Entscheidungsdatum
08.02.2021Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
EpidemieG 1950 (EpiG) §25Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Dr. Merl über die Beschwerde der A AG, vertreten durch B Rechtsanwälte GmbH, U, W, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 02.11.2020, GZ: BHLI-89940/2020-4,
z u R e c h t e r k a n n t:
I. Gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden VwGVG) wird der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde behoben wird.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (im Folgenden VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Beschwerdevorbringen, Sachverhalt:
Mit dem angefochtenen Bescheid wird ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 iVm § 36 EpiG abgewiesen. Begründet wird dies damit, dass vorliegend keine Betriebsschließung bzw. Betriebsbeschränkung gemäß § 20 EpiG durch Bescheid oder Verordnung der belangten Behörde verfügt worden sei. Sowohl die Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 als auch jene gemäß BGBl. II Nr. 98/2020 hätten ihre Rechtsgrundlage im COVID-19 Maßnahmengesetz und sei auf diese Verordnungen daher das EpiG gar nicht anwendbar. Auf die von der nunmehrigen Beschwerdeführerin auch im verfahrensleitenden Antrag bereits ausführlich dargelegten Erwägungen zur Zuständigkeitsfrage wird in der Begründung des Bescheides nicht eingegangen.
In der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde wird unter Bezugnahme auf das im verfahrenseinleitenden Antrag bereits erstattete Vorbringen ausgeführt, der Verdienstentgang der Antragstellerin sei durch folgende Maßnahmen des Bundes bewirkt worden:
Die am 16.03.2020 in Kraft getretene und danach mehrfach verlängerte Verordnung BGBl. II Nr. 98/2020 („§ 2 COVID-MG-VO“), welche gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes erlassen wurde.
Die am 11.03.2020 in Kraft getretene und danach ebenfalls mehrfach verlängerte Verordnung BGBl. II Nr. 86/2020 (im Antrag als „EinstellungsVO“ bezeichnet) sowie die Verordnung BGBl. II Nr. 87/2020 vom gleichen Tag (im Antrag als „ReisebeschränkungsVO“ bezeichnet).
Bei den beiden zuletzt genannten Verordnungen handle es sich um Verordnungen, welche der Bundesminister auf der Basis von § 25 EpiG erlassen habe, weshalb dafür jedenfalls der Entschädigungsanspruch gemäß § 32 Abs 1 Z 5 leg. cit. zur Anwendung kommen müsse. Die § 2 COVID-MG-Verordnung sei zwar auf der Basis des COVID-19 Maßnahmengesetzes erlassen worden, dessen § 4 Abs 3 laute aber wie folgt: „Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt“. Anders als bei Maßnahmen nach § 1 COVID-MG, bei denen § 4 Abs 2 leg. cit. einen Anspruch auf Verdienstentgang nach § 32 EpiG auszuschließen scheine, bestätige § 4 Abs. 3 leg. cit. für die relevanten Maßnahmen ausdrücklich die vollinhaltliche Anwendbarkeit des gesamten EpiG.
Hinsichtlich der Zuständigkeit wird ausgeführt, die belangte Behörde habe die vorgenannten Maßnahmen zwar nicht erlassen, sie würden sich jedoch dennoch im örtlichen damit auch im sachlichen Zuständigkeitsbereich der belangten Behörde auswirken. Mit dem gegenständlichen Antrag habe die Antragstellerin den gesamten ihr entstandenen Verdienstentgang im Bundesland Steiermark für die Periode vom 16.03.2020 bis einschließlich 13.04.2020 im Betrag von € 2.002.534,87 geltend gemacht, da es schlichtweg nicht möglich sei, den Verdienstentgang auch noch auf Bezirksebene aufzuschlüsseln, weshalb mehrere gleichlautende Anträge bei verschiedenen steirischen Bezirkshauptmannschaften eingebracht worden seien. Die Antragstellerin selbst sei aus in der Beschwerde näher ausgeführten Gründen der Auffassung, dass der Magistrat der Stadt Wien, MA 40, zuständig sei und habe zur Klärung des Zuständigkeitskonflikts einen Antrag gemäß § 5 AVG beim Gesundheitsministerium als sachlich in Betracht kommender Oberbehörde eingebracht und werde angeregt, die dortige Entscheidung abzuwarten.
