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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Z A, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 2020, W168 2152434-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 30. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, sein Bruder habe in Afghanistan eine außereheliche Beziehung mit der Tochter eines einflussreichen Kommandanten geführt. Aus diesem Grund seien die Familie des Revisionswerbers und er selbst von diesem Kommandanten unter Druck gesetzt worden und ihr aller Leben in Gefahr.
2 Mit Bescheid vom 20. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 28. August 2020 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG - zusammengefasst und soweit für das vorliegende Revisionsverfahren relevant - aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, dass er Afghanistan aufgrund einer ihn persönlich und konkret betreffenden unmittelbaren Verfolgung aus Konventionsgründen verlassen habe. Er könne sich in Kabul, wo sein Vater sowie seine Schwester mit ihrer Familie lebten, sowie in Herat und Mazar-e Sharif niederlassen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei auch unter Berücksichtigung der Covid-19-Pandemie möglich und zumutbar.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3413/2020-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit - unter Bezugnahme auf näher genannte Rechtsprechung - im Wesentlichen vor, das BVwG habe die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit verletzt, indem es dem Revisionswerber im Zuge der durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung keine Gelegenheit gegeben habe, ausreichend Angaben zu seinem Fluchtvorbringen zu machen. Ferner hätte das BVwG prüfen müssen, ob der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr auf ein soziales Netz zurückgreifen könne, welches ihn in Zeiten der Pandemie unterstützen könne. Zudem sei das BVwG von der höchstgerichtlichen Judikatur zur Aktualität der Länderberichte abgewichen, weil es Länderberichte zu den Folgen der Dürre in Herat und Mazar-e Sharif vom Oktober 2018 nicht berücksichtigt und die konkreten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die afghanische Gesellschaft nur unzureichend festgestellt habe. Letztlich bringt die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe bei der Interessenabwägung im Rahmen der Rückkehrentscheidung gegen die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze verstoßen.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Wenn die Revision zu ihrer Zulässigkeit zunächst vorbringt, das BVwG habe die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit verletzt, sei auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0480, mwN). Dass dies vorliegend der Fall wäre, zeigt die Revision nicht auf.
12 Insbesondere trifft der in der Revision erhobene Vorwurf, ein Ermittlungsfehler sei darin zu erblicken, dass das BVwG es unterlassen habe, dem Revisionswerber ausreichend Gelegenheit zu geben, Angaben zu seinen Problemen in Afghanistan aufgrund der außerehelichen Beziehung seines Bruders zu machen, am Boden des Akteninhalts nicht zu. Der Revisionswerber hatte bei der Verhandlung vor dem BVwG, bei der im Übrigen auch der ihn vertretende Rechtsanwalt anwesend war und ergänzende Fragen stellte, ausreichend Gelegenheit, zu seinem Fluchtgrund Angaben zu machen, von der er auch Gebrauch machte.
13 Sofern die Revision rügt, das BVwG hätte erheben müssen, ob der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr auf ein soziales Netz, welches ihn in Zeiten der Pandemie unterstützen könne, zurückgreifen könne, versucht sie erkennbar ein mangelndes Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative aufzuzeigen. Das BVwG hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung durch Befragung des Revisionswerbers erhoben, dass die Schwester des Revisionswerbers mit ihrem Ehemann in Kabul ein Haus besitze, in welchem sein Vater wohne. Der Ehemann der Schwester sei Direktor einer Abteilung im Arbeitsministerium. Der Revisionswerber selbst habe in Kabul zwei Jahre in einem Reisebüro gearbeitet und dort vor seiner Ausreise ein technisches Studium absolviert. Er habe von 2010 bis 2015 in Kabul gelebt. In weiterer Folge hat der erkennende Richter dem Revisionswerber all diese - für die Zumutbarkeit einer Ansiedlung in Kabul sprechenden Sachverhaltselemente - vorgehalten und ihn nach Unterscheidungsmerkmalen von anderen jungen, afghanischen, arbeitsfähigen Männern mit familiären Anknüpfungspunkten gefragt. Der Revisionswerber wurde ferner zu seinen Befürchtungen bei einer Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif angehört. Die Revision vermag mit ihrem - pauschal gehaltenen - Vorbringen nicht darzutun, dass das BVwG seiner Ermittlungspflicht in diesem Zusammenhang nicht nachgekommen wäre.
