TE Vfgh Beschluss 2021/2/23 G271/2019

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Veröffentlicht am 23.02.2021
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ASVG §53b Abs2, §53b Abs2a
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung einer Wortfolge in Bestimmungen des ASVG betreffend den Ausschluss von Zuschüssen für Unternehmer, welche Dienstnehmer nicht "in ihrem Unternehmen" beschäftigen, wegen zu engen Anfechtungsumfangs

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt die Antragstellerin, in §53b Abs2 Z1 sowie in §53b Abs2a ASVG in der geltenden Fassung jeweils die Wortfolge "in ihrem Unternehmen" als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. §53b des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl 189/1955, idF BGBl I 162/2015 (Abs2a idF BGBl I 151/2017) lautet(e) im maßgeblichen Zeitraum wie folgt (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"Zuschüsse an die Dienstgeber/innen

§53b. (1) Den Dienstgeber/inne/n können Zuschüsse aus Mitteln der Unfallversicherung zur teilweisen Vergütung des Aufwandes für die Entgeltfortzahlung einschließlich allfälliger Sonderzahlungen im Sinne des §3 EFZG oder vergleichbarer österreichischer Rechtsvorschriften an bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt oder der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau unfallversicherte Dienstnehmer/innen geleistet werden.

(2) Abs1 ist so anzuwenden, dass die Zuschüsse gebühren

1. nur jenen Dienstgeber/inne/n, die in ihrem Unternehmen durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer/innen beschäftigen, wobei der Ermittlung des Durchschnitts das Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung zu Grund zu legen ist; dabei sind auch Zeiträume zu berücksichtigen, in denen vorübergehend keine Dienstnehmer/innen beschäftigt wurden;

2. in der Höhe von 50% des entsprechenden fortgezahlten Entgelts einschließlich allfälliger Sonderzahlungen unter Beachtung der eineinhalbfachen Höchstbeitragsgrundlage (§108 Abs3);

3. bei Arbeitsverhinderung

a) durch Krankheit ab dem elften Tag der Entgeltfortzahlung bis höchstens sechs Wochen je Arbeitsjahr (Kalenderjahr), sofern die der Entgeltfortzahlung zugrunde liegende Arbeitsunfähigkeit länger als zehn aufeinanderfolgende Tage gedauert hat;

b) nach Unfällen ab dem ersten Tag der Entgeltfortzahlung bis höchstens sechs Wochen je Arbeitsjahr (Kalenderjahr), sofern die der Entgeltfortzahlung zugrunde liegende Arbeitsunfähigkeit länger als drei aufeinanderfolgende Tage gedauert hat.

(2a) Für Dienstgeber/innen, die in ihrem Unternehmen durchschnittlich nicht mehr als zehn Dienstnehmer/innen beschäftigen, ist Abs2 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Zuschüsse in der Höhe von 75% gebühren.

(3) Den Dienstgeber/inne/n nach den Abs2 und 2a ist in den Fällen des §176 Abs1 Z7 lita sowie nach Maßgabe des zweiten Satzes in den Fällen des §7 Abs3 APSG aus Mitteln der Unfallversicherung auch die Differenz zwischen dem Zuschuss zur Entgeltfortzahlung (Abs1 und 2 Z3 litb) und dem Aufwand für die Entgeltfortzahlung einschließlich allfälliger Sonderzahlungen im Sinne des §3 EFZG oder vergleichbarer österreichischer Rechtsvorschriften für bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt oder der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau unfallversicherte Dienstnehmer/innen zu vergüten. Diese Vergütung gebührt den Dienstgeber/inne/n in Fällen der Arbeitsunfähigkeit nach §7 Abs3 APSG auf Grund von Unfällen, die während eines Einsatzes im Rahmen des Katastrophenschutzes und der Katastrophenhilfe geschehen sind.

