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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der A GmbH in B, vertreten durch Dr. Georg Bauer und Mag. Edwin Kerschbaummayr, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Museumstraße 6-8, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 18. August 2020, Zl. LVwG-750869/2/KLi, betreffend Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Arbeitnehmer X der Revisionswerberin unternahm im März 2020 eine Urlaubsreise in die Türkei. Am 23. März 2020 reiste er über Deutschland nach Österreich ein und wurde an der österreichischen Grenze von einem Polizeibeamten zur „Selbstquarantäne“ aufgefordert. Außerdem wurde er anschließend im Zuge eines Telefonates mit der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) - und nach der Revision auch mit der belangten Behörde - davon in Kenntnis gesetzt, dass er sich in Quarantäne zu begeben habe. X befand sich schließlich im Zeitraum vom 23. März bis zum 6. April 2020 in „Selbstquarantäne“.
2 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich wurde der von der Revisionswerberin gestellte Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) für das von ihr an X während dessen Quarantäne fortbezahlte Entgelt als unbegründet abgewiesen. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit hier von Relevanz - aus, dass die Aufzählung der Alternativen in § 32 Abs. 1 EpiG als taxativ anzusehen sei und die auf Grundlage der (auf § 25 EpiG gestützten) Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über Maßnahmen bei der Einreise aus Italien, der Schweiz, Liechtenstein, Deutschland, Ungarn und Slowenien, BGBl. II Nr. 87/2020 idF II Nr. 104/2020, verordneten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen aus dem Ausland, so lange sie nicht unter die Ziffern des § 32 Abs. 1 EpiG zu subsumieren seien, keine Vergütungsansprüche rechtfertigten. Es sei unbestritten, dass gegen X kein Bescheid iSd § 7 oder § 17 EpiG erlassen worden sei. Die Revisionswerberin habe daher keinen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 EpiG.
4 Gegen diese Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Dementsprechend erfolgt nach der ständigen Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. Die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, muss sich aus dieser gesonderten Darstellung ergeben. Auf Vorbringen zur Revisionsbegründung im Zusammenhang mit der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ist nicht einzugehen, selbst wenn es als Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision bezeichnet ist (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2021/09/0007; 25.4.2019, Ra 2019/09/0048).
8 In den gesondert vorzubringenden Gründen ist sohin konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 12.3.2018, Ra 2018/09/0008, mwN).
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlen die Voraussetzungen für die Erhebung einer Revision zum einen etwa dann, wenn sich das Verwaltungsgericht auf einen klaren Gesetzeswortlaut stützen kann. Ist somit die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (siehe etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/09/0040; 20.12.2017, Ra 2017/12/0124).
10 Zum anderen ist die Frage, ob die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 B-VG - also eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung - vorliegt, im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auch nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, liegt daher keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme (vgl. z.B. VwGH 23.3.2021, Ra 2021/09/0046, mwN; 25.2.2020, Ra 2019/09/0108).
11 Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zudem voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz der Rechtsfrage für den Verfahrensausgang begründet wird (vgl. VwGH 25.6.2020, Ra 2019/09/0157, mwN). In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 15.9.2020, Ra 2020/09/0030, mwN).
12 Die Revisionswerberin begründet die Zulässigkeit der Revision damit, dass es zur Frage der Vergütung für den Verdienstentgang im Zusammenhang mit Covid-19 noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebe. Es sei gegenständlich die Rechtsfrage zu klären, ob die Aufzählung in § 32 Abs. 1 EpiG hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Vergütung der durch die Behinderung des Erwerbs entstandenen Vermögensnachteile taxativ sei oder teleologisch so zu interpretieren sei, dass eine generelle Quarantäneanordnung im Sinne eines generellen Bescheides oder einer Verordnung als Bescheid iSd § 7 EpiG auszulegen sei. Die gesetzlichen Vorschriften seien nicht eindeutig. Des Weiteren führt die Revisionswerberin aus, es fehle Rechtsprechung, ob eine telefonische Anordnung der AGES und der belangten Behörde als behördlicher „Nichtakt“, als bloße Empfehlung oder als formell fehlerhafter mündlicher Bescheid Geltung habe.
