TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/10 W168 2229652-1

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Veröffentlicht am 10.06.2020
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Entscheidungsdatum

10.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §20
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W168 2229652-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA: China, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2020, Zl: 1259861209/200138048, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) stellte nach unberechtigter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 05.02.2020 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF und gab hierbei die oben angeführten Personalien an.

Anlässlich der Erstbefragung am 05.02.2020 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die BF zu Ihrem Fluchtgrund befragt an, dass ihr Ehegatte bereits zwei Jahre gelähmt wäre und sie sich neben ihren eigenen Eltern auch um ihre Schwiegereltern kümmern müsse. Zudem müsse sie zwei Kinder versorgen und die Familie habe hohe Schulden. Sie wolle daher arbeiten, um diese zu begleichen. Ihre gesamte Familie lebe in China. In Österreich habe sie keine Angehörigen. Zu ihren persönlichen Angaben befragt, führte die BF aus, dass sie der Volksgruppe der Han-Chinesen angehöre und konfessionslos sei. Ihr zuletzt ausgeübter Beruf sei Angestellte bei einer Versicherung gewesen.

2. Im Rahmen der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) brachte die BF am 12.02.2020 vor, dass sie sich geistig und körperlich in der Lage fühle, die Einvernahme durchzuführen und nicht in ärztlicher Behandlung sei.

Die Beschwerdeführerin bestätigte zu Beginn der Befragung durch das BFA ausdrücklich, dass sie eine ausführliche Rechtsberatung erhalten habe und die Verständigung mit dem Dolmetscher gut sei. (AS. 149)

Zu ihren Angaben in der Erstbefragung wolle sie ergänzen, dass sie in Österreich arbeiten wolle, um ihre Schulden zu begleichen. Befragt, wie lange sie sich bereits in Österreich aufhalte, erwiderte die BF, dass sie im November 2019 eingereist sei und sich seither durchgehend im Bundesgebiet befinde. Sie habe im Herkunftsstaat in der Provinz Guizhou mit ihrem Ehemann, ihren zwei Kindern sowie ihren Schwiegereltern gewohnt. Die BF könne keine identitätsbezeugenden Dokumente vorweisen, da ihr der Reisepass und das Handy gestohlen worden sei. Auf Nachfrage gab die BF an, dass sie mit allen im Heimatland lebenden Angehörigen nach wie vor mittels Handychat in regelmäßigen Kontakt stehe und das Verhältnis gut sei. Zur Frage, wie ihre Verwandten in China den Lebensunterhalt bestreiten würden, erklärte die BF, dass diese Hilfsarbeiten auf Baustellen vornehmen würden. Sie selbst habe keinen konkreten Beruf erlernt, habe jedoch im Heimatland sechs Jahre die Grundschule und anschließend drei Jahre eine Mittelschule besucht. Ihr Vater sei als Landwirt tätig und ihr Ehegatte nehme als Hilfsarbeiter verschiedene Tätigkeiten an. Nachgefragt, wie sie ihren Lebensunterhalt bestritten habe, antwortete die BF, dass sie selbst manchmal in der Landwirtschaft ihrer Schwiegereltern mitgeholfen habe. Die Fragen, ob sie im Herkunftsstaat von den Behörden jemals erkennungsdienstlich behandelt worden sei, jemals in Polizeihaft oder im Gefängnis gewesen sei oder einer politischen Partei angehört habe, wurden von der BF allesamt verneint. Sie habe auch keine Probleme mit den Behörden in China gehabt, es bestehe derzeit auch kein Haftbefehl gegen sie und sie habe niemals eine Sicherheitsdienststelle, eine Polizeidienststelle oder die Staatsanwaltschaft aufgesucht. Überdies habe die BF auch nie einer bewaffneten Gruppierung angehört.

Zum Fluchtgrund befragt, führte die BF aus, dass ihr Ehemann bereits zwei Jahre gelähmt wäre und sich nunmehr auch ihre Schwiegermutter ein Bein gebrochen habe. Da ihre Kinder die Schule besuchen müssten und sie hohe Schulden hätten, hätte sie beschlossen, in Österreich Geld zu verdienen, um den ausstehenden Betrag zurückzahlen zu können. Auf Nachfrage, ob sie weitere Probleme in ihrem Heimatland habe, antwortete die BF, dass ihre gesamte Familie dringend Geld benötige. Bei einer Rückkehr nach China würden die Gläubiger ihrer Familie aufgrund der hohen Schulden drohen, weshalb sie sich in Österreich eine Erwerbstätigkeit suchen wolle.

