessen mehrere Beweismittel vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden. Dabei wurden ihm auch Länderberichte zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme dazu eingeräumt, worauf er verzichtete.
21. Mit Eingaben vom 12.02.2021, vom 25.02.2021 und vom 09.03.2021 brachte er im Wege seiner Vertretung weitere Beweismittel in Vorlage.
22. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des Melde- sowie des Strafregisters.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist irakischer Staatsangehöriger und gehört der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an.
Er stammt aus der im Gouvernement XXXX gelegenen Stadt XXXX . Dort besuchte er von 1996 bis 2002 die Grundschule und von 2002 bis 2008 eine allgemeinbildende höhere Schule. Danach war er von 2008 bis 2010 als Student an der Technischen Fakultät der Universität von XXXX inskribiert, hat jedoch kein Studium abgeschlossen. Von April 2011 bis Jänner 2013 besuchte er die Militärakademie in XXXX .
Er war danach in XXXX als Leutnant für die XXXX ( XXXX ) tätig. Dort wurde er in einer Einheit für Terrorismusbekämpfung eingesetzt und war vorwiegend am Flughafen von XXXX stationiert. Er war an mehreren militärischen Einsätzen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat beteiligt. Bei einem dieser Einsätze wurde er durch einen Granatsplitter am Knie verletzt.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass er den Militärdienst unerlaubt verlassen hat.
Neben seiner Zeit beim Militär war er ab November 2013 an der Universität XXXX für das Studium der Politikwissenschaften inskribiert, das er jedoch nach einem Jahr abbrach.
Seine Eltern, eine Schwester und drei Brüder leben nach wie vor in XXXX . Seine Schwester hat dort ein Studium absolviert und arbeitet inzwischen an der pädagogischen Fakultät einer Universität in XXXX . Zwei seiner Brüder haben inzwischen ebenfalls ihr Hochschulstudium begonnen, der dritte ist noch Schüler. Seine Mutter arbeitet seit einem Jahr ebenfalls an der Universität und war zuvor Hausfrau. Sein Vater diente 24 Jahre für die irakischen Streitkräfte und ist seit 2003 in Pension.
Er steht mit seinen Familienangehörigen im Irak in regelmäßigem Kontakt.
Er hat den Irak am 19.08.2014 auf dem Luftweg in die Türkei verlassen. Dort verblieb er bis 01.03.2015, ehe er von Izmir ausgehend auf eine griechische Insel übersetzte. In Griechenland wurde er erkennungsdienstlich behandelt und des Landes verwiesen. Vom griechischen Festland aus setzte er seine teils schlepperunterstützte Reise über mehrere Länder bis nach Österreich fort, wo er nach unrechtmäßiger Einreise am 22.04.2015 den gg. Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.
1.2. Er ist in Österreich bislang keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen und bestreitet seinen Lebensunterhalt seit der Antragstellung bis dato durch den Bezug von Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber.
Er schloss am 01.02.2021 einen Arbeitsvorvertrag für die Tätigkeit als Verkäufer im Einzelhandel für den Fall eines legalen Aufenthalts im Bundesgebiet. Dabei wurde ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von EUR 1.300 für die wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden vereinbart.
Von September 2015 bis März 2016 betätigte er sich ehrenamtlich für das Team Österreich des Österreichischen Roten Kreuzes in der Flüchtlingsakutbetreuung im Ausmaß von insgesamt etwa 25 Stunden. Zudem hat er sich von Juni 2020 bis September 2020 im Ausmaß von insgesamt 280 Stunden als Volontär für Jugend Am Werk in der Essensausgabe und der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen betätigt.
Er besuchte in Österreich mehrere Sprachkurse und hat diese auf dem Niveau A1 und A2 sowie B2 mit Erfolg abgeschlossen. Er hat auch eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 absolviert. Des Weiteren hat er als außerordentlicher Studierender der XXXX Universitäten und Hochschulen erfolgreich die Ergänzungsprüfung Deutsch auf dem Niveau C1 absolviert. Er hat auch einen Werte- und Orientierungskurs absolviert. Er verfügt inzwischen über hervorragende Deutschkenntnisse und hat zudem gute Kenntnisse der englischen Sprache.
Er ist seit 20.11.2018 an der XXXX als ordentlicher Studierender für das Bachelorstudium Softwareentwicklung Wirtschaft inskribiert und betreibt dieses mit Erfolg. Zuvor hat er von 25.09.2017 bis 16.11.2018 einen Vorstudienlehrgang absolviert.
Er hat in Österreich zahlreiche private Anknüpfungspunkte, hingegen hat er hier keine Verwandten. In seiner Freizeit spielte er in einem Fußballverein der zweiten Liga in XXXX .
Er leidet an keinen gravierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist voll erwerbsfähig.
Er wurde in Österreich erstmals mit rechtskräftigem Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX zu XXXX verurteilt, XXXX
Zudem wurde er mit rechtskräftigem Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX zu XXXX verurteilt. Er trat die Strafe am XXXX an, welche bis XXXX vollzogen wurde.
1.3. Er hat den Irak nicht aufgrund individueller Verfolgung durch Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verlassen und ist im Falle einer Rückkehr in den Irak auch nicht der Gefahr einer Verfolgung durch diese ausgesetzt.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle einer Rückkehr eine mehrjährige Haftstrafe wegen Desertion droht.
1.4. Er ist bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht aus sonstigen individuellen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt und findet dort eine hinreichende Existenzgrundlage vor.
1.5. Sicherheitslage in XXXX :
1.5.1. Die Provinz XXXX ist im zentral-östlichen Teil Iraks gelegen und hat Grenzen mit den Provinzen XXXX , Salah al-Din, XXXX und al-Wasit sowie eine internationale Grenze mit Iran. Die Provinz umfasst sechs Bezirke: XXXX , Baladruz, al-Chalis, Chanaqin, Kifri und al-Muqdadiyya. Die Stadt XXXX ist die Hauptstadt der Provinz. Der Bezirk des umstrittenen Chaniqin (auch mit der Schreibweise Khaniqin) umfasst die Teilbezirke Jalawla, as-Sa‘diyah und Qara Tapa.
2019 hatte die Provinz XXXX schätzungsweise 1 680 328 Einwohner. Die Bevölkerung von XXXX weist eine große ethnische und religiöse Vielfalt auf. Mehrheitlich leben hier Araber, Kurden und Turkmenen, jeweils sowohl Sunniten als auch Schiiten. Zu den weiteren ethnischen und religiösen Gruppen in der Provinz zählen Christen, Jesiden und Ahl al-Haqq (eine religiöse Gruppe mit Wurzeln im schiitischen Islam). Der kurdischen Bevölkerung gehört unter anderem die Gemeinschaft der Faili-Kurden (andere Schreibweisen: Feili, Fayli oder Feily) an, die überwiegend schiitischen Glaubens ist. Die Stämme der Jabour und der Tamimi sind die größten und einflussreichsten Stämme der Provinz. Weitere wichtige Stämme in der Provinz XXXX sind die al-Assadi, die Atighi und die Salhi. Die (pro KRG eingestellten) schiitischen Kurden stellen den größten Teil der Bevölkerung in der Stadt Chanaqin.
Die in XXXX zwischen der KRG und der Zentralregierung umstrittenen Bezirke sind Chanaqin, Kifri und der Teilbezirk Mandali im Bezirk Baladrooz.
