TE OGH 2021/2/26 10Ob1/21a

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Veröffentlicht am 26.02.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin Wiener Linien GmbH & Co KG, 1031 Wien, Erdbergstraße 202, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Erlagsgegner DI E*****, wegen Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB, über den Revisionsrekurs der Erlegerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. September 2020, GZ 42 R 317/20h-11, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 18. Juni 2020, GZ 16 Nc 45/20z-4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Die Erlegerin begehrte den gerichtlichen Erlag der im Enteignungsbescheid festgesetzten Entschädigungssumme und brachte dazu vor, der Erlagsgegner habe auf eine Kontaktaufnahme zwecks Entgegennahme des Entschädigungsbetrags vor einem Notar nicht reagiert. Nach § 35 Abs 2 EisbEG habe die Erlegerin das Recht auf Hinterlegung des Betrags. Die Erlegerin begehrte weiters die Aufnahme der Ausfolgungsbedingung, dass die Ausfolgung nur über Gerichtsentscheid oder gemeinsamen Antrag der Erlegerin und des Erlagsgegners erfolgen dürfe.

[2]            Das Erstgericht nahm den Erlag an, jedoch ohne die Ausfolgungsbedingung, dass nur über gemeinsamen Antrag ausgefolgt werden dürfe. Stattdessen sprach es im Annahmebeschluss aus, dass die Ausfolgung über Antrag des Erlagsgegners oder aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung erfolge. Bei nur einem Erlagsgegner habe die Ausfolgung stets auf Antrag des Erlagsgegners zu erfolgen. Die Bedingung, eine Ausfolgung an den Antrag des Erlegers zu binden, sei unwirksam.

[3]            Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Erlegerin Folge und wies den Erlagsantrag ab. Ausfolgungsbedingungen könnten nur zur Gänze angenommen oder abgelehnt werden, die Bewilligung anderer Ausfolgungsbedingungen sei die Bewilligung eines wesensmäßig anderen Erlags. Daher könne auch keine Teilrechtskraft eintreten, die Berechtigung des Erlags sei daher aufgrund des Rekurses insgesamt zu überprüfen. Das Rekursvorbringen, die im Erlagsantrag genannten Ausfolgungsbedingungen seien notwendig und zulässig, weil die im Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigung überhöht und die Rekurswerberin beim Gericht einen Neufestsetzungsantrag gestellt habe, sei eine unzulässige Neuerung. Ein Erlag nach § 35 Abs 2 EisbEG in Verbindung mit § 1425 ABGB komme nicht in Betracht, weil die von der Erlegerin gewünschte Ausfolgungsbedingung der nach § 1425 ABGB notwendigen Tilgungswirkung eines Erlags entgegenstehe. Der Erlagsantrag sei daher abzuweisen.

[4]            Das Rekursgericht ließ nachträglich den Revisionsrekurs zu, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe, ob es sich bei einer Hinterlegung nach § 35 Abs 2 EisbEG in Verbindung mit dem Enteignungsbescheid um einen eigenständigen anderen wichtigen Erlagsgrund nach § 1425 ABGB handle, um den grundbücherlichen Vollzug der Enteignung erwirken zu können. Auch die Frage der schuldbefreienden Wirkung des gerichtlichen Erlags als Voraussetzung in einem Enteignungsverfahren sei höchstgerichtlich nicht geklärt.

[5]            Mit ihrem Revisionsrekurs strebt die Erlegerin die Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses dahingehend an, dass ihrem Erlagsantrag vollinhaltlich entsprochen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[6]            Der Erlagsgegner beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

[7]            Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[8]            Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, § 35 Abs 2 EisbEG normiere einen eigenständigen Erlagsgrund, der nicht den Erfordernissen des § 1425 ABGB genügen müsse. In Enteignungsverfahren sei ein Erlag nach § 1425 ABGB auch unter der gewünschten Ausfolgungsbedingung zulässig.

[9]       Dem ist entgegenzuhalten:

[10]           1.1 Nach § 35 Abs 2 Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (EisbEG) ist der Vollzug (der Enteignung) auf Antrag des Eisenbahnunternehmens zu bewilligen, wenn es die im rechtskräftigen Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigung geleistet oder gerichtlich hinterlegt und die in diesem Bescheid festgesetzte Sicherheit geleistet hat.

[11]           1.2 Der Antrag ON 1 ist als „Antrag auf Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB“ bezeichnet, im Antragsvorbringen wird aber unter Punkt 4. auf § 35 Abs 2 EisbEG Bezug genommen. § 35 Abs 2 EisbEG stellt jedoch nach seinem völlig eindeutigen Wortlaut keinen eigenständigen Erlagsgrund dar. Vielmehr wird in dieser Bestimmung die Hinterlegungsmöglichkeit nach § 1425 ABGB vorausgesetzt und daran angeknüpft. Entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin kann aus der Bestimmung auch kein Wahlrecht des Erlegenden, wie er die Entschädigung zu leisten habe, abgeleitet werden.

[12]           2.1 Dass § 34 Abs 1 EisbEG (Gerichtserlag, wenn und insoweit der Entschädigungsbetrag zur Befriedigung dritter Personen zu dienen hat; vgl § 25 Abs 2 iVm § 5 EisbEG) hier als eigenständiger Erlagsgrund nicht in Frage kommt, bestreitet die Rechtsmittelwerberin nicht. Mangels sonstiger Erlagstatbestände ist die allgemeine Norm des § 1425 ABGB anzuwenden.

[13]           2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Zweck einer gerichtlichen Hinterlegung des Leistungsgegenstands die Schuldtilgung (RS0033640 [T3]). Wo eine solche nach der Art des gewählten Vorgangs kraft Gesetzes nicht eintreten kann, ist auch eine gerichtliche Hinterlegung wegen Zwecklosigkeit unzulässig (6 Ob 744/88; RS0033640). Diese Rechtsprechungslinie wurde zuletzt zu mit ausführlicher Begründung bestätigt.