Befragt, wie sie in Österreich derzeit ihren Lebensunterhalt bestreite, gab die BF zu Protokoll, dass sie kurze Zeit als Kindermädchen tätig gewesen sei und nunmehr arbeitslos sei. Sie beziehe derzeit Leistungen aus der Grundversorgung. Sie sei in Österreich kein Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen. Die Fragen, ob sie im Bundesgebiet Kurse oder Ausbildungen absolviert habe oder Deutsch spreche, wurden vom BF verneint. Sie habe auch keine Familienangehörigen oder sonstige Verwandte in Österreich.

Am Ende der Befragung durch das BFA gab die Beschwerdeführerin ausdrücklich zu Protokoll, dass sie keine sonstigen Angaben erstatten möchte, bzw. bestätigte sie mit ihrer Unterschrift auf jeder Seite des Einvernahmeprotokolls, dass sie alles verstanden habe, sich konzentrieren konnte und den Dolmetscher verstanden habe. (AS. 156)

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz I.) hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen, II.) gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat China abgewiesen, III.) ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen, gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei sowie IV.) gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Begründend wurde ausgeführt, dass dem Vorbringen der BF jegliche Asylrelevanz abzusprechen sei. Eine Gefährdung aufgrund ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Überzeugung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe habe die BF nicht einmal behauptet. Aus ihrem gesamten Vorbringen ergebe sich nicht der geringste Anhaltspunkt auf das Vorliegen einer Gefährdung ihrer Person durch den chinesischen Staat bzw. einer Gefährdung, vor der der chinesische Staat nicht fähig oder nicht willens wäre, die BF zu schützen. Insgesamt sei aus den Behauptungen der BF weder ein Asylstatus noch eine subsidiäre Schutzberechtigung herzuleiten noch sei jenes Vorbringen dazu geeignet, eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen. Im Falle der BF handle es sich um eine junge, gesunde Frau. Hinweise darauf, dass in ihrem Herkunftsstaat die Grundversorgung der Bevölkerung nicht gegeben wäre oder dass sie sich in einer schlechteren persönlicheren Situation befinden würde als die übrige Bevölkerung, die selbst auch für ihren Lebensunterhalt aufkommen könne, hätten sich im Verfahren nicht ergeben. Die BF habe den überwiegenden Teil ihres Lebens in China verbracht und kenne die Gepflogenheiten und Sitten. Mit ihrer durchschnittlichen Ausbildung werde es der BF auch möglich sein, eine Arbeit zu finden. Zumindest könne die Behörde davon ausgehen, dass die BF bei einer Rückkehr in keine aussichtslose Lage geraten könnte. Es seien keine Umstände bekannt, dass in der VR China derzeit eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, eine derartige humanitäre Katastrophe vorgeherrscht hätte, dass das Überleben sämtlicher dort lebender Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich infrage gestellt wäre.

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht durch den ausgewiesenen Vertreter Beschwerde erhoben. Hierin wurde zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass wenn die Behörde eine ordnungsgemäße Befragung durchgeführt hätte, diese in Erwägung gezogen hätte, dass die BF Opfer von Menschenhandel sein könnte, hierfür wären Anzeichen vorhanden gewesen, die Behörde die Befragung einfühlsamer gestalten hätte und der BF die Angst nehmen müssen, sodass diese sich öffnen hätte können. Die Behörde hätte dann feststellen können, dass der Geldverleiher ein mafiöses Netzwerk betreiben würde und die BF dazu gedrängt hätte, nachdem sie ihre Schulden nicht zurückzahlen hätte können, dass diese nach Europa reisen solle um sich zu prostituieren. Dieser hätte die Ausreise und den Flug nach Polen organisiert. Dies würde auch erklären, wie die BF trotz ihrer Schulden die Ausreise legal bestreiten hätte können. Am polnischen Flughafen hätte diese ein Mittelsmann erwartet, der zu Identifizierung ihr Foto dabeigehabt hätte. Die BF wäre 2 Wochen in Polen aufhältig gewesen und wäre in weiterer Folge mittels Zug nach Wien gebracht worden. Dort hätte sie ein weiterer Mittelsmann, bzw. ihren Zuhälter treffen sollen. Am Bahnhof hätte die BF allerdings die Flucht ergriffen und wäre untergetaucht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Geldverleiher seinen Einfluss geltend mache um die BF auch in Österreich ausfindig zu machen.

