TE Vwgh Beschluss 2021/4/21 Ra 2021/18/0157

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Veröffentlicht am 21.04.2021
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Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a
62011CJ0071 Y und ZVORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des N S, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2021, W151 2188260-1/24E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Ghazni, beantragte am 16. Dezember 2015 internationalen Schutz. Zur Begründung brachte er im Laufe des Verfahrens unter anderem vor, in Österreich zum Christentum konvertiert zu sein und deshalb bei Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung zu befürchten.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Antrag des Revisionswerbers in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5. Jänner 2018 zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei zwar im Juni 2020 in einer österreichischen Freikirche getauft worden, er habe aber nicht glaubhaft machen können, dass er aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei, dass er diesen Glauben bei Rückkehr nach Afghanistan weiter ausüben werde und dass er deshalb einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Zum subsidiären Schutz ging das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht ungefährdet in seine Herkunftsprovinz zurückkehren könne. Ihm stehe aber aus näher dargestellten Gründen eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den afghanischen Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Die Rückkehrentscheidung begründete das BVwG damit, dass sich der Revisionswerber seit Dezember 2015 in Österreich aufhalte, in dieser Zeit aber bloß schwach ausgeprägte private Interessen an einem Verbleib in Österreich entwickelt habe. Er habe zwar an einem „Jugendcollege“ teilgenommen, vereinzelt Deutschkurse besucht (und das ÖSD-Zertifikat A1 erlangt), Freiwilligenarbeit für eine Obdachloseneinrichtung geleistet und er sei Mitglied eines Fußballklubs. Sonstige Integrationsschritte seien aber nicht hervorgekommen. Dem stehe ein gewichtiges öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber, demzufolge die Einbringung eines erfolglosen Asylantrags nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen dürfe.

4        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, das BVwG sei mit seinen beweiswürdigenden Erwägungen zur Konversion von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen (Hinweis auf VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440), indem es wesentliche Beweisergebnisse für die Glaubhaftigkeit einer tatsächlichen Konversion des Revisionswerbers unberücksichtigt gelassen habe. Das BVwG habe außerdem den psychischen Gesundheitszustand des Revisionswerbers nicht geklärt, obwohl der Revisionswerber keinesfalls als psychisch gesund bezeichnet werden könne. Dieser Umstand wäre - neben den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie - vor allem für die Beurteilung der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan von Bedeutung gewesen. Insoweit habe sich das BVwG auch über die einschlägigen Richtlinien des UNHCR hinweggesetzt, indem es Kabul als mögliche innerstaatliche Fluchtalternative angesehen habe. Zur Rückkehrentscheidung habe das BVwG keine vertretbare Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK durchgeführt, weil es die ehrenamtliche Tätigkeit des Revisionswerbers, seine Mitgliedschaft in einem Fußballverein, die Teilnahme an einem Jugendcollege und seine privaten Aktivitäten in Österreich als unzureichend angesehen habe, um ein schützenswertes Privatleben zu begründen.

5        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

8        Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion vorliegen, und zwar insbesondere dann, wenn anzunehmen wäre, dass der konvertierte Asylwerber nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen werden.

10       Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr kommt es wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. etwa VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).

11       Im vorliegenden Fall verneinte das BVwG eine Verfolgungsgefahr aus Gründen der religiösen Einstellung des Revisionswerbers unter anderem deshalb, weil es die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels des Revisionswerbers und eine weitere Ausübung des Glaubens (getragen von einer religiösen Überzeugung des Revisionswerbers) bei Rückkehr in den Herkunftsstaat in Zweifel zog.

12       Die Revision macht geltend, das BVwG sei bei seiner Beweiswürdigung von den dargestellten Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen. Dem ist zu erwidern, dass sich das BVwG beweiswürdigend mit sämtlichen für und gegen die Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens sprechenden Beweisergebnissen auseinandergesetzt hat. Insbesondere ging das Verwaltungsgericht auf die relevanten Kriterien, die nach der hg. Rechtsprechung bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit einer Konversion von Bedeutung sein können, ein, beschäftigte sich auch mit den Aussagen der einvernommenen Zeugen und legte in allen Punkten nachvollziehbar dar, weshalb es den gegenteiligen Beteuerungen des Revisionswerbers keinen Glauben schenkte. Eine unvertretbare Beweiswürdigung wird von der Revision nicht aufgezeigt.

Zur Frage des subsidiären Schutzes entfernt sich die Revision von den Feststellungen des BVwG, wonach der Revisionswerber keine relevante psychische Beeinträchtigung (mehr) aufweist. Das gegenteilige Revisionsvorbringen, der Revisionswerber könne keinesfalls als psychisch gesund angesehen werden, blieb im Verfahren - mit Ausnahme eines ärztlichen Befundberichts vom 3. März 2017, wonach der Revisionswerber eine leicht- bis mittelschwere depressive Episode (selbstverletzendes Verhalten) aufweise - unbelegt. Zudem hat sich das BVwG mit diesem Befundbericht und der Frage des psychischen Gesundheitszustandes in der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2021 auseinandergesetzt und seine beweiswürdigenden Schlussfolgerungen auf der Basis der vorhandenen und angebotenen Beweise gezogen („R: Im Akt befindet sich ein ärztlicher Befundbericht vom 03.03.2017, wonach Ihnen Psychotherapie empfohlen wird, Sie eine Medikation abgelehnt haben. Gibt es neue Befundberichte? Sind Sie derzeit in Psychotherapie oder sonstiger Behandlung und/oder auch wegen anderer Erkrankungen? BF: Ich nehme keine Medikamente. Zum Arzt gehe ich manchmal, weil ich etwas psychische Probleme habe. Auf Befragen gibt der BF bekannt, dass er keine Unterlagen dazu hat; auch RV bestätigt dies, dass diesbezüglich nichts vorgelegt wird.“). Dazu zeigt auch die Revision nicht konkret auf, dass die vom Revisionswerber gemachte Äußerung, er habe noch „etwas psychische Probleme“ (die er aber weder medikamentös noch regelmäßig therapeutisch behandle), ein für das Verfahrensergebnis relevantes Ausmaß erreichen würde. Dem Verwaltungsgericht sind insoweit auch keine Ermittlungsfehler vorzuwerfen.

13       Auf der Grundlage seiner Sachverhaltsfeststellungen ist überdies nicht zu beanstanden, wenn das BVwG eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zumindest in der afghanischen Stadt Mazar-e Sharif angenommen hat. Wenn die Revision in allgemeiner Form auf die sozioökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie hinweist, zeigt sie nicht auf, dass der Revisionswerber fallbezogen in dieser afghanischen Region keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorfände, zumal sie bei ihren Überlegungen - wie erwähnt - eine besondere Vulnerabilität seiner Person aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung unterstellt, die vom BVwG aber eben nicht festgestellt worden ist. Auf die Frage, ob auch Kabul oder Herat als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht gekommen wären, braucht bei diesem Ergebnis nicht weiter eingegangen zu werden.

14       Zur Rückkehrentscheidung ist auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie, wie im vorliegenden Fall, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt ist und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 9.12.2020, Ra 2020/18/0466, mwN). Die Revision zeigt nicht auf, dass dem BVwG bei seiner Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eine im Revisionsverfahren aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 21. April 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62011CJ0071 Y und Z VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180157.L00

Im RIS seit

12.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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