(4) Das Bundesministerium für Inneres hat dem jeweiligen Unfallversicherungsträger jene Kosten der Differenzvergütung nach Abs3 zu ersetzen, die für die Fälle des §176 Abs1 Z7 lita und der Entlassung aus dem Zivildienst nach §7 Abs3 APSG im Sinne des Abs3 zweiter Satz entstanden sind.

(5) Das Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport hat dem jeweiligen Unfallversicherungsträger die Kosten der Differenzvergütung nach Abs3 zu ersetzen, die aus der Entlassung aus dem Präsenz- oder Ausbildungsdienst nach §7 Abs3 APSG im Sinne des Abs3 zweiter Satz entstanden sind.

(6) Näheres über die Gewährung der Zuschüsse und der Differenzvergütung sowie deren Abwicklung ist durch Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft festzusetzen."

2. Mit Art1 Z48 Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG), BGBl I 100/2018, entfielen mit Wirkung vom 1. Jänner 2020 (§718 Abs1 Z3 ASVG) in §53b Abs1 und Abs3 ASVG jeweils die Wortfolgen "oder der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau".

3. Die §§1, 2 und 10 der Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz über Zuschüsse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau an Dienstgeber/innen für Entgeltfortzahlung und Differenzvergütung (Entgeltfortzahlungs-Zuschuss- und Differenzvergütungs-Verordnung – EFZ-DV-VO), BGBl II 146/2018, lauteten im maßgeblichen Zeitraum wie folgt:

"Gegenstand

§1. Diese Verordnung regelt die Gewährung der Zuschüsse nach §53b Abs2 Z3 ASVG und der Differenzvergütung nach §53b Abs3 ASVG und deren Abwicklung.

Anspruchsberechtigter Dienstgeber/innen/kreis

§2. (1) Anspruchsberechtigt sind alle Dienstgeber/innen, einschließlich der Dienstgeber/innen von Lehrlingen, die ihren bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt oder der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau unfallversicherten Dienstnehmer/inne/n Entgeltfortzahlung nach §3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl Nr 399/1974, in der jeweils geltenden Fassung, oder nach vergleichbaren österreichischen Rechtsvorschriften geleistet haben, soweit diese Dienstnehmer/innen in Unternehmen nach Abs2 und 3 beschäftigt werden.

(2) Ein Unternehmen im Sinne des §53b Abs2 Z1 ASVG ist ein Unternehmen, in dem durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer/innen nach Abs4 beschäftigt werden, wobei der Ermittlung des Durchschnitts das Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung zu Grunde zu legen ist.

(3) Ein Unternehmen im Sinne des §53b Abs2a ASVG ist ein Unternehmen, in dem durchschnittlich nicht mehr als zehn Dienstnehmer/innen nach Abs4 beschäftigt werden, wobei der Ermittlung des Durchschnitts das Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung zu Grunde zu legen ist.

(4) Als Dienstnehmer/innen im Sinne des Abs2 und 3 gelten Dienstnehmer/innen nach §4 Abs2 ASVG, auch wenn sie geringfügig beschäftigt sind, sowie Lehrlinge; alle diese, wenn für sie die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt oder die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau zur Durchführung der Unfallversicherung zuständig ist.

Schlussbestimmungen

§10. (1) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft.

(2) Abweichend von Abs1 tritt §5 mit 1. Juli 2018 in Kraft und ist auf Entgeltfortzahlungstage nach dem 30. Juni 2018 anzuwenden.

