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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AuslBG §25Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A A, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 15. April 2020, Zl. LVwG-458-14/2019-R16, betreffend Aufenthaltsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bregenz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 17. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Mai 2018 in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung rechtskräftig abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt; die daraufhin erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen (siehe VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0634).
2 Am 10. April 2019 beantragte der Revisionswerber bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz (belangte Behörde) die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gemäß § 63 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie die Zulassung der Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 3 NAG.
3 Mit Bescheid vom 20. August 2019 wies die belangte Behörde sowohl den Antrag auf Zulassung der Inlandsantragstellung als auch den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ ab.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. April 2020 gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ zurückgewiesen werde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.
Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Einvernahme mehrerer Zeugen - im Wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde: Der am 31. Mai 1998 geborene Revisionswerber habe während seines Asylverfahrens zahlreiche Kurse besucht und das „ÖSD Zertifikat A2“ erworben. Er habe als Schauspieler an mehreren Theaterinszenierungen teilgenommen; ihm sei eine Beschäftigungsbewilligung als Künstler für die Zeit von 4. Jänner 2018 bis 27. Februar 2018 erteilt worden. Ab dem 30. Mai 2018 sei er bei einem näher genannten Unternehmen als Lehrling für die Tätigkeit „Koch“ beschäftigt gewesen; für diese Tätigkeit sei ihm eine Beschäftigungsbewilligung für die Zeit von 28. Mai 2018 bis 27. August 2021 erteilt worden. Der Revisionswerber habe die erste Fachklasse für den Lehrberuf „Koch“ erfolgreich absolviert und für die Schuljahre 2019/2020 sowie 2020/2021 sei ihm ein Schulplatz an einer näher bezeichneten Statutschule mit Öffentlichkeitsrecht zugesichert worden. Für den Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels verfüge er über eine Beschäftigungszusage als Kochlehrling. Der Revisionswerber habe keine familiären Bindungen in Österreich, seine Eltern und Geschwister lebten in Afghanistan. Er pflege ein freundschaftliches Verhältnis zu näher bezeichneten Personen und habe bis zu seiner Abschiebung am 7. Juli 2019 bei einer dieser Personen gewohnt. Zudem lägen zahlreiche Unterstützungserklärungen vor. Derzeit halte sich der Revisionswerber in der Türkei auf.
In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass der Revisionswerber die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 63 Abs. 1 Z 3 NAG erfülle. Gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG könne eine Inlandsantragstellung ausnahmsweise zugelassen werden, wenn ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bestehe. Da der Revisionswerber keine familiären Bindungen in Österreich habe, sei die Ausprägung seines Privatlebens zu prüfen. Der Revisionswerber habe sich ca. zweieinhalb Jahre rechtmäßig in Österreich aufgehalten und sei ca. neun Monate später außer Landes gebracht worden. Er habe Deutschkenntnisse erworben, sich schulisch gut integriert und am Vereinsleben teilgenommen. Er sei erwerbstätig gewesen (Schauspieler bzw. Lehrverhältnis für den Beruf „Koch“) und habe sich einen - noch aufrechten - Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut. Die Integrationsmaßnahmen seien aber zu einem Zeitpunkt gesetzt worden, zu dem sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei. Schon während des Asylverfahrens - noch mehr nach Erlassung der Rückkehrentscheidung - habe er nicht damit rechnen können, in Österreich bleiben zu dürfen. Eine gewisse Bedeutung komme auch dem Umstand zu, dass der Revisionswerber die Entscheidung über die Verweigerung des Asylrechts ignoriert habe.
