TE Vwgh Beschluss 2021/4/22 Ra 2020/22/0285

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Veröffentlicht am 22.04.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §30 Abs3
NAG 2005 §54 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des F N in W, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 15, gegen das am 19. Oktober 2020 mündlich verkündete und mit 9. November 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, Zl. VGW-151/004/3177/2020-12, betreffend Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, beantragte am 4. Juni 2018 beim Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) unter Berufung auf die am 15. Jänner 2018 erfolgte Eheschließung mit der ungarischen Staatsangehörigen EL die Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2        Mit Bescheid vom 27. Jänner 2020 wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurück und stellte fest, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. In der Begründung ging die belangte Behörde - unter Bezugnahme auf den (auf Grund eines Ersuchens gemäß § 37 Abs. 4 NAG erstellten) Bericht der Landespolizeidirektion (LPD) Wien vom 28. November 2018 sowie auf die am 13. Jänner 2020 von ihr durchgeführte Befragung des Revisionswerbers und der EL - davon aus, dass es sich bei der Ehe des Revisionswerbers mit EL um eine Aufenthaltsehe handle.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig.

Nach Wiedergabe der Aussagen des Revisionswerbers und der EL in der mündlichen Verhandlung traf das Verwaltungsgericht die Feststellung, dass die Ehe zwischen dem Revisionswerber und EL nur zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltskarte für den Revisionswerber geschlossen worden sei; die Führung eines gemeinsamen Familienlebens zwischen dem Revisionswerber und EL habe nicht festgestellt werden können.

In seinen beweiswürdigenden Erwägungen stützte sich das Verwaltungsgericht auf die Aussagen der Ehegatten in der mündlichen Verhandlung, den dabei gewonnenen persönlichen Eindruck, den Bericht der LPD Wien und die Ermittlungen der belangten Behörde. Das Verwaltungsgericht ging dabei näher auf widersprüchliche Angaben der Ehegatten zur zeitlichen Dimension des Kennenlernens, zu den Umständen des Heiratsantrages, zur Hochzeit und zu den daran anschließenden Feierlichkeiten ein. Auch die Ausführungen im Zusammenhang mit der Führung eines aktuellen gemeinsamen Familienlebens hätten den Eindruck erweckt, dass keine eheliche Beziehung vorliege, zumal auch diesbezüglich tiefgreifende Widersprüche (betreffend die Freizeitgestaltung, die Fernsehgewohnheiten, Geburtstagsfeiern, das letzte Weihnachtsfest sowie die Besuche bei der Mutter der EL) evident gewesen seien und EL grundlegende Dinge über den Revisionswerber (seinen mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland, seinen Arbeitgeber) nicht gewusst habe. Solche Widersprüche seien auch hinsichtlich der Wohnsituation (Benutzung von Bett und Kleiderkasten, Vorhandensein von Internet) sowie hinsichtlich des Bestehens einer Wirtschaftsgemeinschaft (Bezahlung der täglichen Anschaffungen, Aufbewahrung der Ersparnisse) und einer Geschlechtsgemeinschaft (Ort und Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs) aufgetreten. Es werde - so das Verwaltungsgericht - nicht übersehen, dass auch übereinstimmende Angaben gemacht worden seien, die allerdings teilweise einstudiert und abgesprochen gewirkt hätten; dort, wo die Ehegatten nach mehreren Befragungen mit entsprechenden Fragen rechnen durften, hätten beide gut vorbereitet gewirkt. Schließlich verwies das Verwaltungsgericht auf den Bericht der LPD Wien und die Kontrolle der ehelichen Wohnung am 19. September 2018, bei der auffallend wenige weibliche Kleidungsstücke vorgewiesen worden seien. Das Vorbringen des Revisionswerbers, die zahlreichen Widersprüche seien mit Nervosität zu erklären, erachtete das Verwaltungsgericht als wenig überzeugend. Den ins Treffen geführten Verständigungsschwierigkeiten hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass sämtliche Befragungen der EL unter Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführt worden seien.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht zunächst aus, dass das Vorliegen einer Aufenthaltsehe eine Bestrafung nach § 117 Fremdenpolizeigesetz 2005 nicht voraussetze und die Einstellung des entsprechenden gegen den Revisionswerber geführten Strafverfahrens dem nicht entgegenstehe, dass das Verwaltungsgericht eigenständige Ermittlungen durchführe. Eine eheliche Gemeinschaft sei dann anzunehmen, wenn die Ehepartner erkennbar in einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung zusammenlebten und die Intensität der Verbindung über die einer Beziehung zwischen engen Freunden hinausgehe. Vorliegend stehe - so das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung sowie die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung - fest, dass die Ehe zwischen dem Revisionswerber und EL nicht auf die Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK gerichtet gewesen, sondern lediglich zu dem Zweck eingegangen worden sei, dem Revisionswerber ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu ermöglichen. Mangels Bestehen eines Familienlebens hätte sich der Revisionswerber im Verfahren nicht auf die Ehe mit EL berufen dürfen. Der Antrag sei daher zu Recht zurückgewiesen worden.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Der Revisionswerber moniert in seinem Zulässigkeitsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe nicht ausgeführt, welche Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK nicht erfüllt bzw. welche Elemente einer Ehe nicht vorgelegen seien. Es wäre erforderlich gewesen, die Parameter festzulegen, nach denen eine Aufenthaltsehe zu beurteilen sei. Das Verwaltungsgericht habe keine Feststellungen getroffen, welche Tatsachen eine Aufenthaltsehe begründeten. Lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung seien - allerdings unzureichende - Ausführungen erfolgt. Es liege daher ein „massiver Begründungsmangel“ vor, zumal jegliche Feststellung fehle, welche Umstände erfüllt sein müssten, damit eine Ehe im Sinn des Art. 8 EMRK vorliege. Zudem seien die vom Verwaltungsgericht zugestandenen Übereinstimmungen in den Aussagen der Ehegatten nicht angeführt worden, was einen schweren Begründungsmangel darstelle. Schließlich enthalte das angefochtene Erkenntnis Floskeln wie „es erscheint“ oder Ähnliches, die eine reine Scheinbegründung darstellten.

