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60/02 ArbeitnehmerschutzNorm
EMRK 7. ZP Art4 Abs1Leitsatz
Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot durch eine weitere Entscheidung eines Landesverwaltungsgerichts in derselben Rechtssache wegen Verletzung der BauarbeiterschutzverordnungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK, wegen derselben Sache nicht zweimal bestraft zu werden, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Arbeit) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist verwaltungsstrafrechtlicher Verantwortlicher eines Unternehmens, das in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird und seinen Sitz im 15. Wiener Gemeindebezirk hat. Der Geschäftsbereich des Unternehmens umfasst Erd- und Kanalarbeiten. Nach einer Kontrolle einer Baustelle des Unternehmens am 13. November 2017 durch das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten wurden Verstöße gegen §48 Abs6 iVm §48 Abs7 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) zur Anzeige gebracht, da auf der Baustelle das Erdreich aus einer Baugrube durch Untergraben ohne entsprechende Sicherungsmaßnahmen iSd §48 Abs2 BauV ausgehoben wurde. Auf Grund dieser Anzeige erließ der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 15. Wiener Gemeindebezirk, am 26. Februar 2019 ein Straferkenntnis, mit dem über den Beschwerdeführer gemäß §130 Abs5 Z1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 700,–, jeweils ein Tag und 18 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe sowie ein Verfahrenskostenbeitrag in der Höhe von € 140,– verhängt wurden.
2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien und führte im Wesentlichen aus, dass er (weiterhin) für die begangene Verwaltungsübertretung die Verantwortung trage und sich vollinhaltlich geständig zeige. Die Strafe sei jedoch im Hinblick auf den Unrechtsgehalt der Tat sowie den Grad des Verschuldens als zu hoch anzusehen. Die Behörde habe bei der Strafbemessung zwar auf sein reumütiges Geständnis Bedacht genommen, jedoch sei sie fälschlich mit Verweis auf eine bereits getilgte Vormerkung davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nicht verwaltungsstrafrechtlich unbescholten sei. Weiters sei von der Behörde der Milderungsgrund des §35 Abs1 Z13 StGB, nämlich dass es zu keinem tatsächlichen Schaden gekommen sei, nicht berücksichtigt worden. Zuletzt hätte die Behörde auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie allfällige Sorgepflichten des Beschwerdeführers bei der Bemessung der Strafe berücksichtigen müssen.
Das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten erhob ebenfalls Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien gegen die Strafhöhe, beantragte die Erhöhung der Strafen und brachte vor, dass durch die verhängten Strafen dem Unrechtsgehalt der Tat nicht ausreichend Rechnung getragen werde. Die Gefährdung des Lebens der beiden betroffenen Arbeitnehmer und mögliche nachteilige Folgen der Tat seien bei der Strafbemessung nicht ausreichend berücksichtigt worden.
3. Das Verwaltungsgericht Wien gab der gegen die Strafhöhe gerichteten Beschwerde des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten mit in der Folge wiedergegebenem Erkenntnis vom 15. Mai 2020, Z VGW-042/030/3753/2019-1, statt:
"IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter
Mag. Cordes
über die
Beschwerde des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten, vom 5.3.2019 gegen das Straferkenntnis des Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 15. Bezirk, vom 26.2.2019, Zl MBA 15 - S 6379/18, betreffend Bauarbeiterschutzverordnung (BauV),
zu Recht e r k a n n t:
I. Der gegen die Strafhöhe gerichteten Beschwerde wird Folge gegeben und die zu Punkt 1) und 2) verhängte Geldstrafe von jeweils EUR 700 auf jeweils EUR 1400 die Ersatzfreiheitsstrafe von jeweils 1 Tag und 18 Stunden auf jeweils 3 Tage und12 Stunden angehoben
II. Dementsprechend erhöht sich der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens auf EUR 280, das sind 10 % der nunmehr hinaufgesetzten Geldstrafen.