Ferner hätte die Behörde ermitteln können, dass die BF eine Anhängerin der Falun-Gong Bewegung sei, einer Glaubensbewegung die in China verfahrensrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt sei. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig. Sie würden allgemeine Aussagen über China beinhalten, sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen der BF befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Es mangele insbesondere an Berichten zum Thema Religionsfreiheit bzw. zum Thema der Verfolgung von Mitgliedern religiöser Gruppen. Berichte würden eindeutig belegen, dass die BF aufgrund ihrer religiösen Ansichten asylrelevanter Verfolgung durch den chinesischen Staat ausgesetzt sei. Die belangte Behörde führe aus, dass das Vorbringen der BF keinerlei Asylrelevanz entfalte. Dem sei insoweit zustimmen, als dem Sachverhalt gefolgt werde, den die Behörde vorgeblich ermittelt habe. Da diese Würdigung allerdings auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren beruhe, habe die Behörde nicht das gesamte Vorbringen der BF würdigen können. Die BF sei in China aufgrund ihrer religiösen Einstellung als Mitglied der Falun-Gong Bewegung als auch aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe jener Personen, die einem Kreditverleiher Geld schulden würden und jener Personen, die sich der Prostitution entzogen hätten, asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei der BF nicht eröffnet, da die Verfolgung zum einem von staatlicher Seite ausgehe, zum anderen sie der Staat vor dem reichen und einflussreichen Kreditverleiher nicht schützen würde bzw. könnte und sie daher auch in ganz China gefunden werden könnte. Entgegen der Ansicht der Behörde könne bei einer Rückkehr nach China eine Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK nicht ausgeschlossen werden.

Die Behörde stütze ihre rechtliche Beurteilung auf allgemein gehaltene und teilweise unvollständige Länderberichte. Bei der Beantwortung der Frage einer möglichen Verletzung des Non-Refoulement Gebots, hätte die Behörde aktuellere Länderfeststellungen heranziehen müssen und sich mit dem Fall des BF konkret beschäftigen müssen. Die BF habe entgegen der Ansicht des BFA keine Möglichkeit, nach China zurückzukehren. Sie habe dort zwar nach wie vor ihre Familienangehörigen, deren finanzielle Situation sei jedoch äußerst prekär. Eine Abschiebung nach China würde somit aufgrund der Versorgungslage jedenfalls eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen. Festzuhalten sei weiters, dass die BF versuche, sich in Österreich ein Privatleben aufzubauen und Deutsch lernen sowie Kontakte knüpfen wolle. Aufgrund des Ausbruchs des Coronavirus in China sei seitens der WHO am 30.01.2020 ein Gesundheitsnotstand internationaler Tragweite ausgerufen worden. Die belangte Behörde habe sich daher nicht mit der aktuellen Situation im Zielstaat der Abschiebung auseinandergesetzt. Aufgrund des aktuellen Gesundheitsnotstandes sei daher davon auszugehen, dass die Abschiebung nach China zumindest weder möglich noch zulässig sei. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der VR China, gehört der Volksgruppe der Han an und ist nach ihren während des erstinstanzlichen Verfahrens erstatteten Angaben ohne Bekenntnis. Die BF ist unberechtigt in das Bundesgebiet eingereist.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine junge gesunde Frau im arbeitsfähigen Alter. Der Beschwerdeführerin ist eine Teilnahme am Erwerbsleben im Herkunftsstaat möglich und auch zumutbar.

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich keinen Personen, zu denen ein besonders zu berücksichtigendes Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnis besteht. Die Beschwerdeführerin hat mehrere familiäre Anknüpfungspunkte in China, insbesondere in Form ihrer minderjährigen Kinder und ihres Ehemannes.

Die Beschwerdeführerin verfügt über keine Deutschkenntnisse und hat keinen sonstigen Bezug zu Österreich.

Das Vorliegen einer besonderen Integration, bzw. das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

1.2. Zu den Beschwerdegründen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin die VR China aufgrund einer glaubwürdigen, sie unmittelbar persönlich treffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in der VR China asylrelevant bedroht wurde oder auf anderer Weise einer relevanten psychischer oder physischer Gewalt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt war.