Die Fernstraßen XXXX –Teheran und XXXX – XXXX –Erbil–Mossul verlaufen durch XXXX . XXXX ist besonders gut an XXXX , Erbil und XXXX angeschlossen. Das Straßennetz von XXXX befindet sich zwar in einem schlechten Zustand und wurde im Zuge des Kampfes gegen den ISIL noch weiter beschädigt, doch blieb die Fernstraße XXXX – XXXX von größeren Schäden verschont und ist in einem guten Zustand.
Im ersten Halbjahr 2020 bezeichnet iMMAP Abschnitte der Straße von XXXX nach Chanaqin als Straße mit hohem Risiko, andere Teile derselben Straße als Straße mit geringerem Risiko. Abschnitte der Straße von Chanaqin nach Kalar wurden ebenfalls als Straße mit hohem bzw. geringerem Risiko eingestuft. Teile der Straße von XXXX nach Baladrooz wurden als Straße mit hohem Risiko eingeordnet, ebenso gelegentlich Teile der Straße von Khalis nach Kifri. 2019 wurden dieselben Straßen als mit hohem Risiko behaftet eingestuft. Zwischen Januar und Dezember 2019 wurde in XXXX eine Reihe von Vorfällen mit explosionsgefährlichen Stoffen gemeldet, insbesondere auf der Straße von XXXX nach Chanaqin.618 In Jalawla im Bezirk Chanaqin betreibt die Asa’ib Ahl al-Haq (AAH) Kontrollpunkte an den wichtigsten Handelsstraßen und erhebt von den passierenden Fahrzeugen Gebühren.
Die Provinz XXXX ist ein wichtiges Tor für den Handel zwischen Iran und Irak. Der an Öl reiche Bezirk Chanaqin betreibt ein Erdölfeld und eine Erdölraffinerie. Er ist „aus handelspolitischen, sicherheitspolitischen und politischen Gründen von strategischer Bedeutung“ und erbringt größere Öleinnahmen über zwei Grenzübergänge zu Iran, die Übergänge Mounzariah und Paruezkhan.
1.5.2. Hintergrund des Konflikts und bewaffnete Akteure in der Provinz
XXXX wurde als ein „ethnisch-religiöser Mikrokosmos für die Sicherheitsdynamik“ beschrieben, „der für den gesamten Irak repräsentativ ist“. Die ethnisch und religiös gemischte Bevölkerung dieser Provinz und ihre Nähe zu XXXX und Iran machten sie „zu einem Hauptpreis in den religiösen Auseinandersetzungen, in denen Irak versinkt“ und sie „wurde zum Gefechtsfeld schiitischer und sunnitischer Gruppierungen, die um die Macht konkurrieren“. Seit April 2004 hielten sich bekanntermaßen extremistische Aufständische in der Provinz auf. Aufgrund der Nähe der Provinz zu XXXX und zur iranischen Grenze war die Kontrolle über die Region sowohl für die irakische Regierung als auch für die vom Iran unterstützten Volksmobilisierungseinheiten von vorrangiger Bedeutung.
XXXX gehört zu den von der ISIL-Invasion 2013-2014 am stärksten betroffenen irakischen Provinzen. Das Vorrücken des ISIL in XXXX veranlasste im Jahr 2014 viele Stammesführer (wie die der Aza, der Obeidi und der Juribi), aus Empörung über die Demütigungen und Gräueltaten des ISIL ad hoc Allianzen zu schmieden, um die ISF in ihrem Kampf gegen den ISIL zu unterstützen. Die Karawi (oder Kerwi /Kerwei), ein großer arabischer Stamm im Gebiet Jalawla, schworen dem ISIL Treue. Es gelang dem ISIL im Rahmen seiner Offensive, große Gebiete im Norden der Provinz zu besetzen, darunter auch As Sa‘diyah und Jalawla.
Im Januar 2015 wurde XXXX als eines der ersten Gebiete als gänzlich der Kontrolle durch den Islamischen Staat entzogen erklärt, nachdem während der nahezu sechsmonatigen Besatzung des ISIL Tausende seiner Einwohner vertrieben worden waren. Die vom USDOS zitierte Combined Joint Task Force-Operation Inherent Resolve (CJTF-OIR) berichtete, dass „ XXXX , das eine der höchsten Konzentrationen von Iran nahestehenden Milizen aufweist, auch die größte Zielscheibe von Anschlägen des ISIS in Irak ist“. Und das USDOD fügte hinzu: „Seit dem Sturz des territorialen Kalifats des ISIS im März 2019 war in der Provinz XXXX nordöstlich von XXXX stets die höchste Konzentration von ISIS-Anschlägen im Kampfgebiet des OIR [Operation Inherent Resolve] zu verzeichnen“.
Eine in Irak tätige internationale NRO, die im April 2018 von DIS/Landinfo befragt wurde, beschrieb die Sicherheitslage in XXXX als „echtes Durcheinander: „[E]s gibt bewaffnete Gruppen, deren Machtdynamik auf die Zeit vor 2014 zurückgeht, weil der ISIL das Gebiet nicht lange genug kontrolliert hat, um die grundlegenden Entwicklungen zu beeinflussen. Darüber hinaus herrschen anhaltende kommunale Konflikte, die geografischer Natur oder aber ethnisch oder religiös motiviert sind. Schließlich gibt es noch den Wettstreit der PMU über den Zugang zu Ressourcen und Einkommen.“
Einsatzkommando Dijla (Dijla Operations Command, DOC)
Die Provinz XXXX liegt im Zuständigkeitsbereich des Einsatzkommandos Dijla (DOC), das die gesamte Provinz XXXX , den östlichen Teil von Salah al-Din mit seiner multiethnischen Stadt Tuz Khurmatu sowie das Hamrin-Gebirge umfasst. XXXX ist „für Iran ein unentbehrlicher militärischer und wirtschaftlicher Zugangspunkt zum Irak“ und daher für Iran und die Brigaden der Badr-Organisation von vorrangiger Bedeutung. 2017 berichtet das ISW, dass die 5. Armeedivision in XXXX eher der Badr-Organisation als der irakischen Regierung unterstand und als Ableger der Organisation agierte.
Die ISF kämpfen darum, die territoriale Kontrolle in Regionen zu behalten, in denen der ISIL nach wie vor von der örtlichen Bevölkerung unterstützt wird. Außerdem sind Einsätze der ISF in XXXX aufgrund der Nähe zur iranischen Grenze eingeschränkt. Die 5. Irakische Armeedivision ist weiterhin in XXXX präsent, ihre Soldaten sind nach wie vor Ziel von ISIL-Anschlägen.
Grenzschutzkommando
2017 gehörte das Grenzschutzkommando in XXXX zur 3. Grenzregion, die die Grenze zwischen XXXX /al-Wasit und Iran abdeckt. In August 2019 schlossen die irakischen Behörden in XXXX den Grenzübergang Mandali an der iranisch-irakischen Grenze, da auf dieser Route Waffen und Drogen in das Land geschmuggelt wurden. Im Dezember 2019 wurde die Grenze geöffnet, nachdem die Grenzschutzbeamten mit „der für die Verhinderung der zuvor erfolgten Gesetzesverstöße erforderlichen Ausstattung ausgerüstet worden waren“. Am 20. Februar 2020 wurde die Grenze zu Iran erneut vorübergehend wegen eines COVID-19-Ausbruchs geschlossen. Am 27. Juli 2020 wurde die Grenze wieder geöffnet.