13 Die Revisionswerberin stützt ihren Anspruch erkennbar auf § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG. Ein Anspruch auf Vergütung für den Verdienstentgang nach dieser Bestimmung setzt - ausgehend vom klaren Wortlaut dieser mit der Novelle BGBl. Nr. 702/1974 in Kraft getretenen und seither unverändert gebliebenen Norm - voraus, dass der Anspruchswerber (bzw. im Revisionsfall deren Arbeitnehmer, vgl. § 32 Abs. 3 EpiG) gemäß §§ 7 oder 17 EpiG abgesondert worden ist (ein Bescheid nach § 17 EpiG ist im Übrigen auch Voraussetzung für die Erstattung des Verdienstentganges gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 leg. cit., die anderen Ziffern des § 32 Abs. 1 EpiG kommen im Revisionsfall ohnehin nicht in Betracht).
14 In diesem Zusammenhang ist sodann auf § 62 Abs. 1 AVG zu verweisen, wonach Bescheide - wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden können. Der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluss der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden (§ 62 Abs. 2 AVG). Der Verwaltungsgerichtshof judiziert dazu in ständiger Rechtsprechung, dass dann nicht von der Erlassung eines Bescheides gesprochen werden kann, wenn es an dieser niederschriftlichen Beurkundung fehlt. Eine Unterlassung dieser Beurkundung hat vielmehr zur Folge, dass ein Bescheid nicht existent wird (vgl. VwGH 21.2.1991, 90/09/0064, mwN).
15 Eine derartige Verkündung und Beurkundung - wie auch eine nachfolgende schriftliche Ausfertigung - ist im Revisionsfall unbestritten nicht erfolgt. Dem Verwaltungsgericht ist daher zuzustimmen, wenn es zum Ergebnis kommt, dass gegenüber X kein Bescheid iSd §§ 7, 17 EpiG erlassen wurde und die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG sohin nicht vorliegen. Für die von der Revisionswerberin angestrebte interpretative Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG aufgrund von „generellen Quarantäneanordnungen“ auf den vorliegenden Fall bleibt angesichts seines eindeutigen Wortlautes kein Raum. Ebenso sind allfällige Ansprüche wegen unterlassener Erlassung eines (schriftlichen) Absonderungsbescheides nicht im vorliegenden Verfahren zu einem auf § 32 EpiG gestützten Vergütungsanspruch zu prüfen.
16 Soweit die Revisionswerberin außerdem Rechtsfragen zum telefonischen Bescheid gemäß § 46 EpiG aufwirft, mangelt es diesen schon an der Relevanz. Diese Form der Erlassung wurde erst mit der Novelle BGBl. I Nr. 43/2020 eingeführt, womit § 46 EpiG am 15. Mai 2020 und sohin einige Wochen nach dem Gespräch von X mit der AGES und der belangten Behörde in Kraft getreten ist.
17 Im Übrigen haben Gesetzgeber bzw. Verordnungserlasser des COVID-19-Maßnahmengesetzes bzw. der „COVID-19-Verordnungen“ die in Rede stehenden Einschränkungen nicht isoliert erlassen, sondern „in ein umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket eingebettet“ (vgl. die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 14. Juli 2020, G 202/2020, Punkt 2.3.6). Der Verwaltungsgerichtshof hegt daher keine Bedenken, wenn nicht für alle Maßnahmen nach dem EpiG, die (mittelbare) Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb eines Unternehmens haben, eine Entschädigung nach § 32 EpiG vorgesehen wird (vgl. dazu zu Betriebsschließungen bzw. -behinderungen u.a. VwGH 22.4.2021, Ra 2021/09/0005; 24.2.2021, Ra 2021/03/0018, sowie VfGH 2.3.2021, E 4202/2020-10).
18 Da in der Revision somit keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision zurückzuweisen.
19 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 23. April 2021
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020090070.L00Im RIS seit
17.12.2021Zuletzt aktualisiert am
17.12.2021