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41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das am 25. April 2019 mündlich verkündete und am 9. September 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W172 2196170-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: O R, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, er habe mit seinem Vater zusammen in Ghazni als Hirte gearbeitet, als Kutchis die ihnen anvertrauten Tiere eines Tages mitgenommen hätten. Deshalb hätten die Eigentümer der Tiere ihm und seinem Vater vorgeworfen, die Tiere verkauft zu haben, und ihnen mit dem Tod gedroht, sollten der Mitbeteiligte und sein Vater die Tiere nicht wieder auftreiben. Deswegen sei der Mitbeteiligte in den Iran geflüchtet, wo er daraufhin rund neun Jahre gelebt habe.
2 Die revisionswerbende Partei, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), wies diesen Antrag mit Bescheid vom 6. April 2018 vollinhaltlich ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25. April 2019 mit dem, am 9. September 2020 ausgefertigten, angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Das BVwG erachtete das Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten für glaubwürdig. Es stellte fest, dass dem Mitbeteiligten und seinem Vater von den Eigentümern der ihnen anvertrauten Tiere unterstellt worden sei, diese widerrechtlich verkauft zu haben. Der Vater des Mitbeteiligten sei deswegen gefoltert worden und an den Folgen verstorben. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe dem Mitbeteiligten aufgrund der ihm vorgeworfenen, eine „Blutfehde“ begründenden Tat Lebensgefahr oder ein Eingriff in die körperliche Integrität. Beweiswürdigend erwog es, die Angaben des Mitbeteiligten zu den wesentlichen Umständen, etwa zum Ablauf der Ereignisse, zu den Namen der Beteiligten, zu den Ortsbezeichnungen sowie zum Vorwurf des Viehverkaufs, seien konkret, detailliert und stimmig gewesen und über das gesamte Verfahren im Wesentlichen gleich geblieben. In der rechtlichen Beurteilung führte es aus, der Mitbeteiligte habe glaubwürdig eine Verfolgungsgefahr im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der „Blutrache“ dargelegt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe nicht zur Verfügung.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA. Diese bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es keinen Bezug der Verfolgung zu einem Konventionsgrund der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) hergestellt habe. Ausgehend von den Feststellungen des BVwG handle es sich um eine von Privatpersonen ausgehende Bedrohung ohne asylrelevante Motivation. Auch habe das BVwG nicht dargelegt, dass die Asylzuerkennung darauf beruhe, dass dem Mitbeteiligten von seinem Herkunftsstaat aus einem Konventionsgrund kein Schutz gewährt werde. Aus der angefochtenen Entscheidung gehe somit weder ein Konnex zwischen privater Verfolgung und einem Konventionsgrund noch ein Konnex zwischen dem Fehlen des staatlichen Schutzes und einem Konventionsgrund hervor. Zudem fehle es an einer nachvollziehbaren Begründung, aus welchen Gründen fallgegenständlich keine innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht komme. Vor dem Hintergrund, dass die fluchtauslösenden Ereignisse bereits fünfzehn Jahre zurücklägen, sei auch eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage der Aktualität der Verfolgung geboten gewesen.
6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Amtsrevision begehrt.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist im Hinblick auf die im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigte Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig; sie erweist sich auch als begründet.
9 Nach dem Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. zum Ganzen VwGH 5.3.2020, Ra 2018/19/0576, mwN).
10 Die Gefährdung des Mitbeteiligten liegt - sowohl nach seinem Vorbringen als auch nach den Feststellungen des BVwG - ausschließlich darin begründet, dass ihm von Privatpersonen, den Eigentümern der seinem Vater und ihm anvertrauten Tiere, Mitschuld am Verlust der Tiere gegeben worden sei und er deshalb in Afghanistan einer „Blutrache“ ausgesetzt sei.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0362, mwN).
12 Dass im vorliegenden Fall eine Verfolgung durch Private im Zusammenhang mit einem Konventionsgrund vorliegt, ist schon aufgrund des festgestellten - und unbestritten gebliebenen - Sachverhalts, wonach der behaupteten Verfolgung durch die Eigentümer abhanden gekommener Tiere der Vorwurf einer kriminellen Handlung - so der Verkauf der Tiere ohne Zustimmung der Eigentümer - zugrunde lag, zu verneinen (vgl. zur Asylrelevanz von Verfolgungen, die von Privatpersonen ausgehen, etwa VwGH 20.5.2015, Ra 2015/20/0030, mwN). Einen Konnex mit einem Konventionsgrund stellte das BVwG nicht fest.
13 Das BVwG hat seiner Entscheidung im Rahmen der Länderfeststellungen zwar zu Grunde gelegt, dass die staatlichen Institutionen kaum Schutz vor „Blutrache“ gewährten, es hat sich jedoch nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, ob die afghanischen Behörden im vorliegenden Fall aus einem Konventionsgrund nicht bereit sind, dem Mitbeteiligten Schutz zu gewähren. Auch fehlt die gebotene einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit dem vom BVwG selbst getroffenen Länderfeststellungen zu „Blutrache“ und „Blutfehden“.
14 Darüber hinaus ist das BVwG der Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen (vgl. zB VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0069) nicht ausreichend nachgekommen: Der bloße Hinweis, dass dem Mitbeteiligten keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stünde, weil er in ganz Afghanistan aufgrund der bestehenden „Blutfehde“ einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt sei, ermöglicht dem Verwaltungsgerichtshof nicht die gesetzlich geforderte nachprüfende Kontrolle. Aus der Begründung des BVwG ist insbesondere nicht ersichtlich, auf welche Feststellungen das BVwG die Annahme eines im gesamten Herkunftsstaat bestehenden erhöhten Sicherheitsrisikos für den Mitbeteiligten stützt.
15 Schließlich ist in der vorliegenden Revisionssache auch zu beachten, dass die vom Mitbeteiligten vorgebrachten Ereignisse zeitlich lange zurückliegen. Daher wäre für die Frage der Asylrelevanz überdies konkret zu prüfen, ob der Mitbeteiligte im Zeitpunkt der Entscheidung (hier des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit und nicht mit einer entfernten Möglichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 16.2.2021, Ra 2020/19/0195, mwN).
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 18. März 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180450.L00Im RIS seit
12.05.2021Zuletzt aktualisiert am
17.05.2021