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50/01 GewerbeordnungNorm
GewO 1994 §87 Abs1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa-Janovsky, in der Revisionssache des T H in W, vertreten durch Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 8/5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 10. November 2020, Zl. VGW-105/020/11755/2020-7, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1.1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. August 2020 wurde dem Revisionswerber gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) die Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes „Versicherungsvermittlung (Versicherungsagent, Versicherungsmakler und Beratung in Versicherungsangelegenheiten), eingeschränkt auf Versicherungsagent“ an einem näher bezeichneten Standort in Wien entzogen.
2 1.2. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. November 2020 als unbegründet ab. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass dem Revisionswerber drei strafgerichtliche Verurteilungen aus den Jahren 1997, 2000 und 2016 zur Last lägen. Bei der ersten und zweiten Verurteilung handle es sich jeweils um das Vergehen der schweren Körperverletzung. Der dritten Verurteilung liege zu Grunde, dass der Revisionswerber einen anderen am Körper verletzt habe, indem er diesen mit einer kreisenden Handbewegung am rechten Arm umfasst, ihn damit aus dem Gleichgewicht gebracht und zu Boden gerissen habe, wodurch dieser eine an sich schwere Verletzung mit einer nicht länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, nämlich eine Schulterluxation rechts und eine Prellung des rechten Schläfenbeins erlitten habe. Deshalb sei der Revisionswerber im Rahmen dieser Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. Zusätzliche gerichtliche Verurteilungen seien in den Jahren 1998, 2007 und 2008 erfolgt, wobei sich diese gemäß § 13 Abs. 1 GewO 1994 als nicht ausschlussbegründend erweisen würden. Dem Revisionswerber seien in der Vergangenheit durch die Behörde bereits Nachsichten erteilt worden. Der Revisionswerber sei nunmehr auch im Familienbetrieb seiner Eltern beschäftigt und dort seit einem Jahr Prokurist. Er habe freiwillig eine Psychotherapie besucht und sei nach wie vor dort in Betreuung, wobei er nunmehr „Selbstreflexion“ betreibe. In seiner Firma lege er ein verantwortungsbewusstes und ruhiges Verhalten an den Tag, für seine (in der mündlichen Verhandlung als Zeugin befragte) Schwester sei er immer der „Ruhepol“ gewesen.
4 Das Verwaltungsgericht verwies zudem darauf, dass der letzten ausschlussbegründenden Straftat nach den gerichtlichen Feststellungen ein provokatives Verhalten des Revisionswerbers zu Grunde gelegen sei. Es habe sich nicht um eine spontane Abwehrhandlung gehandelt, sondern sei das vorangegangene Verhalten des Revisionswerbers auf Grund seines provokativen Charakters ursächlich gewesen. Es habe zur Körperverletzung auch nur deshalb kommen können, weil der Revisionswerber über den erlittenen Schlag erbost dem Zweitbeteiligten nachgelaufen sei und diesen zur Rede gestellt habe, anstatt sich an die Einsatzkräfte mit der Bitte um Hilfe zu wenden. Auch sei ein diversionelles Vorgehen des Gerichts mangels Verantwortungsübernahme nicht in Betracht gekommen. Aus der Vielzahl der der gerichtlichen Verurteilungen ergebe sich zudem, dass keine gravierende Umkehr in der Einstellung des Revisionswerbers stattgefunden habe. Der Revisionswerber lasse im persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung eine beginnende Einsicht und eine beginnende Konfrontation erkennen, nicht aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Strafurteil. Schuldeinsicht und Reue würden von ihm zwar behauptet, aber in keiner Weise dargelegt, wie weit sich diese vor allem gegenüber den Opfern zeige. Dem Revisionswerber könne zwar nicht abgesprochen werden, dass mit Beginn seiner Betreuung und der Übernahme beruflicher Verantwortung im Rahmen seines Betriebes eine beginnende Änderung seines Persönlichkeitsbildes erkennbar scheine. Insbesondere in Hinblick auf seine noch im Februar 2020 (im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht) manifesten Einstellung zu den Straftaten und seiner Rolle darin sei dieser Zeitraum aber zu kurz, um gesichert von einer positiven Persönlichkeitsveränderung sprechen zu können. Die gerichtliche Strafe sei zwar bedingt nachgesehen worden, besondere Umstände im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für eine Berücksichtigung dieses bedingten Strafausspruches seien jedoch nicht aufgezeigt worden. Insoweit würden auch die Aussagen der Mutter und der Schwester des Revisionswerbers nichts an dieser Beurteilung ändern. Deren Aussagen würden vielmehr darauf hinweisen, dass sich der Revisionswerber in seiner Familie schon immer ruhig, besonnen und überlegt gezeigt habe, abseits seiner Familie aber auch ein anderes Gesicht zu Tage gekommen sei. Es könne somit mit diesen Aussagen nicht belegt werden, dass insgesamt eine „Wesensänderung“ stattgefunden habe. Auch wenn der Revisionswerber mit seiner Mutter und seiner Schwester im Familienbetrieb beruflich eng - in einem von familiärer Gebundenheit geprägtem Verhältnis - zusammengearbeitet habe und es während der Ausübung des in Rede stehenden Gewerbes nie zu Konflikten mit Kunden und Mitarbeiter gekommen sei, könne nach Abwägung aller für und gegen eine Entziehung der Gewerbeberechtigung sprechenden Umstände nicht schon das Vorliegen einer solche nachhaltige Veränderung des Persönlichkeitsbildes angenommen werden, dass die Befürchtung der Begehung der gleichen oder ähnlichen Tat „gar nicht bestehe“. Die Beschwerde sei daher abzuweisen gewesen.