(3) Mit Inkrafttreten dieser Verordnung tritt die Verordnung BGBl II Nr 64/2005 in der Fassung der Verordnung BGBl II Nr 109/2013 außer Kraft."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die selbständig erwerbstätige Antragstellerin beschäftigt unter anderem zwei Hausgehilfinnen, deren eine im Zeitraum vom 26. März 2019 bis zum 28. April 2019 erkrankt war. Die Antragstellerin beantragte daraufhin mit Antrag vom 6. Mai 2019 bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) einen Zuschuss zur Entgeltfortzahlung für die Arbeitsverhindung dieser Hausgehilfin im Ausmaß von € 1.922,49. Mit Bescheid vom 7. Mai 2019 wies die AUVA diesen Antrag ab, weil gemäß §53b Abs2 Z1 ASVG Zuschüsse zur Entgeltfortzahlung nur Dienstgebern im Rahmen von Unternehmen – nicht jedoch Dienstgebern im Rahmen von Privathaushalten – gebühre. Die daraufhin erhobene Klage der Antragstellerin wies das Arbeits- und Sozialgericht Wien mit Urteil vom 24. September 2019 unter Hinweis auf OGH 24.10.2006, 10 ObS 170/06g, mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des §53b ASVG infolge mangelnder Unternehmenseigenschaft des Privathaushaltes der Antragstellerin nicht gegeben seien.

2. Gegen dieses Urteil erhob die Antragstellerin Berufung und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt die Antragstellerin ihre Bedenken auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt dar:

2.1. Die Wortfolge "in ihrem Unternehmen" in §53b Abs2 Z1 und Abs2a ASVG verstoße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B-VG), weil die zur gesetzlichen Unfallversicherung beitragsleistenden Dienstgeber in Bezug auf den Anspruch auf Zuschuss zur Entgeltfortzahlung ungleich behandelt würden. Es sei keine sachliche Rechtfertigung für die ungleiche Behandlung von Dienstgebern, die unternehmerisch tätig sind und weniger als 50 Dienstnehmer beschäftigen, einerseits und Dienstgebern mit weniger als 50 Dienstnehmern, die nicht unternehmerisch tätig sind, anderseits ersichtlich. Es sei unsachlich, den Anspruch auf Unternehmen im Sinn einer wirtschaftlichen Tätigkeit, durch welche werthafte Leistungen erbracht werden müssten, einzuschränken und andere Dienstgeber iSd §35 ASVG auszuschließen. Nach den Gesetzesmaterialien ziele das Gesetz auf die Entlastung kleiner bis mittlerer Dienstgeber. Kleinere und mittlere Dienstgeber seien durch den Ausfall von Arbeitskräften in weit höherem Maß einem finanziellen Risiko ausgesetzt als Unternehmen mit höheren Beschäftigtenzahlen. Daher müsste der Anspruch allen Dienstgebern iSd §35 ASVG zustehen. Kleine und mittlere Dienstgeber ohne Unternehmereigenschaft würden diskriminiert, weil sie zwar Beiträge zur Unfallversicherung zu leisten hätten, im Entgeltfortzahlungsfall jedoch keinen Zuschuss zur Entgeltfortzahlung erhielten. Ansonsten müsste der Gesetzgeber auch bei der Beitragspflicht differenzieren.

2.2. Die angefochtenen Bestimmungen würden aber auch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art17 GRC) verletzen. Es liege keine der drei Voraussetzungen (gesetzliche Grundlage, Notwendigkeit aus Gründen des Allgemeinwohles, keine Verletzung des Kernbereichs der Eigentumsgarantie) für eine Eigentumsbeschränkung vor. Die Regelung sei diskriminierend und unverhältnismäßig. Es gebe keinen sachlichen Grund für die vorgenommene Beschränkung, es mangle an der Erforderlichkeit und es liege keine notwendige Adäquanz einer solchen Beschränkung vor.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im – als zulässig erachteten – Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt: Aus der Gesetzesgenese bzw den parlamentarischen Materialien gehe hervor, dass Sinn und Zweck der Regelung in der Begünstigung bzw Entlastung von Klein- und Mittelunternehmen bestehe, da diese von längeren Phasen der krankheits- oder unfallbedingten Verhinderung ihrer Dienstnehmer bzw dem damit einhergehenden Entgeltfortzahlungsaufwand in besonderem Maß betroffen seien (Hinweis auf die ErlRV zum 2. SVÄG 2003). Verdeutlicht werde diese Zielsetzung im Besonderen durch §53b Abs2a ASVG, wonach innerhalb des Kreises der begünstigten Klein- und Mittelunternehmen jene, die in ihrem Unternehmen durchschnittlich nicht mehr als 10 Dienstnehmer beschäftigen, einen prozentuell höheren Zuschuss erhalten könnten. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung habe der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums größere Unternehmen (solche mit mehr als 50 Dienstnehmern) oder (private) Dienstgeber, die gar kein Unternehmen führen, vom Anspruch auf Zuschuss gemäß §53b ASVG ausgeschlossen.

