Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. März 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Nieschlag in der Strafsache gegen ***** J***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. September 2020, GZ 63 Hv 79/19a-66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** J***** – im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 14 Os 26/20k) – des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 1 Z 1 (erneut zu ergänzen: dritter Fall) StGB (I) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 21. Oktober 2018 in W*****
(I) ***** R***** (vgl US 5 und 10) am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig für immer eine schwere Schädigung des Gehörs des Genannten herbeigeführt, indem er ihm einen Stoß versetzte, wodurch dieser (US 4) zu Boden fiel, mit dem Kopf auf dem Asphaltboden aufschlug und bewusstlos liegen blieb, und dadurch einen rechtsseitigen Schädelbasisbruch, Hirnrindenprellungen im Bereich des rechten Stirnlappens verbunden mit Blutungen zwischen den Hirnhäuten sowie eine massive Verletzung des rechten Innenohrs und des rechten Gleichgewichtsorgans, verbunden mit einem dauerhaften Tinnitus und einer deutlichen Hörminderung rechtsseitig erlitt, und
(II) J***** C***** am Körper verletzt, indem er ihn am Hals packte, würgte und ihm mehrere Faustschläge gegen den Kopf und ins Gesicht versetzte, wodurch dieser eine Abschürfung am Kopf und am linken Ellenbogen, Würgemale am Hals sowie Blutergüsse am rechten Oberarm erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Soweit die Beschwerde den Schuldspruch II inhaltlich unbekämpft lässt, mangelt es ihr diesbezüglich schon an der deutlichen und bestimmten Bezeichnung eines Nichtigkeitsgrundes (§ 285 Abs 1 zweiter Satz, § 285a Z 2 StPO), sodass insoweit auf sie keine Rücksicht zu nehmen war.
[5] Die Mängelrüge releviert zur konstatierten subjektiven Vorhersehbarkeit der Dauerfolge für den „zwar alkoholisiert[en], jedoch nicht volltrunken[en]“ Angeklagten (US 5 f), dass die Annahme des Erstgerichts, wonach dessen „die Steuerungsfähigkeit keinesfalls aufhebende Alkoholisierung“ dem „jedenfalls nicht entgegen“ stehe (US 10), eine bloße Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) darstelle. Die Tatrichter haben die Feststellungen zur subjektiven Tatseite – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0098671) – (auch) aus dem objektiven Tatgeschehen abgeleitet (US 10). Indem die Rüge nur ein Argumentationselement isoliert hervorkehrt, nimmt sie nicht Maß an der Gesamtheit der diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter und verfehlt damit ihren gesetzlichen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0119370 [T1]).
[6] Das Vorbringen, daraus sei „abzuleiten“, dass „jedweder Alkoholisierungsgrad, welcher nicht gerade die Grenze der Steuerungsfähigkeit tangiert“, keine Auswirkungen auf die objektive und subjektive Vorhersehbarkeit der Dauerfolge habe, was nicht der „allgemeinen Lebenserfahrung“ entspreche, erschöpft sich in Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.
[7] Der Behauptung, bei dieser „Annahme“ der Tatrichter sei „offenbar“ von einem „gerichtsnotorischen Umstand“ auszugehen, über den der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht in Kenntnis gesetzt worden sei, ist zu erwidern, dass das damit angesprochene Überraschungsverbot in Bezug auf beweiswürdigende Erwägungen des Gerichts unter dem Aspekt der (hier) Z 5 keine Anwendung findet (RIS-Justiz RS0120025 [T1 und T3]).
[8] Als unvollständig (Z 5 zweiter Fall) releviert die Rüge, dass das Erstgericht die der Feststellung, wonach der Angeklagte „zwar alkoholisiert, jedoch nicht volltrunken“ gewesen sei (US 5; vgl auch US 4: „mittelstark alkoholisiert“), widerstreitende Aussage des Angeklagten, er sei „stark betrunken“ gewesen (ON 65 S 3), unberücksichtigt gelassen habe. Die Verantwortung des Angeklagten haben die Tatrichter erörtert (US 6, vgl im Übrigen dessen Aussage, er sei „ziemlich betrunken“ gewesen, habe sich „etwas schwindlig“ gefühlt und könne sich an den Abend noch „gut erinnern“ [ON 65 S 3]). Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend waren sie jedoch nicht verpflichtet, sich mit dem angesprochenen Aussagedetail gesondert auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0106642, RS0098717).
[9] Soweit die Rüge auf Grundlage dieser isoliert hervorgekehrten Textpassage (siehe aber RIS-Justiz RS0116504) eigene Schlüsse zu dessen Alkoholisierungsgrad zieht, bekämpft sie erneut unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter.
[10] Die Tatsachenrüge (Z 5a) richtet sich gegen die Konstatierung, wonach der Angeklagte ***** R***** einen Stoß versetzte, wodurch dieser zu Sturz kam und die zum Schuldspruch I festgestellten Verletzungen erlitt (US 4). Indem sie dazu auf Details der – ausführlich gewürdigten (US 9) – Aussage des Zeugen Mag. ***** Ro***** verweist („So, dass jemand am Boden lag, so hat er sicher nicht geschlagen. Wie ich rausgekommen bin, sind alle gestanden. Definitiv […]. Es ist niemand am Boden gelegen“, er [der Angeklagte] „hat nicht zugeschlagen“ [ON 65 S 55 ff]), dabei aber die eingehende, sich auf die diesbezüglichen Angaben der Zeugen ***** R*****, K***** C*****, ***** Z***** sowie ***** F***** stützende Beweiswürdigung des Erstgerichts (US 6 ff) unberücksichtigt lässt, erweist sie sich als nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0118780 [T1 und T11]).
[11] Die Subsumtionsrüge (Z 10) bestreitet die rechtliche Unterstellung nach § 85 Abs 1 StGB und behauptet unter Verweis auf RIS-Justiz RS0089264 das Vorliegen von „überschweren Verletzungsfolgen“. Sie legt aber nicht dar, weshalb (ex ante) beim hier festgestellten Verletzungshergang (Stoß gegen eine mittelstark alkoholisierte Person, wodurch diese aus dem Gleichgewicht kommt, zu Boden fällt und mit dem Kopf am Asphaltboden aufschlägt [US 4]), von einer atypischen Ungefährlichkeit der konkreten Begehungsweise des Grunddelikts (hier § 83 Abs 2 StGB) in Ansehung der eingetretenen schweren Tatfolgen auszugehen und daher die objektive Sorgfaltswidrigkeit ausnahmsweise zu verneinen sei (siehe dazu RIS-Justiz RS0089264; Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 7 Rz 21 f mwN; Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 85 Rz 26; Leukauf/Steininger/Huber, StGB4 § 7 Rz 33; Leukauf/Steininger/Nimmervoll/Stricker, StGB Update 2020 § 85 Rz 19). Damit bringt sie den materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0116565).
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[13] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
[14] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E131508European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00137.20H.0323.000Im RIS seit
11.05.2021Zuletzt aktualisiert am
11.05.2021