Aufgrund des vorliegenden Akteninhaltes ist von nachstehendem, für die Klärung der Zuständigkeitsfrage relevanten Sachverhalt auszugehen:
Die Antragstellerin, welche ihren Firmensitz in W, H, hat und im Besitz mehrerer sämtlich vom Magistrat der Stadt Wien ausgestellter Gewerbeberechtigungen (Reisebüros, Handelsgewerbe, Überlassung von Arbeitskräften) ist, erbringt in ganz Österreich und grenzüberschreitend Dienstleistungen des Schienenpersonenverkehrs.
Ende August 2020 wurde anlässlich einer Videokonferenz mit den Ämtern der Landesregierung vereinbart, dass die Zuständigkeit für die gegenständlichen Anträge beim Magistrat der Stadt Wien liegt und die Antragsteller gemäß § 6 Abs 1 AVG von allen Behörden an die zuständige Behörde – also an den Magistrat der Stadt Wien MA 40 – verwiesen werden sollen. Per Mail vom 27.10.2020 teilte Mag. C, Magistrat der Stadt Wien der Rechtsvertretung der Antragstellerin mit, dass der Magistrat der Stadt Wien nunmehr seine Zuständigkeit unter anderem für das verfahrensgegenständliche Anbringen als gegeben ansieht. Per Mail vom 15.01.2021 teilte Mag. C auf Anfrage durch das LVwG Steiermark mit, dass diese Rechtsansicht, wonach die örtliche Zuständigkeit für die gegenständlichen Anträge beim Magistrat der Stadt Wien liegt, weiterhin aufrechterhalten werde. Der Magistrat der Stadt Wien habe bis dato jedoch noch keine inhaltliche Entscheidung über die Anträge der A Gesellschaften getroffen, da man auch dort die Entscheidung des Gesundheitsministeriums über den Antrag gemäß § 5 AVG abwarten wolle.
Beim Landesverwaltungsgericht Steiermark sind derzeit zu GZ: LVwG 41.8-2458/2020 und LVwG 41.27-2970/2020 zwei weitere Beschwerdeverfahren der A AG anhängig, in welchen der mit gleichlautender Begründung geltend gemachte Entschädigungsanspruch nach dem EpiG von den belangten Behörden (Bezirkshauptmannschaft Bruck-Mürzzuschlag und Bezirkshauptmannschaft Murtal) ebenfalls abgewiesen wurde. Aus den zugrundeliegenden Anträgen folgt, dass in diesen Verfahren der für das gesamte Bundesland Steiermark berechnete Entschädigungsanspruch in gleicher Höhe geltend gemacht wurde, dies ebenfalls mit der Begründung, es sei schlichtweg nicht möglich, den entstandenen Schaden auf die Ebene der einzelnen Bezirkshauptmannschaft „herunterzubrechen“.
Mit Schreiben vom 20.01.2021 hat das Gesundheitsministerium mittlerweile zu dem seitens der Rechtsvertretung der Antragstellerin gestellten Antrag gemäß § 5 AVG Stellung genommen. Zunächst wird in dieser Stellungnahme unter Bezugnahme auf die vorgenannte Korrespondenz zwischen den Bundesländern und dem Magistrat der Stadt Wien die Auffassung vertreten, für die Erlassung eines Bescheides bestehe keine Veranlassung, da sich der Magistrat der Stadt Wien, MA 40, mittlerweile ohnehin für die gegenständlichen Entschädigungsansprüche örtlich und sachlich zuständig erklärt habe und somit kein negativer Kompetenzkonflikt vorliege. Inhaltlich wird hinsichtlich der Zuständigkeitsfrage in diesem Schreiben seitens des Gesundheitsministeriums nachstehende Rechtsmeinung vertreten:
„Die Antragstellerinnen gehen davon aus, dass ihnen Ansprüche gemäß § 32 Abs. 1 Z 5 EpiG zustehen. Die genannte Bestimmung sieht eine Vergütung für den Verdienstentgang hinsichtlich Unternehmen vor, die gemäß § 20 EpiG in ihrem Betrieb beschränkt oder geschlossen wurden.
Anträge nach § 32 EpiG sind gemäß § 33 EpiG binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen.
