TE Lvwg Erkenntnis 2021/1/15 VGW-151/016/12258/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.2021
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Entscheidungsdatum

15.01.2021

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
20/09 Internationales Privatrecht

Norm

NAG §2 Abs1 Z9
NAG §20 Abs1
NAG §46 Abs1 Z2 lita
IPRG §16 Abs2

Text

                                                                          

Verwaltungsgericht
Wien

1190 Wien, Muthgasse 62

Telefon: (+43 1) 4000 DW 38870

Telefax: (+43 1) 4000 99 38870

E-Mail: post@vgw.wien.gv.at

GZ: VGW-151/016/12258/2020-9                                               Wien, am 15. Jänner 2021

A. B.

Geschäftsabteilung: VGW-A

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter MMag. Dr. Böhm-Gratzl über die Beschwerde der A. B., geb. am ...1998, afghanische Staatsangehörige, vertreten durch Rechtsanwältin, vom 8.9.2020 gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, vom 22.7.2020, Zl. ..., mit welchem der Antrag der Beschwerdeführerin vom 8.5.2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich – NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, idF BGBl. I Nr. 56/2018 abgewiesen wurde,

zu Recht:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a und § 20 Abs. 1 NAG wird der Beschwerde stattgegeben, wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und wird der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit Gültigkeit bis zum 2.10.2021 erteilt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit o.a. Bescheid wurde der Erstantrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die von der Beschwerdeführerin mit dem Zusammenführenden im Jahr 2006 in Afghanistan geschlossene Ehe einen Verstoß gegen den Ordre public darstelle, da die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht ehefähig gewesen sei.

Hiegegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde, mit welcher der Begründung des angefochtenen Bescheides entgegengetreten und die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels beantragt wird.

Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte den bezughabenden Verwaltungsakt dem erkennenden Gericht vor.

Das Verwaltungsgericht Wien stellt den folgenden Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin ist eine am ...1998 geborene afghanische Staatsangehörige und im Besitz eines bis zum 2.10.2021 gültigen afghanischen Reisepasses. Zusammenführender im konkreten Fall soll der am ...1990 geborene afghanische Staatsangehörige C. D. sein, welcher einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ mit Kartengültigkeit bis zum 21.7.2022 innehat.

Die Eheleute wurden im Jahr 2006 in E. (Afghanistan) im Rahmen einer traditionell-religiösen Zeremonie verheiratet. Eine staatliche Registrierung jener Ehe ist danach nicht erfolgt.

Am 12.10.2019 haben die Eheleute in F. (Afghanistan) nach afghanischem Recht geheiratet, wobei beide Eheleute und zwei Zeugen vor Ort anwesend waren. Diese Ehe wurde am 15.10.2019 beim (so übersetzt) „Supreme Court“ der Islamischen Republik Afghanistan registriert.

Die Beschwerdeführerin brachte am 8.5.2019 bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad (Pakistan) persönlich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ein. Sie hat bislang keinen Aufenthaltstitel nach dem NAG inne.

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Zusammenführende bewohnt auf Grund eines am 16.5.2019 abgeschlossenen, bis 14.6.2022 befristeten Mietvertrages alleine eine ca. 40 m² große Wohnung in Wien, G.-gasse. Die Wohnsitznahme der Beschwerdeführerin wird an dieser Adresse beabsichtigt. Der monatlich zu entrichtende Mietzins beläuft sich inkl. Betriebskosten zuletzt auf EUR 361,78.

Der Zusammenführende ist bei der Österreichischen Gesundheitskasse sozialversichert (Soz.vers.nr. ...).

Der Zusammenführende ist seit 1.10.2019 bei der H. GmbH als freier Dienstnehmer angestellt und lukriert hiefür ein monatliches Einkommen von zumindest EUR 1.764,94. Er hat neben dem oberwähnten Mietzins monatliche Ausgaben für Strom und Gas (Wien Energie) iHv EUR 78,40 zu tragen. Der Zusammenführende weist keine Kreditschulden auf.

Die Beschwerdeführerin hat ein mit 13.9.2019 datiertes Goethe-Zertifikat „Start Deutsch“ auf Niveau A1 des GER erworben.

Die Beschwerdeführerin hat im Stadium des Beschwerdeverfahrens ein aktuelles Lichtbild (Passfoto) im Original beigebracht.

Diese Feststellungen gründen sich auf folgender Beweiswürdigung:

Die Geburtsdaten der Beschwerdeführerin und des Zusammenführenden bzw. die Gültigkeitsdaten des Reisedokuments der Beschwerdeführerin sowie des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden waren dem vorgelegten – nicht nach Aktenseiten nummerierten – Verwaltungsakt (vgl. die dem verfahrenseinleitenden Antrag beigeschlossene Reisepasskopie) bzw. einem hg. beigeschafften Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister (zuletzt am 12.1.2021) zu entnehmen.

