Index
L0350 GemeindewahlNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Abweisung einer Anfechtung der Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahl für den 20. Bezirk durch die Partei "ARTIKEL EINS"; Registrierung von Unterstützungserklärungen und Einbringung von Wahlvorschlägen vom Umfang des Wahlverfahrens vor dem VfGH erfasst; keine Unsachlichkeit der Verpflichtung neu kandidierender Parteien zur Vorlage von Unterstützungserklärungen sowie der Möglichkeit der Unterstützung durch fünf Nationalratsabgeordnete; keine Bedenken gegen die Verpflichtung zur Leistung einer Unterschrift vor dem Magistrat bzw der gerichtlichen oder notariellen Beglaubigung von Unterstützungserklärungen; keine unsachliche Verkürzung der Frist zur Vorlage der Unterstützungserklärungen auf Grund der COVID-19-Situation; Berechtigung zur Abgabe von Unterstützungserklärungen stellt auf die Eintragung in der – von der Gemeinde zu führenden – ständigen Evidenz der Wahlberechtigten ab; keine Bedenken gegen die Kundmachung in Hausfluren betreffend die Angaben über die dort WahlberechtigtenRechtssatz
Zulässigkeit der Wahlanfechtung der Erstanfechtungswerberin (Partei "ARTIKEL EINS") im Umfang der Anfechtung der Wiener Gemeinderatswahl und der Bezirksvertretungswahl für den 20. Wiener Gemeindebezirk: Die Erstanfechtungswerberin ist sowohl bei der Wiener Gemeinderatswahl als auch bei der Wiener Bezirksvertretungswahl am 11.10.2020 als wahlwerbende Partei aufgetreten und hat gemäß §43 Abs1 GWO 1996 gesondert einen Kreiswahlvorschlag für die Gemeinderatswahl sowie einen Bezirkswahlvorschlag für die Bezirksvertretungswahl für den 20. Wiener Gemeindebezirk eingereicht. Sie ist daher insoweit zur Anfechtung legitimiert. Zur Anfechtung betreffend die Wahlen sämtlicher anderer Wiener Gemeindebezirke ist sie - mangels Einreichung eines Wahlvorschlages - nicht legitimiert; die Anfechtung ist daher in diesem Umfang als unzulässig zurückzuweisen. Zurückweisung der Anfechtungen des Zweitanfechtungswerbers (Wahlwerbers) mangels Legitimation: Die Nichtveröffentlichung der Wahlvorschläge gemäß §47 Abs3 iVm §44 Abs1 und 2 GWO 1996 erfolgte, weil die erforderlichen Unterstützungserklärungen nicht beigebracht wurden. Somit waren für die Nichtveröffentlichung der Wahlvorschläge nicht in der Person des Wahlwerbers gelegene Gründe ausschlaggebend.
Der Umfang des Wahlverfahrens ist im Rahmen eines Verfahrens nach Art141 Abs1 lita B-VG weit zu verstehen und erstreckt sich insbesondere auch auf die der eigentlichen Wahl vorgelagerte Aspekte, etwa die Registrierung von Unterstützungserklärungen und die Einbringung von Wahlvorschlägen. Auch Rechtswidrigkeiten, die diese Abläufe betreffen, sind somit mittels Wahlanfechtung gemäß Art141 B-VG zu bekämpfen. Dies trifft auch dann zu, wenn in diesem Zusammenhang Entscheidungen von Wahlbehörden oder Verwaltungsgerichten als - nicht selbstständig anfechtbare - Teilakte des Wahlverfahrens ergehen. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung ist im vorliegenden Fall die Beendigung des Wahlverfahrens (amtliche Verlautbarung der Namen der gewählten Bewerber und Ersatzbewerber durch Anschlag an der Amtstafel). Die am 06.11.2020 durch die Erstanfechtungswerberin beim VfGH eingebrachte Anfechtung erweist sich für beide Wahlen als rechtzeitig.
