TE OGH 2021/4/22 7Bs48/21i

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Veröffentlicht am 22.04.2021
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Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Gföllner als Vorsitzende, Dr. Ganglberger-Roitinger sowie Mag. Fischer, LL.B. in der Strafsache gegen P***** K***** wegen des Vergehens der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wels gegen den Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichtes Wels vom 16. März 2021, 11 Hv 20/21m-5, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

begründung:

Die Staatsanwaltschaft Wels legt dem am 25. Juli 1996 geborenen P***** K***** mit Strafantrag vom 9. März 2021 (ON 4) das Vergehen der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB zur Last.

Demnach habe er am 7. September 2020 in V***** eine Handlung begangen, die geeignet war, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren, anzeige- und meldepflichtigen Krankheit, nämlich COVID-19 unter Menschen herbeizuführen, indem er sich trotz mit Bescheiden der BH V***** vom 28. August 2020 (Absonderung bis einschließlich 7. September 2020, positiver COVID-19-Test am 30. August 2020) und vom 31. August 2020 (Absonderung bis auf Widerruf) angeordneten Absonderung in die Sicherheitsabteilung, Bereich Migrationswesen der Bezirkshauptmannschaft V***** begab, um eine Anmeldebescheinigung nach dem NAG zu beantragen, wobei zum Zeitpunkt seiner Anwesenheit neun Personen (Sachbearbeiterin C***** A*****, V***** M***** und C***** M***** sowie Besucher) in der Abteilung aufhältig waren.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16. März 2021 (ON 5) wies das Erstgericht den Strafantrag gemäß § 485 Abs 1 Z 2 iVm § 212 Z 3 StPO zurück. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass nach dem Stand der Ermittlungen noch nicht beurteilt werden könne, ob aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs mit der Aufhebung des Absonderungsbescheids am 9. September 2021 die Tathandlung des Angeklagten – ex ante – geeignet war, eine Gefährdung der Verbreitung von COVID-19 herbeizuführen. Zur Klärung dieser Frage hätte vorab ein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der klinischen Mikrobiologie und Hygiene bzw. klinischen Mikrobiologie und Virologie eingeholt werden müssen, um überprüfen zu können, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt noch infektiös war.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wels (ON 6) mit dem Antrag, den Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens und die Anberaumung der Hauptverhandlung aufzutragen. Der Angeklagte habe nach der dringenden Verdachtslage zum Tatzeitpunkt von seiner COVID-Infektion und seiner behördlich erfolgten Absonderung und angeordneten Heimquarantäne (letztlich) bis auf Widerruf gewusst. Aus Sicht eines sachverständigen Beobachters sei die typische Eignung zur Herbeiführung der konkreten Gefahr der Verbreitung von COVID-19 zum Tatzeitpunkt – nur acht Tage nach positiver Testung am 30. August 2020 – zu bejahen. Infolge der rasanten Ausbreitungsmöglichkeit sei es evident, dass jemand durch ein Verhalten, welches das verordnete soziale Distanzhalten untergräbt, einen anderen infizieren könne. Die abstrakte (potenzielle) Gefährdung sei gegeben, wenn der Täter selbst infiziert sei. Die Einholung eines medizinischen Gutachtens erübrige sich.

Die Oberstaatsanwaltschaft Linz beantragt in ihrer Stellungnahme vom 29. März 2021 der Beschwerde keine Folge zu geben. Unter Verweis auf die 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19 SchuMaV) wird ausgeführt, dass nicht jede Infektion einer Person an SARS-CoV-2 eine potenzielle Ansteckungsgefahr für andere Personen bedeute; der Gesetzgeber selbst halte fest, dass eine Ansteckungsgefahr bei einem medizinischen Laborbefund (PCR-Test) mit einem CT-Wert größer als 30 nicht besteht. Den bisherigen Ermittlungsergebnissen sei das Ergebnis der Labortestung, insbesondere der festgestellte CT-Wert des Angeklagten nicht zu entnehmen, sodass die Frage einer potenziellen Ansteckungsgefahr (noch) nicht beantwortet werden könne und der Sachverhalt für eine Anklageerhebung noch nicht ausreichend geklärt sei.

