TE OGH 2021/3/24 7Ob6/21i

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Veröffentlicht am 24.03.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** H*****, vertreten durch Mag. Robert Haupt, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Vertragsaufhebung und 2.730 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht 12. Juni 2020, GZ 60 R 120/18d-11, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 24. Juli 2018, GZ 20 C 96/18s-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung – unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung von 89,09 EUR sA – insgesamt wie folgt lautet:

„Das Klagebegehren,

1. die zwischen der klagenden und der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei abgeschlossene fondsgebundene Lebensversicherung zur Polizzen-nummer ***** werde als unwirksam aufgehoben;

2. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 2.730 EUR zuzüglich jeweils 4 % Zinsen seit 2. 5. 2018 aus 70 EUR, seit 2. 4. 2018 aus 70 EUR, seit 2. 3. 2018 aus 70 EUR, seit 2. 2. 2018 aus 70 EUR, seit 2. 1. 2018 aus 70 EUR, seit 2. 12. 2017 aus 70 EUR, seit 2. 11. 2017 aus 70 EUR, seit 2. 10. 2017 aus 70 EUR, seit 2. 9. 2017 aus 70 EUR, seit 2. 8. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 7. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 6. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 5. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 4. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 3. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 2. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 1. 2017 aus 150 EUR, seit 2. 12. 2016 aus 150 EUR, seit 2. 11. 2016 aus 150 EUR, seit 2. 10. 2016 aus 150 EUR, seit 2. 9. 2016 aus 150 EUR, seit 2. 8. 2016 aus 150 EUR und seit 2. 7. 2016 aus 150 EUR Zug um Zug gegen die Rückübertragung ihrer Rechte aus der fondsgebundenen Lebensversicherung zu Polizzennummer ***** zu bezahlen,

wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.868,09 EUR (darin 430,35 EUR USt und 1.286 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Die Klägerin ist Verbraucherin und schloss mit der Rechtsvorgängerin des beklagten Versicherers einen Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung „FlexSolution“ mit der Laufzeit 1. 7. 2016 bis 1. 7. 2036.

[2]            Der Klägerin wurde im von ihr am 17. 5. 2016 unterfertigten Versicherungsantrag folgende Belehrung erteilt:

Rücktritt: Der Antragsteller (Versicherungsnehmer) kann vom Vertrag bzw. von Vertragsänderungen innerhalb einer Frist von 31 Tagen zurücktreten. Die Frist für den Rücktritt vom Vertrag bzw von den Vertragsänderungen beginnt mit Vorliegen aller folgenden Voraussetzungen zu laufen: Zustandekommen des Vertrages bzw der Vertragsänderungen, Zugang der Polizze und Zugang der Belehrung über das Rücktrittsrecht. Wenn der Antragsteller Verbraucher ist, ist die Erklärung des Rücktritts an keine bestimmte Form gebunden. Wenn der Antragsteller Unternehmer ist, bedarf es der Rücktrittserklärung in geschriebener Form. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Rücktrittsfrist abgesendet wird.

Folgen des Rücktritts: Im Falle eines wirksamen Rücktritts vom Vertrag endet der Versicherungsschutz und wir erstatten Ihnen den dann anfallenden Rückkaufswert. Im Falle eines Rücktritts von Vertragsänderungen wird der Vertrag in den Zustand zurückversetzt, der vor der beantragten Änderung bestanden hat. Der im Fall eines Rücktritts erstattete Rückkaufswert kann unter der Summe der einbezahlten Prämien liegen.“

[3]       Der Vertrag wurde durch die O***** GmbH vermittelt. Im von der Klägerin am 17. 5. 2016 unterfertigten, vierseitigen Beratungsprotokoll findet sich in einem kleingedruckten fortlaufenden Text folgende Passage:

„3. Kundeninformation

Aufgrund der Richtlinien der FMA sind wir verpflichtet, Sie auf folgende Punkte hinzuweisen:

… Des weiteren hat mich der O***** Berater über das mir gesetzlich zustehende Rücktrittsrecht aufgeklärt, wonach ich berechtigt bin, im Anlagenbereich schriftlich innerhalb von 7 Tagen und im Versicherungsbereich bei vollständiger Übergabe der gesetzlichen Dokumente und Informationen zwei Wochen, spätestens aber ein Monat ab Übergabe des Versicherungsscheins einschließlich der Belehrung über das Rücktrittsrecht vom Vertrag zurückzutreten. ...“

[4]       Der Klägerin wurde die Polizze mit Schreiben vom 25. 5. 2016 übermittelt (unstrittig).