PMU-Kräfte
Das Einsatzkommando XXXX der Volksmobilisierungseinheiten (PMU oder PMF) steht unter der Führung von Talib al-Musawi, einem Kommandeur der Badr-Organisation. Es hat seinen Stützpunkt in Camp Ashraf und kontrolliert die Einsätze der PMF-Brigaden 4, 23, 24 und 110 (alles Badr-Formationen)—sowie von Liwa al-Taff (Brigade 20). Insbesondere im südlichen XXXX ist die Badr-Organisation nach wie vor die dominierende schiitische Miliz, der „primus inter pares“. Die PMU-Brigaden 4, 20, 23 und 24 unterstehen alle dem Kommando des Anführers der Badr-Organisation, al-Ameri, und sind fast alle im südlichen XXXX und in der angrenzenden Jallam-Wüste stationiert. Die Haschd-Brigade 110 und Liwa al-Taff (Brigade 20) sind im Wesentlichen im Gebiet Chanaquin stationiert. Die PMU-Brigade 110 gehört zur Badr-Organisation und besteht aus Faili-Kurden. Liwa al-Taff (Brigade 20) wird von Hashim Ahmad al-Tamimi angeführt. Dabei handelt es sich um eine unabhängige Miliz, die sich von der al-Abbas-Kampfdivision abgespalten hat, und von ihren Kämpfern heißt es, sie seien loyale Sistani-Anhänger. Der Norden von XXXX ist in steigendem Maße Einsatzgebiet für Asa’ib Ahl al-Haq (AAH) geworden. Im Norden Diyalas aktive AAH-Kräfte scheinen nicht der operativen Kontrolle des PMU-Einsatzkommandos XXXX zu unterstehen. Im Nordosten Diyalas ist AAH präsent in Jalawla, wo es örtliche, mit Sunniten besetzte Milizen aus Angehörigen des Stamms der Kerwi (oder Karawi) aufbaut. In Abu Sayda haben Milizionäre der AAH ohne Erfolg die Kontrolle der Badr-Organisation über die Stadt in Frage gestellt.
Aktivisten der Kaka’i-Minderheit in XXXX berichteten von Schikanen und Diskriminierung durch die PMU. Berichten zufolge sind die PMU in XXXX besonders stark. Die Badr-Organisation, die den Provinzrat kontrolliert, gilt als der wichtigste Sicherheitsakteur. Ein irakischer Analyst, der im Zuge der im April 2018 von DIS/Landinfo in der KRI durchgeführten Erkundungsmission befragt wurde, erklärte, dass in den vom ISIL befreiten Gebieten, darunter auch in XXXX , noch immer PMU präsent waren. Dieselbe Quelle wies zudem darauf hin, dass Kataib Hisbollah (KH, eine der von Iran unterstützten PMU) „in XXXX und im südlichen Irak, darunter auch in Basra, im Geheimen operiert“.
In einem Bericht vom Mai 2020 verwies Husham Al-Hashimi auf die Präsenz von PMU im Gebiet Al-Udhaym in Nordosten von Al-Saadiya, in den Gebieten Chanaqin, Mansuriya, XXXX , Muqdadiyah, Khana, Mountain und Naft, Mandali, Hamrin, Ost- XXXX seit Dezember 2019. In seinem Lead Inspector General Report über das zweite Quartal 2020 berichtete das USDOD, die PMU hätten „im Vergleich zu den ISF übermäßigen Einfluss“. Ferner führte die Quelle aus, dass PMU zwar Einsätze zur Bekämpfung des ISIL, Drohnenüberwachung, Razzien, Räumungseinsätze durchführen und Kontrollpunkte bemannen, aber auch in Erpressung verwickelt sind, Sunniten unter falschen Anschuldigungen verhaften und Waffen aus Iran einschmuggeln und damit „die Spannungen zwischen den Religionen anheizen“.
Im Mai 2020 hieß es allerdings, KH würde an Einfluss in Irak verlieren, fünf Monate nach dem Tod ihres Anführers Abu Mahdi al-Muhandis. Die irakische Regierung hat Maßnahmen ergriffen, um „einige Gruppierungen der Volksmobilisierungseinheiten stärker in die Befehlsketten und Strukturen der Regierung zu integrieren, wie sie vor 2014 bestanden“. Im April 2020 wurde angekündigt, dass vier dem Groß-Ayatollah Ali al-Sistani ergebene „Einheiten zur Bewachung von Heiligtümern“ (darunter Liwa Ali al-Akbar) unmittelbar dem Premierminister unterstellt würden in dem Bestreben, den Einfluss Irans und von Kataib Hisbollah auf die Sicherheitslage in Irak zu verringern.
Stammesmobilisierungskräfte (Tribal Mobilization Forces, TMF; Haschd al-Asha’iri)
Die Haschd al-Asha’iri (oder Ashayari) sind eine arabische sunnitische Miliz, die vom Verteidigungsministerium unterstützt und bewaffnet wird; sie wurde 2014 zur Verteidigung und Sicherung des nördlichen Teils der Provinz XXXX geschaffen. In einem Interview im März 2019 stellte Abdul Khaliq Al-Azzawi, Mitglied des Verteidigungsausschusses des irakischen Parlaments aus XXXX fest, die Stammesmobilisierungskräfte seien in XXXX , Salah al-Din und al-Anbar besser organisiert als in XXXX . In XXXX umfassen sie 3 500 Männer unter Waffen, die für ihren Dienst keinen Sold erhalten. Stammesmobilisierungskräfte sind unmittelbar in Auseinandersetzungen mit dem ISIL verwickelt. So kamen beispielsweise am 3. Mai 2020 fünf Stammesmobilisierungskämpfer in Zusammenstößen mit ISIL-Aktivisten in dem Dorf Umm al-Karami im Nordwesten Diyalas ums Leben.
Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak
Im Oktober 2017, nach dem Rückzug der Kurden, übernahmen die irakischen Streitkräfte die Kontrolle über den Bezirk Chanaqin und den Teilbezirk Jalawla, einige der umstrittenen Gebiete in der Provinz XXXX . Im Dezember 2019 führten Berichten zufolge kurdische Peschmerga in großem Umfang Durchsuchungs- und Aufklärungseinsätze in Dörfern und Landstrichen in Chanaqin, al-Saadiya, Jalawla und Qara Tapa durch. In einem Bericht vom Mai 2020 sprach Husham Al-Hashimi von der Präsenz der „PKK und nahestehender Gruppen“ im Gebiet Jalawla. Im Juni 2020 nahmen Peschmerga-Kräfte an dem Feldzug „Operation Heroes of Iraq“ teil, der gegen ISIL-Zellen in XXXX , XXXX und Salah al-Din gerichtet war. Im Juli 2020 startete die vierte Phase der „Operation Heroes of Iraq“ in XXXX . ISF und Peschmerga-Kräfte sollen Berichten zufolge in den ersten drei Tagen mindestens 53 Dörfer durchkämmt haben. Diese Zusammenarbeit verläuft allerdings nicht ganz spannungsfrei, da die Peschmerga „die Absichten der Streitkräfte Bagdads fürchten“. Die PUK hat nach wie vor die Kontrolle in Kifri. Der Grenzübergang Paruezkhan (Parvis Khan) stand lange Zeit unter der Kontrolle der KRG.