§ 3 Z 2 AVG enthält eine subsidiäre Zuständigkeitsregelung, nach der sich die örtliche Zuständigkeit in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen, nach dem Ort richtet, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll. Diese Regelung kommt nur insoweit in Betracht, als die Regelung der örtlichen Zuständigkeit in einem Materiengesetz unvollständig ist.
Zu § 33 EpiG ist zunächst festzuhalten, dass dieser eine Zuständigkeitsregelung für Ansprüche auf Entschädigung nach § 29 EpiG und § 32 EpiG vorsieht.
Soweit eine Betriebseinschränkung oder Betriebsschließung nach § 20 EpiG von einer Bezirksverwaltungsbehörde angeordnet wurde, richtet sich die Zuständigkeit für einen entsprechenden Antrag im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 5 EpiG nach § 33 EpiG.
Nicht korrekt ist daher die Rechtsansicht der Antragstellerinnen, dass sich die Zuständigkeit für Vergütungsansprüche bezüglich Maßnahmen einzelner Bezirksverwaltungsbehörden nach dem EpiG immer dann nach § 3 Z 2 AVG richtet, wenn diese Maßnahmen vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mittels Weisung angeordnet wurden.
Auch in diesen Fällen richtet sich die Zuständigkeit nach § 33 EpiG. Diese Zuständigkeitsregelung im Materiengesetz ist diesbezüglich nicht unvollständig, weswegen eine Anwendung des § 3 Z 2 AVG nicht in Betracht kommen kann.
Diesbezüglich ist anzumerken, dass sich die Zuständigkeit bei Maßnahmen nach dem EpiG, die durch den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz selbst getroffen werden, ebenfalls nach § 33 EpiG richtet. Als Beispiel kann die Verordnung über die Einstellung des Schienenverkehrs aus Italien aufgrund des Ausbruches von SARS-CoV-2, BGBl. II Nr. 86/2020, genannt werden. In solchen Fällen wird regelmäßig der Magistrat Wien zuständig sein, da die Maßnahme in dessen Bereich getroffen wurde.
Für Vergütungsansprüche hingegen, die wegen Maßnahmen geltend gemacht werden, die nicht auf dem EpiG, sondern auf Verordnungen nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz, StF BGBl. I Nr. 12/2020, beruhen, sieht § 33 EpiG keine Regelung vor. Da die im Materiengesetz getroffene Regelung insoweit unvollständig ist, richtet sich die Zuständigkeit – im vorliegenden Fall – nach § 3 Z 2 AVG.
Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass sich die Zuständigkeit für Vergütungsansprüche, die wegen Maßnahmen nach dem EpiG geltend gemacht werden, aus § 33 EpiG ergibt. Die Zuständigkeitsregelung des § 33 EpiG ist aber in jenen Fällen unvollkommen, in denen Vergütungsansprüche nach § 32 EpiG wegen Maßnahmen geltend gemacht werden, die nicht auf dem EpiG, sondern beispielsweise auf Verordnungen nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz beruhen. In diesen Fällen ist die Zuständigkeit nach § 3 AVG zu bestimmen.
Daher wäre im konkreten Fall nach Ansicht des BMSGPK gemäß § 3 Z 2 AVG auf die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde des Ortes zu verweisen, an dem das Unternehmen betrieben wird. Nach den Ausführungen der Antragstellerinnen ergibt sich daher die Zuständigkeit des Magistrat Wien.
Angemerkt wird, dass seitens des ho. Ressort durch dieses Schreiben lediglich die Rechtsansicht hinsichtlich der Zuständigkeitsfrage dargelegt wird und keinerlei Aussagen in der Sache getroffen werden.