[5]            Sie erklärte am 6. 12. 2017 den Rücktritt vom Vertrag nach § 165a VersVG, was die Beklagte mit Schreiben vom 7. 12. 2017 ablehnte.

[6]            Die Klägerin zahlte insgesamt 2.730 EUR an Prämien, worin Versicherungssteuer und eine Risikoprämie von 89,09 EUR enthalten waren.

[7]            Die Klägerin begehrt mit ihrer am 22. 2. 2018 bei Gericht eingelangten Klage wie aus dem Spruch ersichtlich. Sie sei über ihr Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG nicht bzw fehlerhaft belehrt worden. Die Rücktrittsfrist sei unrichtig mit 31 (statt richtig 30) Tagen angegeben und beginne ab Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags (und nicht ab dem Zustandekommen) zu laufen. Für die Rechtzeitigkeit der Rücktrittserklärung komme es nach § 862a ABGB auf den Zugang innerhalb der Frist, nicht jedoch auf die Absendung innerhalb der Frist an. Die Belehrung sei unvollständig, weil auf § 165a Abs 2 VersVG nicht hingewiesen worden sei, sodass gemäß § 165a Abs 2a VersVG die Frist nicht zu laufen begonnen habe. Die Belehrung zu den Rücktrittsfolgen sei unrichtig, weil im Falle des Rücktritts nicht nur der Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu zahlen sei; dies habe die Klägerin von der Ausübung des Rücktrittsrechts abgehalten.

[8]            Die Beklagte wandte ein, die Belehrung im Antrag sei richtig und vollständig gewesen. Die Rücktrittsfrist sei längst abgelaufen. Der Rücktritt werde rechtsmissbräuchlich erklärt; das Verhalten der Klägerin sei widersprüchlich. Im Falle des Rücktritts stünde nur der Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu. Jedenfalls sei die Risikoprämie abzuziehen. Eine 4%-ige Verzinsung der Prämie stehe nicht zu. Fondsverluste fielen der Klägerin zur Last. Sie sei auch durch ihre Maklerin O*****s GmbH ordnungsgemäß über ihr Rücktrittsrecht aufgeklärt worden.

[9]            Das Erstgericht gab dem Rechtsgestaltungsbegehren sowie dem Begehren auf Zahlung von 2.640,91 EUR sA statt und wies einen Teilbetrag von 89,09 EUR sA an Risikokosten (unangefochten) ab. Entgegen § 165a Abs 1 VersVG, der eine Frist von 30 Tagen ab Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags vorsehe, sei in der Rücktrittsbelehrung eine Frist von 31 Tagen vorgesehen, die erst bei kumulativem Vorliegen der Voraussetzungen Zustandekommen des Vertrags, Zugang der Polizze und Zugang der Rücktrittsbelehrung beginnen solle. Die Klägerin sei daher unrichtig über das Rücktrittsrecht belehrt worden und daher rechtswirksam zurückgetreten.

[10]           Nachdem das Berufungsgericht sein Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-479/18, UNIQA, unterbrochen und nach Vorliegen dieser Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner ua, wieder fortgesetzt hatte, gab es der Berufung der Beklagten gegen die Klagsstattgebung nicht Folge. Der Fehler in der Belehrung über das Rücktrittsrecht bestehe darin, dass der Versicherer entgegen der bei Vertragsabschluss geltenden Rechtslage die Bezeichnung des Fristbeginns, die Angabe der Frist und die Folge des Rücktritts (Rückkaufswert) unrichtig dargestellt habe.