ISIL
Zwar vertrieben Sicherheitskräfte den ISIL im Jahr 2015 aus XXXX , doch nahmen Berichten zufolge zahlreiche ISIL-Kämpfer nach der Niederlage des ISIL im Zentralirak im Jahr 2017 erneut Verbindung zu ihren ehemaligen Verbündeten in der Provinz XXXX auf. 2019 und Anfang 2020 wurde XXXX das aktivste wilayat (Provinz) des ISIL. Mit Operationen ausgehend von seinen ländlichen Bastionen im DiyalaTal, an der iranischen Grenze, und an der Grenze zur Provinz Salah al-Din führt der ISIL seinen Aufstand mit Sprengfallen an Straßen, Anschlägen auf Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte und Anschlägen von Heckenschützen durch. Mit seinem Vorgehen gegen Kurden, Schiiten und nicht kooperationswillige sunnitische Stämme setzt der ISIL „ethnisch oder religiös bedingte Säuberungsmaßnahmen“ in einem in anderen Provinzen noch nicht erlebten Umfang um. Es werden regelmäßig Mörsergranaten auf schiitische, kurdische und Kaka’i-Dörfer abgefeuert, es werden Häuser und die Ernte auf den Feldern abgebrannt, es werden Maschinen zerstört, Stromleitungen gekappt und es wird Vieh geschlachtet, was zum Verlassen von Dörfern in den Gebieten Mukhisa, Abu Saida, Muqdadiyah, Chanaqin und Mutabijah führt.
In einem Interview vom März 2019 sagte Abdul Khaliq Al-Azzawi, Mitglied des Verteidigungsausschusses des irakischen Parlaments aus XXXX , der ISIL operiere in ländlichen Gebieten wie der Nada-Ebene (südlich von Chanaqin), Zore (zwischen Al-Muqdadiya und dem Hamrin-Gebirge), dem Hamrin-Gebirge und Auzem.
Anschlagszellen des ISIL seien aktiv in in Buhriz/Kani Ban Saad, im westlichen XXXX , Mukhisa/Abu Sayda, Sherween/ Muqdadiyah, Jalula/Sa’adiyah, Qara Tapa/Hamrin, Chanaqin und Nida/Mandali. Die im XXXX -Tal gelegenen Dörfer Zaghaniyah, Qubbah, Mukhisa und Abou Karmah sollen Berichten zufolge natürliche Bastionen des ISIL sein. In der Provinz XXXX ist der ISIL am aktivsten in den nördlichen Gebieten, sowie in Machmur, Makhul, Palkhana und dem Hamrin-Gebirge, das sich über mehrere Provinzen im Norden erstreckt.
Nach Angaben des ISW erweitert der ISIL ferner sein Operationsgebiet in Richtung Süden der Stadt XXXX . Im Hamrin-Gebirge hat der ISIL eine permanente Infrastruktur aufgebaut, bestehend aus Unterschlupfen, Ausbildungslagern und seinen eigenen Gerichten. Örtliche Vertreter bestätigten im Januar 2019 dem ISW gegenüber, dass mehrere Dörfer in der Nähe von Muqdadiyah de facto unter der Kontrolle des ISIL stehen. Häufige Räumungseinsätze durch lokale Sicherheitskräfte in dem Gebiet hätten nur geringe Wirkung. Der ISIL habe ferner ein Tunnelnetz im Hamrin-Gebirge gebaut und dort Waffenarsenale angelegt. Schläferzellen des ISIL waren nach wie vor aktiv, und seit März 2020 übernahm der ISIL täglich die Verantwortung für Anschläge in XXXX , die sich im Wesentlichen gegen die ISF und Führer von Gemeinschaften richteten.
Der ISIL verübt Anschläge auf ISF-Kontrollpunkte und tötet regierungsfreundliche Dorfälteste und Stammesführer und untergräbt damit die begrenzte Autorität des Staates in dieser Region. Finanziert werden seine Operationen durch Entführungen, Erpressung, Carjacking und Raubüberfälle. Nach Angaben von Joel Wing von Musings on Iraq hat der ISIL Zugang zu allen ländlich geprägten Teilen von XXXX . Aaron Y. Zelin, Fellow am Washington Institute for Near East Policy, erklärt, dass der Status von XXXX als Epizentrum von ISIL-Anschlägen in Irak teilweise auf das Gelände zurückzuführen ist. Das Gebiet ist übersät mit Gebirgen, Kanälen, Wäldchen und anderen Merkmalen, die das Verstecken und Überfälle aus dem Hinterhalt erleichtern und wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Aufstands erschweren.
Ansar al-Islam (AAI)
Ansar al-Islam, früher unter der Bezeichnung Jund al-Islam bekannt, ist eine im Nordosten Iraks operierende terroristische Gruppe mit engen Verbindungen zu und Unterstützung durch Al-Qaida. 2014 schwor ein Teil der Gruppe dem ISIL Treue. Im Oktober 2019 verübte AAI seit fünf Jahren seinen ersten Anschlag in Irak in Form zweier explodierende USBV in der Provinz XXXX .
1.5.3. Neueste Sicherheitstrends und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung
Entwicklungen 2019-2020
Das Middle East Institute analysierte die Lage in der Provinz XXXX folgendermaßen:
„In XXXX ist die Situation sogar noch prekärer, da der ISIL nach wie vor sehr aktiv ist und jeden Versuch einer Rückkehr zur Normalität vereitelt. Nach Angabe von Sicherheitsexperten, die die Situation beobachten, bewegt sich die Zahl der täglichen Anschläge zwischen vier und einem Dutzend. Gebiete wie Jalawla sind weiterhin nicht erreichbar, während größere Städte wie Chanaqin oder Baqubah immer unsicherer werden, je länger die Situation ignoriert wird.“
Laut dem USDOD gab es in den Gebieten rund um Baqubah und Chanaqin die Anschläge mit den meisten Todesopfern.
Luftangriffe von Streitkräften der internationalen Koalition und/oder durch irakische Kampfflugzeuge auf mutmaßliche Verstecke des ISIL im und rund um das Hamrin-Gebirge wurden während des ganzen Jahres 2019 und in der ersten Hälfte 2020 gemeldet. So begannen beispielsweise am 8. Juli 2019 irakische Streitkräfte mit einer viertägigen Operation mit dem Namen „Will of Victory“ (Siegeswille) gegen Schläferzellen des ISIL in Nordirak, darunter in der Provinz XXXX . „Irakische Streitkräfte, paramilitärische Einheiten der Haschd al-Schaabi (Volksmobilisierungseinheiten), Stammesmilizen und Kampfflugzeuge der von den USA angeführten Koalition nahmen an der Operation teil. ISIL-Schläferzellen verüben weiterhin Blitzanschläge gegen Kontrollpunkte, Strukturen und Amtsträger. Ziel der Operation war es, „Stützpunkte, Ausbildungslager, Depots und Tunnel“ des ISIL zu zerstören. Am 29. Dezember 2019 begann die achte Phase der Operation „Will of Victory“.
Am 11. Juli 2020 starteten die ISF in Zusammenarbeit mit Terrorismusbekämpfungseinheiten der PUK und Unterstützung aus der Luft durch die Internationale Koalition eine Operation gegen Überbleibsel des ISIL im Bezirk Chanaqin.
Im Herbst 2019 gab es Protestdemonstrationen auch in XXXX , wenn auch in kleinerem Umfang als in XXXX und im Süden Iraks.
