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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M I, vertreten durch Dr. Oskar Wagner, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 46A, als bestellter Verfahrenshelfer, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juli 2020, I421 2171873-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist irakischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens aus der Stadt Falludja. Er stellte am 25. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, seinen Herkunftsort im Jahr 2014 aufgrund des Einmarsches von Truppen des Islamischen Staates verlassen zu haben und in die Stadt Balad gezogen zu sein. Dort habe er eine außereheliche Beziehung mit einem Mädchen begonnen und auch Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt. Als die Familie des Mädchens dies herausgefunden habe, sei der Revisionswerber von ihrem Bruder mit dem Tod bedroht worden.
2 Mit Bescheid vom 24. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend hielt das BVwG zusammengefasst fest, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Revisionswerber von der Familie seiner damaligen Freundin bedroht worden sei. Es sei ihm somit nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Weiters lägen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht vor. Im Falle einer Rückkehr nach Falludja drohe dem Revisionswerber kein reales Risiko einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK. Schließlich sei auch die Rückkehrentscheidung nach Durchführung der Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht erlassen worden.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 21. September 2020, E 2864/2020-6, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision führt zusammengefasst ins Treffen, die Ausführungen des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen würden sich „genau im Rahmen der [...] Judikatur zur ‚Verfolgung‘ und ‚wohlbegründeten Furcht‘ bewegen“, was vom BVwG ignoriert worden sei. Zudem habe das BVwG abweichend von der hg. Rechtsprechung bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit in unzulässiger Weise ausschließlich auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme abgestellt. Die Revision macht zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes darüber hinaus - wiederum unter dem Gesichtspunkt der Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - geltend, dass das BVwG aufgrund der konkreten Aussagen des Revisionswerbers zu der Ansicht gelangen hätte müssen, dass er bei einer Rückkehr in den Irak einer realen Gefahr ausgesetzt wäre. In diesem Zusammenhang habe sich das BVwG auch unzureichend mit den aktenkundigen Länderberichten auseinandergesetzt, wozu der Revisionswerber in den Revisionsgründen näher Stellung beziehen werde.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die Revision wendet sich zunächst erkennbar gegen die Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich der geltend gemachten Fluchtgründe. Insofern ist auf die ständige hg. Rechtsprechung hinzuweisen, dass in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 22.5.2020, Ra 2020/18/0082, mwN).
12 Es trifft zu, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 26.8.2020, Ra 2020/18/0132, mwN).
13 Im vorliegenden Fall stützte sich das BVwG neben dem Argument der Steigerung des Fluchtvorbringens nach der Erstbefragung und damit in Zusammenhang stehenden Widersprüchen im Aussageverhalten des Revisionswerbers auf mehrere - für sich tragende - Erwägungen, insbesondere Divergenzen und Unstimmigkeiten in den (späteren) Angaben des Revisionswerbers und den persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung. Beispielsweise habe sich der Revisionswerber zu den Umständen, wie er das Mädchen kennengelernt habe, aber auch zu den Gegebenheiten, wie der Bruder Kenntnis von der Beziehung erlangt habe, in zahlreiche erhebliche Widersprüche verstrickt und diese in der mündlichen Verhandlung nicht ausräumen können. Auch die Angaben des Revisionswerbers zur Aufenthaltsdauer in der Stadt Balad, wo er die Beziehung eingegangen sei, divergierten, was als glaubwürdigkeitsreduzierendes Indiz gewertet werde. Diesen Erwägungen tritt die Revision nicht substantiiert entgegen und vermag somit nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung des BVwG in einer Gesamtschau unvertretbar wäre.
14 Zur erforderlichen Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass dabei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 22.4.2020, Ra 2020/18/0098, mwN).
15 Die Revision zeigt mit ihrer nicht näher konkretisierten, pauschalen Behauptung eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf, dass die vom BVwG im konkreten Einzelfall vorgenommene Beurteilung, der Revisionswerber könne in seine Herkunftsregion, die Stadt Falludja, zurückkehren, mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit belastet wäre.
16 Insoweit die Revision in der Zulässigkeitsbegründung hinsichtlich der Auseinandersetzung mit den Länderfeststellungen auf die weiteren Ausführungen in den Revisionsgründen verweist, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Verweis nicht genügt, um dem Erfordernis, gesondert die Gründe zu nennen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, zu entsprechen (vgl. etwa VwGH 9.12.2020, Ra 2020/18/0474, mwN).
17 In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 19. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180472.L00Im RIS seit
07.04.2021Zuletzt aktualisiert am
07.04.2021