TE Vwgh Beschluss 2021/4/19 Ra 2020/20/0250

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Veröffentlicht am 19.04.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des B R in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2020, W276 2202036-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Erkenntnis vom 10. Juni 2015 erkannte das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen Afghanistans, den Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Es begründete diese Entscheidung mit der prekären Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet Afghanistans sowie der Tatsache, dass der Revisionswerber Analphabet sei und mangels Fachausbildung als alleinstehender Rückkehrer in eine ausweglose Lage geraten würde.

2        Die dem Revisionswerber erteilte Aufenthaltsberechtigung wurde zuletzt bis zum 1. Juli 2018 verlängert.

3        Nach einem am 14. Mai 2018 gestellten Antrag des Revisionswerbers auf weitere Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung erging der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22. Juni 2018, mit welchem dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt und der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung abgewiesen wurde. Unter einem erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Revisionswerber.

4        Mit Erkenntnis vom 15. Mai 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe ab, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und die Dauer des Einreiseverbotes mit vier Jahren festgesetzt werde. Das Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass eine in der Person des Revisionswerbers gelegene, wesentliche und nachhaltige Änderung des Sachverhaltes vorliege, die eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 rechtfertige. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

5        Mit Beschluss vom 18. Jänner 2021, E 4463/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen an ihn erhobenen Beschwerde ab und trat diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 8. Februar 2021, E 4463/2020-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        In der Folge wurde die vorliegende Revision eingebracht.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Das Bundesverwaltungsgericht stützte die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ist eine Aberkennung dann möglich, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (vgl. § 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht mehr vorliegen. In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation liegen können, darstellen. In diesem Zusammenhang kann eine Rolle spielen, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden (vgl. VwGH 1.2.2021, Ra 2021/20/0010, mwN).

11       Soweit in der Revision zu ihrer Zulässigkeit (erkennbar unter dem Titel einer behaupteten Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 6. Oktober 2020, Ra 2020/19/0111, geltend gemacht wird, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erlaube „die Feststellung einer wesentlichen Änderung der Umstände nicht, wenn nur geändert beurteilt wird, dass jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative auch ohne soziales Netzwerk offenstehen würde“, zeigt sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht auf, weil sich die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses - anders als im Fall des zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes - nicht tragend bloß auf eine „geänderte rechtliche Beurteilung, wonach jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative auch ohne soziales Netzwerk offenstehe“, stützt (so die einschlägige Passage des Erkenntnisses vom 6. Oktober 2020, Ra 2020/19/0111).

12       Das Bundesverwaltungsgericht stellte als geänderten Sachverhalt fest, dass der Revisionswerber im Vergleich zu den Zeitpunkten der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung älter, erfahrener und besser am Arbeitsmarkt integriert sei sowie ergänzende Bildungsschritte unternommen habe. Ergänzend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angegeben, er beherrsche eine Landessprache Afghanistans in Wort und Schrift, weshalb der Revisionswerber, anders als nach den Feststellungen des Bescheides, mit dem ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, kein Analphabet sei.

13       Bei der Prüfung, ob dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen ist, handelt es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung anhand der jeweiligen Umstände des konkreten Falles. Nach der ständigen Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. zum diesbezüglichen Maßstab etwa VwGH 5.10.2020, Ra 2020/20/0329, Rz 9, mwN).

14       Vor diesem Hintergrund zeigt das Zulässigkeitsvorbringen - ausgehend von dem in den Rn. 10 und 12 Gesagten - mit ihrer pauschalen Behauptung, die Lage habe sich „seit der letzten Zuerkennung von subsidiärem Schutz ... keineswegs derart verbessert, dass aberkannt hätte werden dürfen“, und dass „die Beurteilung der Lage im Land ... grob fehlerhaft erfolgt“ sei, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht auf.

15       Wenn die Zulässigkeitsbegründung Verfahrensmängel darin erblickt, dass Feststellungen zur Wirtschaftslage Afghanistans unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie nicht getroffen worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass die Aberkennung nicht auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Gegebenheiten Afghanistans gestützt wurde, sondern auf die Änderung der persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers. Ein diesbezügliches Vorbringen wäre demnach allenfalls für die Beurteilung, ob bei Rückkehr des Revisionswerbers nach Afghanistan eine Verletzung der Artikel 2 bzw. 3 EMRK zu befürchten wäre, relevant. Es genügt jedoch nicht, in der Revision Verfahrensmängel - wie hier Feststellungsmängel - zu rügen, ohne aufzuzeigen, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und wieso sich daraus ein für den Revisionswerber im Spruch günstigeres Ergebnis hätte ergeben können (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0392, mwN).

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200250.L00

Im RIS seit

14.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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