Keine Bedenken gegen die Vorlagepflicht von Unterstützungserklärungen für neu kandidierende Parteien sowie die Unterstützung durch Nationalratsabgeordnete:
Angesichts der verfassungsgesetzlichen Verankerung des Verhältniswahlrechts bestehen keine Bedenken gegen Bestimmungen einer Wahlordnung, wenn Wahlvorschläge der Unterstützung durch eine Mindestzahl von Wahlberechtigten (zwingend) bedürfen; denn auf solche Weise werden all jene Kleinstgruppen von der Wahlwerbung ausgeschlossen, die außerstande sind, einen nennenswerten Grundstock an Anhängern nachzuweisen, und darum nach allgemeiner Lebenserfahrung von vornherein keine Aussicht auf Erlangung eines Mandates haben. So gesehen hat die jeder wahlwerbenden Gruppe auferlegte Verpflichtung zur Beibringung einer gewissen Anzahl von Unterstützungserklärungen nur zur Folge, dass eine Stimmabgabe für gänzlich aussichtslose Bewerber vermieden wird. Ein Ergebnis, das zur effektiven Gestaltung des Verhältniswahlrechts entscheidend beiträgt.
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber innerhalb seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums zur Auffassung gelangt, zwischen bereits im allgemeinen Vertretungskörper vertretenen und neu kandidierenden wahlwerbenden Parteien zu differenzieren. Dieser Gestaltungsspielraum kommt dem Gesetzgeber auch bei der Regelung betreffend Unterstützungserklärungen zu. Es ist nicht unsachlich, bereits im Gemeinderat oder in der Bezirksvertretung vertretene Wahlparteien bei der Unterstützung von Wahlvorschlägen anders als erstmals kandidierende Parteien zu behandeln, weil in der Regel davon ausgegangen werden kann, dass solche wahlwerbenden Parteien einen nennenswerten Grundstock an Anhängern aufweisen. Soweit diese Bestimmung betreffend die Unterstützung eines Wahlvorschlags durch fünf Abgeordnete zum Nationalrat überhaupt präjudiziell ist, weil diese Bestimmung in den zugrunde liegenden Wahlen nicht angewendet wurde, da keine der wahlwerbenden Parteien die erforderliche Anzahl von Unterstützungserklärungen durch Unterschriften von Abgeordneten zum Nationalrat ersetzt hat, bestehen dagegen keine Bedenken, weil diese Abgeordneten jedenfalls in der Regel eine nicht unbeträchtliche Zahl von Wahlberechtigten repräsentieren.
Keine Bedenken gegen §44 Abs3 GWO 1996 betreffend die eigenhändige Unterschrift auf der Unterstützungserklärung:
Der VfGH hat bereits in VfSlg 10065/1984 bezüglich der Abgabe von Unterstützungserklärungen durch (schwer) Erkrankte und körperlich beeinträchtigte Menschen unter Hinweis auf VfSlg 5166/1965 ausgesprochen, dass es nicht unsachlich ist, wenn ein persönliches Erscheinen (auch) des Unterstützungswilligen vor der Gemeindebehörde vorgesehen ist; es handelt sich hiebei nämlich um einen der Wahlentscheidung zuzurechnenden - wesentlichen - Akt, der iZm weiteren Formalakten (Identitätsnachweis, Leistung der Unterschrift) den Unterstützungswillen des Wahlberechtigten der zuständigen Behörde verbindlich zur Kenntnis bringt.
Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des §43 Abs3 GWO 1996 ist ein persönliches Erscheinen eines Unterstützungswilligen beim Magistrat außerdem nur dann notwendig, wenn die eigenhändige Unterschrift des Unterstützungswilligen vor dem Magistrat erfolgen soll. Anstelle der Unterschrift vor dem Magistrat kann die Unterschrift jedoch auch gerichtlich oder notariell beglaubigt werden, sodass (schwer) Erkrankte oder sonst beeinträchtigte Personen nicht unbedingt persönlich vor dem Magistrat erscheinen müssen. Dies gilt auch für Personen die sich im Strafvollzug befinden. Im Übrigen besteht auch für diese Personen gemäß §98 StVG die Möglichkeit zur Abgabe einer Unterstützungserklärung vor dem Magistrat.
