Entscheidungsdatum
22.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W168 2129795-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2016, Zahl 1052537810/150214385/BMI-BFA_SBG_AST_01_TEAM_03, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.02.2020, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 26.02.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.
2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass in seinem Heimatgebiet vor längerer Zeit eine Feindschaft zwischen zwei Stämmen vorherrschend gewesen sei, die jedoch nach einiger Zeit beigelegt worden sei. Er habe sich in ein Mädchen aus dem ursprünglich verfeindeten Stamm verliebt und mit diesem eine Beziehung begonnen. Da jedoch die Eltern gegen diese Heirat gewesen seien und seine Freundin einen anderen Mann heiraten hätte sollen, habe sie Selbstmord begangen. Ihre Familie habe nach ihrem Tod Rachepläne geschmiedet, weshalb der BF das Land verlassen habe müssen.
3. Am 21.04.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass er in Afghanistan zuletzt in Kabul wohnhaft gewesen sei und seine Familie nach wie vor dort aufhältig sei. Befragt, ob er nach wie vor Kontakt mit seinen Familienangehörigen habe, entgegnete der BF, dass er lediglich alle zwei Monate zu seinem Bruder Kontakt habe. Er habe im Herkunftsstaat mit seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und seinen vier Schwestern im Eigentumshaus seines Vaters gewohnt. Zur Frage, ob es noch weitere Verwandte in Kabul gebe, erklärte der BF, dass ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits in Kabul wohnhaft seien. Die Frage, ob seine Familie ebenfalls ausreisen wolle, wurde vom BF verneint.
Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er bei einem Kurs für eine Aufnahmeprüfung an der Universität ein Mädchen kennengelernt und mit diesem zwei Jahre lang eine Beziehung geführt habe. Für ihn sei jedoch eine andere Ehepartnerin vorgesehen gewesen, weshalb er bei der Familie des Mädchens um ihre Hand angehalten habe. Da jedoch die Großeltern beider Familien verfeindet seien, habe sie einer Eheschließung nicht zugestimmt. In weiterer Folge habe der BF den Kontakt zu dem Mädchen jedoch aufrechterhalten, obwohl auch seine Eltern einer Heirat nicht eingewilligt hätten. Der BF sei von seinem Vater beschimpft und geschlagen, da er ihn zwecks notwendiger Trauung aufgrund des vorangegangenen Geschlechtsverkehrs mit dem Mädchen unter Druck gesetzt habe. Der BF habe sich an einen Freund gewandt und seiner Freundin über die Ereignisse berichtet und ihr einige Tage später geraten, ihren Müttern über ihr sexuelles Verhältnis zu erzählen, was diese jedoch abgelehnt habe. Anschließend hätten sie zwei Fluchtversuche unternommen, die gescheitert seien und daraufhin ihre Mütter über ihre Beziehung unterrichtet. Seine Mutter habe den BF beschimpft und ihn auf das Verbot des vorehelichen Geschlechtsverkehrs nach islamischen Grundsätzen hingewiesen. Nach dem Gespräch mit ihrer Mutter habe der BF seine Freundin nicht mehr erreichen können und von ihrem Bruder erfahren, dass sie tot sei. Der Vater des Mädchens habe dem Vater des BF in weiterer Folge die Tötung des BF angedroht. In einem Brief sei von seinem Vater die Erlaubnis der Tötung des BF festgehalten worden. Auf Nachfrage, wo das Original des Briefes sei, führte der BF aus, dass dieses entweder bei seiner Familie oder der Familie des Mädchens sei. Befragt, woher sein Bruder das Original des Drohbriefes besitze, erklärte der BF, dass er dies nicht wisse und davon ausgehe, dass sein Bruder lediglich eine Kopie des Dokumentes habe. Zur Frage, wer das Dokument unterschrieben habe, nannte der BF sechs Namen, unter anderem auch seinen Vater und seinen Bruder. Auf die Frage, wie lange er nach dem Vorfall beim Freund gewohnt habe, entgegnete der BF, dass er dort ungefähr vier oder fünf Tage geblieben sei. Eine Bedrohung gegen ihn sei nur mittels Brief erfolgt. Auf Vorhalt, wieso auch jener Bruder, mit dem er nach wie vor in Kontakt stehe, den Drohbrief unterschrieben habe, brachte der BF vor, dass er dies nicht wisse. Dieser genannte Bruder sei erst 14 Jahre alt.