Die seitens der Beschwerdeführerin zu Protokoll gegebenen Gründe für das Verlassen der VR China weisen keine Asylrelevanz auf, bzw. hat die Beschwerdeführerin das Vorliegen einer asylrelevanten Bedrohung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer allfälligen Rückkehr nach China insgesamt nicht glaubhaft machen können.

Bei einer Rückkehr der Beschwerdeführerin in die VR China besteht für diese als arbeitsfähige Frau im berufsfähigen Alter, mit angegeben mehreren familiären Bezugspunkten im Herkunftsstaat ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf, auch unter besonderer Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage aufgrund der Corona Pandemie, keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft diese dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Ausweisung der gesunden Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet stellt keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 3 oder 8 EMRK geschützte Rechte dar.

Die Beschwerdeführerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufenthaltsberechtigung gem. § 57 AsylG.

Die belangte Behörde hat ein insgesamt mängelfreies, ordnungsgemäßes und das Vorbringen der BF vollinhaltlich und abschließend erfassendes Ermittlungsverfahren, dies insbesondere nach Inanspruchnahme einer ausführlichen Rechtsberatung, durchgeführt.

Die Beschwerdeführerin hat ausdrücklich bestätigt, dass sie zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA körperlich und geistig in der Lage ist die Einvernahme durchzuführen, dass sie den Dolmetscher gut versteht. Die Befragung der Beschwerdeführerin durch das BFA wurde im Beisein eines Rechtsberaters und nach Erhalt einer Rechtsberatung durchgeführt. Der BF wurde im erstinstanzlichen Verfahren ausreichend Gelegenheit eingeräumt umfassend und abschließend sämtliche für sie relevanten Ausführungen zu erstatten, bzw. hat diese ausdrücklich am Ende der Einvernahme vor dem BFA bestätigt, dass diese keine weiteren Ausführungen erstatten will. Die BF hat die Vornahme einer ordnungsgemäßen Einvernahme und Übersetzung mit ihrer Unterschrift in Beisein eines Rechtsberaters bestätigt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurden die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage nachvollziehbar, sowie konkret auf den Einzelfall bezogen rechtskonform, sowie unter Zugrundelegung von unzweifelhaften Länderfeststellungen den Herkunftsstaat der BF betreffend abgeklärt und vorgenommen. Die gegenständlich angefochtene Entscheidung wurde insgesamt rechtskonform, nachvollziehbar und zutreffend vorgenommen.

In der Beschwerdeschrift der ausgewiesenen Vertretung werden erstmalig ergänzende Ausführungen hinsichtlich der Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates, bzw. der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz, sowie im erstinstanzlichen Verfahren nicht erwähnter Rückkehrbefürchtungen betreffend eine Zugehörigkeit der BF zur Falun Gong Bewegung angegeben. Diese Ausführungen der Beschwerdeschrift stehen zum Teil in offensichtlich erkennbarer Abweichung zu den Angaben der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren. Diesen Ausführungen war insgesamt keine Verfahrensrelevanz zuzuerkennen, bzw. waren dieserart erstmals in der Beschwerdeschrift erstatteten Ausführungen sämtlich als dem Neuerungsverbot unterliegend zu qualifizieren.

Der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht insgesamt kein ausreichend und substantiiert begründetes Vorbringen zu entnehmen, welches geeignet wäre, die von der belangten Behörde getroffene Entscheidung substantiell in Frage zu stellen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte in casu, sich vollinhaltlich auf das Ermittlungsergebnis des umfassend und nachweislich ordnungsgemäß geführten Ermittlungsverfahrens vor dem BFA stützend, sowie die wesentlichen Feststellungen und Würdigungen des BFA übernehmend, die gegenständliche Entscheidung vornehmen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Verfahren unterbleiben.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

(gekürzt und zusammengefasst durch das BVwG)
1.         Politische Lage

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,385 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2018) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 14.1.2020).