Die Beschwerde, zu der sich der Angeklagte nicht geäußert hat, ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Da das Einzelrichterverfahren keinen Einspruch gegen den Strafantrag kennt, ist zur Wahrung der Interessen des Angeklagten in Fortführung der im Ermittlungsverfahren in § 108 StPO geregelten Möglichkeit des Antrags auf Einstellung des Verfahrens mit Beginn des Hauptverfahrens (§ 210 Abs 2 StPO) die amtswegige Überprüfung des Strafantrags vorgesehen. Unter anderem hat gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung in den Fällen des § 212 Z 3, 4 und 8 StPO mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 212 Z 3 StPO ist für einen Anklageeinspruch entscheidend, dass der Sachverhalt nicht so weit geklärt ist, dass eine Verurteilung des Angeklagten naheliegt (vgl Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 212 Rz 14 (Stand 20.12.2018, rdb.at)). Die Ermittlungsergebnisse bilden dann eine ausreichende Grundlage zur Durchführung einer Hauptverhandlung, wenn ein einfacher Tatverdacht eine Verurteilung nahelegt. Dazu muss vom Gewicht der belastenden und entlastenden Indizien her bei deren Gegenüberstellung mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten sein. Bei der Beurteilung der Verurteilungswahrscheinlichkeit kommt es ausschließlich auf den Tatverdacht an und nicht auf Rechtsfragen. Der Tatverdacht muss sich jedoch nicht nur auf das Vorliegen des tatbestandsrelevanten Sachverhalts erstrecken, sondern auch auf das Fehlen von Tatsachen, die einen Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs-, Strafausschließungs-, Strafaufhebungsgrund oder ein Verfolgungshindernis bilden.

Damit der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO nicht vorliegt, müssen auch sonst die Ermittlungen so weit gediehen sein, dass sie die Anordnung einer Hauptverhandlung rechtfertigen. Dazu gehört, dass die für die Hauptverhandlung relevanten Beweismittel überblickt werden können und so vorbereitet sind, dass sie in der Hauptverhandlung ohne wesentliche Verzögerung unmittelbar durchgeführt werden können. Dies ergibt sich zum einen aus dem in § 91 Abs 1 StPO normierten Zweck des Ermittlungsverfahrens, den Tatverdacht durch Ermittlungen so weit zu klären, dass im Falle der Anklage eine „zügige Durchführung der Hauptverhandlung“ ermöglicht wird. Zum anderen folgt dies aus dem Gedanken, dass die Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht nur vom Grad des Tatverdachts abhängt, sondern in gewisser Weise auch vom Vorliegen der für eine Verurteilung erforderlichen Beweise. Je leichter sie für die Hauptverhandlung zur Verfügung stehen, desto rascher und im Ergebnis auch wahrscheinlicher kann es zu einer Verurteilung kommen. Dieser Gedanke folgt sowohl aus dem Grundsatz der Prozessökonomie, als auch aus dem für die Urteilsfindung bedeutsamen Instruktionsgrundsatz (§ 3 StPO, vgl Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 212 Rz 15, 16 (Stand 20.12.2018, rdb.at)).

2. Nach § 178 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört.

§ 178 StGB umschreibt ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn im Einzelfall festgestellt wird, dass das Täterverhalten abstrakt, dh typischerweise geeignet war, die Gefahr der Verbreitung einer unter Menschen übertragbaren Krankheit herbeizuführen. Die abstrakt potentielle Verbreitungsgefahr ist ausreichend, es muss daher weder eine Person konkret angesteckt, noch die konkrete Ansteckungsgefahr einer Person verursacht worden sein. Um den Anwendungsbereich der Strafbestimmung nicht uferlos zu machen, hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit an die objektive Bedingung geknüpft, dass die Krankheit ihrer Art nach zu den, wenn auch nur beschränkt, anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört. Übertragbar ist eine Krankheit dann, wenn ein Krankheitserreger mittelbar oder unmittelbar von einem nicht notwendig selbst erkrankten Individuum auf ein anderes übergehen kann (vgl Murschetz in WK-StGB2 § 179 Rz 2; vgl Fabrizy StGB13 § 178 Rz 1 ff).

COVID-19 ist eine durch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 übertragbare Krankheit, die der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz unterliegt (§ 1 Abs 1 Z 1 EpiG; Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020 vom 26.01.2020, BGBl II 2020/15). Damit ist die genannte objektive Bedingung der Strafbarkeit erfüllt.

An einer Übertragbarkeit der Krankheit mangelt es jedoch, wenn keine Ansteckungsgefahr besteht, sodass es e contrario auch an einer abstrakt potenziellen Verbreitungsgefahr fehlt.