[11]           Das Berufungsgericht sprach vorerst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Einen Bewertungsausspruch enthält das Urteil nicht.

[12]     Aufgrund des mit ordentlicher Revision gegen die Klagsstattgebung verbundenen Antrags der Beklagten nach § 508 ZPO änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch nachträglich dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch zuließ, weil eine abweichende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Rücktrittsbelehrung durch das Höchstgericht nicht ausgeschlossen werden könne.

[13]     Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[14]           Zwar hat es das Berufungsgericht entgegen § 500 Abs 2 Z 1 ZPO unterlassen, ausdrücklich im Spruch der Entscheidung über den Wert des Entscheidungsgegenstands, der hier nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, abzusprechen. Das Rechtsmittel kann aber dennoch sogleich behandelt werden, weil aus den Entscheidungsgründen (Pkt 8) erkennbar ist, dass das Berufungsgericht die Summe des Zahlungsbegehrens, über das es absprach (2.640,91 EUR), und des von der Klägerin mit 3.500 EUR bewerteten Rechtsgestaltungsbegehren als auch für sich maßgeblich ansah und seinen Entscheidungsgegenstand demnach mit einem über 5.000 EUR, aber nicht über 30.000 EUR liegenden Betrag bewertet wissen wollte. Eine – an sich gebotene – formelle Nachholung des unterbliebenen Ausspruchs durch das Berufungsgericht konnte daher hier ausnahmsweise unterbleiben (vgl RS0041371 [T3]).

[15]     Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[16]           1.1. Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idF BGBl I 2015/34) lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach seiner Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm hiefür die ihrer Dauer entsprechende Prämie.

(2) Hat der Versicherer der Verpflichtung zur Bekanntgabe seiner Anschrift (§ 252 Abs 1 Z 1 VAG 2016) nicht entsprochen, so beginnt die Frist zum Rücktritt nach Abs 1 nicht zu laufen, bevor dem Versicherungsnehmer diese Anschrift bekannt wird.

(2a) Ist der Versicherungsnehmer Verbraucher (§ 1 Abs 1 Z 2 KSchG), so beginnt die Frist zum Rücktritt nach Abs 1 und 2 erst dann zu laufen, wenn er auch über dieses Rücktrittsrecht belehrt worden ist.

...“

[17]           1.2. Der bei Vertragsabschluss geltende § 252 VAG 2016, BGBl I 2015/34,lautete soweit hier relevant:

(1) Der Versicherungsnehmer ist bei Abschluss eines Direktversicherungsvertrages über ein im Inland belegenes Risiko vor Abgabe seiner Vertragserklärung schriftlich zu informieren über

1. Name, Anschrift des Sitzes und Rechtsform des Versicherungsunternehmens, gegebenenfalls auch der Zweigniederlassung, über die der Versicherungsvertrag abgeschlossen wird,

6. die Umstände, unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluss des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann.

(3) Ist wegen der Art des Zustandekommens des Vertrages eine schriftliche Information des Versicherungsnehmers vor Abgabe seiner Vertragserklärung nicht möglich, so wird der Informationspflicht dadurch entsprochen, dass der Versicherungsnehmer die Information spätestens gleichzeitig mit dem Versicherungsschein erhält.

(4) Die Angaben gemäß Abs 1 Z 1 müssen jedenfalls auch aus dem Versicherungsantrag sowie aus dem Versicherungsschein und allen anderen Deckung gewährenden Dokumenten ersichtlich sein.

…“

[18]            2.1. Die Klägerin hat sich auf die Unrichtigkeit der Belehrung im Versicherungsantrag gestützt. Soweit sie sich in der Revisionsbeantwortung auf die damit im Widerspruch stehende Belehrung im Gesprächsprotokoll des Maklers stützt, ist dies eine unzulässige Neuerung. Zur Klarstellung sei kurz erwidert:

[19]           2.2. Nach ständiger Rechtsprechung (7 Ob 166/19s mwN) ist der Versicherungsmakler zwar regelmäßig ein Doppelmakler, wird aber trotzdem als Hilfsperson des Versicherungsnehmers dessen Sphäre zugerechnet und hat primär als „Bundesgenosse“ des Versicherten dessen Interessen zu wahren (RS0114041).