Operationen des ISIL
Im Zeitraum Januar-März 2019, so das USDOD, verstärkte der ISIL weiter sein Netzwerk in der Provinz XXXX , vorrangig entlang des nördlichen XXXX -Tals. Kämpfer und Ausrüstung wurden von XXXX in das Hamrin-Gebirge verlegt.
Die im April 2019 gestartete Offensive des ISIL „Revenge of the Levant“ (Rache der Levante) erreichte ihren Höhepunkt im Mai 2019 in XXXX . Allein im Mai wurden 35 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert; die meisten davon ereigneten sich im Gebiet Chanaqin-Jalawla.
Im August 2019 stieg die Zahl der Anschläge des ISIL in XXXX auf 41. Aufgrund der Bombardierungen durch den ISIL wurden 20 Dörfer in der Nähe von Chanaqin evakuiert.
Im Oktober 2019 wurden in XXXX nur 13 ISIL-Anschläge gemeldet. Als XXXX und die südlichen Provinzen in Demonstrationen versanken, hielt sich der ISIL mit Anschlägen zurück. Nach Angaben des USDOD gingen in diesem Zeitraum niedrigschwellige Anschläge des ISIL weiter, hauptsächlich in den Provinzen XXXX und XXXX . In einer Reihe von Dörfern wurde die Einschüchterung durch ISIL-Angehörige so intensiv, dass Einwohner vorübergehend ihre Häuser verließen.
Im Dezember 2019 stieg die Zahl der Sicherheitsvorfälle in XXXX auf 42. Der ISIL verlagerte seine Aufmerksamkeit von den Bezirken Jalawla-Chanaqin in Richtung Nordosten, vor allem auf den Bezirk Muqdadiya. Teilweise war dies darauf zurückzuführen, dass die Regierung überall in Chanaqin mit einer Suchaktion begann.
Als der ISIL im April 2020 mit seiner jährlichen Frühjahrs-/Sommeroffensive begann, stieg die Zahl der Sicherheitsvorfälle im April 2020 auf 42 und im Mai 2020 auf 71. Die meisten dieser ISIL-Anschläge fanden in Chanaqin and Muqdadiya statt.
Im Juni 2020 war der ISIL in der Provinz XXXX besonders aktiv. In ihrer „wöchentlichen Propaganda-Newsletter al-Naba behauptete die Gruppe, ihre Aktivisten hätten allein zwischen dem 11. und 17. Juni in Irak 52 Anschläge verübt, fast die Hälfte davon in der Provinz XXXX “.
Taktik und Ziele des ISIL
Bewaffnete Überfälle durch den ISIL erfolgen in der Regel nachts und richten sich gegen Sicherheitskräfte und Zivilpersonen, wie OXFAM im März 2020 berichtete. Direkte Anschläge auf Zivilpersonen – wie die Ermordung von mukhtars, Beschäftigten ziviler Behörden oder Stammesangehörigen – „werden wohl verübt, um psychologischen Druck auf die Bevölkerung auszuüben und das soziale Gewebe von Gemeinschaften zu schwächen“. So veröffentlichten Kämpfer des ISIL beispielsweise im April 2019 ein Video, auf dem die Hinrichtung sunnitischer Milizionäre und Dorfältester im Osten Diyalas zu sehen war, denen vorgeworfen worden war, ehemalige Informanten von Regierungskräften gewesen zu sein. Zu den neun Hingerichteten gehörte der mukhtar des Dorfs Bahiza al Kabira. Am 14. Mai 2020 verletzten Heckenschützen des ISIL den mukhtar von Mubarak in der Nähe von Cahnaqin und setzten die Ernte auf nahe gelegenen Bauernhöfen in Brand.
Ziele des ISIL sind weiterhin Angehörige der ISF und von PMU in der Provinz. So kamen beispielsweise am 19. Mai 2019 bei der Explosion einer Straßenbombe nahe der Stadt Balad Ruz sieben Angehörige einer PMU-Miliz ums Leben. 26 weitere wurden verletzt.
Verschleppungen und Entführungen gehören ebenfalls zur Taktik des ISIL und dienen dazu, Lösegeld zur Finanzierung der Operationen zu erpressen. So richteten beispielsweise Ende Januar 2020 mutmaßliche Bewaffnete des ISIL einen fingierten Kontrollpunkt ein und verschleppten sieben Zivilpersonen in den Westen von Chanaqin. Einige Tage später wurden bei einem ähnlichen Vorfall in demselben Gebiet zwei weitere Personen entführt. Am 4. Juni 2020 entführten ISIL-Kämpfer nahe Jalawla einen örtlichen Bauern und seine drei Söhne. Die drei Söhne wurden hingerichtet, während über das Schicksal des Vaters widersprüchliche Angaben vorliegen.
Michael Knights und Alex Almeida dokumentierten „zahlreiche Evakuierungen von Dörfern in den Gebieten Mukhisa-Abu Saida-Muqdadiyah, Chanaqin und Mutabijah“. Ihrer Auffassung nach besteht das Ziel der in dem Gebiet verübten Anschläge „nicht nur in Einschüchterung und Erpressung, sondern sogar in Entvölkerung“. Im August 2019 wurden aufgrund der Bombardierungen durch den ISIL 20 Dörfer in der Nähe von Chanaqin evakuiert. Ebenso wurde Anfang 2019 eine Reihe kurdischer und sunnitischer arabischer Dörfer rund um Chanaqin und Jalawla aufgrund zunehmender Aktivitäten des ISIL evakuiert. Evakuierungen kurdischer Dörfer nahe Chanaqin wurden sogar schon im Juli 2018 gemeldet.
Weit verbreitete Brände auf Feldern – angelegt vom ISIL, aber angeblich auch von schiitischen Milizen – entflammten im Frühjahr 2019 in mehreren landwirtschaftlichen Gebieten in XXXX , insbesondere im Bezirk Chanaqin. Angeblich wollten die Brandstifter einen Wirtschaftskrieg beginnen und sahen hierin eine Taktik, die kurdische Bevölkerung aus der Region zu vertreiben (ISIL)
oder (schiitische Milizen) gegen vermeintliche Unterstützer des ISIL vorzugehen. Im Mai 2020 wurden Brände auf den Feldern zu Beginn der Erntesaison auf Weizenfarmen nahe Qara Tapa, nordöstlich von XXXX , gemeldet. Der ISIL übernahm die Verantwortung für Feldbrände im Bezirk Chanaqin im April, Mai und Juni 2020.
In dem Bericht des USDOD über das zweite Quartal 2020 hieß es: „Auch wenn die meisten Anschläge des ISIL in XXXX geringfügig waren und nur Verletzte hervorriefen, verursachten sie doch viele Todesopfer, und Anschläge gab es in dem gesamten Quartal fast täglich. Viele der Ziele waren Bauern und andere Zivilpersonen, die häufig umgebracht oder zur Erzielung von Lösegeld entführt wurden“.