Die wohl wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung einer Epidemie ist die Absonderung Kranker und Krankheitsverdächtiger (§ 7 EpiG). Aus diesem Grund werden Menschen, bei denen eine SARS-CoV-2-Infektion feststeht oder vermutet wird, infolge der rasanten Ausbreitungsmöglichkeit des Virus aufgefordert, sich in häusliche Isolation zu begeben. Einem Absonderungsbescheid kommt hinsichtlich der Gefahr für die Gesundheit anderer eine Indizfunktion zu (vgl § 7 Abs 1a EpiG). Untergräbt ein Infizierter das verordnete soziale Distanzhalten, wird nach derzeitigem Meinungsstand die für eine Tatbestandsverwirklichung erforderliche abstrakt potenzielle Gefährdung grundsätzlich bejaht (Birklbauer in Resch, Corona-HB1.04 Kap 16 Rz 20 (Stand 29.01.2021, rdb.at); Cohen, Isolation, Quarantäne, Coronapartys: Strafbarkeit bei Missachtung von COVID-19-Maßnahmen, CuRe 2020/24 (Stand 03.04.2020, rdb.at); Rebisant, Strafrechtliche Risiken aufgrund COVID-19, GRAU 2020/2, 74 (76)).

Wie das Erstgericht und auch die Oberstaatsanwaltschaft zutreffend aufzeigen, kommt es (auch) auf die Ansteckungsgefahr, die vom Infizierten ausgeht, an. So wird im Zusammenhang mit dem HI-Virus die Auffassung vertreten, dass keine potenzielle Gefahr vorliegt, wenn die Viruszahl im Körper – etwa durch eine antiretrovirale Therapie – auf ein solches Maß reduziert wird, dass sie für eine Übertragung nicht ausreicht (Murschetz in Höpfel/Ratz WK2 StGB § 179 Rz 6; im Zusammenhang mit COVID-19 auf die Ansteckung abstellend Cohen, Isolation, Quarantäne, Coronapartys – Anwendbarkeit des §§ 178 f StGB bei Missachtung von COVID-19 Verkehrsbeschränkungen, JSt 2020/3, 204 (207)).

Der Gesetzgeber zeichnet für die COVID-19-Infektion ein ähnliches Bild: Aus der 4. COVID-19 SchuMaVo geht hervor, dass bei einer positiv auf COVID-19 getesteten Person mit einem CT-Wert größer als 30, davon ausgegangen wird, dass keine Ansteckungsgefahr mehr besteht (vgl § 10 Abs 4 Z 2, Abs 4a Z 2, § 11 Abs 4 Z 2 4. COVID-19 SchuMaVo, BGBl II 2021/58).

Daraus folgt, dass entgegen der Beschwerdeausführungen nicht jede COVID-19-Infektion einer Person mit einer potenziellen Ansteckungsgefahr für andere Personen einhergeht. Die Frage der Ansteckungsgefahr ist letztlich aufgrund der Virenlast anhand des Laborbefundes zu klären.

3. Aus dem Abschlussbericht der PI V***** vom 16. Jänner 2021 geht hervor, dass der Angeklagte zunächst als Kontaktperson einen Absonderungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft V***** erhielt und in der Folge trotz Symptomfreiheit am 30. August 2020 positiv auf COVID-19 getestet wurde. Den Ermittlungsergebnissen ließ sich zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Entscheidung das genaue Ergebnis der Labortestung des Angeklagten, insbesondere der festgestellte CT-Wert, nicht entnehmen. Am 2. April 2021 wurde der zwischenzeitig von der Staatsanwaltschaft angeforderte molekularpathologische Befund des positiven COVID-Tests des Angeklagten übermittelt. Dieser weist zum Zeitpunkt der Testung am 30. August 2020 einen CT-Wert von 23,78 auf. Ob vom (nach eigenen Angaben völlig symptomlosen) Angeklagten am 7. September 2020 – acht Tage nach positiver Testung – (noch) eine potenzielle Ansteckungsgefahr ausging, kann ohne entsprechendes Sachverständigengutachten nicht abschließend beurteilt werden.

Mag auch der Absonderungsbescheid – gegen den der Angeklagte verstoßen hat – eine entsprechende Indizfunktion hinsichtlich der Gefahr für die Gesundheit anderer haben, ist es denkbar, dass der Angeklagte bereits vor Aufhebung der Absonderung objektiv nicht mehr ansteckend war und daher keine objektive Gefährdung iSd §§ 178 f StGB mehr gegeben war.

Insofern ist dem Erstgericht beizupflichten, dass vor Anklageerhebung die Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen geboten ist.

RECHTSMITTELBELEHRUNG:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Textnummer

EL0000296

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2021:0070BS00048.21I.0422.000

Im RIS seit

12.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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