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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
ASVG §293Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. der B D, 2. der A D und 3. der T D, alle in W und alle vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. Juli 2020, Zlen. 1. VGW-151/V/058/5126/2020, 2. VGW-151/058/5127/2020 und 3. VGW-151/058/5128/2020, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien (die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien, alle drei sind Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina) beantragten am 20. Juli 2017 (die Erst- und Zweitrevisionswerberin) bzw. am 19. Juli 2019 (die Drittrevisionswerberin) jeweils die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zum Zweck der Familienzusammenführung mit dem in Österreich aufenthaltsberechtigten serbischen Staatsangehörigen AD (Ehemann der Erstrevisionswerberin sowie Vater der Zweit- und Drittrevisionswerberin).
2 Mit - im Wesentlichen gleichlautenden - Bescheiden vom 20. Februar 2020 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) diese Anträge gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 2 NAG ab, weil der Nachweis eines Rechtsanspruches auf eine ortsübliche Unterkunft nicht erbracht worden sei.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.
4 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - soweit für die vorliegende Revisionssache relevant - im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde: Der zusammenführende AD habe zuletzt über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 1 NAG verfügt. Seit dem 1. Juli 2020 wohne er in einer 85 m2 großen Wohnung in 1160 Wien. Vom 3. April 2017 bis zum 29. Februar 2020 habe er aus einer unselbständigen Tätigkeit bei der E KG ein monatliches Nettogehalt in der Höhe von € 2.596,94 (inklusive Sonderzahlungen) bezogen. Seit dem 1. März 2020 beziehe er Krankengeld in der Höhe von täglich netto € 65,34. Auf Grund seiner Rückenprobleme werde er sich von 15. Juli 2020 bis voraussichtlich 4. August 2020 einer Rehabilitation unterziehen. Wann (und mit welchem Gehalt) er wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne, stehe derzeit nicht fest. Es bestünden (jeweils näher bezifferte) monatliche Ausgaben für Miete, Energiekosten sowie einen (bis September 2020) laufenden Kredit. AD weise seit vielen Monaten einen negativen Kontostand von mehreren tausend Euro (zuletzt in der Höhe von € 7.423,60) auf. Es sei nicht davon auszugehen, dass AD tatsächlich über den am 9. Juni 2020 auf sein Konto überwiesenen Betrag von € 10.000,- frei verfügen könne.
Die revisionswerbenden Parteien würden in Bosnien und Herzegowina bei den Eltern des AD leben. Im Herkunftsstaat gebe es weitere Familienmitglieder, in Österreich hingegen - abgesehen vom Zusammenführenden - nur entfernte Verwandte. AD besuche seine Familie regelmäßig in Bosnien und Herzegowina, die revisionswerbenden Parteien würden ihrerseits den Zusammenführenden innerhalb der visumfreien Zeit (zuletzt vom 12. Jänner 2020 bis zum 15. März 2020) in Österreich besuchen. Ansonsten kommunizierten sie täglich per Internet und Telefon miteinander.
5 In seiner Beweiswürdigung verwies das Verwaltungsgericht zur früheren Beschäftigung des AD auf den eingeholten Sozialversicherungsauszug vom 9. Juli 2020. AD habe zwar angegeben, nach der Rehabilitation wieder einer Beschäftigung nachgehen zu wollen, aber keine Einstellungszusage vorgelegt. Zur Überweisung des Betrages von € 10.000,- habe AD angegeben, er habe seinem Bruder im Februar oder März 2020 € 15.000,- geborgt und sein Bruder habe ihm im Juni 2020 € 10.000,- zurückbezahlt. Dies erachtete das Verwaltungsgericht als unglaubwürdig, weil AD im Februar 2020 selbst einen negativen Kontostand in der Höhe von ca. € 7.000,- aufgewiesen habe und auch keine Auszahlung ersichtlich sei. Das Vorbringen des AD, er habe Geld angespart, welches sich nicht auf dem Konto befunden habe, erachtete das Verwaltungsgericht als unglaubwürdig, zumal angesichts des negativen Kontostandes des AD zahlreiche Lastschriften mangels Kontodeckung über Monate hindurch nicht hätten durchgeführt werden können. Auf Grund dieser Umstände und des unmittelbar in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks gelangte das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass AD nicht frei über den besagten Betrag von € 10.000,- verfügen könne.