Keine unsachliche Verkürzung der Frist zur Vorlage der Unterstützungserklärungen:
Die Änderung der Frist des §43 Abs1 GWO 1996 (Vorlage der Wahlvorschläge spätestens am 58. Tag vor dem Wahltag - anders als bisher bis spätestens am 51. Tag) wurde nach den Materialien zur betreffenden Novelle damit begründet, dass die Verkürzung der Frist auf Grund der "COVID-19-Situation" in Österreich erfolge, da man davon ausgehe, dass es viel mehr Briefwahlkarten geben werde, weswegen eine Vorverlegung des Fristendes für die Einreichung der Wahlvorschläge sinnvoll wäre, um den Behörden eine Woche länger Zeit für die Abwicklung der Wahl mittels Wahlkarten zu gewähren.
Die mit der Vorverlegung der Wahlvorschläge verbundene Verkürzung des Zeitraumes, in dem wahlwerbende Parteien Unterstützungserklärungen sammeln können, führt jedoch angesichts des nach wie vor zur Verfügung stehenden Zeitraumes und der erforderlichen Anzahl von Unterstützungserklärungen zu keinem unsachlichen Ergebnis: Den wahlwerbenden Parteien stand vom Zeitpunkt der Kundmachung beider Wahlen (30.06.2020; Stichtag: 14.07.2020) bis zum Zeitpunkt der Vorlage der Wahlvorschläge am 14.08.2020 ausreichend Zeit zur Verfügung, um die erforderlichen Unterstützungserklärungen für ihre Wahlvorschläge zu sammeln. Innerhalb dieses Zeitraumes hatten auch Personen, welche sich während des Zeitraumes in Quarantäne befunden haben, jedenfalls ausreichend Zeit, um eine Unterstützungserklärung für die Wahlvorschläge der Erstanfechtungswerberin abzugeben. Unabhängig von der Quarantäne gab es während dieses Zeitraumes auch keine sogenannten Ausgangsbeschränkungen in Österreich.
Keine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten durch die Entsendung von Vertrauenspersonen zu den Sitzungen der Wahlbehörden:
§12 Abs2 GWO 1996 normiert, dass die Beisitzer (Ersatzbeisitzer) auf Grund der Vorschläge der Parteien verhältnismäßig nach den bei der letzten Wahl des Gemeinderates auf die einzelnen Parteien im ganzen Gemeindegebiet entfallenen Stimmen unter Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlenverfahrens aufgeteilt werden; sonstige im Gemeinderat vertretene Parteien können - je nach ihrer Mandatsstärke - bis zu zwei Vertrauenspersonen entsenden. Gemäß §12 Abs3 GWO 1996 können auch Parteien, die im zuletzt gewählten Gemeinderat überhaupt nicht vertreten waren, eine Vertrauensperson entsenden. Gemäß §12 Abs3 dritter und vierter Satz GWO 1996 sind Vertrauenspersonen zu den Sitzungen der Wahlbehörden einzuladen und können diese an den Verhandlungen ohne Stimmrecht teilnehmen.
Art26a B-VG verlangt, nach dem den Wahlbehörden als stimmberechtigte Beisitzer Vertreter der wahlwerbenden Parteien anzugehören haben, weder eine Besetzung der Wahlbehörden mit parteipolitisch "neutralen Personen" noch mit (stimmberechtigten) Vertretern aller Wahlparteien, die einen Wahlvorschlag erstattet haben. Im Übrigen hätte sogar eine (allenfalls rechtswidrige) Nichtberücksichtigung der Vertrauenspersonen bei der Ladung zu einer Sitzung der Wahlbehörde keine Auswirkungen auf die gültige Zusammensetzung oder Beschlussfähigkeit dieser, weil der Vertrauensperson jedenfalls nur ein Teilnahmerecht, nicht jedoch ein Stimmrecht zugekommen wäre.
