TE OGH 2021/3/24 7Ob49/21p

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Veröffentlicht am 24.03.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** P*****, vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Z***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 46.890 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2021, GZ 5 R 152/20i-42, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]       1. Sowohl zu den Zeitpunkten, zu denen der Kläger von seiner Tochter über die vermeintlich bestandene Führerscheinprüfung erfuhr, als auch zum Abbruch seines Urlaubs wegen der schweren Erkrankung seines Bruders und auch zum Beginn einer weiteren Urlaubsreise, während der seine Tochter den Unfall verursachte, wurden Feststellungen getroffen. Den von der Beklagten in diesem Zusammenhang gerügten sekundären Feststellungsmängel stehen die dazu getroffenen Tatsachenfeststellungen entgegen (vgl RS0053317 [T1]; RS0043320 [T16, T18]; RS0043480 [T15]), mögen diese zum Teil auch pauschal erfolgt sein. Den als fehlend reklamierten genauen Zeitangaben und auch dem Umstand, dass der Kläger mit seiner Tochter an derselben Adresse gewohnt habe, kommt keine rechtliche Bedeutung zu (vgl RS0053317).

[2]            2. Der Kläger brachte vor, dass seine Tochter den Pkw ohne sein Wissen in Betrieb nahm und er ihr dies auch ausdrücklich verboten hatte. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der – überdies nicht entscheidungserheblichen (siehe Punkt 3.4.) – Feststellung, der Kläger habe nicht gewollt, dass seine Tochter alleine mit seinem Auto fährt, nicht um eine sogenannte „überschießende“, findet diese doch in seinem Vorbringen Deckung. Wenn sie weiters behauptet, für diese Feststellung gebe es keine Beweisergebnisse, übersieht sie, dass Fragen der Beweiswürdigung nicht revisibel sind (RS0042903 [T5, T7]).

[3]            3.1. Der Kläger hatte mit der Beklagten einen Vollkaskoversicherungsvertrag für seinen Pkw abgeschlossen. Seine (damals 17 Jahre alte) Tochter, die über keine gültige Lenkberechtigung verfügte, verursachte mit seinem Fahrzeug einen Verkehrsunfall, bei dem ein Totalschaden eintrat.

[4]            In Art 7.2.1. Allgemeine Z***** Bedingungen für die Vollkasko-Versicherung (AK1 2015) wurde bei sonstiger Leistungsfreiheit des Versicherers nach Maßgabe des § 6 Abs 2 VersVG vereinbart, dass „der/die LenkerIn [...] in jedem Fall die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzen [muss], die für das Lenken des Fahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr vorgeschrieben ist; dies gilt auch dann, wenn das Fahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt wird;[...]

Die Leistungspflicht bleibt jedenfalls in den Fällen der Punkt 2.1 [...] gegenüber dem Versicherungsnehmer und anderen mitversicherten Personen als dem/der LenkerIn bestehen, sofern für diese die Obliegenheitsverletzung ohne Verschulden nicht erkennbar war“.

[5]            Der Kläger ging – ebenso wie Mutter, Schwester und eine Freundin – davon aus, dass seine Tochter über die erforderliche Lenkberechtigung verfügt. Während er sich auf Urlaub befand, gab seine Tochter vor, zur praktischen Fahrprüfung – die erst nach bestandener Theorieprüfung absolviert werden kann – anzutreten, und antwortete auf die Frage des Vaters „bestanden“ mit „ja“.

[6]       3.2. Die Beklagte hat die Verletzung der „Führerscheinklausel“ – die fehlende kraftfahrrechtliche Berechtigung (vgl 7 Ob 43/11s = ZVR 2012/132, 262 [Reisinger] = RS0127090: „L17“-Lenkberechtigung ist keine kraftfahrrechtliche Berechtigung im Sinn des § 5 Abs 1 Z 4 KHVG und Art 9.2.1. AKHB 1995) – nachgewiesen.

[7]            Die Vorinstanzen erachteten allerdings den dem Kläger obliegenden Beweis (RS0081343), dass ihm das Fehlen der Lenkberechtigung seiner Tochter ohne sein Verschulden nicht erkennbar gewesen sei, sodass die Leistungspflicht der Beklagten bestehen bleibe, für erbracht. Der Kläger habe auf die Auskunft seiner Tochter vertrauen dürfen, dass sie die Führerscheinprüfung bestanden habe, auch wenn er sich nicht den Führerschein vorzeigen habe lassen. Das familiäre Verhältnis zwischen beiden sei intakt gewesen; er habe nicht vermuten müssen, dass sie ihn anlügen würde. Zur Zeit des angeblichen Antritts seiner Tochter zur praktischen Fahrprüfung habe er wegen der schweren Erkrankung seines Bruders, an der dieser auch wenige Tage später gestorben sei, seinen Urlaub vorzeitig abbrechen müssen, sodass ihm in dieser Ausnahmesituation nicht vorzuwerfen sei, dass er der Lenkberechtigung nicht noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet habe. Zudem habe seine Tochter ihr gesamtes Umfeld – insbesondere auch ihre Schwester und eine Freundin – überzeugend getäuscht, über die Lenkberechtigung zu verfügen. Diese Beurteilung ist im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden.

[8]            3.3. Zwar sind an den Beweis der Schuldlosigkeit des Versicherungsnehmers strenge Anforderungen zu stellen (RS0081319). Zu verlangen ist jene Sorgfalt, die nach der Lebenserfahrung unter den gegebenen Umständen von vernünftig und praktisch denkenden Menschen aufgewendet zu werden pflegt (7 Ob 44/85 mwN). Das Unterlassen des Begehrens, einen Führerschein vorzulegen, kann nicht unter allen Umständen als Verschulden angelastet werden; jedoch wird selbst eine ausdrücklich abgegebene Erklärung, einen Führerschein zu besitzen, nur dann genügen, wenn besondere Umstände vorliegen, die diese Behauptung als glaubwürdig erscheinen lassen (RS0081319 [T1]; RS0081335 [T4]; RS0081372).

[9]            Entgegen den Ausführungen der Beklagten ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass in einer intakten Familie die Erklärung eines (17-jährigen) Kindes, nachdem der Vater als Begleitperson mit ihm im Rahmen der L17-Ausbildung mehr als 3.000 km Ausbildungsfahrten absolviert hatte, es habe die Führerscheinprüfung erfolgreich bestanden, grundsätzlich ausreichend ist, nicht korrekturbedürftig. Ohne Anhaltspunkte für ein fehlendes Vertrauensverhältnis muss sich ein Elternteil nicht auch noch den Führerschein des Kindes vorlegen lassen oder dessen Ausstellung.

[10]           3.4. Auf die von den Vorinstanzen ergänzend angestellten Überlegungen zur Überlassung des Fahrzeugs durch den Vater kommt es nicht an.

[11]           Die Judikatur (RS0081086), die den Versicherungsnehmer verpflichtet, alles ihm mögliche zu unternehmen, um einen anderen vom Benützen des versicherten Kraftfahrzeugs ohne Lenkberechtigung abzuhalten, betrifft den hier nicht vorliegenden Fall, dass der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Fehlen der Lenkberechtigung hat. Da der Kläger unbedenklich davon ausgehen konnte, dass seine Tochter über die erforderliche Lenkberechtigung verfügte, bedurfte es – anders als die Beklagte meint – nicht der sicheren Verwahrung der Fahrzeugschlüssel, um sie vom Lenken des Pkw während seiner Urlaubsabwesenheit abzuhalten.

[12]           4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E131482

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00049.21P.0324.000

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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