Bezirk Chanaqin
In einer Analyse vom März 2019 schreibt die International Review:
„Seit dem letzten Sommer [2018] ist eine Kampagne mit Bombenattentaten, Ermordungen und Scharmützeln gegen örtliche Sicherheitskräfte eskaliert, da sich IS-Zellen auf dem Land zwischen Jalawla und Chanaqin sowie in den Bergen rund um Tuz Khurma und Sulayman Bek etabliert haben. Dieser Aufstand setzte sich bis in den Januar fort und wurde in XXXX sogar noch intensiver, wo das Sicherheitsvakuum nach wie vor ein großes Problem darstellt. Die ländlichen Gebiete von Chanaqin sind zu einem Paradies für IS-Zellen geworden, die sich hier eingegraben und die Berge aufgrund der fehlenden Sicherheitskräfte fest im Griff haben. Zwar haben diese Anschläge nur begrenzte Wirkung und fordern sie relativ wenige Opfer, doch erfolgen die Vorfälle in immer kürzeren Abständen.“
Dominierender Faktor für die Sicherheitslage in der „von einer Mischung aus Kurden und sunnitischen Arabern bewohnten“ Stadt Jalawla ist die AAH. Die sunnitischen Araber der Stadt sind eine Allianz mit der AAH eingegangen, während die kurdische Bevölkerung marginalisiert ist. In der mehrheitlich sunnitischen Stadt Sadiyah hat die Badr-Organisation die Kontrolle über die Sicherheit. In Kifri übte die PUK die Kontrolle aus.
Aufgrund der fehlenden Koordinierung zwischen dem von XXXX kontrollierten Irak und der kurdischen Region in den umstrittenen Gebieten von XXXX konnte der ISIL diese „unbewachten Räume“ nutzen. Zunehmende Aktivität des ISIL in ländlichen Gebieten und fehlender Schutz durch die Regierung führten im Oktober und November 2019 zur Vertreibung von Menschen aus dem zentralen und nordöstlichen Teil von XXXX , beispielsweise aus Ramadan und Islah.
Im April 2019 schrieb das ISW, dass „der ISIL in Chanaqin sowohl eine Unterstützungs- als auch eine Angriffszone entlang der irakisch-iranischen Grenze bis hinunter in die Provinz Halabja im irakischen Kurdistan unterhält.“ Nach Auffassung der Quelle war es ferner wahrscheinlich, dass der ISIL Gebirgsstraßen im Norden des Bezirks Chanaqin benutzt, um sich zwischen Irak und Iran hin- und herzubewegen und damit zahlreiche PMU-Einsätze in der Region auslöst.
Einige Beispiele für Vorfälle
Es kam zu vielen Sicherheitsvorfällen in den Bezirken Chanaqin und XXXX , vor allem aber im Bezirk Muqdadiyah. Bei den meisten gab es nur Verletzte oder ein oder zwei Todesopfer. Nachstehend eine Auflistung mehrerer Zivilpersonen betreffender Vorfälle mit mehr als zwei Todesopfern.
? Am 14. April 2019 veröffentlichten Kämpfer des ISIL ein Video, auf dem die Hinrichtung von neun sunnitischen Milizionären und Dorfältesten zu sehen war, zu denen auch der Mukhtar des Dorfs Bahiza al Kabira gehörte. Sie waren beschuldigt worden, den Sicherheitskräften Informationen über Aktivitäten der Kämpfer zukommen zu lassen.
? Am 12. Mai 2019 griffen ISIL-Kämpfer das Dorf Habib Abdalla in Chanaqin an und töteten zwei Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Kurdistans (KSDP).
? Am 30. Mai 2019 kamen bei der Explosion einer nicht identifizierten USBV und einem anschließenden bewaffneten Überfall in Abu Saida sechs Zivilpersonen ums Leben und wurden vier verletzt.
? Am 1. Juni 2019 töteten nicht identifizierte Killer drei Zivilpersonen in einem Dorf nahe der Stadt Abu Saida.
? Am 28. September 2019 feuerten irakische Streitkräfte tödliche Schüsse auf drei kurdische Zivilpersonen nahe des Dorfs Mukhaysah im Bezirk Muqdadiyah.
? Am 10. Oktober 2019 feuerten Heckenschützen des ISIL tödliche Schüsse auf drei Zivilpersonen und verletzten vier von deren Verwandten in einem Dorf im Bezirk Chanaqin. Die zu diesem Vorfall herbeigerufenen ISF wurden Opfer einer Bombe am Straßenrand, die in der Nähe ihres Fahrzeugs explodierte und zwei Polizisten tötete und drei weitere verletzte.
? Am 24. Oktober 2019 erschossen mutmaßliche ISIL-Kämpfer den Vorsitzenden des Stadtrats von Abu Saida, seinen Sohn und eine Zivilperson, die die beiden ins Stadtzentrum begleitete.
? Am 20. Januar 2020 wurden in XXXX bei einer Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Bereitschaftspolizei wegen der Schließung einer Brücke ein Demonstrant getötet und drei verletzt.
? Am 6. Februar 2020 wurden beim Beschuss durch ISIL-Heckenschützen im Dorf Ali Saadoun im Bezirk Chanaqin zwei Zivilpersonen getötet und eine Person schwer verletzt.
? Am 22. April 2020 wurden Berichten zufolge sieben ISIL-Kämpfer bei einem Luftangriff auf ihre Schlupfwinkel nahe Chanaqin getötet.
? Am 15. Mai 2020 wurden in der Region Hawi al-Udheim bei der Explosion einer USBV drei PMU-Kämpfer getötet und zwei verletzt, mit der vermutlich der ISIL einen Schlag gegen die Brigade 23 in der Region verüben wollte.
? Am 12. Mai 2020 töteten ISIL-Kämpfer zwei Kaka’i-Bauern und brannten deren Felder nieder.
? Am 4. Juni 2020 griffen ISIL-Kämpfer einen großen Obst- und Gemüseanbaubetrieb am Rande des Dorfs Islah nordöstlich von XXXX an. Drei Bauern kamen ums Leben und ein Verwandter aus der gleichen Familie wurde verletzt.
? Am 6. Juni 2020 überfielen ISIL-Kämpfer einen Bauern im Dorf Shaykh Bawa in der Provinz XXXX , und als er verletzt war, versuchten seine drei Söhne, ihren Vater zu verteidigen, wurden aber getötet.
? Am 13. Juni 2020 griffen bewaffnete Männer des ISIL Kaka’i-Dörfer an, töteten dabei sechs Menschen und verwundeten sechs weitere, darunter Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte.
Zahl der zivilen Opfer
Die nachstehende Tabelle gibt Auskunft über mit bewaffneten Konflikten zusammenhängende Vorfälle und zivile Opfer in der Provinz, die von der UNAMI für den Zeitraum 1. Januar 2019 - 31. Juli 2020 erfasst wurden.
Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle
Nach Angaben von Joel Wing verübte der ISIL Anfang 2019 im Durchschnitt ungefähr einen Anschlag pro Tag in XXXX , vor allem im Bezirk Chanaqin, und zwar mit terroristischen Mitteln in Form von Schießereien, Anschlägen auf Kontrollpunkte und Dörfer, Beschuss und USBV.
In einer Analyse des ISIL vom Mai 2020 von Michael Knights und Alex Almeida war die Rede von einem Anstieg seiner Anschlagsaktivitäten im zweiten Halbjahr 2019 (durchschnittlich 59,8 Anschläge pro Monat) und einem Rückgang in ersten Quartal 2020 (auf 45,8 Anschläge pro Monat). Von Januar 2019 bis zum ersten Quartal 2020 gab es in XXXX 690 Anschläge; das ist die höchste Zahl aller Provinzen.
Den offen zugänglichen Daten von ACLED, EPIC und Jane’s Terrorism and Insurgency Database zufolge verübte der ISIL im ersten Quartal 2020 rund 80 Anschläge in der Provinz XXXX .