6 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass der erforderliche Richtsatz (für ein Ehepaar und zwei Kinder) € 1.823,29 betrage. AD beziehe derzeit (durch das Krankengeld) ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von ca.€ 1.960,80; weiters sei der Kinderabsetzbetrag in der Höhe von € 116,80 zu berücksichtigen. Unter Heranziehung der (dargestellten) monatlichen Belastungen sowie der „freien Station“ werde der Richtsatz um monatlich € 376,92 unterschritten. Der negative Kontostand führe zu einer weiteren Unterschreitung des Richtsatzes um monatlich € 583,33. Die anzustellende Prognose ergebe somit, dass der zur Verfügung stehende Lebensunterhalt dem gesetzlichen Erfordernis nicht entspreche, sodass die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht erfüllt sei.
Bei der gemäß § 11 Abs. 3 NAG durchzuführenden Interessenabwägung sei - so das Verwaltungsgericht weiter - zu berücksichtigen, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem sich die betroffenen Personen des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen seien. Vorliegend sei zwar von einem Familienleben der revisionswerbenden Parteien mit dem Zusammenführenden auszugehen und komme einer Ehe mit einem dauerhaft niedergelassenen Partner große Bedeutung zu. Zu berücksichtigen seien aber auch der Umstand, dass die revisionswerbenden Parteien bislang nicht dauerhaft im Bundesgebiet niedergelassen gewesen seien, sowie die engen familiären Bindungen zum Herkunftsstaat und die gute soziale Integration dort. Die Erstrevisionswerberin verfüge zwar über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1; weitere integrationsbegründende Umstände (wie etwa eine Erwerbstätigkeit in Österreich oder eine Aussicht darauf) lägen aber nicht vor. Das Familienleben werde derzeit durch tägliche Telefonate und regelmäßige gegenseitige Besuche aufrechterhalten und könne in dieser Form weiter aufrechterhalten werden. In Abwägung all dieser Umstände ging das Verwaltungsgericht von einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer Nichterteilung der beantragten Aufenthaltstitel aus.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die revisionswerbenden Parteien bringen in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst vor, die (neue) Wohnung des Zusammenführenden und der revisionswerbenden Parteien sei 85 m2 groß und in der Verhandlung sei der bereits abgeschlossene Mietvertrag vorgelegt worden. Das Verwaltungsgericht habe nicht begründet, weshalb die nun 85 m2 große Wohnung nicht ausreiche.
Dazu genügt der Hinweis, dass das Verwaltungsgericht - anders als noch die belangte Behörde - die Abweisung der Anträge nicht auf § 11 Abs. 2 Z 2 NAG gestützt hat und somit überhaupt nicht von einem fehlenden Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft ausgegangen ist. Auf das diesbezügliche Vorbringen der revisionswerbenden Parteien kommt es somit nicht an.
10 Weiters monieren die revisionswerbenden Parteien, es fehle an Feststellungen, dass das Dienstverhältnis (des AD bei der E KG) aufgelöst wäre. Zudem wäre „angesichts des Krankenstandes bei grundsätzlich aufrechtem Dienstverhältnis eine Einstellungszusage jedenfalls entbehrlich gewesen“.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass AD von 3. April 2017 bis 29. Februar 2020 als Elektromonteur bei der E KG gearbeitet hat und ab 1. März 2020 Krankengeld in bestimmter Höhe bezogen hat und bis auf Weiteres bezieht. Diese Feststellungen erweisen sich im gegebenen Zusammenhang als ausreichend.