Zur Frage, welche Schulausbildung und Berufsausbildung er genossen habe, führte der BF aus, dass er 11 Jahren Schulbildung als Automechaniker tätig gewesen sei. Die Frage, ob er im Falle einer Rückkehr bei seiner Familie unterkommen könnte, wurde vom BF verneint, da der Onkel des Mädchens äußerst mächtig sei und ihn töten würde. Auf Nachfrage, wovon seine Familie in Afghanistan leben würde, gab der BF an, dass sein Vater für die Familie sorge.
Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF an, dass er kein Mitglied in einem Verein sei und nur Fußball spiele. Die Fragen, ob er in Österreich bereits Probleme mit Behörden, Polizei, Gericht oder anderen Institutionen gehabt habe, wurden vom BF verneint. Er sei auch nicht politisch aktiv und gehöre weder politischen Organisationen noch einer Partei an. Die Fragen, ob er in Afghanistan jemals eine Verfolgung seiner Person aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Tadschike oder seiner Religionszugehörigkeit als sunnitischer Moslem gehabt habe, wurden ebenfalls allesamt verneint. Er habe weder mit Behörden, der Polizei oder Gerichten Probleme gehabt und sei gesund. Neben den genannten Personen habe er auch mit keinen weiteren privaten Personengruppen Schwierigkeiten oder Probleme gehabt.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Zusammenfassend führte das BFA aus, dass der BF die Kopie eines handschriftlichen Drohbriefes vorgebracht habe, in dem verkürzt und vereinfacht gestanden sei, dass sein Vater ihn aus dem Haus geworfen habe und nicht mehr wisse, wo er zu finden sei. Er gebe auch an, dass er den BF an den Vater von „ XXXX “ übergeben werde, falls er ihn finde. An der Echtheit dieses Schriftstückes würden erhebliche Zweifel bestehen, da der Stempel und die Unterschrift getrennt seien und sich dieser normalerweise immer teilweise über dem Stempel sei. Zudem sei eine behördliche Legitimation des Schriftstückes auszuschließen, da er den Vorfall laut eigenen Angaben nie angezeigt habe und eine solche Anzeige auch nicht von anderen Akteuren erfolgt sei. Da Bundesamt gehe davon aus, dass es sich um ein sogenanntes Gefälligkeitsschreiben handle, um seinen Ausreisegrund zu untermauern. Der BF habe deshalb angegeben, nicht mehr in Kabul leben zu können. Der BF habe eine Arbeit als Mechaniker in einer Autowerkstatt in Mazar-e Sharif gehabt und dort für zwei Jahre gelebt und gearbeitet. Da seine schulische Ausbildung eigenen Aussagen des BF im 11. Jahr geendet habe, sei er anschließend nur noch Automechaniker in Mazar e-Sharif gewesen. In dieser Zeit sei der BF bei der Arbeit in Mazar e-Sharif nicht bedroht worden. Durch seine Aussagen, die nervösen und aggressiven Reaktionen auf die genauen Hintergründe sowie seine widersprüchlichen Aussagen sei der BF gegenüber dem Bundesamt unglaubwürdig. Der BF habe ansonsten keine Bedrohung durch andere dargebracht. Aufgrund seiner Volljährigkeit seien auch allfällige, aus dem Lebensalter resultierende soziale und wirtschaftliche Benachteiligungen auszuschließen. Die Familie des BF lebe derzeit in Kabul. Auch wenn es dem BF aufgrund verschiedener Faktoren nicht möglich sei, nach Kabul zurückzukehren, habe er die Möglichkeit, nach Mazar e-Sharif zu gehen. Der BF habe einen Freund mit einer Autowerkstatt in Mazar e-Sharif und der BF sei dort untergekommen. Da er dort nach eigenen Angaben für mindestens zwei Jahre beschäftigt gewesen sei und vor der Ausreise untergekommen sei, werde angenommen, dass er wieder bei seinem Freund unterkommen könne.