Des Weiteren erachtete der Revisionswerber die Beweiswürdigung als unschlüssig. Das Verwaltungsgericht habe einerseits auf massive Widersprüche in den Aussagen der Ehepartner hingewiesen, andererseits aber ausgeführt, dass in jenen Punkten, wo übereinstimmende Aussagen erfolgt seien, diese Fragen abgesprochen erschienen. Das Verwaltungsgericht habe daher, egal ob übereinstimmende oder widersprüchliche Aussagen erfolgt seien, jedenfalls eine Würdigung zum Nachteil des Revisionswerbers vorgenommen. Es sei auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht die Erklärung des Revisionswerbers zu den widersprüchlichen Aussagen bzw. die ins Treffen geführte Nervosität als „nicht nachvollziehbar“ bzw. „wenig überzeugend“ erachtet habe.

7        Soweit sich der Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes wendet, ist zunächst auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. etwa VwGH 18.2.2020, Ra 2019/22/0221, Pkt. 4.2., mwN).

8        Eine derartige Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung zeigt die Revision nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat - nach eingehender Darstellung der Beweisergebnisse und unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung von den Beweispersonen gewonnenen persönlichen Eindrucks, der zahlreichen Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers und der EL (betreffend die oben angeführten Themen) sowie der Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde und der LPD Wien - festgestellt, dass der Revisionswerber mit EL kein gemeinsames Familienleben führe.