[20]           2.3. Die Beklagte hat in erster Instanz vorgebracht, es habe sich um den Makler der Klägerin gehandelt. Die Klägerin hat dies weder bestritten noch Umstände ins Treffen geführt, aus denen die Zuordnung der den Vertrag vermittelnden Maklergesellschaft zur Beklagten ableitbar wäre. Es ist daher unerheblich, ob die Belehrungen im Gesprächsprotokoll unrichtig waren, weil sie der Beklagten nicht zurechenbar sind.

[21]           3.1. Im Urteil C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner ua, nahm der EuGH im Zusammenhang mit fehlerhaften Belehrungen über das Rücktrittsrecht in der Lebensversicherung wie folgt Stellung:

[22]           Wird dem Versicherungsnehmer durch die Belehrung, auch wenn diese fehlerhaft ist, nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem im guten Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen (Rn 79). In solchen Fällen bliebe es dem über sein Rücktrittsrecht informierten Versicherungsnehmer unbenommen, sein Rücktrittsrecht auszuüben und sich von den eingegangenen Verpflichtungen zu lösen (Rn 80).

[23]           3.2. Diese Ausführungen stellen klar, dass nicht jede Fehlerhaftigkeit einer Belehrung dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit nimmt, sein Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (7 Ob 21/21w; vgl 7 Ob 193/20p).

[24]           4.1.1. Zum Beginn der Rücktrittsfrist hat der Senat bereits wiederholt ausgeführt, dass dann, wenn der Versicherer ein vom Interessenten an einem ihrer Produkte auszufüllendes und bei ihr einzureichendes Antragsformular verwendet, für den durchschnittlichen, redlichen und vernünftigen Versicherungsnehmer klar ist, dass der Zugang der Polizze die wirksame Annahme des Versicherungsantrags und gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags ist; in einem solchen Fall – wie hier – ist daher dem Versicherungsnehmer der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags und der Beginn der Rücktrittsfrist mit Zugang der Annahme seines Anbots durch den Versicherer klar (7 Ob 78/19z = RS0132887; 7 Ob 6/20p und 7 Ob 54/20x [= RS0133031]; 7 Ob 79/20y; alle mwN).

[25]           Hier wurde neben dem Zustandekommen des Vertrags und dem Zugang der Polizze auf den Zugang der Rücktrittsbelehrung abgestellt; Letztere wurde im Antrag erteilt. Einem durchschnittlichen, redlichen und vernünftigen Versicherungsnehmer (vgl RS0112256; RS0050063; RS0081741; RS0008901) wäre daher nach dieser Belehrung klar, dass mit der Zustellung der Polizze sein Antrag angenommen wird und der Vertrag zustande kommt, dies gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags ist, und dass damit die Frist zum Rücktritt beginnt.

[26]           4.1.2. Die Klägerin vermisst eine Belehrung nach § 165a Abs 2 VersVG darüber, dass die Rücktrittsfrist dann nicht zu laufen beginne, wenn ihr die Anschrift des Versicherers nicht bekanntgegeben werde.

[27]           Dies führte hier aber schon deshalb nicht zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht, weil die Klägerin aufgrund der ohnedies mehrfach (bereits im Antrag ebenso wie in der Polizze – vgl § 252 Abs 4 VAG 2016, BGBl I 2015/34) erfolgten Bekanntgabe der Anschrift der Beklagten ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen ausüben konnte wie im Fall der von ihr als zutreffend angesehenen Belehrung (ebenso jüngst 7 Ob 21/21w).

[28]            4.2. Zur Dauer der Frist enthielt das Antragsformular der Beklagten in der Rechtsbelehrung über die Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers den Hinweis, dass ein Rücktritt binnen 31 Tagen möglich sei.

