TE Vwgh Beschluss 2021/4/14 Ra 2020/22/0257

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Veröffentlicht am 14.04.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §45 Abs2
BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A F, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. September 2020, G314 2234016-1/2E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des nunmehrigen Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 22. Juli 2020 - mit dem sein Antrag vom 11. März 2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen, gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina gemäß § 46 FPG festgestellt und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen festgesetzt worden war - als unbegründet ab. Unter einem wies das Verwaltungsgericht einen Antrag des Revisionswerbers, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurück. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2.2. Gegen dieses Erkenntnis (nicht jedoch gegen die Zurückweisung des Aufschiebungsantrags) wendet sich die - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der zunächst erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde (VfGH 6.10.2020, E 3148/2020-5) ausgeführte - außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung der Revisionswerber ein Abweichen von der Rechtsprechung in den nachfolgend näher erörterten Punkten behauptet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

3.1. Der Revisionswerber macht geltend, das Verwaltungsgericht habe den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision lediglich mit der sinngemäßen Wiedergabe des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründet. Eine solche Begründung werde den Anforderungen nicht gerecht, dürfe sie doch nicht so kurz und inhaltsleer sein, dass die Parteien die Erfolgsaussichten einer Revision nicht beurteilen bzw. einschätzen könnten.

3.2. Dem ist einerseits entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision in der - nach dem Gesetz gebotenen Kürze - hinreichend begründet hat.

Andererseits würde selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruchs nach § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führen, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG allein deshalb gegeben wären (vgl. VwGH 22.5.2020, Ra 2020/18/0151; 27.2.2019, Ra 2017/15/0015). Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den nach § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2020/14/0054; 28.8.2019, Ra 2019/14/0399).

4.1. Der Revisionswerber releviert, das Verwaltungsgericht habe die von ihm beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen. In dieser hätte er seine „außerordentliche soziale Integration“ in Österreich nachvollziehbar dokumentieren können, auch sei ihm nicht möglich gewesen, „sämtliche Gründe“ für den beantragten Aufenthaltstitel darzulegen. Zudem hätte sich das Verwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit seiner Angaben verschaffen können. Dem Verwaltungsgericht sei daher eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten.

4.2. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt zu den Kriterien für die Abstandnahme von einer Verhandlung - auch im Fall eines ausdrücklichen Antrags - nach § 21 Abs. 7 BFA-VG in ständiger Rechtsprechung (vgl. VwGH 6.8.2019, Ra 2017/22/0020; 21.5.2019, Ra 2018/19/0554; u.v.a.), dass für die Auslegung der (in dieser Bestimmung enthaltenen) Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung wesentliche Sachverhalt muss von der Behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Behörde muss die die maßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten des von der Behörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstoßendes Vorbringen.

4.3. Vorliegend bringt der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision lediglich pauschal vor, das Verwaltungsgericht hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Er verabsäumt es jedoch, konkret auf den Fall bezogen darzulegen, inwiefern die - nach der oben dargestellten Rechtsprechung maßgeblichen - Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht gegeben gewesen wären (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0267). Der Revisionswerber lässt insbesondere offen, welche Aspekte seiner „außerordentlichen sozialen Integration“ das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen oder unzureichend gewürdigt hätte (vgl. VwGH 21.1.2021, Ra 2020/22/0270). Er zeigt auch nicht näher auf, inwieweit es ihm nicht möglich gewesen wäre, „sämtliche Gründe“ für den beantragten Aufenthaltstitel darzulegen. Da das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ohnehin die eigenen Angaben des Revisionswerbers und die zu seinen Gunsten sprechenden Umstände zugrunde gelegt hat, war fallbezogen die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung nicht (zwingend) erforderlich (vgl. erneut VwGH Ra 2017/22/0020). Die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung vermag auch nicht den erhobenen Vorwurf einer antizipierenden Beweiswürdigung zu begründen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/20/0583).

4.4. Soweit sich der Revisionswerber - der Sache nach - gegen die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinzuweisen, wonach die Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK in Verbindung mit § 9 BFA-VG dann nicht revisibel ist, wenn sie im Ergebnis vertretbar ist und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0027).

Vorliegend zeigt der Revisionswerber (mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen) aber keine Unvertretbarkeit der vom Verwaltungsgericht durchgeführten Interessenabwägung und auch keinen maßgeblichen Begründungsmangel auf (vgl. ergänzend Punkt 5.). Derartige Umstände sind für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu sehen.

5.1. Der Revisionswerber moniert, das angefochtene Erkenntnis entspreche nicht den Anforderungen des § 60 AVG, zumal das Ermittlungsverfahren mangelhaft sei und auch nicht nachvollziehbar sei, von welchen konkreten Feststellungen das Verwaltungsgericht ausgehe.

5.2. Im Fall der Geltendmachung eines Verfahrensmangels ist der gerügte Mangel zu präzisieren und seine Relevanz für den Verfahrensausgang bereits in der Zulässigkeitsbegründung darzutun (vgl. VwGH 22.9.2020, Ra 2020/19/0164; 4.10.2018, Ro 2018/22/0011). Dies gilt auch für einen behaupteten Begründungsmangel (vgl. VwGH 3.2.2021, Ra 2021/22/0019).

Vorliegend werden die gerügten Ermittlungs- und Begründungsmängel im Zulässigkeitsvorbringen nicht einmal im Ansatz näher präzisiert, sondern bloß pauschal und ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall unterstellt. Ebenso wird die Relevanz für den Verfahrensausgang in keiner Weise dargetan.

5.3. Im Übrigen ist für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu sehen, inwiefern das angefochtene Erkenntnis nicht den Anforderungen des § 60 AVG entsprechen sollte. Aus der klar strukturierten und eingehend begründeten Entscheidung geht insbesondere deutlich hervor, welche Feststellungen das Verwaltungsgericht zugrunde legte.

6. Soweit der Revisionswerber vorbringt, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts in ähnlich gelagerten Fällen, genügt der Hinweis, dass eine uneinheitliche Rechtsprechung eines oder mehrerer Verwaltungsgerichte für sich genommen nicht den Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/21/0335).

7. Insgesamt werden daher in der - für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ausschließlich maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2017/22/0096) - keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 14. April 2021

Schlagworte

Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220257.L00

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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