Bei der bezüglich der Unterhaltsmittel vorzunehmenden Prognoseentscheidung hat das Verwaltungsgericht - vor dem Hintergrund der aktuell erfolgenden Rehabilitation im Anschluss an zwei Operationen sowie der Ungewissheit der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit - in nicht zu beanstandender Weise das von AD derzeit bezogene Krankengeld zugrunde gelegt.
Was das weitere wiedergegebene Vorbringen betrifft, so verbietet sich zwar bei der Prüfung ausreichender Unterhaltsmittel ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Entscheidung dann, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen ist (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0106, Rn. 8). Die revisionswerbenden Parteien zeigen in ihrer Zulässigkeitsbegründung, in welcher der Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichtes kein substantielles Vorbringen entgegengesetzt wird, allerdings nicht konkret auf, dass bzw. aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht während der Laufzeit der beantragten Aufenthaltstitel mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse und einem höheren Einkommen des AD hätte rechnen müssen.
11 Gerügt wird weiters, das Verwaltungsgericht habe nicht begründet, weshalb davon auszugehen sei, dass AD der Betrag von € 10.000,- nicht zur Verfügung stehe. Diesbezüglich seien auch keinerlei Ermittlungen durchgeführt worden.
Soweit sich die revisionswerbenden Parteien mit diesem Vorbringen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes betreffend die nicht angenommene Verfügungsberechtigung des AD über den Betrag von € 10.000,- wenden, ist auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, der zufolge eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Zusammenhang mit der Überprüfung der Beweiswürdigung nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. VwGH 12.10.2020, Ra 2020/22/0064, Rn. 6, mwN).
Eine derartige vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit zeigen die revisionswerbenden Parteien aber nicht auf, zumal das Verwaltungsgericht bei seinen (oben in den wesentlichen Zügen dargestellten) Überlegungen die durch die Kontostände untermauerte finanzielle Situation des AD sowie die fehlenden Belege betreffend das behauptete Darlehen an seinen Bruder berücksichtigen durfte. Soweit in der Revision diesbezüglich das Nichtdurchführen von Ermittlungen gerügt wird, fehlt es an einer näheren Darstellung, welche weiteren Ermittlungen nach Ansicht der revisionswerbenden Parteien vorzunehmen gewesen wären und inwieweit diese zu einem anderen Ergebnis geführt hätten.
12 Schließlich wird im Zulässigkeitsvorbringen noch ins Treffen geführt, dass die gegenseitigen Besuche des AD und der revisionswerbenden Parteien ein Familienleben unter Anwesenheit aller nicht ersetzen könnten. Das Verwaltungsgericht habe nicht begründet, weshalb die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte durch das Versagen der Aufenthaltstitel nicht beeinträchtigt würden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht erfolgreich mit Revision bekämpft werden (vgl. VwGH 25.11.2020, Ra 2020/22/0010, Rn. 10, mwN).
Dem dazu erstatteten Vorbringen der revisionswerbenden Parteien ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht die von ihm bei der Abwägungsentscheidung herangezogenen (oben in den Grundzügen dargestellten) Aspekte dargelegt hat und ausgehend davon in einer nicht als unvertretbar anzusehenden Weise zum Ergebnis eines Überwiegens des öffentlichen Interesses gelangt ist. Dabei hat es den ins Treffen geführten Umstand der gegenseitigen Besuche zwischen den revisionswerbenden Parteien und dem Zusammenführenden auch nicht als allein maßgeblich angesehen, sondern als einen von mehreren Aspekten in die Entscheidung einfließen lassen.
13 Soweit in der Revision schließlich noch allgemein eine Verletzung der Begründungspflicht durch das Verwaltungsgericht gerügt wird, fehlt es dem diesbezüglichen Vorbringen bereits an einer entsprechenden Relevanzdarstellung (vgl. zum Erfordernis einer solchen etwa VwGH 9.9.2020, Ra 2019/22/0070, Rn. 12, mwN).
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 9. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220216.L00Im RIS seit
12.05.2021Zuletzt aktualisiert am
17.05.2021