TE Vwgh Erkenntnis 2021/4/14 Ra 2019/09/0100

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Veröffentlicht am 14.04.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

AuslBG §28 Abs1 Z1 lita
AuslBG §3 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60
VStG §45 Abs1 Z4 idF 2013/I/033
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §38

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 8. Mai 2019, LVwG-2018/28/2528-5, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Landeck; mitbeteiligte Partei: X Y in Z, vertreten durch Dr. Erik Kroker, Dr. Simon Tonini, Dr. Fabian Höss und Mag. Harald Lajlar, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 12/IV), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, im angefochtenen Umfang, sohin im Spruchpunkt 1., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Anzeige der Finanzpolizei vom 19. Juni 2018 wurde der Mitbeteiligten vorgeworfen, sie habe es als handelsrechtliche Geschäftsführerin und somit als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen Berufene der Schlosshotel Z GmbH und somit als Arbeitgeber zu verantworten, dass zwei näher genannte bosnische Staatsangehörige am 8. und am 12. Juni 2018 jeweils beschäftigt wurden, obwohl für diese keine der im Einzelnen aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen erteilt oder Bestätigungen ausgestellt gewesen seien. Sie habe dadurch Verwaltungsübertretungen gemäß § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) begangen.

2        Mit Bescheid vom 22. Oktober 2018 stellte die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG ein.

3        Die von der Finanzpolizei dagegen zu LVwG-2018/28/2528-5 protokollierte Beschwerde betreffend die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretungen nach dem AuslBG, wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.). Mit Spruchpunkt 2. erfolgte die Abweisung der Beschwerde der Finanzpolizei gegen die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretung des ASVG (vgl. das diesbezüglich zu hg. Ra 2021/08/0035 protokollierte Verfahren). Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig (Spruchpunkt 3.).

4        Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung zugrunde, dass die beiden Ausländer der Sohn A und die Schwiegertochter D der zum Tatzeitpunkt im Betrieb als Gärtnerin und Buffetkraft langjährig beschäftigten Mitarbeiterin K seien. K habe sich im Mai 2018 im Urlaub „bei sich zu Hause“ befunden. Es sei von ihr und ihrem Ehegatten die Scheidung eingereicht worden. Der Ehegatte von K habe sich jedoch dermaßen aggressiv verhalten, dass diese ihren Sohn und ihre Schwiegertochter darum gebeten habe, mit nach Österreich zu fahren, um sie dort zu beschützen, zumal der damalige Ehegatte am selben Ort wie sie gearbeitet habe. Die Tochter der Mitbeteiligten (die Mitbeteiligte sei zu der Zeit im Urlaub gewesen) sei damit einverstanden gewesen, dass der Sohn und die Schwiegertochter im Betrieb bleiben könnten. Diese hätten in der Folge zunächst im Einzelzimmer der K genächtigt, nach zwei bis drei Tagen sei A und D ein freies Personalzimmer zugewiesen worden, weil der Betrieb zum damaligen Zeitpunkt geschlossen gewesen sei. K habe, nachdem eine große Blumenlieferung eingetroffen gewesen sei, ihren Sohn um Mithilfe beim Abladen gebeten, was dieser auch getan habe. Weiters habe A seiner Mutter am Kontrolltag auch geholfen, den Restmüll nach der Gartenarbeit zu entsorgen. Weder die Mitbeteiligte noch deren Tochter hätten über diese Mithilfe Bescheid gewusst. D habe zu keinem Zeitpunkt mitgeholfen. A habe am Kontrolltag eine ältere Jacke des Schlosshotels getragen, welche ihm seine Mutter gegeben habe. Diese älteren Jacken mit dem Aufdruck für das 4-Sterne Hotel seien in den Lagern herumgehangen. Die Mitarbeiter hätten diese Jacken auch mitnehmen können. K habe mehrere dieser Jacken mitgenommen. A habe für seine Hilfe, die seiner Mutter gegolten habe, weder ein Trinkgeld noch irgendeine Entlohnung vom Betrieb der Mitbeteiligten erhalten. Die Tochter der Mitbeteiligten habe der K lediglich helfen wollen, die sich persönlich in einem Ausnahmezustand befunden habe. Nur aufgrund dieser drückenden Notlage habe sie es der K erlaubt, A und D bei sich zu haben. Es seien besondere Umstände vorgelegen, weshalb das Verschulden der Mitbeteiligten jedenfalls gering sei.

5        Im Rahmen seiner beweiswürdigenden Erwägungen verwies das Verwaltungsgericht auf die jeweiligen Aussagen der Mitbeteiligten und der als Zeugin vernommenen K.

6        Nach Darlegung der diesen Feststellungen zu Grunde liegenden Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht rechtlich zusammengefasst aus, dass das Verschulden der Mitbeteiligten als geringfügig anzunehmen sei, weil eine drückende Notlage bei der Mitarbeiterin K vorgelegen sei und dieser lediglich erlaubt worden sei, A und D bei sich zu haben, um sich vor ihrem damaligen Ehegatten zu schützen. Da dieser im gleichen Ort gearbeitet habe, habe K ihren Sohn als Hilfe um sich haben wollen, und zwar auch während der Gartenarbeit. Es sei davon auszugehen, dass schwerwiegende Folgen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene gar nicht hätten eintreten können, weil zu keinem Zeitpunkt geplant und/oder gewollt gewesen sei, A im Betrieb zu beschäftigen. Die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat seien gering. Es lägen somit die Voraussetzungen zur Einstellung der Verfahren nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG kumulativ vor.