III. Gemäß §9 Abs7 VStG haftet die der [*** GmbH] für die über den Beschuldigten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß §25a Abs1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art133 Abs4 B-VG unzulässig
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt:
'Sie haben als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemaf1 §9 Abs1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der [*** GmbH] mit Sitz in 1150 Wien, [Gasse] (das ist der Ort, von dem aus die erforderlichen Anordnungen bzw Maßnahmen zu treffen gewesen waren) zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin am 13.11.2017 auf der Baustelle in 1220 Wien, [Gasse] die Arbeitnehmer
1) [X] und
2) [Y]
mit Bauarbeiten (Erdarbeiten, Herstellen des Kanalanschlusses an den Straßenkanal in der [Gasse] für das zu errichtende Wohnhaus) beschäftigt hat, wobei das Erdreich aus der Baugrube durch Untergraben in Richtung Straf1enkanal in der [Gasse] ohne - entsprechende Sicherungsmaßnahmen im Sinne des§48 Abs2 BauV ausgehoben wurde (es waren lediglich Schaltafeln, die mittels Kanalspindeln ohne lastverteilende Unterlagendirekt am Untergrund aufgestellt waren, eingesetzt; die seitlichen Erdwände waren ungesichert) und die beiden Arbeitnehmer diesen Stollen (Baugrube) zur Durchführung der genannten Arbeiten (Minieren/Stollenbau) betreten haben, obwohl gemaf1 §48 Abs6 BauV das Untergraben ohne entsprechende Sicherungsmaf1nahmen unzulässig ist und Überhänge unverzüglich zu beseitigen sind sowie gemaf1 §48 Abs7 BauV Baugruben, Graben oder Künetten nur dann betreten werden dürfen, wenn die Sicherungsmaf1nahmen nach Abs2 leg. cit. durchgeführt sind.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
§48 Abs6, 1. Satz iVm. §48 Abs7 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), BGBl. Nr 340/1994, in der Fassung BGBl. II Nr 77/2014
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:
2 Geldstrafen von je € 700,00, falls diese uneinbringlich sind, 2 Ersatzfreiheitsstrafen von je 1 Tag und 18 Stunden
Summe der Geldstrafen: € 1.400,00 Summe der Ersatzfreiheitsstrafen: 3 Tage und 12 Stunden'
Gegen dieses Straferkenntnis richtete sich Strafhöhenberufung des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten.
Angesichts der ausschließlich gegen die Strafhöhe erhobenen Beschwerde ist der Schuldspruch des Straferkenntnisses in Rechtskraft erwachsen, sodass - gemäß §51e Abs2 VStG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - lediglich über die Strafhöhe abzusprechen war.
Zur Strafbemessung wird ausgeführt:
Gemäß der heranzuziehenden Strafsanktionsnorm, §130 Abs5 Z1 Arbeitnehmerschutzgesetz in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung, BGBl Nr 450/1994 zuletzt geändert durch BGBl I Nr 126/2017, begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 166 bis 8324 €, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 333 bis 16659 € zu bestrafen ist, wer nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt, oder
Gemäß §19 Abs1 VStG ist die Grundlage der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Gemäß Abs2 leg. cit. sind im ordentlichen Verfahren (§§40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfälligen Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Die Einkommens, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Das der Bestrafung zugrundeliegende Verhalten schädigt in hohem hohen Maße das vom Gesetz geschützte Interesse an der Aufrechterhaltung der körperlichen Sicherheit von Bauarbeitern und ist daher der Unrechtsgehalt der Tat als hoch einzustufen, zumal durch die inkriminieren Handlungen die körperliche Integrität der Arbeitnehmer massiv gefährdet war.
Auf das Verschulden des Beschuldigten, das nicht als geringfügig angesehen werden kann, wurde bereits eingegangen.
Eine Anhebung der Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen erschien schon auf Grund des Unrechtsgehaltes der Taten vertretbar; dies auch in Hinblick auf die verwaltungsstrafrechtlichen Vorstrafen des Rechtsmittelwerbers.
Angesichts des Umstandes, dass das nunmehr verhängte Strafausmaß lediglich 17 % der Höchststrafe beträgt, erscheint dieses - insbesondere auch in Hinblick auf ungünstige Einkommensverhältnisse durchaus angemessen und auch keinesfalls zu hoch.
Auch die Ersatzfreiheitsstrafe berücksichtigt die oben angeführten Strafzumessungsgründe mit Ausnahme der persönlichen Verhältnisse
Aus all diesen Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die angeführte Gesetzesstelle.
Zum Ausspruch der Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision: […]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
4. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer am 1. Juli 2020 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, welche hg. zur Zahl E2244/2020 protokolliert wurde.
