TE Vwgh Beschluss 2021/4/26 Ra 2021/20/0088

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Veröffentlicht am 26.04.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Rechtssache der Revision des A S in W, geboren am 1. Jänner 1990, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2020, W266 2165769-1/38E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 16. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er damit begründete, dass er als Soldat für das afghanische sowie das US-amerikanische Militär tätig gewesen sei und aufgrund dessen von den Taliban verfolgt werde. Zudem hätten ihn die Taliban töten wollen, weil er kein Moslem mehr sei.

2        Mit Bescheid vom 5. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. Jänner 2021, E 4186/2020-9, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision wendet sich in ihrer Zulassungsbegründung der Sache nach gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber stehe in den afghanischen Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme auch zumutbar sei, offen. Dabei habe das Verwaltungsgericht die äußerst angespannte wirtschaftliche Situation in Afghanistan, die sich durch die Corona-Pandemie verschlechtert habe, nicht berücksichtigt. Auch stehe die Annahme, der Revisionswerber könne von seiner Familie finanziell unterstützt werden, in Widerspruch zu den zur Familie getroffenen Feststellungen. Weiters sei der Revisionswerber nicht nur in seiner Heimatprovinz, sondern im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan als ehemaliger Soldat Verfolgungshandlungen durch die Taliban ausgesetzt.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative, die das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall infolge der von ihm konstatierten volatilen Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers prüfte und bejahte, letztlich eine Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2020/20/0439, mwN).

10       Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 25.3.2021, Ra 2021/20/0062 bis 0064, mwN). In der Rechtsprechung wurde auch bereits klargestellt, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. auch VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373, mwN).

11       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs-, Begründungs- und Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 11.2.2021, Ra 2021/20/0026 bis 0029, mwN).

12       Im Licht der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes vermag der Revisionswerber die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht aufzuzeigen.

13       Das Bundesverwaltungsgericht traf fallbezogen hinreichend aktuelle Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit und setzte sich mit den individuellen Umständen des Revisionswerbers und den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf ihn auseinander. Es kam zum Ergebnis, dass bei einer Niederlassung in den genannten afghanischen Städten die grundlegende Versorgung des Revisionswerbers gewährleistet sei, zumal es sich um einen jungen, grundsätzlich gesunden, arbeitsfähigen und arbeitswilligen Mann mit einschlägigen Sprachkenntnissen handle. Der Revisionswerber sei mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und könnte für den Aufbau einer neuen Existenz sowie einer Wohnmöglichkeit Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Dies wird in der Revision nicht substantiiert bestritten. Soweit sich der Revisionswerber gegen die Annahme der finanziellen Unterstützungsmöglichkeit durch seine Familie wehrt, ist auf die unbestrittene Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen, wonach die Familie des Revisionswerbers ihm im Falle der Eröffnung eines Geschäfts in Österreich Geld schicken würde, sodass die Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichts, seine Familie würde ihn auch in Afghanistan finanziell unterstützen, zumindest vertretbar erscheint.

14       Soweit sich die Revision darauf beruft, die Taliban würden den Revisionswerber nicht nur in seiner Heimatprovinz, sondern im gesamten Staatsgebiet verfolgen, übersieht sie, dass das Bundesverwaltungsgericht eine asylrelevante Verfolgung des Revisionswerbers durch die Taliban nicht angenommen hat und sich daher das Revisionsvorbringen vom festgestellten Sachverhalt entfernt.

15       Die Revision zeigt somit nicht auf, dass die im Einzelfall erfolgte Beurteilung unvertretbar wäre (vgl. zur innerstaatlichen Fluchtalternative für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer in Mazar-e Sharif etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0140) und dass im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif solche exzeptionellen Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellen würden.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 26. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200088.L00

Im RIS seit

14.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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