Die Feststellungen zu den vorliegenden Eheschließungen sind unstrittig. Strittig blieb die rechtliche Beurteilung derselben, welche den nachfolgenden Erwägungen vorbehalten bleibt. Eine Bestätigung über die religiöse Eheschließung im Jahr 2006 liegt dem vorgelegten Verwaltungsakt ebenso ein (vgl. Beilage zum verfahrenseinleitenden Antrag) wie die Heiratsurkunde vom 12.10.2019 (vgl. da. Eingabe vom 2.12.2019). Die persönliche Anwesenheit des Zusammenführenden bei der Eheschließung im Jahr 2019 wird nicht zuletzt durch Einreisestempel in seinem Reisepass verifiziert (vgl. ebenda).

Das verfahrenseinleitende Antragsformular liegt dem vorgelegten Verwaltungsakt ein. Dass die Beschwerdeführerin bislang keinen Aufenthaltstitel nach dem NAG innehatte, ergibt sich aus einer hg. durchgeführten Abfrage im Zentralen Fremdenregister (zuletzt am 12.1.2021).

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einem vorgelegten afghanischen Führungszeugnis derselben vom 9.11.2020 (vgl. Gerichtsakt ON 5). Nachdem sich die Beschwerdeführerin bisher nicht in Österreich aufgehalten hat, finden sich nicht zuletzt deswegen im Österreichischen Strafregister keine Eintragungen zu ihr (vgl. auch hg. Abfrage vom 14.10.2020; im Gerichtsakt).

Der Mietvertrag des Zusammenführenden, aus welchem die Dauer des Mietverhältnisses und die Eigenschaften des Mietobjektes hervorgehen, liegt dem vorgelegten Verwaltungsakt ein (vgl. Beilage zum verfahrenseinleitenden Antrag). An besagter Adresse ist neben dem Zusammenführenden keine weitere Person gemeldet (vgl. hg. Abfrage vom 12.1.2021; im Gerichtsakt). Die aktuelle Mietzinshöhe war den mit Urkundenvorlage vom 9.11.2020 übermittelten Kontoauszügen des Zusammenführenden zweifelsfrei zu entnehmen (vgl. Gerichtsakt ON 4).

Die Sozialversicherung des Zusammenführenden ergibt sich aus einer hg. Abfrage in der Versicherungsdatenbank vom 12.1.2021 (im Gerichtsakt).

Aus ebenjener Abfrage ergibt sie die Feststellung der Anstellung des Zusammenführenden als freier Dienstnehmer. Mit Urkundenvorlage vom 9.11.2020 wurden drei Honorarabrechnungen des Zusammenführenden für die Monate Juli bis September 2020 vorgelegt (vgl. Gerichtsakt ON 4). Bei dem oberwähnten Betrag iHv EUR 1.764,94 handelt es sich um das dort genannte geringste Honorar (vom Juli 2020). Im Rahmen einer Prognoseentscheidung (hiezu bspw. VwGH 23.11.2017, Ra 2017/22/0144) ist auf Grund der aktuellen allgemeinen Umstände (COVID-19 und „Lockdown“) bei einer – wie hier – Essenszustellung aus hg. Sicht nicht davon auszugehen, dass sich die – von der Zustellmenge und dem Kilometergeld abhängigen (vgl. hiezu die Honorarabrechungen) – Honorare des Zusammenführenden verringern werden, sodass der oben angenommene Einnahmenbetrag als Mindestbetrag angenommen wird. Die monatlichen Ausgaben für Strom und Gas waren einer Urkundenvorlage vom 2.12.2020 (Schreiben der Wien Energie) zweifelsfrei zu entnehmen (vgl. Gerichtsakt ON 7). Dass der Zusammenführende keine Kreditschulden aufweist, geht aus einer, mit Urkundenvorlage vom 9.11.2020 übermittelten Selbstauskunft des KSV 1870 hervor (vgl. Gerichtsakt ON 4).

Das o.a. Sprachzertifikat liegt in Kopie dem vorgelegten Verwaltungsakt ein (vgl. da. Eingabe vom 30.9.2019) und bestehen hg. keine Zweifel an dessen Echtheit.

Das oberwähnte Lichtbild der Beschwerdeführerin wurde mit Urkundenvorlage vom 9.11.2020 übermittelt (vgl. Gerichtsakt ON 4).