6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig seien. Sie würden zwar allgemeine Aussagen über Afghanistan beinhalten, würden sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Die belangte Behörde habe es zur Gänze unterlassen, sich mit der für den BF zu erwartenden Tötung durch die Familie seiner Freundin bzw. durch Dschihadisten oder der Todesstrafe durch staatliche Organe auseinanderzusetzen. Die Behörde habe ihre Ermittlungspflicht also nicht voll wahrgenommen und das Verfahren mit groben Mängeln belastet. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens habe das BFA jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen. Die belangte Behörde habe die vermeintliche Unglaubwürdigkeit des BF auf vermeintliche Widersprüche in seinen Angaben gestützt. Bei näherer Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des BF hätten sich diese Widersprüche jedoch leicht auflösen lassen. Die belangte Behörde habe zudem auch keine Untersuchungen angestellt, um die Echtheit des vorgelegten Briefes zu überprüfen. Die erstinstanzliche Behörde habe das Verfahren nach mangelhaftem Ermittlungsverfahren zusätzlich mit einer mangelhaften Beweiswürdigung und Begründung belastet. Dem BF stehe entgegen der Ansicht des BFA keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da die Verfolgung auch vom Staat ausgehe. Der BF habe in Mazar e-Sharif nie gelebt und wie die belangte Behörde zu der Feststellung komme, er habe dort zwei Jahre gearbeitet, entbehre jeder Grundlage. Der Spruchpunkt I sei aufgrund von erheblichen Verfahrensfehlern und einer unrichtigen Rechtsanwendung erlassen und sei daher unzulässig. Das Ermittlungsverfahren der Behörde sei mangelhaft gewesen, da der im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht erhoben worden sei. Das BFA habe insbesondere unterlassen, Ermittlungen zum bestehenden Familienleben des BF in Österreich anzustellen. Der angefochtene Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass der BF durch eine Rückkehrentscheidung in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt werde. Die belangte Behörde habe eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen und sei daher zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Verhängung der Rückkehrentscheidung zulässig wäre. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
7. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 06.07.2016, beim BVwG am 15.07.2016 eingelangt, vom BFA vorgelegt.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.02.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari/Farsi und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde.
Auf die Frage, wo er konkret vor seiner Ausreise in Afghanistan gewohnt habe, erklärte der BF, dass er der Tag seiner Reise von Mazar e-Sharif begonnen habe, aber in Kabul gelebt habe und dort auch aufgewachsen sei. Befragt, ob sich seine Familie in Afghanistan aufhalte, entgegnete der BF, dass seine gesamten Familienmitglieder in Afghanistan wohnhaft seien, er mit diesen jedoch nicht in Kontakt stehe. Auf Vorhalt, wieso er mit seinem Bruder keinen Kontakt mehr habe, obwohl er mit diesem zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme in Kontakt gestanden sei, brachte der BF vor, dass dieser damals noch zu jung gewesen sei, um die genauen Umstände seiner Flucht bezüglich seiner Affäre zu erfahren. Überdies habe sein Bruder auch jenen Brief bzw. Vertrag unterzeichnet, der seine Tötung erlaube. Zum weiteren Vorhalt, dass es keinen Sinn ergebe, dass er ihm zuerst einen Vertrag übermittle und dann mit ihm den Kontakt abbreche, replizierte der BF, dass sein Bruder Angst gehabt habe, dass er und die anderen Familienmitglieder geschädigt werden würden. Auf die Frage, weshalb er ihm dieses Schriftstück zukommen habe lassen, gab der BF an, dass er zu diesem Zeitpunkt mit seinem Bruder in Kontakt gestanden sei. Auf Wiederholung der Frage, entgegnete der BF, dass ihn sein Bruder über seinen Ausschluss seitens der Familie informiert habe. Befragt, wovon seine Familie in Afghanistan ihren Lebensunterhalt bestreite, führte der BF aus, dass seine Brüder im Zeitpunkt seiner Ausreise noch zur Schule gegangen seien. Derzeit wisse er nichts über deren konkrete Erwerbstätigkeit, sein Vater sei Staatsbediensteter gewesen und habe monatlich zwischen 13.000 und 15.000 Afghani verdient. Er selbst sei vor seiner Ausreise zur Schule gegangen und sei ungefähr fünf Jahre Inhaber einer Autoreparatur Werkstatt gewesen. Der Verdienst sei je nach Auftragslage zwischen 10.000 und 20.000 Afghani im Monat gewesen.
Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er in Afghanistan sowohl als Automechaniker als auch als Schüler tätig gewesen sei. Im Rahmen eines Kurses, der als Vorbereitung für die Vorprüfung an einer Universität abgehalten worden sei, habe er ein Mädchen namens „ XXXX “ kennengelernt und nach einiger Zeit mit dieser geschlafen. In weiterer Folge habe er sich an seine Familie gewandt und sie gebeten, seine Freundin ehelichen zu dürfen. Ihm sei jedoch nicht bewusst gewesen, dass das Mädchen ebenfalls aus seinem Heimatdorf stamme. Seine Mutter habe seinem Vater berichtet, dass sie für den BF zu der Familie seiner Freundin gegangen sei und sein Vater habe ihr repliziert, dass mit der besagten Familie des Mädchens aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten eine langjährige Feindschaft bestehe. Die Mutter des BF habe jedoch die Familie erneut besucht, woraufhin sie die Familie seiner Freundin mit der besagten Feindschaft konfrontiert habe. Dennoch habe der BF das Verhältnis mit XXXX aufrechterhalten und zweimal versucht, gemeinsam zu flüchten, was jedoch nicht gelungen sei. Letztendlich hätten beide vereinbart, ihren Familien über ihr sexuelles Verhältnis zu berichten, um das Einverständnis für ihre Beziehung zu erhalten und ihre Mütter darüber in Kenntnis gesetzt. Die Mutter des BF habe seinen Vater ebenfalls informiert, der den BF in weiterer Folge geschlagen und aus dem Haus geworfen habe. Die Mutter des Mädchens habe ihren Ehemann ebenfalls vom Verhältnis des BF und ihrer Tochter verständigt und diesen zudem mitgeteilt, dass diese schwanger wäre. Anschließend sei die Freundin des BF von ihrer Familie ermordet worden, die jedoch nach außen hin erklärt hätte, dass diese auf natürliche Weise verstorben sei. Nach der Verbannung durch seinen Vater sei der BF nach Mazar e-Sharif gefahren und habe dort vom Tod seiner Freundin erfahren. Auf Aufforderung, die Beziehung zu dem erwähnten Mädchen näher zu beschreiben, gab der BF zu Protokoll, dass sie sich geliebt hätten und zwei Jahre zusammen gewesen seien. Sie hätten sich auch wechselseitig beim Lernen unterstützt und beabsichtigt, zu heiraten. Da er bereits eine Autowerkstatt gehabt habe, sei es ihm wirtschaftlich gut gegangen, aufgrund der Geschehnisse habe man ihn jedoch ermorden wollen. Befragt, wie er mit der Tochter eines Mullahs eine Beziehung eingehen habe können, entgegnete der BF, dass es sich bei dem besagten Mädchen um die Nichte des Mullahs gehandelt habe, diesen Umstand jedoch zu Beginn nicht gewusst habe. Auf Vorhalt, dass nicht verständlich sei, weshalb er nach elf Schuljahren bereits auf die Universität gehen könne, entgegnete der BF, dass dieser Kurs eigentlich für das 12. Schuljahr vorgesehen gewesen sei, er dieses Vorbereitungsmodul jedoch bereits ein Jahr zuvor absolvieren habe wollen. Zur Frage, wie er es zeitlich vereinbaren könne, sowohl Automechaniker zu sein, in die Schule zu gehen und sich überdies noch auf die Universität vorzubereiten, erklärte der BF, dass er nach seiner Arbeitstätigkeit die Abendschule besucht habe und in seiner Werkstatt zudem einen zweiten Teilhaber gehabt habe. Auf die Frage, welches Studium er angestrebt habe, entgegnete