Ihr Schreiben wurde zum Anlass genommen, die Landeshauptleute über die Rechtsansicht des BMSGPK in Kenntnis zu setzen und für deren Beachtung zu sorgen.“
II. Rechtliche Beurteilung:
Die für die Klärung der Zuständigkeitsfrage maßgeblichen Bestimmungen lauten in der geltenden Fassung auszugsweise wie folgt:
§ 32 Abs 1 Epidemiegesetz:
„(1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit
1. sie gemäß §§ 7 oder 17 abgesondert worden sind, oder
2. ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß § 11 untersagt worden ist, oder
3. ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß § 17 untersagt worden ist, oder
4. sie in einem gemäß § 20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder
5. sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß § 20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder
6. sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß § 22 angeordnet worden ist, oder
7. sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß § 24 verhängt worden sind,
und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.“
§ 33 Epidemiegesetz:
„Der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 29 ist binnen sechs Wochen nach erfolgter Desinfektion oder Rückstellung des Gegenstandes oder nach Verständigung von der erfolgten Vernichtung, der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen, widrigenfalls der Anspruch erlischt.“
§ 43a Abs 1-3 Epidemiegesetz:
„(1) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 sind vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.
(2) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung gemäß Abs. 1 erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung gemäß Abs. 1 festgelegt werden.
(3) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen werden, wenn keine Verordnungen gemäß
Abs. 1 oder 2 erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs. 1 oder 2 festgelegt werden.“
§ 49 Epidemiegesetz:
(1) Abweichend von § 33 ist der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme besteht, binnen drei Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen.
(2) Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung laufende und abgelaufene Fristen beginnen mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 62/2020 neu zu laufen.“
„Soweit die in § 1 erwähnten Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nichts bestimmen, richtet sich diese
1. in Sachen, die sich auf ein unbewegliches Gut beziehen: nach der Lage des Gutes;
2. in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen: nach dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll;
3. in sonstigen Sachen: zunächst nach dem Hauptwohnsitz (Sitz) des Beteiligten, und zwar im Zweifelsfall des belangten oder verpflichteten Teiles, dann nach seinem Aufenthalt, dann nach seinem letzten Hauptwohnsitz (Sitz) im Inland, schließlich nach seinem letzten Aufenthalt im Inland, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommen kann oder Gefahr im Verzug ist, nach dem Anlaß zum Einschreiten; kann jedoch auch danach die Zuständigkeit nicht bestimmt werden, so ist die sachlich in Betracht kommende oberste Behörde zuständig.“
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Frage der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit um eine Prozessvoraussetzung, welche die Verwaltungsbehörden, aber auch das Verwaltungsgericht, vor Erlassung einer Sachentscheidung von Amts wegen zu prüfen haben. Die Unzuständigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens aufzugreifen unabhängig davon, ob sie von den Verfahrensparteien geltend gemacht wurde oder nicht wobei – sofern Übergangsregelungen nichts anderes vorsehen – die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung der jeweiligen Entscheidung maßgeblich ist, weil dem Verwaltungsverfahren eine „perpetuatio fori“ fremd ist. Aus diesem Grund wurden die oben wiedergegebenen Zuständigkeitsbestimmungen auch in der geltenden Fassung zitiert (VwGH14.10.2015,Zl.:2013/04/0097;16.06.2014,Ra 2014/03/0004; 19.09.2017, Ro 2017/20/0001, uva).
Indem die belangte Behörde, ohne auf die Zuständigkeitsproblematik einzugehen, eine Sachentscheidung getroffen hat, hat sie ihre Zuständigkeit implizit bejaht (VwGH 09.10.2014, Zl.: 2013/05/0015), dies jedoch aus nachstehenden Gründen zu Unrecht:
Insofern der gegenständliche Antrag auf die § 2 COVID-MG-VO BGBl. II Nr. 98/2020 gestützt wird gilt Folgendes:
Es handelt sich hier nicht um eine Verordnung zum EpiG, weshalb schon aus diesem Grund die dortige Zuständigkeitsregelung gemäß § 33 leg. cit. nicht zur Anwendung kommen kann und im Übrigen aus dem gleichen Grund – ohne der nunmehr vom Magistrat der Stadt Wien, MA 40, zutreffenden Sachentscheidung vorgreifen zu wollen – dem gegenständlichen Antrag wohl auch inhaltlich kein Erfolg beschieden sein wird. Unabhängig davon, ob man dies nun, wie der Stellungnahme des Gesundheitsministeriums vom 20.01.2021 ausgeführt, als „Unvollständigkeit“ des EpiG ansieht oder wie von der zuständigen Richterin vertreten, als logische Konsequenz daraus, dass das EpiG naturgemäß auf Verordnungen, die zu einem anderen Gesetz, nämlich dem COVID-19-Maßnahmengesetz erlassen wurden, nicht anwendbar sein kann, gelangt man in beiden Fällen zum gleichen Ergebnis, dass nämlich für diese Verordnung in Ermangelung einer anwendbaren Zuständigkeitsbestimmung im EpiG subsidiär die Zuständigkeitsregelung des § 3 Z 2 AVG anzuwenden ist.