14 Soweit die Revision rügt, dass Länderberichte vom Oktober 2018 betreffend der Dürre in Herat und Mazar-e Sharif Berücksichtigung finden hätten müssen, werden Verfahrensmängel geltend gemacht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel - in konkreter Weise - darzulegen (vgl. etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2020/18/0184, mwN).
Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarstellung ist den Ausführungen in der Revision nicht zu entnehmen, weil in keiner Weise dargestellt wird, inwieweit die Berücksichtigung des zitierten, mehr als zwei Jahre alten Berichts zu einem günstigeren Ergebnis für den Revisionswerber hätte führen können.
15 Die vorliegende Revision rügt im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung weiters, das BVwG habe es unterlassen, die konkreten Auswirkungen der „Covid-19-Pandemie“ auf die afghanische Gesellschaft zu beurteilen und entsprechend zu würdigen. Der Sachverhalt sei nur unzureichend festgestellt worden. Dem ist zu entgegnen, dass das BVwG seinen Feststellungen zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle und mit der „Covid-19-Pandemie“ in Zusammenhang stehende Berichte zugrunde legte, in welchen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen - etwa Einschränkungen in der Mobilität und Social-Distancing - der Pandemie festgehalten werden. Ausgehend von diesen Feststellungen erwog das BVwG, dass die Einschränkungen im Sozial- als auch Wirtschaftsleben aufgrund der „Covid-19-Pandemie“ alleine noch nicht zu einer derart gravierenden Lageänderung führen würden, dass es diesbezüglich zu einer wesentlichen Veränderung der Situation im Herkunftsstaat des Revisionswerbers gekommen wäre oder er nunmehr alleine deshalb bei einer Rückkehr einer verfahrensrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Vor dem Hintergrund, dass der keiner Risikogruppe angehörende, gesunde und erwerbsfähige Revisionswerber vor seiner Ausreise bereits fünf Jahre in Kabul gelebt und dort Bauingenieurwesen studiert sowie in einem Reisebüro gearbeitet habe, kam das BVwG zu dem vertretbaren Ergebnis, dass sich der Revisionswerber in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat ansiedeln könne. Die vorliegende Revision vermag nicht darzulegen, dass diese Einzelfallbeurteilung unvertretbar erfolgt wäre (vgl. dazu VwGH 20.11.2020, Ra 2020/19/0170, mwN).
16 Sofern sich die Revision schließlich gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/19/0304, mwN).
Das BVwG hat sich im vorliegenden Fall im Rahmen seiner durchgeführten Interessenabwägung mit den entscheidungswesentlichen Umständen auseinandergesetzt. Dabei wurden die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers von knapp fünf Jahren im Inland, seine Deutschkenntnisse, seine in Österreich lebende Schwester sowie deren Ehemann und Kinder, als auch sein Engagement bei einem Umweltprojekt für eine Stadtgemeinde berücksichtigt. Diesen Aspekten stellte das BVwG gegenüber, dass der Revisionswerber lediglich aufgrund seines Antrages auf internationalen Schutz zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei, keine Hinweise für eine ausreichend intensive, exzeptionelle Beziehung zu seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen vorlägen und er sich seines unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sei. In diesem Zusammenhang hob es auch die hohen öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen hervor und kam zu dem Ergebnis, dass diese öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden. Dass diese Erwägungen an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würden, vermag die Revision nicht darzulegen (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/18/0449, mwN).
17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 10. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180013.L00Im RIS seit
07.04.2021Zuletzt aktualisiert am
07.04.2021