Soweit die Antragstellerin gleichheitsrechtliche Bedenken gegen die von der Gesetzgebung gewählte Festlegung des Kreises der Anspruchsberechtigten im Hinblick auf die Notwendigkeit der Führung eines Unternehmens vorbringe, weist die Bundesregierung zunächst darauf hin, dass sie nicht übersehe, dass Dienstgeber, die durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer beschäftigten und nicht unternehmerisch tätig seien, vom Anspruch nach §53b ASVG ausgeschlossen seien, während Dienstgeber, die ebenfalls durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer beschäftigten, aber unternehmerisch tätig seien, einen Leistungsanspruch hätten. Nach Auffassung der Bundesregierung sei diese unterschiedliche Behandlung aber sachlich gerechtfertigt, da Unternehmen im Sinne des §53b ASVG wirtschaftlich werthafte Leistungen erbrächten, die sie der Öffentlichkeit gegen Entgelt anbieten würden. Sie würden durch ihre nach außen gerichtete Tätigkeit einen volkswirtschaftlich relevanten Beitrag leisten. Auf Privathaushalte träfen diese Eigenschaften hingegen nicht zu. Es liege nach Ansicht der Bundesregierung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung, nur jene Gruppen von Dienstgebern zu fördern, die einen derartigen wirtschaftlich relevanten Beitrag leisten würden.

Auf Grund der Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr seien (insbesondere kleine) Unternehmen von einem krankheits- oder unfallbedingten Ausfall der Dienstnehmer auch anders betroffen als (private) Dienstgeber, die nicht unternehmerisch tätig seien, da Unternehmen auf Grund ihrer nach außen, auf ein Publikum gerichteten Tätigkeit einen Ausfall ihrer Arbeitskräfte in der Regel kompensieren müssten, was in Bezug auf Personen, die in einem Privathaushalt wie jenem der Antragstellerin beschäftigt seien, nicht in gleichem Maße zutreffe. Auch diese Unterschiede im Tatsächlichen würden nach Ansicht der Bundesregierung die unterschiedliche Behandlung von Dienstgebern, die unternehmerisch bzw nicht unternehmerisch tätig sind, rechtfertigen.

Soweit die Antragstellerin darüber hinaus vorbringe, auf Grund der von ihr geleisteten Dienstgeberbeiträge an die AUVA müssten ihr dieselben Ansprüche wie allen anderen vergleichbaren Dienstgebern gebühren, weist die Bundesregierung darauf hin, dass dem Sozialversicherungsrecht eine Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen nicht immanent sei (Hinweis auf VfSlg 15.859/2000, 18.786/2009). Die angefochtenen Wortfolgen in §53b ASVG seien daher nicht verfassungswidrig.