5 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 3. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es liege eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche und eine solche Rechtsprechung (auch) fehle. Die Entscheidung, wann von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen werde, könne nämlich keinesfalls im Ermessen der belangten Behörde liegen. Vielmehr müsse anhand konkreter Feststellungen, die im angefochtenen Erkenntnis fehlen würden, dargelegt werden, welche Kriterien ausschlaggeben seien, um die Zukunftsprognose ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu begründen. Es fehle zudem Rechtsprechung, anhand welcher Kriterien und unter welchen Umständen die Zukunftsprognose zu erstellen sei. Die gegenständlich zu lösende Rechtsfrage habe auch eine weit über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, weil im hier einschlägigen verwaltungsrechtlichen Bereich ein starkes Rechtsschutzbedürfnis herrsche und eine große Zahl von Normadressaten von der Regelung des § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 unmittelbar betroffen sei. Durch die Entziehung der Gewerbeberechtigung ohne konkrete Vornahme einer Persönlichkeitsprognose durch einen psychologischen Sachverständigen - wie dies gegenständlich vom Revisionswerber auch beantragt worden sei - bestehe die Gefahr eines ruinösen wirtschaftlichen Nachteils für die Betroffenen, zumal die Behörde nahezu willkürlich Gewerbeberechtigungen entziehen könne. Es bestehe daher ein großes und offenkundiges Bedürfnis der Rechtspraxis zur Schaffung von Rechtssicherheit durch einheitliche Rechtsprechung.
9 4. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es für den Entziehungstatbestand des § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 erforderlich, dass die Gewerbebehörde auf Grundlage des Verhaltens in der Vergangenheit eine begründete und nachvollziehbare Prognose über das zukünftige Verhalten einer Person anstellt. Die Prognose nach § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 setzt daher die Feststellung der Tathandlungen voraus, die der (den Ausschlussgrund nach § 13 Abs. 1 GewO 1994 bildenden) Verurteilung konkret zugrunde gelegen sind und von denen die Gewerbebehörde in Bindung an die rechtskräftige Verurteilung bei ihrer Prognose auszugehen hat (vgl. VwGH 12.6.2013, 2013/04/0064, sowie die Nachweise bei Thienel, Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung zur GewO 1994, in: FS Raschauer [2013] 597 [613]; zum Erfordernis der Beurteilung des Persönlichkeitsbildes in Zusammenhang mit § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 siehe zudem Marzi, Die Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 87 Abs. 1 Z. 3 GewO 1994, in: Gruber/Paliege-Barfuß [Hrsg.], Gewerberecht Jahrbuch 2010 [2010] 137 [145] und [150]).
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits klargestellt, dass die Erstellung einer Prognose, die für die Frage der Berechtigung der Entziehung der Gewerbeberechtigung anzustellen ist, von den Umständen des Einzelfalles abhängt, die jeweils einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. Eine schematische Festlegung betreffend die Dauer des erforderlichen Wohlverhaltens ist in diesem Zusammenhang nicht angebracht, weil auch diese immer im Kontext zu den anderen jeweils vorliegenden Umständen zu betrachten ist (vgl. VwGH 18.1.2021, Ra 2020/04/0124).
11 Ausgehend von dieser Rechtslage und angesichts der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen - insbesondere betreffend die strafgerichtlichen Verurteilungen, aber auch zu den Tathandlungen, die diesen Verurteilungen konkret zugrunde gelegen sind - ist die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Prognose über das zukünftige Verhalten des Revisionswerbers nicht zu beanstanden. Die Revision vermag demgegenüber mit ihrem (bloß allgemein gehaltenen) Zulässigkeitsvorbringen keine die Zulässigkeit rechtfertigende krasse Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen.
12 Soweit die Revision die Nichteinholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens rügt und sich diesbezüglich auch auf das Fehlen von Rechtsprechung beruft, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach in jenen Fällen, in denen sich die tatbestandsmäßige Befürchtung weiteren Fehlverhaltens - wie im vorliegenden Fall - schon aus der Art der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegenden Straftaten ergibt, die Einholung eines psychologischen Gutachtens nicht erforderlich ist (vgl. VwGH 22.6.2011, 2011/04/0014, sowie Thienel, aaO, 614).
13 5. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021040074.L00Im RIS seit
12.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.06.2021