Für dieses Ergebnis, nämlich die Zuständigkeit für alle Entschädigungsanträge der Antragstellerin bei der für den Firmensitz zuständigen Behörde zu bündeln, sprechen neben den obigen rechtlichen Erwägungen auch gute praktische Gründe. Gerade weil die Antragstellerin bundesweit unternehmerisch tätig ist und ihr durch die in den Anträgen beschriebenen Maßnahmen des Gesundheitsministers in ganz Österreich ein Schaden entstanden ist, dessen rechnerische Aufschlüsselung auf die Amtssprengel sämtlicher österreichischer Bezirkshauptmannschaften schlichtweg nicht möglich ist oder zumindest mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre, wird man im Interesse der Einfachheit, Raschheit und Zweckmäßigkeit dieser Entschädigungsverfahren wohl auch von der Zuständigkeit der für den Firmensitz zuständigen Behörde ausgehen müssen.
Insoweit der Entschädigungsanspruch auf die „EinstellungsVO“ BGBl. II Nr. 86/2020 und die „ReisebeschränkungsVO“ BGBl. II Nr. 87/2020 gestützt wird gilt Nachstehendes:
Zu diesen Verordnungen, welche gemäß § 25 EpiG erlassen wurden, wird in der Stellungnahme des Gesundheitsministeriums vom 20.01.2021 ausgeführt, dass sich auch in diesen Fällen die Zuständigkeit nach § 33 EpiG richtet. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Verordnung BGBl. II Nr. 86/2020 wird dort wörtlich ausgeführt: „In solchen Fällen wird regelmäßig der Magistrat Wien zuständig sein, da die Maßnahme in dessen Bereich getroffen wurde.“
Diese Argumentation des Ministeriums vermag allerdings nicht recht zu überzeugen. Versteht man das Wort „getroffen“ in der obigen Stellungnahme im Sinne von „erlassen“, so trifft es schlichtweg nicht zu, dass die beiden gegenständlichen Verordnungen vom Magistrat Wien bzw. der Stadt Wien als Bezirksverwaltungsbehörde, deren Hilfsapparat der Magistrat Wien ist, erlassen wurde. Genauso wenig wurden die gegenständlichen Verordnungen freilich von der belangten Behörde erlassen. Selbst wenn man „erlassen“ im Sinne von „Wirksamwerden“ versteht, würde es nicht zutreffen, dass diese beiden Verordnungen ausschließlich in Wien wirksam wurden, sodass man auch auf diesem Wege zu keiner exklusiven Zuständigkeit des Magistrates der Stadt Wien käme.
Vielmehr ist von folgenden Überlegungen bei der Lösung der Zuständigkeitsfrage auszugehen:
Das EpiG in seiner vor dem erstmaligen Auftreten SARS-CoV-2 im Frühjahr 2020 geltenden Fassung war ausschließlich für kleinräumige epidemiologische Maßnahmen konzipiert, welche durch Bescheide und Verordnungen der Bezirksverwaltungsbehörden zu treffen waren. Für diese Maßnahmen ist auch die nach wie vor unverändert in Geltung befindliche Zuständigkeitsregelung des § 33 leg. cit. konzipiert, welche nur die Bezirksverwaltungsbehörden erwähnt. Weiters ist darauf hinzuweisen, dass § 33 EpiG nur eine Zuständigkeitsregelung für Maßnahmen gemäß § 29 und 32 leg. cit., nicht hingegen für solche gemäß § 25 vorsieht, was wiederum - ohne der Entscheidung der zuständigen Behörde vorgreifen zu wollen- durchaus als Indiz dahingehend gelten kann, dass das EpiG für aus Verordnungen gemäß § 25 leg. cit. resultierende finanzielle Nachteile gar keinen Entschädigungsanspruch vorsieht. Dass auch der zuständige Bundesminister ermächtigt ist, Verordnungen nach diesem Bundesgesetz zu erlassen, wurde erst Monate nach Erlassung der beiden gegenständlichen Verordnungen mit der nunmehrigen Bestimmung des § 43 a Abs 1 EpiG idF BGBl. I Nr. 104/2020 im September 2020 klargestellt, allerdings ohne die Zuständigkeitsregelung des § 33 EpiG entsprechend anzupassen.