der BF, dass er Jus und seine Freundin Journalismus studieren habe wollen. Befragt, um welchen Kurs es sich bei dem besagten Vorbereitungskurs genau handle, replizierte der BF, dass dieser eine Wiederholung des Lernstoffes von der siebenten bis zu zwölften Klasse beinhalte. Zum Vorhalt, dass die Familie des Mädchens aufgeschlossen sein müsse, wenn sie einer Frau die Möglichkeit gebe, eine universitäre Ausbildung zu erhalten und deshalb nicht nachvollziehbar sei, weshalb das Mädchen nicht auch ihren Partner frei wählen könne, brachte der BF vor, dass sich eine außereheliche sexuelle Beziehung in Afghanistan „Zina“ nenne und diese generell gefährlich werden könne. Auf weiteren Vorhalt, weshalb sie nicht heiraten würden, wenn seine Freundin sowieso bereits schwanger sei, entgegnete der BF, dass ihre Familie bereits zuvor über die Schwangerschaft informiert gewesen sei und sie getötet habe. Befragt, woher er so genau wisse, dass sie tatsächlich ermordet worden sei, erwiderte der BF, dass sie jedenfalls nicht krank gewesen sei und sie regelmäßig miteinander telefoniert hätten. Auf die weitere Frage, ob er konkrete Belege dafür habe, dass seine Freundin ermordet worden sei, gab der BF an, dass er nur ein Schriftstück des Vaters des Mädchens in Vorlage bringen könne. Auf Vorhalt, dass er auch bei Zina zur Polizei gehen und Anzeige erstatten könne, führte der BF aus, dass der Onkel des Mädchens zum damaligen Zeitpunkt Gouverneur von Kabul gewesen sei und sie sich deshalb in einer schwächeren Position befunden hätten. Überdies hätte ihn die Polizei wegen der Verletzung der Zina getötet. Auf die weitere Frage, ob er seine Fluchtgeschichte durch die Vorlage weiterer Beweise untermauern könne, erklärte der BF, dass er nicht in der Lage gewesen sei, diesbezügliche Belege zu erhalten. Nachgefragt, wieso er mit seiner Freundin nicht nach Herat oder Kabul gegangen sei, führte der BF an, dass man sie aufgrund der Macht ihres Onkels überall gefunden hätte. Sie hätten zwar versucht, die Flucht zu ergreifen, dies jedoch nicht geschafft. Zur Frage, wie oft sie sich gesehen hätten und wie lange sie in einer Beziehung gewesen seien, replizierte der BF, dass sie zwar nur dreimal Geschlechtsverkehr gehabt, sich jedoch jeden Tag im Kurs gesehen hätten. Zum Vorhalt, dass nicht nachvollziehbar sei, dass ihre Familien zwar über die Beziehung wüssten und ihnen dennoch nicht die Absolvierung des Kurses verbieten würden, entgegnete der BF, dass die Familie seiner Freundin erst durch seine Mutter von der Beziehung erfahren habe und in weiterer Folge nie wieder den Kurs besucht habe. Auf weiteren Vorhalt, dass er dies zuvor nicht angegeben habe, brachte der BF vor, dass die Geschehnisse bereits fünf Jahre zurückliegen würden. Zur Frage, wieso ihm zwar die Folgen einer außerehelichen Beziehung bewusst gewesen seien und er trotz Feindschaft dennoch eine Beziehung zu dem erwähnten Mädchen eingegangen sei, erklärte der BF, dass ihm ihre Familienverhältnisse zu Beginn ihrer Beziehung unbekannt gewesen seien und auch nichts über die Position ihres Onkels gewusst habe. Jedenfalls habe er nach Bekanntwerden des Verhältnisses eine Eheschließung mit seiner Freundin angestrebt.