7        Gegen Spruchpunkt 1. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen, in der die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision wird darin unter anderem geltend gemacht, das Verwaltungsgericht sei von der (näher dargestellten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 45 Abs. 1 Z 4 VStG abgewichen. Die Anwendung dieser Bestimmung setze ein kumulatives Vorliegen der genannten Bedingungen voraus. Sie komme schon dann nicht mehr in Betracht, wenn auch nur eine dieser Bedingungen nicht gegeben sei. Weites sei das Verwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen einer nachvollziehbaren beweiswürdigenden Beurteilung abgewichen, weil es sich nicht mit den widersprüchlichen Beweismitteln auseinandergesetzt habe.

8        Vom Verwaltungsgerichtshof wurde nach Vorlage der Revision und der Verfahrensakten das Vorverfahren eingeleitet. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.

11       Gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG hat die Behörde (bzw. gemäß § 38 VwGVG das Verwaltungsgericht) von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind.

12       Eine Einstellung des Verfahrens nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG setzt demnach voraus, dass die in dieser Bestimmung genannten Umstände kumulativ vorliegen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 21.2.2019, Ra 2018/09/0132 und 0133; 19.6.2018, Ra 2017/02/0102).

13       Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein geringes Verschulden nur dort anzunehmen ist, wo das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechtsgehalt und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (vgl. VwGH 13.8.2019, Ra 2019/03/0068 und 0069; VwGH 27.2.2019, Ra 2018/04/0134, jeweils mwN).

14       Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen eines geringen Verschuldens der Mitbeteiligten mit der drückenden Notlage der Mitarbeiterin K aufgrund familiärer Schwierigkeiten begründet, die die Anwesenheit von A und D bedingt habe. Allerdings geht daraus nicht hervor, dass dadurch der Schuldgehalt in Bezug auf die unerlaubte Beschäftigung hinter dem im AuslBG typisierten Schuldgehalt als erheblich zurückgeblieben zu qualifizieren wäre. Der vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit der Anwesenheit der Familienmitglieder im Rahmen eines familiären Beistands und deren unrechtmäßiger Beschäftigung kann nicht nachvollzogen werden.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Folgen von Übertretungen des § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG nicht unbedeutend sind, weil es Schutzzweck des AuslBG ist, einerseits inländische Arbeitsuchende vor einem unregulierten, wettbewerbsverzerrenden Einströmen ausländischer Arbeitskräfte zu schützen, und andererseits den Interessen der heimischen Wirtschaft dadurch Rechnung zu tragen, dass unter Vorgabe von Kontingentierungen und staatlichen Kontrollen eine Deckung des Arbeitskräftebedarfs, insbesondere in jenen Branchen, in welchen erfahrungsgemäß inländische Arbeitskräfte schwer zu vermitteln sind, sichergestellt wird (siehe dazu etwa wiederum VwGH 21.2.2019, Ra 2018/09/0132 und 0133, mwN).

16       Weiters wird, wie im Zulässigkeitsvorbringen der Revision zutreffend aufgezeigt wird, das angefochtene Erkenntnis den Anforderungen an eine nachvollziehbare und nachprüfbare Begründung nicht gerecht.

17       Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens wiederstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (VwGH 25.4.2019, Ra 2018/09/0212; 14.9.2016, Ra 2015/08/0145).

18       Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und den Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann. Eine dem § 60 AVG entsprechende Entscheidungsbegründung muss (auch) zu widersprechenden Beweisergebnissen im Einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was das Verwaltungsgericht veranlasst hat, dem einen Beweismittel mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen; die dabei vorgenommenen Erwägungen müssen schlüssig sein, das heißt mit den Gesetzen der Logik und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut im Einklang stehen (vgl. VwGH 20.11.2019, Ro 2019/03/0018; 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, jeweils mwN).

19       Das Verwaltungsgericht verweist in seiner Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen im Zusammenhang mit der Mithilfe des A lediglich pauschal auf die Aussage der Zeugin K, obwohl widerstreitende Beweisergebnisse vorlagen. Es hat unterlassen, sich im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen mit den widersprechenden Angaben der beim Vorfall anwesenden Tochter der Mitbeteiligten gegenüber den Kontrollorganen auseinanderzusetzen, wonach sie ihr Einverständnis zur Mithilfe gegeben habe. Zudem sind die Angaben der vor dem Verwaltungsgericht vernommenen Zeugin in diesem Punkt nicht gleichbleibend. Zunächst bestritt sie, die Tochter der Beschuldigten um ihr Einverständnis zur Mithilfe ihres Sohnes gefragt zu haben. Später relativierte sie diese Aussage und gab an, dass sie es nicht mehr genau wisse. In Bezug auf die D fehlen beweiswürdigende Erwägungen und eine Begründung, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht entgegen widerstreitender Beweisergebnissen (siehe etwa die gegenüber der Finanzpolizei getätigten Angaben der Tochter der Mitbeteiligten, wonach A und D der K beim Setzen von Blumen sporadisch geholfen hätten und die von den Kontrollorganen angefertigten Fotos) zur Feststellung gelangt, die D habe keine Tätigkeiten für die Schlosshotel Z GmbH durchgeführt, zur Gänze.

20       Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis im bekämpften Umfang wegen - prävalierender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 14. April 2021

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019090100.L00

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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