Index
E6JNorm
AVG §58 Abs2Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse als Kompetenzzentrum LSDB in Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 3. September 2020, Zl. VGW-041/002/15319/2018-7, betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: J H in L (Niederlande), vertreten durch Mag. Bert Ortner Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Herrengasse 1, DG), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 2. Oktober 2018 wurde der Mitbeteiligte als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der R. Hungary S. Kft. (mit Sitz in B) der Übertretung des § 7b Abs. 1 Z 1 iVm. § 7i Abs. 5 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) schuldig erkannt, weil diese Gesellschaft in näher genannten Zeiträumen im Jänner 2016 neun namentlich genannte - „zur Erbringung einer fortgesetzten Arbeitsleistung nach Österreich entsandte“ - Arbeitnehmer „mit dem Anbieten von Speisen und Getränken im Zug beschäftigt“ habe, ohne diesen den nach dem Kollektivvertrag für Eisenbahnunternehmen zustehenden Grundlohn unter Beachtung der Einstufungskriterien zu leisten. Über den Mitbeteiligten wurde deswegen pro betroffenem Arbeitnehmer eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Weiters wurde ein Kostenbeitrag zum Verfahren auferlegt und diesbezüglich sowie hinsichtlich der Geldstrafe die Haftung der genannten Gesellschaft gemäß § 9 Abs. 7 VStG angeordnet.
2 Mit den angefochtenen Erkenntnissen hob das Verwaltungsgericht das Straferkenntnis in Stattgabe der Beschwerde des Mitbeteiligten auf und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, es habe das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 17. Mai 2019 gemäß § 34 Abs. 3 VwGVG ausgesetzt, weil beim Verwaltungsgerichtshof zu Ra 2017/11/0093 (u.a.) Revisionsverfahren anhängig seien, in welchen gemäß Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ergangen sei.
4 Unter Bezugnahme auf das in diesem Vorabentscheidungsverfahren ergangene EuGH-Urteil „Dobersberger“ vom 19. Dezember 2019, C-16/18, habe der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 30. Jänner 2020, Ra 2017/11/0093 u.a., den Revisionen Folge gegeben und (durch entsprechende Abänderung der angefochtenen Erkenntnisse) die zugrundeliegenden Straferkenntnisse aufgehoben und die Strafverfahren eingestellt, weil - fallbezogen - das für die Bestrafung nach dem AVRAG erforderliche Tatbestandsmerkmal der „Entsendung“ von Arbeitnehmern unter dem Gesichtspunkt des genannten EuGH-Urteils nicht erfüllt gewesen sei.
5 Dieser Wiedergabe des Verfahrensganges folgt im angefochtenen Erkenntnis die Erwägung des Verwaltungsgerichts mit (ausschließlich) folgendem Wortlaut:
„Die eben dargestellten Ausführungen des VwGH unter Beachtung des zitierten Urteils ‚Dobersberger‘, C-16/18, haben auch für die hier vom Verwaltungsgericht Wien zu entscheidenden Beschwerden der 3 Geschäftsführer der ungarischen Arbeitskräfteüberlassungsfirma (der Arbeitgeberin) volle Geltung, da in diesen sachverhaltsmäßig zusammenhängenden Fällen das Vorliegen des Tatbestandselements der „Entsendung“ nach § 7b Abs. 1 AVRAG in gleicher Weise entscheidend ist wie in den Strafverfahren gegen die Verantwortlichen des (ungarischen) Beschäftigers dieser Arbeitskräfte.
Da das Tatbestandselement der ‚Entsendung‘ der Arbeitnehmer nicht erfüllt ist, hat der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegten Übertretungen des AVRAG nicht begangen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.“
6 Dagegen richtet sich die vorliegende, auf § 7i Abs. 8 (iVm. § 19 Abs. 1 Z 38) AVRAG iVm. Art. 133 Abs. 8 B-VG gestützte außerordentliche Revision der Österreichischen Gesundheitskasse, zu welcher der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
7 Der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet, weil sie zutreffend ausführt, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis u.a. auf VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076) betreffend die Anforderungen an die Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts abgewichen, zumal gegenständlich insbesondere Feststellungen zum angenommenen Sachverhalt fehlten. Damit sei das angefochtenen Erkenntnis nicht nachvollziehbar und einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich.
9 Das zitierte Erkenntnis Ro 2014/03/0076 lautet auszugsweise:
„Vor diesem Hintergrund hatte das Verwaltungsgericht seine vorliegende Entscheidung iSd § 58 AVG zu begründen (vgl Abs 2 dieser Bestimmung). Im Sinne des § 60 AVG waren in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen, sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH vom 20. März 2014, 2012/08/0024, und VwGH vom 21. Dezember 2010, 2007/05/0231, beide mwH) erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben.
...
Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung. Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen wie zB von Zeugenaussagen ist weder erforderlich noch hinreichend, eine Aufzählung aufgenommener Beweise mag zweckmäßig sein. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund. Gleiches gilt, wenn eine solche maßgebliche Beeinträchtigung sonst in einem Mangel an Klarheit bzw Übersichtlichkeit der Zusammenfassung iSd § 60 AVG gründet.“
10 Den genannten Anforderungen entspricht die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses schon im Ansatz nicht, weil das Verwaltungsgericht keinerlei Sachverhaltsfeststellungen in Bezug auf den im Straferkenntnis umschriebenen Tatvorwurf, insbesondere was die „Entsendung“ der Arbeitnehmer nach Österreich betrifft, getroffen hat. Vor diesem Hintergrund ist eine Überprüfung der dem angefochtenen Erkenntnis zugrundeliegenden Rechtsansicht, der vorliegende Fall gleiche jenen Revisionsfällen, die dem zitierten hg. Erkenntnis Ra 2017/11/0093 u.a. zugrunde lagen und in denen im Sinne des dort zitierten Urteils des EuGH „Dobersberger“, C-16/18, die Voraussetzungen der „Entsendung“ von Arbeitnehmern nicht vorlagen, durch den Verwaltungsgerichtshof nicht möglich.
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
12 Der Antrag der Revisionswerberin auf Zuspruch von Aufwandersatz war gemäß § 47 Abs. 4 VwGG iVm. Art. 133 Abs. 8 B-VG abzuweisen.
Wien, am 18. Februar 2021
Gerichtsentscheidung
EuGH 62018CJ0016 Dobersberger VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110217.L00Im RIS seit
13.03.2021Zuletzt aktualisiert am
14.05.2021