Der belangten Behörde wurde mit hg. Schriftsatz vom 21.12.2020 (nachweislich zugestellt am 23.12.2020) die Möglichkeit eingeräumt, zu dem im Beschwerdeverfahren ergänzend aufgenommenen Akteninhalt bis spätestens 11.1.2021 (hg. einlangend) Stellung zu nehmen (vgl. Gerichtsakt ON 8). Eine Stellungnahme ist jedoch bis zuletzt nicht erfolgt.

Der entscheidungserhebliche Sachverhalt steht damit fest.

Das Verwaltungsgericht Wien hat in rechtlicher Hinsicht hiezu erwogen:

Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a NAG ist Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllen, ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ innehat.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG ist „Familienangehöriger“ im Sinne des NAG u.a. wer Ehegatte ist; Ehegatten müssen zum Zeitpunkt der Antragstellung das 21. Lebensjahr bereits vollendet haben.

Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Eheschließung der Beschwerdeführerin in Afghanistan rechtwirksam zustande gekommen bzw. in Österreich anzuerkennen ist.

Gemäß § 16 Abs. 2 IPRG ist die Form einer Eheschließung im Ausland nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung. Im konkreten Fall sind beide Eheleute afghanische Staatsangehörige und erfolgte die Eheschließung in Afghanistan, sodass die dortigen Formvorschriften einzuhalten waren.

Gemäß Art. 70 Afghanisches Zivilgesetzbuch tritt die Ehefähigkeit bei Männern ein, wenn sie das 18. Lebensjahr, und bei Frauen, wenn sie das 16. Lebensjahr vollendet haben. Wenn das Mädchen nicht das in Art. 70 leg. cit. vorgesehene Alter vollendet hat, so kann ihre Ehe gemäß Art. 71 leg. cit. nur durch den wahren gewalthabenden Vater oder durch das zuständige Gericht geschlossen werden; die Eheschließung einer Minderjährigen unter 15 Jahren ist auf keinen Fall erlaubt (vgl. hiezu Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 106. Lfg., 1990, 25).

Im Lichte dessen muss die religiös-traditionelle Eheschließung der Ehepartner im Jahr 2006 als dem afghanischen Zivilrecht widersprechend beurteilt werden, sodass hier nicht von einer rechtsgültigen Eheschließung nach afghanischem Recht auszugehen ist. Aus hg. Sicht bleibt diese Eheschließung somit unberücksichtigt.

Darüber hinaus haben die Eheleute im Jahr 2019, als beide nach o.a. afghanischem Recht ehefähig waren (siehe oben), in Afghanistan geheiratet. Beide Eheleute sowie zwei Zeugen (vgl. Art. 77 Z 2 Afghanisches Zivilgesetzbuch in Bergmann/Ferid, aaO) waren bei dieser Eheschließung anwesend. Auch wurde diese Ehe von einer staatlichen Behörde registriert. Aus der vorgelegten Heiratsurkunde, in der an keiner Stelle auf die Eheschließung im Jahr 2006 Bezug genommen wird, ist aus hg. Sicht nicht zu schließen, dass es sich hiebei bloß um die nachträgliche Registrierung der zuvor religiös-traditionell geschlossenen Ehe, sondern um eine eigenständige Eheschließung gehandelt hat. Auch wäre die nachträgliche Registrierung einer Kinderehe im Lichte von Art. 71 Afghanisches Zivilgesetzbuch rechtlich ausgeschlossen. Unter diesen Voraussetzungen ist aber ein Verstoß gegen den Ordre public (§ 6 IPRG) im konkreten Fall nicht ersichtlich.

Zwar erfolgte die Eheschließung vom 12.10.2019 erst nach Einbringung des verfahrenseinleitenden Antrages am 8.5.2019, doch kann dieser Umstand dahinstehen, zumal nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinne des NAG im Zeitpunkt der behördlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gegeben sein muss (vgl. hiezu zB VwGH 18.10.2012, 2008/22/0909; 8.11.2018, Ra 2018/22/0258).

Schließlich hatte die Beschwerdeführerin am 5.5.2019 das 21. Lebensjahr vollendet und erfolgte die Einbringung des verfahrenseinleitenden Antrages drei Tage später. Der 1990 geborene Zusammenführende war dabei jedenfalls älter als 21 Jahre.

Im Ergebnis ist die Beschwerdeführerin sohin als Ehegattin und damit als „Familienangehörige“ des Zusammenführenden im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG zu qualifizieren.