Im Referenzzeitraum verzeichnete ACLED 280 Kämpfe, 260 Vorfälle von ferngesteuerter Gewalt/Explosionen, 90 Fälle von Gewalt gegen Zivilpersonen, jedoch keine Unruhen; das sind insgesamt 630 sicherheitsrelevante Vorfälle dieser Arten in der Provinz al XXXX , meist im Bezirk Muqdadiyah. Ferner wurden für den Referenzzeitraum 58 Demonstrationen in der Provinz XXXX gemeldet. Die folgende Abbildung gibt Auskunft über die Entwicklung aller Arten sicherheitsrelevanter Vorfälle im Referenzzeitraum.
Abbildung 11: Entwicklung von sicherheitsrelevanten Vorfällen, kodiert als Kämpfe, Explosionen/ferngesteuerte Gewalt und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, Unruhen und Proteste in der Provinz XXXX , 1. Januar 2019 - 31. Juli 2020, gestützt auf ACLED-Daten.
Fähigkeit des Staates zur Sicherung von Recht und Ordnung
ISIL-Kämpfer, die sich im Zeitraum 2015-2017 aus den Gebieten zwischen XXXX und Ninawa zurückzogen, hinterließen Sprengfallen in den Dörfern und Häusern, so dass Binnenvertriebene nicht zurückkehren konnten. Die ISF sind für die hochgefährliche Räumung von Sprengstoffen nicht angemessen ausgebildet. Während Streitkräfte der Regierung damit beschäftigt waren, USBV zu räumen, nutzte der ISIL die Gelegenheit, in XXXX Guerillataktiken anzuwenden. Gemeinsame Kräfte von Armee, Bundespolizei und PMU führen in der Provinz weiterhin Suchaktionen durch.
Im Juli 2019 wurde die zweite Phase des Feldzugs „Will to victory“ mit Schwerpunkt XXXX gestartet. Die irakischen Streitkräfte räumten 25 Dörfer. Der damalige Premierminister Adil Abdul-Mahdi erklärte, die irakische Armee stoße auf geringen „echten Widerstand“. Nach Angaben von Analysten stellte der ISIL während der ISF-Kampagnen in der Regel seine Operationen ein und zog in ein anderes Gebiet. Im Juni 2020 startete die irakische Regierung den Feldzug „Operation Heroes of Iraq“, der gegen ISIL-Zellen in XXXX , XXXX und Salah al-Din gerichtet war. Im Juli 2020 startete die vierte Phase der „Operation Heroes of Iraq“ in XXXX . In Zusammenarbeit mit Peschmerga-Kräfte sollen die ISF angeblich in den ersten drei Tagen mindestens 53 Dörfer durchkämmt haben.
Die ISF sollen Berichten zufolge darum kämpfen, die territoriale Kontrolle in Regionen zu behalten, in denen der ISIL nach wie vor von der örtlichen Bevölkerung unterstützt wird. Vor allem in ländlichen Gebieten und Wüsten, in denen die ISF nur eingeschränkt präsent sind und der ISIL früher territoriale Kontrolle ausgeübt hat, erhält sich der ISIL seine Bewegungsfreiheit. Die Gruppe ist überwiegend nachts aktiv, ermordet und verschleppt örtliche Anführer und verübt mit USBV Anschläge auf militärische und zivile Ziele.
Nach dem Rückzug des ISIL im Jahr 2017 wurden nach Angaben von The Intercept die irakischen Eliteeinheiten, die ihn bekämpft hatten, durch schlecht ausgebildete und ausgedünnte Kräfte ersetzt. Die irakische Armee und die Polizei sind personell zu schwach besetzt und schlecht vorbereitet, um den ISIL in Diayala endgültig besiegen zu können. Es fehlt ihnen außerdem an Ortskenntnis und am Vertrauen der Gemeinschaften, um „die Kämpfer zu überwinden, deren brutale Herrschaft in jüngster Zeit die Zivilbevölkerung so in Angst und Schrecken versetzt hat, dass sie keinen Widerstand wagt“. Nach Aussage von Knights und Almeida sind die ISF „weder ausgebildet noch ausgerüstet, um den Aufstand niederzuschlagen“.
Auch in die PMU hat die örtliche Bevölkerung kein Vertrauen. Dies ist nach Ansicht der International Review darauf zurückzuführen, dass in dieser Provinz „spontan gebildete“ Milizen aktiv sind.
Am 11. Juli 2020 starteten die ISF in Zusammenarbeit mit Terrorismusbekämpfungseinheiten der PUK und Unterstützung aus der Luft durch die Internationale Koalition eine Operation gegen Überbleibsel des ISIL im Bezirk Chanaqin.
In einem Bericht über das zweite Quartal 2020 analysiert das USDOD die Lage folgendermaßen:
„In XXXX besteht ein komplexes Umfeld, in dem politische, religiöse und geografische Verwerfungslinien aufeinandertreffen, so dass nur schwer zu bestimmen ist, welcher einzelne oder vorherrschende Faktor den ISIS in die Lage versetzt hat, mit dieser Dynamik vorzugehen. […] Hinzu kommt, dass die Autorität in der Provinz vorherrschend bei von Iran unterstützten Kräften liegt, hauptsächlich der Badr-Organisation, die zwar den ISIS bekämpfen, aber auch die Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften verschärfen. Diese PMU koordinieren sich weder mit örtlichen Stammeskräften noch mit den Peschmerga und den Streitkräften der Koalition; ihr Hauptanliegen ist die Nutzung der strategischen Lage von XXXX für den Schmuggel von Waffen und sonstigen Unterstützungsgütern aus Iran. Nach Ansicht von Irak-Analysten dürfte XXXX weiterhin der Hauptschauplatz von Anschlägen des ISIL bleiben, wenn sich an den derzeitigen Bedingungen nichts ändert“.
Schäden an der Infrastruktur und explosive Kampfmittelrückstände
Auch wenn der ISIL nur in einen relativ kleinen Teil des Territoriums von XXXX eingedrungen und es besetzt hat, leidet die Provinz doch unter erheblichen Schäden an Infrastruktur und Wohngebäuden. XXXX ist eine der Provinzen, in denen die Infrastruktur besonders stark beschädigt wurde.
Die humanitäre Krise nach der Niederlage des ISIL trug nach Auffassung der IOM zu der hohen Arbeitslosigkeit und Armut in der Provinz bei.769 Dem Humanitarian Needs Overview 2020 des UNOCHA zufolge hielten sich im November 2019 insgesamt 210 605 Menschen in XXXX auf, die humanitäre Hilfe benötigten.
Laut einem Bericht der Weltbank vom Januar 2018, der sich schwerpunktmäßig mit den sieben Provinzen befasst, die unmittelbar von den territorialen Ambitionen des ISIL betroffen sind (al-Anbar, Babil, XXXX , XXXX , Ninawa, Salah Al-Din und XXXX ), beläuft sich der Gesamtschaden am Wohnungssektor in Irak schätzungsweise auf 18,7 Trillionen IQD, wobei ca. 138 051 Wohngebäude betroffen waren. 7 % dieser Schäden entfallen auf XXXX . Die Schäden im Elektrizitätssektor, einem der am härtesten betroffenen Sektoren, belaufen sich auf 8,2 Trillionen IQD (7 Milliarden USD), von denen 38,5 Milliarden IQD auf XXXX entfallen. Der Schaden an Objekten für die Wasserversorgung, von Talsperren und Staudämmen über Bewässerungskanäle bis zu Pumpstationen für die Bewässerung, liegt bei rund 134 Milliarden IQD (115 Millionen USD), von denen 3,8 % auf XXXX entfallen. Der Gesamtschaden an Anlagen in Industrie und Handel betrug sich auf 6,0 Trillionen IQD, von denen 51 Milliarden IQD auf XXXX entfallen.