4. Die AUVA hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der dem Vorbringen der Antragstellerin unter anderem entgegengehalten wird, dass ihren Beitragsleistungen sehr wohl Leistungen der AUVA gegenüberstünden. Von den Unfallversicherungsbeiträgen, die für beide in der Beschwerde genannten Gruppen von Dienstgebern in gleicher Höhe gesetzlich vorgesehen seien, wären im Jahr 2018 insgesamt € 1.255.367.242,39 für Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung für die versicherten Dienstnehmer aufgewendet worden, davon wäre nur ein relativ kleiner Teil (€ 99.492.131,67) in die Zuschüsse nach Entgeltfortzahlung iSv §53b ASVG geflossen. Es liege daher für die Gruppe von Dienstgebern, die Dienstnehmer in Privathaushalten beschäftigen, kein genereller Leistungsausschluss in der Unfallversicherung vor. Mit ihrem Unfallversicherungsbeitrag würden sie die Leistungen für ihre versicherten Dienstnehmer finanzieren und sie hätten ihren Vorteil, nämlich das Haftungsprivileg des Dienstgebers, in vollem Umfang. Nur bei einem geringen Teil der aus dem Unfallversicherungsbeitrag finanzierten Leistungen – nämlich bei den Zuschüssen nach §53b ASVG – hätten Dienstgeber von in Privathaushalten beschäftigten Dienstnehmer keinen Leistungsanspruch. Es liege daher kein Fall einer Verfassungswidrigkeit auf Grund eines völligen Leistungsausschlusses im Rahmen einer Einbeziehung in eine Pflichtversicherung vor. Angesichts der aufgezeigten Relationen liege es im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des einfachen Gesetzgebers, eine ihm als rechtspolitisch zweckmäßig erscheinende Regelung – hier mit Ausrichtung auf die Förderung von Klein- und Mittelunternehmen – vorzusehen.

IV. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Der Antrag ist nicht zulässig:

2.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

2.2. Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

3. Der Antrag ist in unzulässiger Weise zu eng gefasst:

3.1. §53b ASVG sieht Zuschüsse an Dienstgeber aus Mitteln der Unfallversicherung zur (teilweisen) Vergütung des Aufwandes für die Entgeltfortzahlung (§3 EFZG oder vergleichbare Rechtsvorschriften) an Dienstnehmer, die bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt unfallversichert sind, vor. §53b Abs2 ASVG schließt von diesen Zuschüssen jedoch (unter anderem) Dienstgeber aus, welche Dienstnehmer nicht "in ihrem Unternehmen" beschäftigen. §53b Abs2a ASVG gewährt Dienstgebern, die "in ihrem Unternehmen" nicht mehr als zehn Dienstnehmer beschäftigen, höhere Zuschüsse. Gemäß §53b Abs6 ASVG hat der zuständige Bundesminister das Nähere über die Gewährung der Zuschüsse sowie deren Abwicklung durch Verordnung festzusetzen.

3.2. §2 Abs1 der seit 1. Juli 2018 in Kraft stehenden, auf §53b Abs6 ASVG gestützten Entgeltfortzahlungs-Zuschuss- und Differenzvergütungs-Verordnung, BGBl II 146/2018, legt den Kreis der Anspruchsberechtigten fest, indem er auf näher beschriebene Dienstgeber abstellt, "soweit […] Dienstnehmer/innen in Unternehmen […] beschäftigt werden".

3.3. Die Anfechtung der Wortfolgen "in ihrem Unternehmen" in §53b Abs2 Z1 und Abs2a ASVG genügt demnach nicht, weil die Einschränkung auf "Unternehmen" auch in der – nicht angefochtenen– Entgeltfortzahlungs-Zuschuss- und Differenzvergütungs-Verordnung eine normative Grundlage hat. Durch die Aufhebung der angefochtenen Wortfolgen in §53b ASVG scheiden die entsprechenden Einschränkungen in der genannten Durchführungsverordnung nicht ipso jure aus dem Rechtsbestand aus (vgl zB VfGH 26.9.2016, G134/2016), womit aber die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht beseitigt wäre.

3.4. Der Anfechtungsumfang ist demzufolge schon aus diesem Grund zu eng gewählt, weshalb sich der Antrag als unzulässig erweist. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich die Beantwortung der Frage, ob die Anfechtung der Wortfolge „in ihrem Unternehmen“ ausreicht (vgl zu einem zu eng gewählten Anfechtungsumfang etwa VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002).

V. Ergebnis

1. Der vorliegende, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützte Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Sozialversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G271.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.05.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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