Mit BGBl I Nr. 62/2020 wurde zwar der neue § 49 EpiG als Sonderbestimmung für die Dauer der SARS-CoV-2 Pandemie eingefügt. Abweichend von § 33 EpiG wurde die Frist zur Geltendmachung der Ansprüche auf Verdienstentgang auf drei Monate verlängert. Aus den Erläuternden Bemerkungen (622/A 27. GPNR) ergibt sich, dass die Änderung ausschließlich das Ziel verfolgte, die Frist von sechs Wochen auf drei Monate zu verlängern. Die Zuständigkeit zur Entscheidung verblieb jedoch bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich die Maßnahmen getroffen wurden.
Die zuständige Richterin teilt die in der gegenständlichen Beschwerde, Seite 10, vertretene Ansicht der Beschwerdeführerin, dass es sich bei der unterlassenen Anpassung der Zuständigkeitsregelung um ein aus der pandemiebedingten Hektik des Normsetzungsprozesses resultierendes legistisches Versehen des Gesetzgebers handelt und somit um eine planwidrige Lücke, welche, da man aus den im vorstehenden Absatz wiedergegebenen Gründen bei Interpretation des EpiG zu keinem brauchbaren Ergebnis gelangt, nun wiederum durch die subsidiäre Anwendung der Zuständigkeitsregelung des § 3 Z 2 AVG geschlossen werden muss. Hinsichtlich der praktischen Überlegungen, welche ebenfalls für eine Bündelung der Zuständigkeit am Firmensitz der Antragstellerin sprechen, gilt das gleiche wie oben zur § 2-COVID-MG-VO ausgeführt.
Letztlich ist dies allerdings für die zu treffende Entscheidung insofern irrelevant, als man unabhängig davon, ob man sich nun der in der Stellungnahme vom 20.01.2021 vertretenen Rechtsmeinung des Gesundheitsministeriums anschließt oder der in dieser Entscheidung vertretenen Meinung, in beiden Fällen daraus eine Zuständigkeit des Magistrates der Stadt Wien, MA 40, resultiert.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass auch andere Verwaltungsgerichte, so etwa das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 30.11.2020 GZ VGW-101/050/4901/2020 mit einer Wesentlichen gleichlautenden Begründung in derartigen Fällen die Zuständigkeit bei Magistrat der Stadt Wien gesehen haben.
Zusammenfassend war daher die Entscheidung der belangten Behörde wegen örtlicher Unzuständigkeit zu beheben, da für alle vorerwähnten Rechtsgrundlagen, auf welche sich der Entschädigungsanspruch stützt, aus den dargestellten Gründen der Magistrat der Stadt Wien, MA 40, örtlich und sachlich zuständig ist. Die belangte Behörde wird im weiteren Verfahren den Antrag auf Entschädigung an den Magistrat der Stadt Wien, MA 40, gemäß § 6 AVG weiterzuleiten haben.
III. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil es hinsichtlich der hier zu beantwortenden Frage der örtlichen Zuständigkeit bisher an einer einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt.
Schlagworte
Prozessvoraussetzung, amtswegige Prüfung, vor Erlassung der Sachentscheidung von Amts wegen zu prüfen, keine perpetuatio fori, COVID-Maßnahmengesetz-Verordnung, Einschränkung Schienenverkehr aus Italien, Einschränkung Einreise aus Italien, Entschädigung Verdienstentgang, sachliche und örtliche Zuständigkeit, subsidiäre Zuständigkeit § 3 Z 2 AVG, Firmensitz, keine Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden, keine Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden gemäß § 33 EpiG oder § 49 EpiGAnmerkung
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Entscheidung vom 22.04.2021, Ra 2021/09/0005, die Frage der örtlichen Zuständigkeit anders beurteilt.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGST:2021:LVwG.41.15.3019.2020Zuletzt aktualisiert am
19.05.2021