Auf Aufforderung, die Umstände zu schildern, wie er vom Tod seiner Freundin erfahren habe, führte der BF aus, dass er seiner Freundin gesagt habe, ihre Familie über ihre Beziehung zu informieren und anschließend nur mehr in telefonischen Kontakt mit dieser gestanden sei. In Mazar habe er einige Zeit später über einen Dorfbewohner vom Tod seiner Freundin erfahren. Auf Vorhalt, dass er in Kabul gelebt habe, aber in Mazar vom Tod des Mädchens erfahren habe, gab der BF an, dass ihm bereits zuvor die Gefährdung seiner Freundin bewusst gewesen sei. Als Automechaniker sei er mit zahlreichen Personen vom Heimatdorf in Kontakt gewesen. Auf Nachfrage, wie die Person gewusst habe, dass er mit dem erwähnten Mädchen in einer Beziehung gestanden sei, obwohl er diese geheim gehalten habe, erwiderte der BF, dass von seiner Beziehung zwar niemand erfahren habe, der Tod des Mädchens jedoch bekannt geworden sei. Die Frage, ob er zum Tod seiner Freundin weitere Ermittlungen angestellt habe, wurde vom BF verneint und ausgeführt, dass er sogleich geflohen sei, da es überdies ein ethisches Problem aufgrund unterschiedlicher Volksgruppen gegeben habe. Zur weiteren Frage, weshalb er keine Ermittlungen angestellt habe, da ihn das Schicksal seiner Freundin interessieren hätte müssen und befragt, entgegnete der BF, dass es in Afghanistan kein gesetzmäßiges Vorgehen gebe und die Familie des Mädchens eine zentrale Rolle in der afghanischen Gesellschaft spiele. In Mazar e-Sharif sei er nicht bedroht worden.
Auf die Frage, ob er direkt und persönlich bedroht worden sei, gab der BF an, dass er von der Familie seiner Freundin sowie seiner eigenen Familie bedroht worden sei. Auf Vorhalt, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb ein Schriftstück angefertigt werden sollte, in dem sein Tod angedroht werden würde, obwohl eine solche Vorgangsweise auch in Afghanistan strafbar sei, brachte der BF vor, dass man in seiner Abwesenheit seinen Bruder töten habe wollen. Sein Vater habe der gegnerischen Familie jedoch versichert, den BF verstoßen zu haben. Auf Nachfrage, wieso er nicht auch vor dem BFA angegeben habe, dass man seinen Bruder töten habe wollen, erwiderte der BF, dass er dies angegeben habe.
Zur Schleppung befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er 8.000 Dollar dafür bezahlt habe, da er einen Freund angewiesen habe, sein Auto zu verkaufen. Auf die Frage, ob er konkrete Hinweise habe, bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer unmittelbar konkreten, gegen ihn gerichteten Bedrohung ausgesetzt zu sein, entgegnete der BF, dass er einerseits aufgrund des ausgestellten Schriftstücks seitens seiner Familie bedroht werde und andererseits vom afghanischen Staat aufgrund seines außerehelichen Verhältnisses verfolgt werde. Der Onkel des Mädchens habe als stellvertretender Minister eine zentrale Funktion innerhalb der afghanischen Gesellschaft. Auf Vorhalt, dass er gut verdient habe und auf die Frage, was in seinem Fall gegen eine Rückkehr nach Afghanistan sprechen würde, führte der BF aus, dass sein Leben in Gefahr sei und als Mechaniker in Afghanistan besser verdienen würde als an anderen Orten.
Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, brachte der BF vor, dass er monatlich 220 Euro Grundversorgung erhalte und im Bundesgebiet noch keiner legalen Beschäftigung nachgegangen sei. Befragt, was er die letzten fünf Jahre gemacht habe, gab der BF an, dass er Deutschkurse absolviert und Fußball gespielt habe. Er besuche oftmals seine Freundin, die er bereits seit zwei Jahren kenne. Die Frage, ob er noch Kontakt mit Familienangehörigen oder Freunden in Afghanistan habe, wurde vom BF verneint.
Die als Zeugin einvernommene Freundin des BF gab zu Protokoll, dass der BF bereits zahlreiche Freunde im Bundesgebiet habe, die sowohl Österreicher als auch Afghanen seien. Sie seien bereits seit zwei Jahren in einer Beziehung. Nach ihrem Schulabschluss würden sie beabsichtigen, zusammenzuziehen.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF ein Zertifikat vom 11.02.2020 über ein bestandenes ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1, eine Kursbestätigung vom 07.03.2017 über den Besuch eines Kurses „Deutsch für Asylwerbende Alphabetisierung 2“ vom 04.10.2016 bis 07.02.2017 und ein Empfehlungsschreiben vom 12.02.2020 in Vorlage gebracht.
In einer Stellungnahme vom 20.02.2020 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF bezüglich der Asylrelevanz des Fluchtvorbringens auf UNHCR Richtlinien vom August 2018, einen aktuellen EASO Bericht vom Juni 2019 und auf eine aktuelle ACCORD Anfragebeantwortung verwiesen, wonach außereheliche sexuelle Beziehungen als moralisches Verbrechen definiert und als beschämend empfunden werden würden. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass dem BF eine vor-bzw. außereheliche Beziehung mit einem-einem anderen Mann versprochenen Mädchen- unterstellt werde. Es sei in der Vergangenheit bereits zu Verfolgungshandlungen gekommen, welche im Hinblick auf die Machtstellung der Verfolger des BF, ein starkes Indiz für die neuerlichen Verfolgungshandlungen im Falle der Rückkehr des BF sei. Für den BF bestehe somit nach wie vor die maßgebliche Gefahr vor Verfolgung in Afghanistan, weil er ein sogenanntes „Zina Verbrechen“ begangen habe. Diese Verfolgung lasse sich unter die GFK Gründe der sozialen Gruppe sowie der Religion als auch der politischen Gesinnung subsumieren, weshalb für den BF die Definition eines Flüchtlings zutreffe. In Bezug auf die vorgebrachten Verfolgungsgefahren könnte der BF in Afghanistan keinen effektiven staatlichen Schutz vor den ihm drohenden Verfolgungshandlungen erhalten. Der BF sei neben der staatlichen Verfolgung auch von privater Verfolgung bedroht. Da die Familie-insbesondere der Onkel- des verstorbenen Mädchens in Afghanistan sehr mächtig sei und es diesen jedenfalls möglich wäre, den BF in ganz Afghanistan ausfindig zu machen, stehe diesem keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Eine aktuelle Studie der deutschen Afghanistan Expertin Frederike Stahlmann setze sich qualitativ mit der Situation abgeschobener Personen auseinander. Zusammengefasst müsse in Hinblick auf abgeschobene Personen, die auf kein unterstützungsfähiges und –williges Netzwerk bauen könnten, im Einzelfall dargelegt werden, weshalb eine Niederlassung in den afghanischen Großstädten möglich sei. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit sei, insbesondere auf die persönlichen Umstände des BF abgestellt werden. In casu handle es sich bei dem BF um einen Mann, der nach fünfjähriger Abwesenheit und ohne soziales Netzwerk nach Afghanistan zurückkehren würde. Der BF würde als Rückkehrer von der afghanischen Gesellschaft wahrgenommen werden und würde bereits dadurch auf erschwerte Bedingungen treffen. Gleichzeitig sei der BF objektiv aber auch subjektiv in seinem Handlungsspielraum eingeschränkt, müsse er schließlich stets damit rechnen, im Zuge einer Neuansiedelung und aufgrund der vorherrschenden gesellschaftlichen Gegebenheiten alsbald in seiner Person hinterfragt zu werden und in weiterer Folge von seinen Verfolgern entdeckt zu werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
• Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;
• Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.02.2020;
• Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.
