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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des R T in L, vertreten durch die Dr. Wolfgang Schimek Rechtsanwalt GmbH in 3300 Amstetten, Graben 42, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 13. September 2020, LVwG-S-1881/001-2019, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Waidhofen an der Ybbs), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Waidhofen an der Ybbs vom 11. Juli 2019, WYS2-V-18 15127/5, mit der der Revisionswerber wegen Übertretungen verschiedener arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen in 14 Punkten zu Geldstrafen von jeweils € 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 96 Stunden) verurteilt worden war, mit der Maßgabe und insoweit stattgegeben, dass der Tatzeitraum verkürzt wurde, die geltende Fassung der bei der Übertretungsnorm und Strafnorm jeweils zitierten Rechtsquelle hinzugefügt wurde und die verhängten Geldstrafen auf jeweils € 600,-- sowie die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 57 Stunden herabgesetzt wurden. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.
Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit geltend macht, das Verwaltungsgericht weiche von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab (Hinweis auf VwGH 15.5.1979, 1849/78), weil im vorliegenden Fall ein die Anwendung des § 22 VStG ausschließendes fortgesetztes Delikt vorliege, zumal dem Revisionswerber Verstöße gegen die gleichen Bestimmungen des ASchG iVm der Elektroschutzverordnung, der Arbeitsstättenverordnung bzw. der Kälteanlagenverordnung zur Last gelegt würden, die auch die gleichen Zeiträume beträfen wie jene eines bereits rechtskräftigen Straferkenntnisses des Bürgermeisters der Stadt Waidhofen an der Ybbs zur Zl. WYS2-V-18 12940/3. Zudem weiche das Verwaltungsgericht von - nicht näher zitierter - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab, wenn es meine, dass kein Dauerdelikt vorliege. Dadurch, dass das „exakt identische“ Delikt mit dem rechtskräftigen Straferkenntnis der genannten Behörde zum Vorwurf gemacht worden sei, sei die nochmalige Bestrafung des Revisionswerbers auch ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot.
2 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
3 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
4 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 Die in der vorliegenden Revision vorgebrachte Behauptung, die Bestrafung des Revisionswerbers verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot, weil er für das exakt gleiche Delikt bereits mit rechtskräftigem Straferkenntnis der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde bestraft worden sei, geht schon deshalb ins Leere, weil der vom angefochtenen Erkenntnis umfasste Tatzeitraum ein anderer ist. Der Revisionswerber wurde nach zwei Kontrollen mit unbekämpft gebliebener Strafverfügung des Bürgermeisters der Stadt Waidhofen an der Ybbs vom 23. Oktober 2018 für den Verstoß gegen diverse arbeitnehmerschutzrechtliche Bestimmungen für den Tatzeitraum 26. Juni 2018 bis 30. August 2018 bestraft. Nach einer weiteren Kontrolle am 12. November 2018, bei der festgestellt wurde, dass der Revisionswerber keine Abhilfe geschaffen hatte, wurde er vorerst mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Waidhofen an der Ybbs vom 11. Juli 2019 für die Übertretung verschiedener arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen im Tatzeitraum „mindestens 26. Juni 2018 bis mindestens 12. November 2018“ verurteilt; das Verwaltungsgericht schränkte mit Blick auf die bereits durch die angeführte Strafverfügung vom 23. Oktober 2018 erfolgte Verurteilung für den Zeitraum 26. Juni 2018 bis 30. August 2018 diesen Tatzeitraum auf mit 30. Oktober 2018 beginnend (bis 12. November 2018) ein. Ein Fall einer Doppelbestrafung liegt somit entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht vor.
6 Diese Einschränkung des Tatzeitraums durch das Verwaltungsgericht erweist sich auch nicht als rechtswidrig. Nach der hg. Rechtsprechung ist etwa eine Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung (Angabe der verletzten Verwaltungsbestimmung und angewendeten Strafnorm) zulässig, wenn es nicht zu einem „Austausch der Tat“ durch Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts kommt (vgl. VwGH 29.8.2018, Ra 2017/17/0591, mwN). Die Ausdehnung des Tatzeitraums erst im Beschwerdeverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor dem Verwaltungsgericht stellt eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Verfahrens im Sinn des § 50 VwGVG dar (vgl. hierzu ausführlich VwGH 5.11.2014, Ra 2014/09/0018; VwGH 8.3.2017, Ra 2016/02/0226).
7 Weder erfolgte die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Korrektur des Tatzeitraums außerhalb der Frist der Verfolgungsverjährung, wie der Revisionswerber pauschal behauptet, zumal der durch das Verwaltungsgericht spruchgemäß angenommene Tatzeitraum jedenfalls durch die bereits erfolgten Verfolgungshandlungen erfasst ist und die Verfolgungsverjährung somit unterbrochen wurde, noch war diese Einschränkung unzulässig, da dadurch kein Austausch der Tat und auch keine - unzulässige - Ausdehnung des Verfahrensgegenstands vorgenommen wurde.
8 Entgegen dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung lag aber auch kein fortgesetztes Delikt vor, welches abweichend von § 22 Abs. 2 VStG die Verhängung lediglich einer einzigen Strafe bedungen hätte.