[29]            § 165a VersVG idF BGBl I 2015/34 sah aber für die Erklärung des dem Versicherungsnehmer eingeräumten Rücktritts eine Frist von 30 Tagen vor. Die in der Belehrung vorgesehene unrichtige Frist von 31 Tagen verlängerte diese von Unionsrecht und nationalem Recht vorgesehene Frist. Eine solche unrichtige Wiedergabe der Rechtslage war aber schon deshalb nicht geeignet, die Möglichkeit der Klägerin zum Rücktritt zu beeinträchtigen, weil sie ihr zu ihren Gunsten eine längere als die gesetzlich gebotene Überlegungszeit einräumte und nicht erkennbar ist, wie sie dies daran gehindert hätte, innerhalb der längeren Frist einen Rücktritt zu erklären (7 Ob 16/20h, 7 Ob 20/20x, 7 Ob 79/20y, 7 Ob 194/20k).

[30]            4.3. Zur Einhaltung der Rücktrittsfrist wurde die Klägerin dahin belehrt, dass sie bei Absendung der Rücktrittserklärung innerhalb der Rücktrittsfrist gewahrt sei. Wie die Klägerin durch diese gegenüber der von ihr als relevant erachteten Bestimmung des § 862a ABGB späteren Absendetermin der Rücktrittserklärung gehindert worden wäre, innerhalb der längeren Frist einen Rücktritt zu erklären, ist unverständlich.

[31]           5. Der Senat hat zur Frage der Rücktrittsfolgen bereits darauf verwiesen, dass es dem Verständnis eines durchschnittlich versierten Versicherungsnehmers entspricht und insoweit keiner näheren Erklärung bedarf, dass der Begriff „Rücktritt“ im Zusammenhang mit einem kurz zuvor abgeschlossenen Vertrag die einseitige Lösung von diesem Vertrag bedeutet; dass ein nach § 165a Abs 1 VersVG fristgerecht erklärter Rücktritt dazu führt, dass künftig die wechselseitigen Hauptleistungspflichten entfallen, ist ebenfalls selbstverständlich (7 Ob 67/20h). Einer Belehrung über die wirtschaftlichen Folgen eines Spätrücktritts, insbesondere über die daraus resultierenden Rückabwicklungsansprüche, bedurfte es schon deshalb nicht, weil der Klägerin ein sogenannter Spätrücktritt bereits wegen Nichteinhaltung der für einen Rücktritt gesetzlich vorgesehenen Frist, über die sie nach dem oben Gesagten auch hinreichend belehrt wurde, von vornherein nicht zustand (7 Ob 94/20d, 7 Ob 67/20h). Mit dem Fall einer nach deutschem Recht erteilten und daher dem § 165a VersVG inhaltlich nicht entsprechenden Belehrung (vgl 7 Ob 117/20m) hat dies nichts zu tun.

[32]           6. Zusammengefasst ist die Rücktrittserklärung der Klägerin verspätet. Einer Erörterung weiterer Fragen bedarf es daher nicht. Zu erwähnen ist noch, dass es bereits durch eine berechtigte Erklärung des Rücktritts zur Aufhebung des Vertrags kommt, sodass (im Gegensatz zur Rechtsmeinung der Vorinstanzen) schon aus diesem Grund das von der Klägerin gestellte Rechtsgestaltungsbegehren jedenfalls abzuweisen ist.

[33]           Der Revision der Beklagten war damit Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen waren dahin abzuändern, dass das Klagebegehren auch im noch Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildenden Umfang (und daher insgesamt zur Gänze) abzuweisen war.

[34]           7. Die Abänderung erforderte eine Neufassung der Kostenentscheidung. Diese beruht für das erstinstanzliche Verfahren auf §§ 41, 54 Abs 1a ZPO und für das Rechtsmittelverfahren (Interesse 6.140,91 EUR) auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E131479

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00006.21I.0324.000

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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