Index
10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art53 Abs3Leitsatz
Verpflichtung des Bundesministers für Finanzen zur Vorlage von E-Mails sowie lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien von Bediensteten des Finanzministeriums an den Untersuchungsausschuss des Nationalrates betreffend die mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss); Erforderlichkeit einer substantiierten Begründung bei Ablehnung der Vorlage der Akten und UnterlagenRechtssatz
Zurückweisung des Antrags, soweit er sich auf die Feststellung der Verpflichtung des Bundesministers für Finanzen zur Vorlage rein privater Dateien und Kommunikation sowie von E-Mails und elektronischen Dateien der Abteilung I/5 bezieht, die dem Ibiza-Untersuchungsausschuss bereits vorgelegt worden sind.
Die Beurteilung der Vorlageverpflichtung und damit der Frage, ob für den Untersuchungsausschuss angeforderte Akten und Unterlagen gemäß Art53 Abs3 B-VG vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind, obliegt zunächst dem informationspflichtigen Organ. Eine Ablehnung der Vorlage erfordert vom vorlagepflichtigen Organ die Behauptung, dass der sachliche Geltungsbereich von Art53 Abs3 B-VG mangels Vorliegens eines Zusammenhanges mit dem Untersuchungsgegenstand nicht gegeben ist. Der pauschale Verweis allein darauf, dass bestimmte Akten und Unterlagen nicht vom Untersuchungsgegenstand erfasst seien, kann das Zurückhalten von Informationen allerdings nicht rechtfertigen. Neben der Behauptungspflicht trifft das Organ auch eine auf die einzelnen - von der sonst bestehenden Vorlagepflicht des Art53 Abs3 B-VG erfassten - Akten und Unterlagen näher bezogene, substantiierte Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen.
Das in Art53 Abs3 und Art138b Abs1 Z4 B-VG zugrunde liegende und in §27 VO-UA sowie in §56f VfGG näher ausgestaltete Konzept des (Verfassungs-)Gesetzgebers lässt - trotz fehlender Definition des Begriffes Meinungsverschiedenheit für Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG - deutlich erkennen, dass der VfGH angerufen werden kann, um die Klärung einer konkreten Meinungsverschiedenheit, im vorliegenden Fall der unterschiedlichen Auffassung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Untersuchungsausschuss vorgebrachten Begründung für die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss, herbeizuführen. Vor dem Hintergrund der Verpflichtung des VfGH gemäß §56f Abs3 VfGG, über eine Meinungsverschiedenheit ua zwischen einem Viertel der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates und einem informationspflichtigen Organ über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Grund der Aktenlage und ohne unnötigen Aufschub (tunlichst binnen vier Wochen nach vollständiger Einbringung des Antrages) zu entscheiden, sowie der befristeten Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses (vgl §53 VO-UA) hat das vorlagepflichtige Organ seiner bestehenden Behauptungs- und Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen für den Untersuchungsgegenstand bereits gegenüber dem Untersuchungsausschuss und nicht erst im Verfahren vor dem VfGH diesem gegenüber nachzukommen, um zunächst dem Untersuchungsausschuss eine Überprüfung und allfällige Bestreitung der Argumentation zu ermöglichen und diese einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterziehen zu können.
Da der Bundesminister für Finanzen lediglich seiner diesbezüglichen Behauptungs-, nicht aber auch seiner diesbezüglichen Begründungspflicht gegenüber dem Ibiza-Untersuchungsausschuss entsprochen hat, ist er verpflichtet, diesem die in Rede stehenden Akten und Unterlagen vorzulegen.
Ob und inwieweit der Bundesminister für Finanzen aus faktischen Gründen nicht in der Lage sein sollte, die auf Grund des Ausscheidens eines Mitarbeiters bereits gelöschte Mailbox sowie sämtliche sonstige lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien vorzulegen, ändert nichts an der grundlegenden Verpflichtung, auch diese Akten und Unterlagen dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vorzulegen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Untersuchungsausschuss, Nationalrat, Datenschutz, email, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:UA1.2021Zuletzt aktualisiert am
19.05.2022