9 Für das Verwaltungsstrafverfahren gilt beim Zusammentreffen mehrerer Verwaltungsübertretungen, anders als im gerichtlichen Strafverfahren, nach § 22 Abs. 2 erster Satz VStG das Kumulationsprinzip. Danach ist grundsätzlich jede gesetzwidrige Einzelhandlung, durch die der Tatbestand verwirklicht wird, als Verwaltungsübertretung zu bestrafen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beim fortgesetzten Delikt bzw. beim Dauerdelikt (vgl. VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108, mwH). Bei einem Dauerdelikt sind tatbestandsgemäße Einzelhandlungen bis zur Erlassung eines Straferkenntnisses nur als eine Verwaltungsübertretung anzusehen (vgl. z.B. VwGH 18.12.2006, 2006/09/0122 bis 0124).
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein fortgesetztes Delikt dadurch gekennzeichnet, dass eine Reihe von Einzelhandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss umfasst war und wegen der Gleichartigkeit ihrer Begehungsform sowie der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs zu einer Einheit zusammentraten (vgl. VwGH 2.5.2018, Ra 2018/02/0062, mwN). Um von einem fortgesetzten Delikt sprechen zu können, müssen die Einzelakte von einem vorgefassten einheitlichen Willensentschluss, vom sogenannten Gesamtvorsatz getragen sein, das heißt, der Täter muss von vornherein ein bestimmtes Endziel ins Auge gefasst haben, das er durch die Begehung mehrerer Teilakte, somit schrittweise, erreichen will.
11 Von einem solchen Gesamtvorsatz kann daher nur dann gesprochen werden, wenn der Täter den angestrebten Enderfolg von Anfang an in seinen wesentlichen Umrissen erfasst hat, sodass sich die einzelnen Akte zu dessen Erreichung nur als Teilhandlungen eines (von vornherein gewollt vorhandenen) Gesamtkonzeptes darstellen. Erst dieser innere Zusammenhang lässt die Einzelakte nur als sukzessive Verwirklichung des einheitlich gewollten Ganzen erscheinen (vgl. erneut VwGH 2.5.2018, Ra 2018/02/0062; zum Fahrlässigkeitsdelikt vgl. erneut VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108). Wie groß der Zeitraum zwischen den einzelnen Tathandlungen sein darf, um noch von einem fortgesetzten Delikt sprechen zu können, wird von Delikt zu Delikt verschieden sein und hängt im besonderen Maße von den Umständen des Einzelfalles ab. Entscheidend ist, dass die einzelnen Tathandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss getragen werden (vgl. VwGH 15.9.2006, 2004/04/0185, mwN).
12 Es ist dabei ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Beurteilung eines Deliktes als fortgesetzt begangen trotz eines engen zeitlichen Zusammenhanges ein „Ereignis“ innerhalb dieses Zeitraumes entgegenstehen kann. Als solches ist etwa eine Kontrolle und der darauf neu gefasste Tatentschluss zu sehen (vgl. z.B. VwGH 16.6.2020, Ra 2020/02/0099, mwN).Von dieser Rechtsprechung ist das angefochtene Erkenntnis nicht abgewichen; die gegenständliche Bestrafung erfolgte für den (nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Verletzung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen gelegenen) genannten Zeitraum, weil der Revisionswerber trotz Kontrollen, schriftlichen Mängelbehebungsaufträgen und schließlich der rechtskräftigen Bestrafung durch die Strafverfügung vom 23. Oktober 2018 die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften weiterhin ignorierte. Ein konkreter Gesamtvorsatz im Sinn eines Willens, die arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen grundsätzlich und beharrlich nicht einhalten zu wollen, wurde nicht festgestellt und vom Revisionswerber auch nicht behauptet.
Insofern führt auch das in der Zulässigkeitsbegründung zitierte Erkenntnis zur Auslegung einer regionalen Prostitutionsverordnung (Hinweis auf VwGH 15.5.1979, 1849/78) ins Leere, da der dort vorliegende Sachverhalt (einheitlicher Willensentschluss mit Blick auf die beabsichtigte gewerbsmäßige illegale Prostitutionsausübung) nicht mit dem gegenständlichen vergleichbar ist, bei dem der Revisionswerber nach bereits erfolgter Bestrafung das verpönte Verhalten fortsetzt und abermals bestraft wird (vgl. schon VwGH 19.5.1980, 3295/78; auch VwGH 16.2.2012, 2010/01/0009, mwN).
13 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung schließlich vorgebracht wird, es liege ein Dauerdelikt vor, unterliegt dieses erstmals in der Revision erstattete Vorbringen nicht nur dem Neuerungsverbot des § 41 VwGG (vgl. VwGH 19.5.2015, Ra 2015/16/0035), sondern es scheitern diese Ausführungen auch daran, dass die in diesem Zusammenhang behauptete Abweichung von Rechtsprechung nur pauschal behauptet, aber nicht konkret und unter Angabe zumindest einer nach Datum und Geschäftszahl bezeichneten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes von Rechtsprechung, von der abgewichen worden sein soll, dargestellt wird. Damit erweist sich die Revision in dieser Hinsicht als nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl. etwa VwGH 6.10.2015, Ra 2015/02/0187, mwN). Zudem wird zu dieser Behauptung in den Revisionsgründen nichts ausgeführt, sodass auch in dieser Hinsicht keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird (für viele etwa VwGH 16.10.2020, Ra 2020/20/0344, mwN).
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. April 2021
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020252.L00Im RIS seit
10.05.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021