1. Feststellungen:
1.1. zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Dari. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan in der Stadt Kabul aufgewachsen, hat dort 12 Jahre die Grundschule besucht und ist anschließend als Automechaniker tätig gewesen. Die Eltern, die zwei Brüder und drei Schwestern des BF sind nach wie vor in einem Eigentumshaus in Kabul wohnhaft, der BF steht mit diesen jedoch nicht mehr in Kontakt. Der Beschwerdeführer hält sich seit Februar 2015 im Bundesgebiet auf.
Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen jungen gesunden Mann.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.
1.2. Zu den Beschwerdegründen:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer glaubhaften, ihn konkret asylrelevant betreffenden unmittelbaren Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.
Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken Verfolgung in Afghanistan droht.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bedroht wäre.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung in einer der größeren Städte von Afghanistan wie Masar –e Sharif oder Herat besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe im Zusammenhang mit CoVid-19 an. Die CoVid-19-Pandemie stellt für den Beschwerdeführer kein „real risk“ im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat dar.
Der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer hat an mehreren Kursen teilgenommen und verfügt über Deutschkenntnisse; er hat in Österreich einen Deutschkurs besucht und eine Prüfung auf dem Niveau A1 abgeschlossen. Er verfügt in Österreich über keine Verwandten, hat aber seit zwei Jahren eine minderjährige Freundin, mit der kein gemeinsamer Haushalt besteht bzw. mit der auch das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe – bzw. Abhängigkeitsverhältnisses nicht dargelegt wurde. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.
Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.
1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt: (Zusammengefasst und gekürzt durch das BVwG)
Das BVwG trifft zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers Afghanistan, unter besonderer Berücksichtigung der Sicherheits– als auch der Versorgungslage, insbesondere in Herat und Mazar – e Sharif, mit ua. gekürzten Auszug aus dem Länderinformationsblatt unter Berücksichtigung der aktuellsten Länderberichte zu Afghanistan folgende Feststellungen:
KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).
Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer „inklusiven“ zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere „wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als „Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als „ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Anschläge in Kabul-Stadt
Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).
Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).
Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).
Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).
Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von „mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte“ für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich „Sicherheitselemente“ um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als „Polytheisten“ bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).
Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)
US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom „zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern“. Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es „sehr wahrscheinlich“, dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:
? Quellen:
- 1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in
? Kabul, http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking—blast-rocks-
? kabul, Zugriff 3.6.2019, ua.
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter
Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer; 1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und
Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).
Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen
Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).
Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).
? Anschläge in Kabul-Stadt
? Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in KabulStadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).
? Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).
? Überflutungen und Dürre
? Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan,
? Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).
? Friedensgespräche
? Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere „Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des „Dschihad" gegen die „US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines „islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine „exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als „Haupthindernis für den Frieden", da sie „vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, „die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass „im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).
Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US- Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch „terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition
? von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als „frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).
? Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).
? Verschiebung der Präsidentschaftswahl
? Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien „zahlreiche Probleme und Herausforderungen,, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).
? Quellen:
- AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6- year-festival-190321064823472.html. Zugriff 26.3.2019
- AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-
? shia-gathering-190308102222870.html. Zugriff 26.3.2019, ua.
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (25.3.2019): Briefing Notes Afghanistan, liegen im Archiv der Staatendokumentation auf IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies