Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** T*****, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2020, GZ 1 R 226/20m-27, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 1. September 2020, GZ 22 C 93/20t-19, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
II. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich des Begehrens auf Rechtsschutzdeckung und der Kostenentscheidungen dahin abgeändert, dass das Urteil insofern lautet:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei für die Verfahren 17 *****, 18 ***** und 44 ***** je des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz Rechtsschutzdeckung insgesamt bis zur Versicherungssumme von 87.296,79 EUR zu gewähren.
2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei habe ihr Rechtsschutzdeckung bis zur Versicherungssumme von 87.296,79 EUR allein für das Verfahren 17 ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz zu gewähren, wird abgewiesen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 157 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 652,58 EUR (darin enthalten 61,18 EUR USt und 285,50 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.028,09 EUR (darin enthalten 42,05 EUR USt und 357 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der klagende Versicherungsnehmer hat mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen. Die vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2008 gültig ab 1. 2. 2008; im Folgenden: ARB 2008) lauten auszugsweise:
„Artikel 6
Welche Leistungen erbringt der Versicherer?
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Bestätigung des Versicherungsschutzes entstehenden Kosten gem. Pkt. 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.
[…]
6.8. Der Versicherer hat die Leistungen nach Pkt. 6 zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erbringen.
Die Leistung gem. Pkt. 6.1. ist fällig, sobald der Rechtsvertreter die Angelegenheit endgültig außergerichtlich erledigt hat oder das Verfahren rechtskräftig beendet ist und dem Versicherungsnehmer eine Honorarnote schriftlich gelegt wurde.
Der Versicherungsnehmer kann eine Zwischenabrechnung frühestens dann verlangen, wenn bei Verfahren über mehrere Instanzen eine Instanz beendet ist und dem Versicherungsnehmer eine Honorarnote schriftlich gelegt wurde.
[...]
7. Die Leistungspflicht des Versicherers ist begrenzt wie folgt:
7.1. Die Höchstgrenze der vom Versicherer in einem Versicherungsfall für den Versicherungsnehmer und die mitversicherten Personen zu erbringenden Leistungen bildet die im Zeitpunkt des Versicherungsfalles laut Vertrag gültige Versicherungssumme.
7.2. Bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlich und zeitlich zusammenhängenden, einheitlichen Vorgang darstellen, steht die Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung. Ihre Höhe bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des ersten Versicherungsfalles.
[...]
Artikel 11
Wann können Versicherungsansprüche abgetreten oder verpfändet werden und wann gehen Ansprüche auf den Versicherer über?
1. Versicherungsansprüche können erst abgetreten oder verpfändet werden, wenn sie dem Grunde und der Höhe nach endgültig festgestellt sind.
[...]“
Rechtliche Beurteilung
[2] I. Zur Revision des Klägers:
[3] Der Kläger begehrte die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Rechtsschutzversicherers, seinem Rechtsvertreter im Verfahren 17 ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz in angemessenen – näher genannten – Zeitabständen Zahlungen zu leisten. Ferner wird die Feststellung begehrt, dass das in den Versicherungsbedingungen vereinbarte Zessionsverbot unwirksam sei; hilfsweise begehrt er die Feststellung, die Zession seiner Befreiungsansprüche als Versicherungsnehmer und der Auszahlungsansprüche an seinen Rechtsvertreter seien „rechtswirksam zulässig“.
[4] Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren ab.
[5] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil „zum Einfluss“ von § 16 RL-BA 2015 sowie von § 1396a ABGB noch keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege.
[6] Der Kläger zeigt in seiner Revision die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht auf. Seine Revision ist daher entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[7] 1.1. Nach Art 11.1. ARB 2008 können Versicherungsansprüche erst abgetreten oder verpfändet werden, wenn sie dem Grunde und der Höhe nach endgültig festgestellt sind. Diese Bestimmung schließt damit eine Abtretung von „Versicherungsansprüchen“ nicht generell aus; sie beschränkt nur deren Abtretbarkeit.
[8] Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 7 Ob 85/07m mwN (= RS0032693 [T1] = SZ 2007/69 = ÖBA 2008/1460, 135 [zustimmend Apathy]) zu dieser Klausel ausgesprochen, dass das darin vorgesehene Verbot der Abtretung von Ansprüchen gegen den Versicherer, bevor diese nicht „dem Grunde oder der Höhe nach endgültig festgestellt sind“ nicht gröblich benachteiligend im Sinn von § 879 Abs 3 ABGB ist. Begründet wurde dies insbesondere damit, dass das Abtretungsverbot dem berechtigten Interesse des Versicherers dient zu verhindern, dass dem zunächst anspruchsberechtigten Versicherungsnehmer in einem vom Zessionar gegen den Versicherer angestrebten Prozess die Stellung eines Zeugen zukommt und gewährleistet sein soll, dass es der Versicherer bei der Abwicklung des Schadensfalls nur mit seinem Vertragspartner zu tun hat. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich daher im Rahmen der Judikatur.
[9] 1.2. Dem hält der Kläger nichts Stichhältiges entgegen. Nach § 1396a Abs 1 Satz 1 ABGB ist eine Vereinbarung, dass eine Geldforderung zwischen Unternehmern aus unternehmerischen Geschäften nicht abgetreten werden darf (Zessionsverbot), nur verbindlich, wenn sie im Einzelnen ausgehandelt worden ist und den Gläubiger unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls nicht gröblich benachteiligt. Der Kläger ist unstrittig kein Unternehmer, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Er legt auch nicht nachvollziehbar dar, inwiefern er durch Art 11.1. ARB 2008 – wie er behauptet – in der „freien Anwaltswahl“ beeinflusst werden könnte.
[10] 2.1. Nach Art 6.6.8. ARB 2008 werden die Rechtsanwaltskosten vom Versicherer gezahlt, wenn die Gesamttätigkeit abgeschlossen und eine Honorarnote gelegt wurde. Bei über mehrere Instanzen geführten Verfahren ist die Möglichkeit von Zwischenabrechnungen vorgesehen. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in 7 Ob 190/14p zu Art 6.6.9. ARB 2010 zu Fragen der Abrechnung Stellung genommen: Die Klausel verstößt nicht gegen die freie Anwaltswahl im Sinn des § 158k VersVG und steht im Einklang mit Art 4 Abs 1 der Richtlinie 87/344/EWG. Sie ist auch weder gemäß § 864a ABGB überraschend, noch nach § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligend oder gemäß § 6 Abs 3 KSchG intransparent. Der Versicherungsnehmer kann abweichend vom gesetzlichen Regelfall mit seinem Rechtsvertreter eine Vereinbarung über Zwischenabrechnungen treffen. Er erhält die in Rechnung gestellten Kosten aber erst nach der in Art 6.6.8. ARB 2010 vereinbarten Fälligkeit vom Versicherer ersetzt.
[11] 2.2. Nach § 16 Abs 1 RL-BA 2015 ist der Rechtsanwalt berechtigt, gegenüber seinem Klienten in angemessenen Zeiträumen, wenigstens einmal jährlich Honorarzwischenabrechnungen für bis zu diesem Zeitpunkt erbrachte Leistungen vorzunehmen. Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist der Rechtsanwalt zu jeder Zeit berechtigt, angemessene Honorarakontierungen zu verlangen. Nach dem vormaligen § 52 RL-BA 1977 bestand eine inhaltsähnliche standesrechtliche Empfehlung (vgl 7 Ob 190/14p). Auch bei § 16 Abs 1 RL-BA 2015 handelt es sich klar um eine standesrechtliche Berechtigung des Rechtsanwalts (so auch die Amtlichen Erläuterungen, abgedruckt bei Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 16 RL-BA 2015 Rz 3). Die Rechtsansicht, diese Bestimmung hat – wie schon § 52 RL-BA 1977 – keinen Einfluss auf die Zulässigkeit von Zwischenabrechnungen nach Art 6.6.8. ARB 2008, hält sich ebenfalls im Rahmen der Judikatur.
[12] 2.3. Da es nach der Rechtsprechung des EuGH Sache des nationalen Gerichts ist, zu prüfen, ob eine Beschränkung vorliegt, die die freie Anwaltswahl aushöhlt, kann die Einleitung des vom Kläger angeregten Vorabentscheidungsverfahrens – wie schon zu 7 Ob 190/14p – unterbleiben. Die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen ebenfalls nicht vor, weil der Umfang des Vertretungsaufwands nicht entscheidungserheblich ist.
[13] 3. Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.
[14] II. Zur Revision der Beklagten:
[15] Der Kläger macht zu 17 ***** (gegen seine vormaligen Rechtsvertreter im Rechtsmittelverfahren), zu 18 ***** (gegen seine frühere Rechtsvertreterin in erster Instanz) und zu 44 ***** (gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen) je des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz Schadenersatzansprüche mit einem Gesamtstreitwert von jeweils 616.631,69 EUR (Schadenersatz und Feststellung) geltend. Der Kläger führte gegen den Träger einer Krankenanstalt einen Schadenersatzprozess wegen einer 2009 durchgeführten Operation, bei der er schwer geschädigt worden sei, den er verlor. Dem vom Gericht bestellten Sachverständigen wirft er falsche und unvollständige Gutachtenserstattung sowie die unterlassene Anzeige seiner Befangenheit vor. Seinen ehemaligen Rechtsvertretern wirft er jeweils (eigene) Vertretungsfehler vor. Seinen erst im Berufungsverfahren beauftragten Rechtsvertretern hält er vor, dass sie die Unterlassungen der in erster Instanz einschreitenden Rechtsanwältin nicht behoben hätten.
[16] Der Kläger begehrte von der Beklagten die Deckung seiner zu 17 ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz eingebrachten Klage bis zu einer Deckungssumme von 87.296,79 EUR. Er sei bei einer Operation 2009 schwer geschädigt worden. Das Verfahren wegen Schadensersatz gegen das Krankenhaus sei aufgrund fehlerhafter Vertretung durch seine Rechtsanwältin in erster Instanz und weitere Rechtsanwälte im Rechtsmittelverfahren sowie aufgrund des fehlerhaften Gutachtens verloren worden.
[17] Die Beklagte wendete – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – ein, der Kläger mache gegen die beiden Anwälte und den Sachverständigen ident Ansprüche mit drei verschiedenen Klagen geltend. Die drei Versicherungsfälle stünden in einem ursächlichen und zeitlich einheitlichen Zusammenhang, der einen Serienschaden begründe. Die Versicherungssumme von 87.296,79 EUR stehe nur einmal für alle drei Versicherungsfälle zur Verfügung.
[18] Das Erstgericht gab dem Deckungsbegehren statt. Die drei Klagen beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz seien zwar auf den Ersatz desselben Schadens gerichtet; er werfe den dort Beklagten jedoch (auch) jeweils eigenes Fehlverhalten vor, das jeweils für sich zum Prozessverlust geführt hätte. Daher liege kein Serienschaden im Sinne der Versicherungsbedingungen vor.
[19] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Rechtlich führte es aus, dass die Zulässigkeit von Serienschadenklauseln allgemein anerkannt sei. Im Zweifel sei die Klausel jedoch im Hinblick auf die darin enthaltenen Unklarheiten zu Lasten des Versicherers auszulegen. Daher sei – die vorliegende – bloß formelle Streitgenossenschaft nicht ausreichend, um den nach der Klausel erforderlichen, ursächlichen und zeitlich zusammenhängenden einheitlichen Vorgang herzustellen.
[20] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands „5.000 EUR und auch 30.000 EUR“ übersteige und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die „zu behandelnden Rechtsfragen über den bloßen Einzelfall“ hinausgingen.
[21] Die Beklagte strebt in ihrer dagegen erhobenen Revision die Feststellung an, dass die Versicherungssumme von 87.296,79 EUR für alle drei Gerichtsverfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zur Verfügung stehe.