Der Gesamtschaden für die Landwirtschaft in XXXX wird auf 557 Milliarden Irakische Dinar veranschlagt, das entspricht ungefähr 478 Millionen Dollar. Der Viehzuchtsektor ist seit 2003 um 50 % geschrumpft. Der Schaden an kommunalen Vermögenswerten in XXXX beläuft sich Schätzungen zufolge auf 1,5 Milliarden IQD (1,3 Millionen USD).
Der Gesamtschaden im Gesundheitssektor beträgt schätzungsweise rund 2,7 Trillionen IQD, von denen 190,6 Milliarden IQD auf XXXX entfallen. Die Schäden im Bildungswesen von XXXX belaufen sich auf 165,9 Milliarden IQD. In ganz XXXX wurden Schätzungen zufolge bei der Bekämpfung des ISIL mehr als 60 Schulen vollständig und weitere 181 teilweise zerstört.
Die Schäden am kulturellen Erbe, an zeitgenössischen religiösen Bauwerken und am Tourismus in XXXX belaufen sich auf 42 Milliarden IQD. Die Gesamtkosten für Schäden im Verkehrssektor, also an Straßen, Flughäfen, Brücken und an der Eisenbahn, belaufen sich auf 3,3 Trillionen IQD (2,8 Milliarden USD), von denen 129,9 Milliarden auf XXXX entfallen. Der Schaden am Sektor WASH (Wasser, Abwasser und Hygiene) wird auf 1,6 Trillionen IQD (1,4 Milliarden USD) geschätzt, von denen 21 % (329,1 Milliarden IQD) auf XXXX entfallen. Der Gesamtschaden an staatlichen Gebäuden entspricht 868 Milliarden IQD (745 Millionen USD), von denen 71,6 Milliarden IQD auf XXXX entfallen.
Nach Angaben der Crisis Group hat die irakische Regierung nur geringfügige Fortschritte beim Wiederaufbau von Gebieten nach der ISIL-Ära und bei der Wiederbelebung ihrer lokalen Wirtschaft gemacht. Oxfam stellte einige Fortschritte bei der Wiederherstellung wichtiger Infrastruktur fest – insbesondere mit Hilfe der Funding Facility for Stabilization des UNDP sowie anderer Stabilisierungsprojekte – , doch „bestehen nach wie vor große Lücken, vor allem in XXXX und in Lagern“. Im Bezirk Chanaqin stehen verschiedene Gebiete vor unterschiedlichen Problemen. Zwar befindet sich die Stadt Chanaqin weitgehend in gutem Zustand und ist sie in der Lage, Einwohnern und Binnenvertriebenen diverse Dienste anzubieten, doch werden für Jalawla umfangreichere Schäden gemeldet, nämlich beschädigte Strom-, Wasser- und Abwasserleitungen sowie ein Krankenhaus, das der Nachfrage nicht gerecht wird.
Laut den Daten von Shelter Cluster zu Irak sind mit Ausnahme von Chanaqin Wiederaufbau und Wiederherstellung beschädigter Häuser weitgehend abgeschlossen. Im Bezirk Khalis waren 982 Häuser betroffen, die alle wiederhergestellt sind; im Bezirk Muqdadiya wurde die Wiederherstellung von 275 Häusern abgeschlossen, und in Chanaqin waren 275 Häuser betroffen, von denen 200 wiederhergestellt wurden und bei den übrigen 75 diese Maßnahme geplant war.
Zwischen Januar und Dezember 2019 wurden in XXXX mehrere Vorfälle mit explosionsgefährlichen Stoffen gemeldet, insbesondere auf der Straße von XXXX nach Chanaqin. Zwischen Januar und Juni 2020 war das Ausmaß der Gefahr durch explosionsgefährliche Stoffe auf Straßen in der Provinz XXXX am häufigsten im und um den Bezirk Chanaqin am größten. Der Landmine & Cluster Munition Monitor vermerkte 2018 vier bestätigte Gefahrenbereiche (confirmed hazardous areas, CHA) in der Provinz XXXX sowie sechs mutmaßliche Gefahrenbereiche (suspected hazardous area, SHA), die mit USBV kontaminiert waren. Minen und Überreste von Sprengstoffen aus dem Krieg zwischen Irak und Iran in den Jahren 1980 bis 1988 bedrohen Berichten zufolge noch immer die Sicherheit in 60 Orten im Bezirk Chanaqin entlang der irakisch-iranischen Grenze.
Vertreibung und Rückkehr
Im Juni 2020 waren in XXXX 53 688 Binnenvertriebene registriert, von denen die meisten innerhalb der Provinz vertrieben worden waren. Zum gleichen Zeitpunkt waren in XXXX 230 244 Rückkehrer registriert, von denen fast die Hälfte in den Bezirk Chanaqin zurückkehrte. Die meisten dieser Rückkehrer (79 %) wurden zuvor innerhalb der Provinz vertrieben.
Die Geschwindigkeit der Rückkehr nach XXXX hat sich im Vergleich zum Zeitraum Mai 2017-Mai 2018 verlangsamt. Zwischen Mai 2018 und Juni 2019 stieg die Zahl der Rückkehrer um 3 876.796 Die Rückkehrerquote nach XXXX lag im Juni 2019 bei 73 %; das entsprach 5 % aller Rückkehrer. Laut dem Return Index der IOM vom März 2020 kämpfen insgesamt 43 728 Rückkehrer nach XXXX mit sehr schlechten Bedingungen bei ihrer Rückkehr.
Im März-April 2020 lebten 10 % der Rückkehrer nach XXXX in prekären Unterkünften. Dem Return Index der IOM zufolge können bei Rückkehrern, die unter so genannten schwierigen Bedingungen leben, in XXXX 44 454 Rückkehrer als unter etwas schwierigen Bedingungen lebend, 140 910 als unter mäßig schwierigen Bedingungen und 43 728 als unter sehr schwierigen Bedingungen lebend bezeichnet werden.
Im April 2020 gab es in XXXX eine Reihe von Herkunftsgebieten, in denen keine Rückkehrer verzeichnet wurden. Im Bezirk Al-Khalis werden drei solcher Orte genannt, im Bezirk Muqdadiya zwei, während im Bezirk Chanaqin 38 Orte ohne Rückkehrer registriert wurden. Mangelnde Sicherheit, Spannungen zwischen den Stämmen, fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten und zerstörte Häuser werden als Grund für die ausbleibende Rückkehr in diese Gebiete angegeben.
In seinem Bericht International Religious Freedom von 2019 zitierte das USDOS eine Warnung des Abgeordneten Raad al-Dahlaki vor Einschüchterung und Zwangsvertreibung von Sunniten in XXXX durch „der Regierung nahestehende schiitische Milizen“. Nach Aussage des Abgeordneten führte dies zu „einer systematischen demografischen Umwälzung entlang der Grenze mit Iran“. Das USDOS berichtete ferner, dass mutmaßliche ISIL-Sympathisanten und/oder ihre Ve