Auch wenn der Revisionswerber die in Österreich verbrachte Zeit genützt habe, um sich in gewissem Ausmaß zu integrieren, habe er keine Umstände dargetan, auf Grund derer eine Auslandsantragstellung als nicht möglich oder nicht zumutbar zu beurteilen wäre. Der Revisionswerber sei in Afghanistan aufgewachsen und verfüge dort über ein familiäres Netz. Ungeachtet der dargelegten integrationsbegründenden Umstände sei es nicht geboten, ihm einen aus Art. 8 EMRK abgeleiteten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels einzuräumen und die Inlandsantragstellung zuzulassen. Soweit der Revisionswerber die prekäre Situation in Afghanistan ins Treffen führe, sei darauf hinzuweisen, dass es für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ auf die Gefährdungslage im Herkunftsstaat nicht ankomme, weil diese nicht im Rahmen der hier vorzunehmenden Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu prüfen sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die - nach Ablehnung der Behandlung der zunächst erhobenen Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 21.9.2020, E 1763/2020) eingebrachte - vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Der Revisionswerber macht in seinem Zulässigkeitsvorbringen geltend, er verfüge über einen aufrechten Lehrvertrag und sei daher zumindest duldungsberechtigt in Österreich; dies habe das Verwaltungsgericht nicht beachtet. Zudem bringt er unter Verweis auf näher zitierte Rechtsprechung des EuGH vor, „nach Unionsrecht, das im Migrationsbereich jedenfalls anzuwenden ist, bestimmt die Arbeitsberechtigung auch die Aufenthaltsberechtigung“. Bei Vorliegen eines geltenden Lehrvertrages müsse ein Lehrling die Gewissheit haben, seine Lehre abschließen zu können.
8 Diesem Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, dass das vom Revisionswerber ins Treffen geführte Urteil des EuGH vom 5. Oktober 1994, Rs. C-355/983, zu Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (zwischen der EWG und der Türkei) ergangen ist und sich daraus für den vorliegenden Fall - schon mangels türkischer Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers - nichts gewinnen lässt. Aus dem Vorliegen einer Beschäftigungsbewilligung oder eines aufrechten Lehrvertrages ergibt sich für sich genommen kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG (vgl. zur Beschäftigungsbewilligung auch § 25 AuslBG sowie VwGH 17.9.2008, 2008/22/0264).
9 Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK - neben anderen Aspekten - auch die schulische (Besuch der ersten Klasse der Landesberufsschule) und berufliche (ua. sein Lehrverhältnis als Koch) Integration des Revisionswerbers berücksichtigt. Dass es ungeachtet der anerkannten integrationsbegründenden Umstände im Ergebnis ein Überwiegen der persönlichen Interessen des Revisionswerbers und einen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verneint hat, kann jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden (vgl. zur Berücksichtigung einer Lehre etwa auch VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0133; 28.11.2019, Ra 2019/18/0457).
10 Weiters erachtet es der Revisionswerber als denkunmöglich, dass es nicht auf die Gefährdungslage im Herkunftsstaat ankommen solle. Diesbezüglich wird auf den Grundsatz verwiesen, dass niemand verpflichtet werden könne, Unmögliches zu tun. In Afghanistan gebe es keine Botschaft, sodass der Revisionswerber seine Antragstellung in einem Drittland vornehmen müsste, wofür es keine Rechtsgrundlage gebe.
11 Die Gefährdung eines Drittstaatsangehörigen in seinem Herkunftsstaat ist im Rahmen des Asylverfahrens bzw. im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Abschiebung zu prüfen. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht dem diesbezüglichen Vorbringen des Revisionswerbers im Rahmen der von ihm durchgeführten Interessenabwägung kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat. Soweit der Revisionswerber auf die fehlende Rechtsgrundlage für eine Antragstellung in einem Drittland verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass § 21 Abs. 1 NAG auf die örtlich zuständige Berufsvertretungsbehörde abstellt (siehe dazu § 5 Abs. 1 NAG sowie Anlage 1 zur Konsularverordnung, BGBl. II Nr. 327/2019 in der Fassung BGBl. II Nr. 404/2020).
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
13 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 22. April 2021
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220276.L00Im RIS seit
13.05.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021