[22] Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[23] Die Revision der Beklagten ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.
[24] 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Beurteilung, ob ein oder mehrere Versicherungsfälle vorliegen und ob ein Sachverhalt zu beurteilen ist, der unter die Serienschadenklausel fällt.
[25] 2. Der Kläger macht sowohl gegenüber der ihn in erster Instanz (im Arzthaftungsprozess) vertretenden Rechtsanwältin als auch gegenüber den für ihn im Rechtsmittelverfahren einschreitenden Rechtsanwälten jeweils aus unterschiedlichen Pflichtverletzungen und aus verschiedenen Vertragsverhältnissen Schadenersatzansprüche gerichtlich geltend. Gegen den Sachverständigen erhebt er – gestützt auf dessen deliktische Haftung – Schadenersatzansprüche wegen seines im vorangegangenen Zivilprozess schuldhaft unrichtig erstatteten Gutachtens. Damit liegt – entgegen der Ansicht der Beklagten – kein einheitliches Verstoßverhalten der Schädiger vor, sondern es handelt sich bei den einzelnen schädigenden Verhalten jeweils um rechtlich selbständige Verstöße (vgl RS0111811). Daher liegen drei Versicherungsfälle und nicht nur einer vor.
[26] 3. Nach Art 6.7.2. ARB 2008 steht die Versicherungssumme bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlichen und zeitlich zusammenhängenden, einheitlichen Vorgang darstellen, nur einmal zu. Zweck dieser Serienschadenklausel ist es, mittels einer Fiktion mehrere Versicherungsfälle unter bestimmten Voraussetzungen als einen Versicherungsfall zu behandeln, und so die vereinbarte Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung zu stellen (vgl zur Berufshaftpflichtversicherung 7 Ob 70/14s = SZ 2014/65 und 7 Ob 17/21g). Sie führt beim Versicherungsnehmer zu einer Schmälerung des Versicherungsschutzes und beim Versicherer trotz mehrerer Verstöße zu einer Begrenzung seiner Eintrittspflicht auf den Höchstbetrag. Sie beschränkt damit als Risikobegrenzungsklausel die Leistungspflicht des Versicherers zu Lasten des Versicherungsnehmers (vgl 7 Ob 17/21g).
[27] 4.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 7 Ob 122/10g (= SZ 2010/84; Art 6.7.2. ARB 1994) und 7 Ob 22/11b (Art 6.7.2. ARB 1988) zu inhaltsähnlichen Serienschadenklauseln Stellung genommen und in Übereinstimmung mit der herrschenden deutschen Lehre (bei vergleichbarer Bedingungslage) ausgesprochen, dass danach nicht entscheidend ist, ob ein zeitlicher und ursächlicher Zusammenhang zwischen den verschiedenen Prozessen besteht, sondern ob dieser zwischen den einzelnen Versicherungsfällen vorliegt. Die Zusammenfassung mehrerer zeitlich und ursächlich zusammenhängender Versicherungsfälle zu einem einheitlichen „Leistungsfall“, der die Leistung des Rechtsschutzversicherers bis zur Haftungshöchstsumme nur einmal auslöst, ist dann gerechtfertigt, wenn mehrere Versicherungsfälle einem Geschehnisablauf entspringen, der nach der Verkehrsauffassung als ein einheitlicher Lebensvorgang aufzufassen ist (RS0111811 [T5]).