5. Am 16. Juli 2020 erließ das Verwaltungsgericht Wien ein weiteres Erkenntnis, Z VGW-042/V/030/4982/2019-2, dessen Spruch wie folgt lautet:
"IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Cordes über die Beschwerde des Herrn [Beschwerdeführer] vom 28.03.2019 gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 15. Bezirk, vom 26.02.2019, Zl S 6379/18, wegen Übertretung des §48 Abs6 iVm. §48 Abs7 BauV
zu Recht e r k a n n t:
I. Die zu Punkt 1) und 2) verhängte Geldstrafe von jeweils EUR 700 wird auf jeweils EUR 1400 unddie Ersatzfreiheitsstrafe von jeweils 1 Tag und 18 Stunden auf jeweils 3 Tage und12 Stunden angehoben
II. Dementsprechend erhöht sich der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens auf EUR 280, das sind 10 % der nunmehr hinaufgesetzten Geldstrafen.
III. Gemäß §9 Abs7 VStG haftet die der [*** GmbH] für die über den Beschuldigten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß §25a Abs1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art133 Abs4 B-VG unzulässig" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
Im Übrigen – mit der Ausnahme, dass in der Begründung erwähnt wird, dass sowohl das Arbeitsinspektorat als auch der Beschwerdeführer eine Beschwerde erhoben haben – ist die Begründung wortgleich, wie die des Erkenntnisses vom 15. Mai 2020, Z VGW-042/030/3753/2019-1, formuliert.
6. Gegen die Entscheidung vom 16. Juli 2020, Z VGW-042/V/030/4982/2019-2, richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorge-legt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Rechtslage
1. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), BGBl 450/1994, idF BGBl I 100/2018 lautet auszugsweise wie folgt:
"9. Abschnitt
Übergangsrecht und Aufhebung von Rechtsvorschriften
[…]
Bauarbeiten
§118. (Anm: Abs1 aufgehoben durch BGBl I Nr 159/2001)
(Anm: Abs2 aufgehoben durch BGBl I Nr 60/2015)
(3) Die Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl Nr 340/1994, (BauV), gilt nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen als Verordnung nach diesem Bundesgesetz. Für die Änderung der Bauarbeiterschutzverordnung ist dieses Bundesgesetz maßgeblich:
(Anm: Z1 aufgehoben durch BGBl I Nr 118/2012)
(Anm: Z2 aufgehoben durch BGBl I Nr 159/2001)
(Anm: Z3 aufgehoben durch BGBl I Nr 118/2012)
4. Die §§158 Abs1 und 2 sowie 160 BauV entfallen.
(4) Die nachstehend angeführten Übergangsbestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten nicht für Baustellen:
1. §107 betreffend den Brandschutz und die Erste Hilfe,
2. §109 Abs2 betreffend Arbeitsmittel,
3. §114 Abs4 betreffend Arbeitsvorgänge und Arbeitsplätze.
[…]
10. Abschnitt
Schlußbestimmungen
[…]
Strafbestimmungen
§130. […]
(5) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 166 bis 8 324 €, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 333 bis 16 659 € zu bestrafen ist, begeht, wer als Arbeitgeber/in
1. den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt, oder
2. die nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden bescheidmäßigen Vorschreibungen nicht einhält."
2. §48 der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), BGBl Nr 340/1994, lautet wie folgt:
"II. Hauptstück
Besondere Anforderungen und Maßnahmen
6. ABSCHNITT
Erd- und Felsarbeiten
Aushub
§48. (1) Vor Durchführung von Erdarbeiten ist zu ermitteln, ob im vorgesehenen Arbeitsbereich Leitungen oder sonstige Einbauten verlegt sind, durch deren Beschädigung Arbeitnehmer gefährdet werden können, oder ob gefahrbringende Boden- oder Wasserverhältnisse oder besondere Einflüsse, wie Erschütterungen durch den Straßen- oder Schienenverkehr, vorliegen. Wenn während der Durchführung von Erdarbeiten solche Einbauten oder deren Schutzabdeckungen sowie gefahrbringende Boden- oder Wasserverhältnisse oder sonstige gefahrbringende Einflüsse unvermutet angetroffen werden, ist die Aufsichtsperson zu verständigen. Erforderlichenfalls sind entsprechende Sicherungsmaßnahmen, wie Sicherung der Einbauten oder Abfangen und Ableiten der Wasserzuflüsse, zu treffen.