Der Zusammenführende ist als afghanischer Staatsangehöriger „Drittstaatsangehöriger“ und ist er im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“. Der für die Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Beschwerdeführerin notwendige Quotenplatz ist auf Grund der in § 12 Abs. 6 NAG normierten „Blockierung“ auch nach Beschwerdeerhebung noch vorhanden. Damit erfüllt die Beschwerdeführerin alle besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a NAG.

In weiterer Folge ist das Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG zu prüfen.

Es sind keine Erteilungshindernisse nach § 11 Abs. 1 NAG ersichtlich.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn sein Aufenthalt öffentlichen Interessen widerstreitet. Nach Abs. 4 Z 1 par. cit. ist dies u.a. dann anzunehmen, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten und haben sich auch sonst keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet den öffentlichen Interessen widerstreiten könnte. Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG wird damit vorliegend erfüllt.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 2 NAG hat der Fremde den Nachweis eines Rechtsanspruches auf eine Unterkunft, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird, zu erbringen. Generelle Mitbenützungsrechte an einer Wohnung auf Grund familienrechtlicher Titel sind zur Erfüllung der Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG ausreichend (vgl. zB VwGH 9.9.2014, Ro 2014/22/0032).

Der Zusammenführende bewohnt auf Grund eines – für die gesamte Dauer des hier beantragten Aufenthaltstitels gültigen – Mietvertrages eine rd. 40 m² große Wohnung in Wien. Bei einer Belegung durch zwei Personen, d.h. durch die Eheleute, ist von einer „ortsüblichen Unterkunft“ in obigem Sinne auszugehen. Damit ist auch die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG gegeben.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs. 1 Z 6 NAG DV ist dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels ein Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht, anzuschließen. Die – dem Fremden offen stehende – Möglichkeit einer Mitversicherung für Angehörige gemäß § 123 Abs. 1 ASVG ist als ein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 6 NAG DV anzusehen, womit die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG erfüllt wird (so zB VwGH 20.7.2016, Ro 2015/22/0030).

Der Zusammenführende ist bei der Österreichischen Gesundheitskasse sozialversichert und besteht somit eine Mitversicherungsmöglichkeit der Beschwerdeführerin. Damit wird die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG verwirklicht.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG darf der Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Der Aufenthalt eines Fremden führt dann zu keiner solchen Belastung, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen gemäß § 293 ASVG entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte. Bei einem – wie vorliegend den Fall – geplanten gemeinsamen Haushalt ist unter Berücksichtigung der zu versorgenden Person zu prüfen, ob das Haushaltseinkommen den „Haushaltsrichtsatz“ nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht (vgl. hiezu etwa VwGH 29.3.2019, Ra 2018/22/0080; 8.10.2019, Ra 2018/22/0260).

Ausgehend hievon sind im vorliegenden Fall monatliche finanzielle Mittel in Höhe von EUR 1.714,09 nachzuweisen (= EUR 1.578,36 [ASVG-Richtsatz für Ehegatten] + 361,78 [Mietzins inkl. Betriebskosten] + 78,40 [Zahlungen für Strom und Gas] – 304,45 [Wert der „freien Station“]). Nach obigen Feststellungen bringt der Zusammenführende monatlich zumindest EUR 1.764,94 ins Verdienen, womit der gesetzlich geforderte Richtwert überschritten wird. Auch eingedenk des Umstandes, dass der gegenständlich beantragte Aufenthaltstitel nicht für die Dauer von zwölf Monaten erteilt werden kann (siehe unten) und dass demgemäß auch bei Berechnung des Lebensunterhaltes von einem kürzeren Beurteilungszeitraum auszugehen wäre (vgl. zB VwGH 13.11.2018, Ra 2017/22/0130, mwN), wird im konkreten Fall die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG jedenfalls erfüllt.

Eine Beeinträchtigung im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 5 NAG ist im Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Beschwerdeführerin nicht ersichtlich.

Gemäß § 19 Abs. 1 NAG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels persönlich bei der Behörde zu stellen. Diesem Formgebot ist die Beschwerdeführerin durch persönliche Antragstellung nachgekommen.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind – wie vorliegend – Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Auch diese Erteilungsvoraussetzung hat die Beschwerdeführerin durch Antragstellung bei der (hiefür zuständigen) Österreichischen Botschaft in Islamabad erfüllt.

Gemäß § 21a Abs. 1 iVm § 8 Abs. 1 Z 2 NAG sind mit erstmaliger Antragstellung auf einen Aufenthaltstitel für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Nach § 9b NAG DV werden hier Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) gefordert.