[14]           2.3 Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Rechtsprechung beim gerichtlichen Erlag in einem Enteignungsentschädigungsverfahren nicht gelten sollte. Weder ein öffentliches Interesse an einer raschen Umsetzung der Enteignung noch eine mögliche Herabsetzung der Entschädigungssumme im gerichtlichen Verfahren bieten dafür eine Grundlage. So hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 263/03p in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung den Ausführungen von Rummel (Zur Hinterlegung der Entschädigung bei Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz, JBl 1994, 390) angeschlossen, dass die verzögerte Ausfolgung des Entschädigungsbetrags – erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens – für einen Enteigneten allenfalls ruinös sein könne und der wirtschaftliche Druck, der beim Enteigneten bewirkt werde, mit der Zielsetzung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG) unvereinbar sei. Werde der Erlagsbetrag vorläufig „eingefroren“, könne er also weder an den Erlagsgegner noch an den Erleger ausgefolgt werden, so widerspräche dies dem einem Enteignungsverfahren immanenten generellen Prinzip, dass die Zahlung der Entschädigungssumme und der Vollzug der Enteignung Zug um Zug zu erfolgen hätten. Lediglich die Höhe der zu leistenden Entschädigung sei offen, wenn die gerichtliche Entscheidung begehrt werde. Es stehe aber fest, dass eine Entschädigung zu leisten sei, die dem Enteigneten, der aufgrund des massiven Eingriffs in seine Rechte besonders schützenswert ist, raschestmöglich zukommen solle. Müsse in der Folge, wenn die Entschädigung vom Gericht niedriger als im Enteignungserkenntnis festgesetzt werde, der Enteignete einen Teil des ihm ausgefolgten Betrags zurückzahlen, so rechtfertige es ein solcher (eher seltener) Verfahrensgang noch nicht, dem Enteigneten die Auszahlung einer wenn auch nur vorläufig behördlich festgelegt gewesenen Entschädigungssumme unter Umständen langfristig zu verwehren und ihn so gegebenenfalls großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auszusetzen (vgl auch RS00118518).

[15]     Durch die Möglichkeit, die Enteignung vor einer rechtskräftigen gerichtlichen Festsetzung der Entschädigungssumme zu vollziehen, trägt der Gesetzgeber dem allenfalls bestehenden öffentlichen Bedürfnis nach einer raschen Umsetzung Rechnung. Indem er diese aber von der Leistung der Entschädigung, allenfalls auch im Wege der gerichtlichen Hinterlegung abhängig macht, berücksichtigt er zugleich die Interessen des Enteigneten an einem wirtschaftlichen Ausgleich zum Zeitpunkt der Enteignung.

[16]           Auch im Enteignungsentschädigungsverfahren ist daher die Hinterlegung des Entschädigungsbetrags bei Gericht nach § 1425 ABGB nur zulässig, wenn dadurch die Schuld getilgt wird.

[17]           2.4 Im Folgenden ist für die Zulässigkeit des Erlags nach § 1425 ABGB nach den dargestellten Kriterien daher zunächst zu prüfen, ob überhaupt ein tauglicher Erlagsgrund nach § 1425 ABGB vorliegt. Sodann ist zu beurteilen, ob die gewünschte Ausfolgungsbedingung zulässig ist.

[18]           2.5 Dass der Erlagsgegner nach dem Antragsvorbringen auf die Kontaktaufnahme zur Entgegennahme des Betrags vor einem Notar nicht reagiert hat, kann unter den Erlagsgrund der Unzufriedenheit subsumiert werden.

[19]           2.6 Der Oberste Gerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass der Widerrufsvorbehalt des Erlegers grundsätzlich mit der schuldbefreienden Wirkung eines Erlags nach § 1425 ABGB nicht vereinbar ist (8 Ob 71/09p; 8 Ob 31/11h; 8 Ob 117/18s) und hat auch klar am Erfordernis der Tilgungswirkung festgehalten.

[20]           Anders als die vorbehaltlose und rechtmäßige Hinterlegung hat die Hinterlegung unter Widerrufsvorbehalt keine Erfüllungs- und damit keine Befreiungswirkung (8 Ob 31/11h; 4 Ob 170/12x). Die Tilgungswirkung tritt in diesem Fall erst ein, wenn ein Widerruf nicht mehr möglich ist (Stabentheiner in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1425 Rz 30; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1425 Rz 412), etwa weil die vom Schuldner selbst bestimmte Widerrufsfrist abgelaufen ist oder der Ausfolgungsbeschluss Rechtskraft erlangt hat (Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1425 Rz 37; zu allem 8 Ob 117/18s).

[21]           2.7 Hier möchte sich die Erlegerin nicht nur eine Widerrufsmöglichkeit vorbehalten, sondern die Auszahlung des Erlags von ihrer ausdrücklichen Zustimmung abhängig machen. Dieser Vorbehalt könnte aber niemals „wegfallen“, weshalb die Tilgungswirkung ohne eine Zustimmung der Erlegerin nicht eintreten kann.

[22]     3. Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit der dargestellten Rechtsprechung im Einklang: Die Ausfolgung wurde im Antrag zu Unrecht an die Zustimmung der Erlegerin geknüpft; damit kann der Erlag keine schuldbefreiende Wirkung haben und somit sein Ziel nicht erreichen. Wenn das Rekursgericht den somit zwecklosen Erlag abgelehnt hat, dann entspricht dies der Rechtslage.

[23]           Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.

Textnummer

E131156

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00001.21A.0226.000

Im RIS seit

12.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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