Soweit die Erstanfechtungswerberin Bedenken dagegen vorbringt, dass es gegen die nicht erfolgte Zulassung einer wahlwerbenden Partei kein Einspruchsverfahren geben würde und lediglich die Wahlanfechtung beim VfGH offen stünde, genügt der Hinweis auf VfSlg 19995/2015, wonach der Umfang des Wahlverfahrens im Rahmen eines Verfahrens nach Art141 Abs1 lita B-VG weit zu verstehen ist und sich insbesondere auch auf die der eigentlichen Wahl vorgelagerten Aspekte, etwa das Verfahren betreffend die Unterstützung von wahlwerbenden Parteien und die Einbringung von Wahlvorschlägen erstreckt. Damit stellt die Anfechtungsmöglichkeit der angefochtenen Wahl beim VfGH einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf dar, der eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Nichtzulassung der Wahlvorschläge ermöglicht.
Die Bedenken der Erstanfechtungswerberin dahingehend, dass das Fristende für die Abgabe von Wahlvorschlägen samt Unterstützungserklärungen vor dem Zeitpunkt liege, in dem das Berichtigungsverfahren für die Eintragung in das Wählerverzeichnis abzuschließen sei, gehen schon deshalb ins Leere, weil §44 Abs3 GWO 1996 betreffend die Berechtigung zur Abgabe von Unterstützungserklärungen nicht auf das Wählerverzeichnis abstellt, sondern vielmehr auf das Erfordernis der Eintragung in einer von der Gemeinde nach bundesgesetzlichen Vorschriften zu führenden ständigen Evidenz der Wahlberechtigten des Wahlkreises (Bezirkes) oder in der Wählerevidenz für Unionsbürger der Wahlberechtigten des Wahlkreises (Bezirkes) gemäß §19a Abs1 GWO 1996. Diese Evidenzen bilden zwar die Grundlage für die Wählerverzeichnisse werden jedoch unabhängig von den Wahlen ständig geführt. In diese kann jederzeit Einsicht genommen werden; zudem können jederzeit Berichtigungsanträge gestellt werden).
Keine Bedenken gegen die Kundmachung gemäß §28 GWO 1996 (Aushang in den Häusern betreffend Angaben über die dort Wahlberechtigten) wonach keine Differenzierung zwischen der Anzahl der Wahlberechtigten zur Gemeinderatswahl und jener zur Bezirksvertretungswahl erfolgt: Soweit die Erstanfechtungswerberin die Rechtmäßigkeit der Wählerevidenz bzw des Wählerverzeichnisses in Zweifel zieht, ist sie auf VfSlg 20259/2018 zu verweisen, wonach Rechtswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Erstellung der Wählerverzeichnisse, insbesondere die Frage, ob bestimmte Personen rechtswidriger Weise (nicht) in die Wählerevidenz bzw das Wählerverzeichnis eingetragen wurden, im hiefür vorgesehenen Verfahren zu relevieren sind.
Keine Bedenken gegen die Praxis, derzufolge vor der Wahlbehörde getätigte und von der Behörde beglaubigte Unterstützungserklärungen von der unterstützenden Person wieder mitzunehmen und der unterstützten wahlwerbenden Partei zuzustellen sind. Gemäß §43 Abs3 iVm §44 Abs1 und Abs2 GWO 1996 sind die Unterstützungserklärungen dem von der wahlwerbenden Partei einzubringenden Wahlvorschlag anzuschließen; es ist daher eine ausschließliche Angelegenheit der wahlwerbenden Partei, sich darum zu kümmern, dass ausreichende Unterstützungserklärungen vorliegen, damit ein von ihr eingebrachter Wahlvorschlag nicht als unzulässig verworfen wird.
Schlagworte
VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, Gemeinderat, Bezirksvertretungen, Wahlvorschlag, Wählerevidenz, Auslegung verfassungskonforme, Verhältniswahl, Rechtspolitik, COVID (Corona), Fristen, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / LegitimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:WI14.2020Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022