Die Beschwerdeführerin hat ein mit 13.9.2019 datiertes „Goethe-Zertifikat“ über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 des GER erworben und hat damit die genannte besondere Erteilungsvoraussetzung erfüllt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 NAG DV ist dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels ein Lichtbild des Antragstellers anzuschließen. Gemäß § 2a Abs. 2 NAG DV darf dieses Lichtbild nicht älter als sechs Monate sein; diese Voraussetzung muss im Entscheidungszeitpunkt gegeben sein (vgl. eingehend hiezu VwGH 9.9.2020, Ra 2019/22/0212).

Durch Beibringung eines in dieser Hinsicht „aktuellen“ Lichtbildes im Stadium des Beschwerdeverfahrens wurde auch diese Voraussetzung von der Beschwerdeführerin erfüllt.

Nachdem die Beschwerdeführerin sämtliche allgemeinen und besonderen Voraussetzungen erfüllt, war der begehrte Aufenthaltstitel spruchgemäß zu erteilen.

Gemäß § 20 Abs. 1 NAG sind – wie hier – befristete Aufenthaltstitel grundsätzlich für die Dauer von zwölf Monaten auszustellen. Beträgt jedoch die Gültigkeit des Reisedokuments weniger als die maximal mögliche für den Aufenthaltstitel gültige Aufenthaltsdauer, so ist dieser nur für die Gültigkeitsdauer dieses Reisedokuments auszustellen (vgl. zB VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0042).

Nachdem der vorgelegte Reisepass der Beschwerdeführerin eine Gültigkeit (nur) bis zum 2.10.2021 aufweist, war der begehrte Aufenthaltstitel nur mit Gültigkeit bis zu jenem Datum zu erteilen.

Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht abgesehen werden, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Diesfalls liegt es im Ermessen des Verwaltungsgerichtes keine Verhandlung durchzuführen, wobei dieses Ermessen jedenfalls im Lichte des Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC zu handhaben ist (vgl. hiezu etwa VwGH 18.5.2017, Ra 2017/20/0118, mwN).

Im vorliegenden Fall stand der entscheidungserhebliche Sachverhalt bereits auf Grund der Aktenlage fest, wurde der belangten Behörde die Gelegenheit eingeräumt zum im Beschwerdeverfahren ergänzten Akteninhalt Stellung zu nehmen, wovon jene jedoch keinen Gebrauch gemacht hat, und waren im Lichte des Beschwerdevorbringens und vor dem Hintergrund der o.a. höchstgerichtlichen Judikatur bloß Rechtsfragen ohne besondere Komplexität zu klären, weswegen weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC dem Entfall der mündlichen Verhandlung entgegenstehen (vgl. zB EGMR 5.9.2002, Appl. Nr. 42.057/98, Speil [ÖJZ 2003, 117]; 7.3.2017, Appl. Nr. 24.719/12, Tusnovics).

Zum Revisionsausspruch:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (obzitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche, über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung der hier zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal auch die Gesetzeslage eindeutig ist (vgl. etwa VwGH 28.5.2014, Ro 2014/07/0053; 3.7.2015, Ra 2015/03/0041). Zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist der Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht berufen (vgl. VwGH 24.3.2014, Ro 2014/01/0011; 28.4.2015, Ra 2014/19/0177).

Belehrung

Gegen dieses Erkenntnis besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerde bzw. Revision ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung der Entscheidung durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin bzw. einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und ist die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgericht Wien einzubringen. Für die Beschwerde bzw. die Revision ist eine Eingabengebühr von je EUR 240,– beim Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, Verfahrenshilfe für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bzw. Verfassungsgerichtshof zu beantragen.

Verfahrenshilfe ist einer Partei so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist für ein Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof unmittelbar beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für ein außerordentliches Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Dies in beiden Fällen jeweils innerhalb der oben genannten sechswöchigen Beschwerde- bzw. Revisionsfrist.

Ferner besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Der Verzicht hat ausdrücklich zu erfolgen und ist bei einem Verzicht auf die Revision dem Verwaltungsgericht, bei einem Verzicht auf die Beschwerde bis zur Zustellung der Entscheidung dem Verwaltungsgericht, nach Zustellung der Entscheidung dem Verfassungsgerichtshof schriftlich bekanntzugeben oder zu Protokoll zu erklären. Der Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision bzw. Beschwerde nicht mehr zulässig ist. Wurde der Verzicht nicht von einem berufsmäßigen Parteienvertreter oder im Beisein eines solchen abgegeben, so kann er binnen drei Tagen schriftlich oder zur Niederschrift widerrufen werden.

 

Verwaltungsgericht Wien

MMag. Dr. Böhm-Gratzl

Richter

Schlagworte

Aufenthaltstitel; Zusammenführung; Familienangehöriger; Eheschließung; Rechtswirksamkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.151.016.12258.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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