TE Vwgh Beschluss 2021/2/10 Ra 2020/18/0426

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Veröffentlicht am 10.02.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des G T, vertreten durch Mag. Tamer Öztürk, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Schwimmschulgasse 3, dieser vertreten durch Mag.a Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2020, W266 2149980-1/34E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger Afghanistans aus der Provinz Faryab und stellte am 11. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, er fürchte, im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat von den Taliban getötet zu werden, weil er nicht für sie kämpfen habe wollen, sondern geflohen sei.

2        Mit Bescheid vom 20. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Gewährung von Asyl als auch hinsichtlich der Gewährung von subsidiärem Schutz ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4        Das BVwG stellte insbesondere fest, dem Revisionswerber drohe keine Verfolgung in asylrelevanter Intensität durch die Taliban. Eine ungefährdete Rückkehr des Revisionswerbers sei zwar nicht in seine Heimatprovinz Faryab, aber sehr wohl in die Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat „möglich und zumutbar“. Der Revisionswerber sei ein junger, grundsätzlich gesunder und arbeitsfähiger Mann. Der Revisionswerber leide an einer leichtgradigen Anpassungsstörung mit längerer depressiver Episode und an Schmerzen aufgrund eines Verkehrsunfalls. Er nehme deshalb Antidepressiva sowie Schmerzmittel ein. Im Jahr 2017 habe sich der Revisionswerber aufgrund des Zufügens von Selbstverletzungen in suizidaler Absicht in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden. Die medikamentöse Therapie habe eine Besserung gebracht, weshalb sich der Revisionswerber derzeit nicht mehr in psychiatrischer Behandlung befinde.

5        Das BVwG stützte die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit beweiswürdigend auf das Gutachten eines im gerichtlichen Verfahren als Sachverständigen bestellten Facharztes für Psychiatrie und Neurologie (Gutachten vom 20. November 2018) sowie auf die Aussage des Revisionswerbers während der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 12. November 2019, dass er sich seit dem Jahr 2017 nicht mehr in stationärer und auch nicht mehr in psychiatrischer Behandlung befinde, sondern vom Hausarzt die Medikamente (Antidepressiva und Schmerzmittel) verschrieben bekomme und sich durch die Medikamente nicht eingeschränkt fühle.

6        Gegen dieses Erkenntnis - der Sache nach lediglich gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz - richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, dass das BVwG zur Feststellung des aktuellen Gesundheitszustandes des Revisionswerbers eine Ergänzung des Gutachtens aus dem Jahr 2018 veranlassen hätte müssen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein ergänzendes Gutachten dem Revisionswerber aktuell einen nicht einwandfreien Gesundheitszustand attestiert hätte, dies vor dem Hintergrund der Aussage im Gutachten vom 20. November 2018, dass für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan zumindest eine neuerliche Verschlechterung der Anpassungsstörung bis hin zu einer depressiven Episode mit möglicher Suizidalität nicht ausgeschlossen werden könne. In weiterer Konsequenz könne, was die Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz betrifft, nicht davon ausgegangen werden, dass es sich beim Revisionswerber um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann handle.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision macht im Wesentlichen geltend, dass sich das BVwG bei seiner Entscheidung zum subsidiären Schutz von dem eingeholten psychiatrischen Gutachten entfernt habe, wonach nicht ausgeschlossen werden könne, dass es bei Rückkehr des Revisionswerbers nach Afghanistan zu einer Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustandes kommen könne, und bezeichne den Revisionswerber zu Unrecht als „grundsätzlich gesund“.

11       Dem ist zunächst zu entgegnen, dass die Gewährung von subsidiärem Schutz nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 das reale Risiko einer drohenden Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bei Rückkehr in den Heimatstaat erfordert. Dazu reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, Rn. 20).

12       Die in der Revision angesprochene Passage des psychiatrischen Gutachtens lautet insgesamt, dass eine Aussage, wie sich eine allfällige Rückkehr des Revisionswerbers auf seine psychische Situation auswirken werde, nur schwer getroffen werden könne. Bei einer Rückkehr entgegen den Wünschen und Zielen des Betroffenen könne zumindestens eine neuerliche Verschlechterung der Anpassungsstörung bishin zu einer depressiven Episode mit möglicher Suizidalität „nicht ausgeschlossen werden“.

13       Der Gutachter konnte demnach eine Verschlechterung der vorhandenen bloß leichtgradigen psychischen Symptomatik nicht ausschließen. Ein reales Risiko dafür ergibt sich aus seinem Gutachten aber nicht. Im Gutachten wird außerdem auch festgehalten, dass die vorliegende leichtgradige Anpassungsstörung behandelbar sei, der Revisionswerber seit mehr als einem Jahr auf eine entsprechende antidepressive Medikation eingestellt sei und die Medikation eine entsprechende Besserung gebracht habe. Außerdem wird festgehalten, dass beim Revisionswerber keine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung fassbar sei, die seine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würde. Die Annahme des BVwG, dass es sich beim Revisionswerber um einen grundsätzlich gesunden und arbeitsfähigen jungen Mann handle, kann sich somit auf eine vertretbare Würdigung dieses Gutachtens und der Aussage des Revisionswerbers während der mündlichen Verhandlung, er sei durch die eingenommenen Medikamente nicht eingeschränkt, stützen. Die Revision stellt zwar in Frage, ob der Revisionswerber in Afghanistan bzw. in den vom BVwG als Fluchtalternative angenommen Städten im Notfall in ein psychiatrisches Krankenhaus aufgenommen werden könnte, bringt jedoch nicht etwa vor, dass die vom Revisionswerber eingenommenen Medikamente dort nicht erhältlich wären.

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180426.L00

Im RIS seit

07.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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