9        Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers hat das Verwaltungsgericht nicht jegliche Aussagen der Ehegatten - egal ob widersprüchlich oder übereinstimmend - „zum Nachteil“ des Revisionswerbers gewürdigt. Das Verwaltungsgericht hat die Widersprüche in den Aussagen vielmehr als derart tiefgreifend erachtet, dass die (zugestandenen) teilweise übereinstimmenden Aussagen nicht vom Vorliegen einer echten ehelichen Beziehung hätten überzeugen können. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht in - dem Grunde nach - nicht zu beanstandender Weise in seine Würdigung miteinbezogen, dass viele der Übereinstimmungen erst nach deutlicherem Nachfragen oder zu Bereichen zu verzeichnen gewesen seien, bei denen die Ehegatten „nach mehreren Befragungen“ (die Ehegatten wurden - wie im angefochtenen Erkenntnis dargestellt - vor der mündlichen Verhandlung bereits von der LPD Wien und der belangten Behörde befragt) mit entsprechenden Fragen hätten rechnen dürfen. Das Verwaltungsgericht hat somit - der Sache nach - den Beweiswert der davon betroffenen übereinstimmenden Aussagen als relativiert erachtet. Es ist auch nicht als unvertretbar anzusehen, dass das Verwaltungsgericht die zahlreichen (bei drei Befragungen aufgetretenen) Widersprüche nicht als mit einem bloßen Verweis auf die Nervosität der Ehegatten erklärbar angesehen hat.

10       Soweit der Revisionswerber einen „massiven“ bzw. „schweren“ Begründungsmangel behauptet, ist zunächst auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach nur ein relevanter Begründungsmangel zur Zulässigkeit einer Revision führt und bereits in der Zulassungsbegründung selbst die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang darzulegen ist (vgl. VwGH 9.9.2020, Ra 2019/22/0070, Rn. 12, mwN).

11       Für den vorliegenden Fall ist dazu Folgendes festzuhalten: Nach § 30 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 NAG darf sich ein Ehegatte für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht auf die Ehe berufen, wenn ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geführt wird. Ein formales Band der Ehe reicht nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten (vgl. VwGH 8.7.2020, Ra 2019/22/0020, Rn. 9, mwN). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht eine Ehe aus einer Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Es kommt hierbei regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an, wobei vor allem der Wirtschaftsgemeinschaft Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 26.3.2015, Ro 2014/22/0026, mwN; siehe auch VwGH 10.12.2019, Ra 2019/22/0223, Rn. 7).

12       Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Feststellung getroffen, dass kein Familienleben zwischen dem Revisionswerber und EL geführt werde. Dass das Verwaltungsgericht in seiner (dieser Feststellung zugrundeliegenden und wie dargelegt nicht als unvertretbar anzusehenden) Beweiswürdigung die widersprüchlichen Aussagen der Ehegatten zu Themenbereichen wie Anbahnung der Beziehung, Familienfeiern oder gemeinsame Aktivitäten als für die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Familienlebens maßgeblich erachtet hat, ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die - wiederum auf die Aussagen der Ehegatten sowie die Erhebungen der LPD Wien gestützten - Zweifel am Vorliegen einer Wohnungs-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft.

13       Ausgehend davon vermag die Revision aber nicht aufzuzeigen, inwieweit das Verwaltungsgericht das von ihm angenommene Vorliegen einer Aufenthaltsehe unzureichend begründet hätte. Auch eine Relevanz des derart behaupteten Verfahrensmangels wird nicht dargelegt. So lässt sich der Revision nicht entnehmen, inwiefern eine fehlende Darstellung der übereinstimmenden Aussagen der Ehegatten einen relevanten Begründungsmangel bilden solle. Weiters unterlässt es der Revisionswerber in seiner Zulassungsbegründung, darzustellen, welchen Sachverhalt er vorgebracht habe, aus dem sich entgegen der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Ermittlungsergebnisse das Vorliegen eines Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK hätte ableiten lassen.

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

15       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 22. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220285.L00

Im RIS seit

13.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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