[28] 4.2. Die Beklagte verweist zutreffend auf die (unstrittige) Solidarhaftung, sollte der Kläger gegenüber den vermeintlichen Schädigern mit seinen (jeweils gleichlautenden) Schadenersatzbegehren durchdringen. Zwar wirft er seinen früheren Rechtsvertretern und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen jeweils eigenständige Pflichtverletzungen vor, jedoch macht er ihnen gegenüber ein und dieselbe Schadenersatzforderung geltend. Die drei Versicherungsfälle resultieren alle aus dem Arzthaftungsprozess, lassen sich nicht voneinander trennen und bauen auch kausal aufeinander auf. Ausgangspunkt ist das vermeintlich fehlerhafte Sachverständigengutachten, auf das – so die Behauptungen des Klägers – weder seine Rechtsvertreterin in erster Instanz pflichtgemäß reagierte, noch die von ihm im Rechtsmittelverfahren beigezogenen Rechtsanwälte. Die drei Versicherungsfälle stehen damit nicht nur in einem zeitlichen, sondern auch in einem ursächlichen Zusammenhang und resultieren aus einem einheitlichen Lebensvorgang. Damit liegt entsprechend Art 6.7.2. ARB 2008 ein Serienschaden vor, sodass die Versicherungssumme für alle drei Schadenersatzprozesse nur einmal zur Verfügung steht.
[29] 4.3. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man mit Piontek (in Prölss/Martin, VVG31 [2021] § 5 ARB 2010 Rn 79) nicht darauf abstellen wollte, ob die Versicherungsfälle alle einem nach der Verkehrsanschauung einheitlichen Lebensvorgang entspringen, sondern darauf, ob infolge des Eintritts des ersten Versicherungsfalls oder eines davor liegenden Umstands die Gefahr der eingetretenen Versicherungsfälle erhöht wurde und daher das Zusammentreffen der Versicherungsfälle die Realisierung der mit einem Umstand verbundenen besonderen Gefahr darstellt („Domino- oder Nachzieheffekt“). Ausgangspunkt für diese Beurteilung wäre auch hier das behauptungsgemäß unrichtige Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen, auf das – nach dem Vorbringen des Klägers – seine vormaligen Rechtsvertreter weder in erster Instanz noch im Rechtsmittelverfahren sachgemäß reagierten.
[30] 4.4. Da somit ein einheitlicher Lebensvorgang und auch die Realisierung der mit einem Umstand verbundenen besonderen Gefahr vorliegt, steht die Versicherungssumme – unstrittig 87.296,79 EUR – für alle drei Schadenersatzprozesse nur einmal in voller Höhe zu.
[31] 5. Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben.
[32] III. Zur Kostenentscheidung:
[33] Die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen macht eine Neubestimmung der Kosten des gesamten Verfahrens erforderlich.
[34] 1. Die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Der Kläger ist mit seinem Feststellungsbegehren auf Rechtsschutz-
deckung teilweise – zur Hälfte – durchgedrungen.
Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen der drei Feststellungsbegehren (5.500 EUR/500 EUR/150 EUR) hat er mit rund 45 % obsiegt. Die Kosten sind daher gegenseitig aufzuheben. Die Beklagte hat ihm gemäß § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO die Hälfte der Barauslagen zu ersetzen.
[35] 2. Der Kläger war mit seiner Berufung erfolglos, sodass er der Beklagten nach § 41 iVm § 50 ZPO die Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzten hat.
[36] Die Beklagte drang mit ihrer Berufung, in der sie auch beantragte, „dass für die Klagsführung des Klägers im Verfahren 17 ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz nur im Umfang von 73 % der Kosten dieses Verfahrens Rechtsschutzdeckung besteht“, nur zur Hälfte durch. Das führt nach § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO zur Kostenaufhebung. Die Pauschalgebühr für das Berufungsverfahren erhält sie vom Kläger zur Hälfte ersetzt.
[37] 3. Im Revisionsverfahren beruht die Kostenentscheidung auf § 41 ZPO iVm § 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision des Klägers hingewiesen. Sie hat Anspruch auf Ersatz ihrer gesamten Kosten, wobei Bemessungsgrundlage für ihre Revision (und auch die Pauschalgebühr) nur ein Revisionsinteresse von 2.750 EUR ist.
[38] 4. Die wechselseitigen Ansprüche im Rechtsmittelverfahren wurden saldiert.
Textnummer
E131497European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00068.21G.0428.000Im RIS seit
11.05.2021Zuletzt aktualisiert am
30.12.2021