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86/02 TierärzteNorm
B-VG Art130 Abs1 Z1, Art131 Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit durch Verhängung einer Geldstrafe gegen eine Tierärztin betreffend die Verletzung des Ansehens des Standes wegen Äußerungen in einem BuchRechtssatz
Gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit, so auch über Beschwerden gegen einen Bescheid der das AVG anwendenden Disziplinarkommission der Tierärzte. Die sachliche Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg ergibt sich aus der allgemeinen Bestimmung des Art131 Abs1 B-VG. Dem TÄKamG kann jedenfalls eine spezielle, davon abweichende gesetzliche Regelung nicht entnommen werden. Insofern die Beschwerdeführerin die Erläuterungen zu §66 TÄKamG, BGBl I 86/2012, ins Treffen führt, die eine derartige abweichende Regelung suggerieren sollen, übersieht sie, dass diese vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, also noch vor Inkrafttreten der verfassungsrechtlichen Neuregelung, stammen.
Der VfGH hat in seiner Judikatur keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das - insoweit gleichartige - Disziplinarrecht der Ärzte gehegt; nicht anders ist §61 Abs1 Z1 TÄKamG zu beurteilen. Der Eingriff durch die disziplinäre Bestrafung wegen Beeinträchtigung des Ansehens der in Österreich tätigen Tierärzteschaft gem §61 Abs1 Z1 TÄKamG ist am Maßstab des Art10 EMRK zu messen.
Selbst wenn zuzugestehen ist, dass es angesichts der Aufgaben und angesichts des besonderen Vertrauens, das Tierärzte in der Öffentlichkeit genießen, berechtigt ist, "eine unsachliche oder herabsetzende Kritik" an anderen Tierärzten für unzulässig zu erklären und disziplinarstrafrechtlich zu ahnden, so wenig dürfen die "Grundsätze der Kollegialität" dahin verstanden werden, dass dadurch jedwede polemische Kritik am behaupteten beruflichen Verhalten der Mehrzahl der Berufskollegen von vornherein zu unterlassen ist. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gilt nämlich in einer demokratischen Gesellschaft, wenn auch zulässigerweise unter den Einschränkungen des Abs2, nicht nur für "Nachrichten" oder "Ideen", die ein positives Echo haben oder die als unschädlich oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für solche, die provozieren, schockieren oder stören. Das ergibt sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne die eine "demokratische Gesellschaft" nicht bestehen kann. Die Verwendung vulgärer Phrasen an sich ist jedoch für die Beurteilung eines beleidigenden Ausdrucks nicht entscheidend, da sie durchaus nur stilistischen Zwecken dienen kann. Für den EGMR ist Stil ein Teil der Kommunikation als Ausdrucksform und als solche zusammen mit dem Inhalt des Ausdrucks geschützt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als Disziplinarvergehen fordert.
Auch wenn die von der Tierärztin in ihrem Buch gewählten und angelasteten Aussagen reißerisch, ja geradezu polemisch und isoliert betrachtet vielleicht sogar beleidigend formuliert sind, so ist doch für einen laienhaften Leser dieses Buches leicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin mit diesen Äußerungen ihren Standpunkt bewusst übertrieben darstellt. Gerade derart stark übertriebene, pauschale Aussagen lassen erkennen, dass es sich um Kritik handelt, die sich bewusst der Übertreibung als Stilmittel bedient, um ein der Autorin eigenes Weltbild zu vermitteln. Vor dem Hintergrund der Konstellation des hier zu beurteilenden Falles - ein Buch über alternative Behandlungsmethoden für Tiere mit dem erkennbaren Ziel, die Vorteile der eigenen Methoden banal und reißerisch zu verdeutlichen - kann der VfGH nicht erkennen, dass die beschwerdeführende Tierärztin die Grenzen der zulässigen Kritik überschritten hätte und daher ist eine disziplinäre Bestrafung in einer demokratischen (Informations-)Gesellschaft nicht zum Schutz des Ansehens des Standes der Tierärzte zwingend notwendig. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg (LVwG) hat daher mit dem angefochtenen Erkenntnis, indem es §61 Abs1 Z1 TÄKamG einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat, die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.
§64 Abs3 TÄKamG normiert, dass im Falle mehrerer Dienstpflichtverletzungen nur eine einheitliche Disziplinarstrafe zu verhängen ist. Im vorliegenden Fall wurde über die Beschwerdeführerin wegen der Verletzung des Standesansehens und wegen einer unzulässigen Fernbehandlung eine Disziplinarstrafe in der Höhe von € 5.000,- verhängt. Aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses lässt sich nicht entnehmen, in welchem Ausmaß sich die bereits ausgesprochene Gesamtstrafe bei Aufhebung des Spruchpunktes wegen Verletzung des Standesansehens des angefochtenen Erkenntnisses reduziere. Auch wenn beim VfGH im Hinblick auf die unzulässige Fernbehandlung zur Last gelegten Übertretung keine verfassungsrechtlichen Bedenken entstanden sind, ist das Erkenntnis im Umfang des Strafausspruches - zur neuerlichen Bemessung durch das LVwG - folglich zur Gänze aufzuheben.
Im Übrigen: Ablehnung der Beschwerdebehandlung hinsichtlich des Tatvorwurfs der unzulässigen Fernbehandlung gemäß §20 Abs1 iVm §24 Abs1 TierärzteG iVm §61 Abs1 Z2 TÄKamG.
Schlagworte
Tierärzte, Meinungsäußerungsfreiheit, Disziplinarrecht, Veterinärwesen, Geldstrafe, Selbstverwaltung, Strafbemessung, Informationsfreiheit, Verwaltungsgericht ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E607.2020Zuletzt aktualisiert am
17.05.2021