(2) Beim Ausheben von Gruben, Gräben oder Künetten von mehr als 1,25 m Tiefe ist unter Berücksichtigung der örtlichen Standfestigkeit des Bodens, der Wasserverhältnisse, der Auflasten sowie auftretender Erschütterungen eine der folgenden Maßnahmen durchzuführen, sodaß Arbeitnehmer durch abrutschendes oder herabfallendes Material nicht gefährdet werden können:
1. Die Wände von Gruben, Gräben oder Künetten sind entsprechend §50 abzuböschen,
2. die Wände von Gruben, Gräben oder Künetten sind entsprechend §51 und 52 zu verbauen, oder
3. es sind geeignete Verfahren zur Bodenverfestigung (§53) anzuwenden. (3) Wenn schlechte Bodenverhältnisse oder besondere Einflüsse, wie Erschütterungen durch den Straßen- oder Schienenverkehr, vorliegen, muß auch schon bei einer geringeren Tiefe als 1,25 m eine der Maßnahmen nach Abs2 durchgeführt werden.
(4) Sofern nicht Sicherungsmaßnahmen gegen Einsturz des Randes und Hineinfallen von gelagertem Material getroffen sind, darf der Rand von Gruben, Gräben oder Künetten innerhalb eines Schutzstreifens von mindestens 50 cm Breite nicht belastet werden.
(5) Erfolgt ein Aushub neben bestehenden Bauten, muß die Standsicherheit der Fundamente der bestehenden Bauten erforderlichenfalls durch Maßnahmen wie nur abschnittsweises Ausheben und Unterfangen erhalten bleiben.
(6) Untergraben ohne entsprechende Sicherungsmaßnahmen ist unzulässig, Überhänge sind unverzüglich zu beseitigen. Freigelegte Bauwerksteile, Randsteine, Pflastersteine oder Findlinge, die abstürzen oder abrutschen können, sind unverzüglich zu beseitigen oder zu sichern.
(7) Baugruben, Gräben oder Künetten dürfen nur betreten werden, wenn die Sicherungsmaßnahmen nach Abs2 durchgeführt sind."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
Gemäß Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK (in seiner deutschen Übersetzung) darf "[n]iemand […] wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."
Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK verbietet die Wiederholung eines Strafverfahrens, welches mit einer endgültigen Entscheidung beendet worden ist. Eine Entscheidung – Freispruch oder Verurteilung – ist dann als endgültig ("final") anzusehen, wenn sie die Wirkung einer res iudicata erlangt hat. Das ist der Fall, wenn sie unwiderruflich ist, dh wenn keine ordentlichen Rechtsmittel mehr vorhanden sind, alle Rechtsmittel ergriffen wurden oder Rechtsmittelfristen ergebnislos verstrichen sind (VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0474).
2. Dem Verwaltungsgericht Wien ist folgender Fehler unterlaufen:
Mit Erkenntnis vom 15. Mai 2020, Z VGW-042/030/3753/2019-1, gab das Verwaltungsgericht Wien der Strafhöhenbeschwerde des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 26. Februar 2019, Z MBA 15 - S 6379/18, Folge und erhöhte die gegen den Beschwerdeführer verhängten Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen sowie den Verfahrenskostenbeitrag.
Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 16. Juli 2020, Z VGW-042/V/030/4982/2019-2, wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen dasselbe Straferkenntnis vom 26. Februar 2019 ab und erhöhte die von der Behörde verhängten Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen sowie den Verfahrenskostenbeitrag im selben Ausmaß wie mit dem zuvor ergangenen Erkenntnis vom 15. Mai 2020.
Beiden Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes Wien liegt mit dem Verstoß gegen die BauV auf einer Baustelle am 13. November 2017 durch das Unternehmen, für das der Beschwerdeführer die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung trägt, dieselbe strafbare Handlung zu Grunde. Zudem sind Erkenntnisse von Verwaltungsgerichten endgültige Entscheidungen iSd Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK, da keine ordentlichen Rechtsmittel gegen diese mehr ergriffen werden können (die Revision an den Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG werden nicht als ordentliche Rechtsmittel gesehen, siehe dazu Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts11, 2019, Rz 856 mwN). Auch wurden über den Beschwerdeführer mit jedem der beiden Erkenntnisse – jeweils idente – Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.
Der Beschwerdeführer wurde sohin wegen derselben Sache zweimal bestraft.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK, wegen derselben Sache nicht zweimal bestraft zu werden, verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Doppelbestrafungsverbot, Verwaltungsstrafrecht, res iudicata, ne bis in idem, Arbeitnehmerschutz, Geldstrafe, ArbeitsinspektionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E2917.2020Zuletzt aktualisiert am
10.05.2021