China ist in 22 Provinzen, fünf Autonome Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) untergliedert (AA 3.2019a). Hongkong hat seit dem Souveränitätsübergang vom Vereinigten Königreich auf die Volksrepublik China zum 1. Juli 1997 den Status einer Sonderverwaltungsregion (Special Administrative Region - SAR). Grundlage für den Souveränitätsübergang ist die von den beiden Regierungschefs am 19. Dezember 1984 in Peking unterzeichnete ‚Gemeinsame Erklärung‘. Nach dem dort verankerten Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ kann Hongkong für 50 Jahre sein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem aufrechterhalten und genießt einen hohen Grad an politischer und rechtlicher Autonomie. Zum 1. Juli 1997 trat auch das Hongkonger „Basic Law“ in Kraft und löste die koloniale Verfassung ab. Macau wurde nach einem ähnlichen Abkommen am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Vereinigung mit Taiwan zur „Wiederherstellung der nationalen territorialen Integrität“ bleibt eines der erklärten Kernziele chinesischer Politik (AA 3.2019a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein „sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht“ (AA 3.2019a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 13.3.2019). Die KP ist die allbestimmende politische Kraft. Der 19. Parteitag hat im Oktober 2017 ein neues Zentralkomitee (ZK) gewählt, dem alle wichtigen Entscheidungsträger in Staat, Regierung, Armee und Gesellschaft angehören. Xi Jinping ist seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas. Das Zentralkomitee wiederum wählt das Politbüro (25 Mitglieder) und den Ständigen Ausschuss des Politbüros (derzeit 7 Mitglieder). Letzteres ist das ranghöchste Parteiorgan und gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor durch die Parteiführung erarbeitet, wobei über das genaue Verfahren und dessen Grad der Formalisierung keine Klarheit besteht (AA 3.2019a vgl. USDOS 13.3.2019).

Xi Jinping ist zudem Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte, die seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind. Der 2018 erneut gewählte Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem „inneren Kabinett“ aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (AA 3.2019a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt (FH 2.2019a). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der Nationale Volkskongress (NVK) ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung (FH 1.2017a). Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 2.2019a). Eine parlamentarische Opposition zur KPCh gibt es nicht (AA 22.12.2019). Es gibt weitere acht kleine „demokratische Parteien“, die auch im Nationalen Volkskongress, aber vor allem in der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes vertreten sind. Deren Vorsitzender ist Wang Yang. Das Gremium unter Führung der KP Chinas hat lediglich beratende Funktion (AA 3.2019a).

Der Nationale Volkskongress hat mit seiner ersten Sitzung der 13. Legislaturperiode (5. - 20. März 2018) Xi Jinping erneut zum Staatspräsidenten gewählt (AA 3.2019a). Xi Jinping ist Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte (AA 3.2019a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 13.3.2019). Durch die Kommunistische Partei Chinas wurde 2019 in jenen von ihr als kritisch eingestuften gesellschaftlichen Bereichen der Einsatz repressiver Maßnahmen intensiviert (HRW 14.1.2020). Vorrangige Ziele der chinesischen Führung sind die Entwicklung des „Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“ und die Verwirklichung des „chinesischen Traums vom großartigen Wiederaufstieg der chinesischen Nation“. Die Wahrung der politischen und sozialen Stabilität unter Führung der Partei gilt als wichtigstes Ziel der KP Chinas. Die strenge Führung durch die Partei soll dabei in allen Bereichen der Gesellschaft durchgesetzt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reform und Stärkung der Partei. Schwerpunkte sind der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft sowie die Stärkung der zentralen Kontrolle der Parteiführung.

Die von Deng Xiaoping im Jahr 1978 verkündete Ära von „Reform und Öffnung“ hat China eine lange Phase anhaltend hohen Wachstums gebracht. Vor dem 40-jährigen Jubiläum von „Reform und Öffnung“ im Dezember 2018 scheinen die wirtschaftlichen Reformanstrengungen jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Angesichts der dramatischen Herausforderungen durch den demografischen Wandel, die Umweltbelastungen und die weiter zunehmende soziale Ungleichheit erscheint eine Fortsetzung der Reformagenda umso dringlicher. (AA 3.2019a).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (22.12.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

?        AA - Auswärtiges Amt (3.2019a): China – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/china-node/-/200846, Zugriff 26.9.2019

?        CIA - Central Intelligence Agency (14.1.2020): The World Factbook - China, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 20.1.2020

?        FH - Freedom House (2.2019a): Freedom in the World 2019 – China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002611.html, Zugriff 21.10.2019

?        FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 21.10.2019

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022687.html, Zugriff 20.1.2020

?        LVAk – Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.190

?        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html, Zugriff 14.10.2019
2.         Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.1.2020

Seit Dezember 2019 wurden in Wuhan (Hauptstadt der Provinz Hubei) und in weiteren Provinzen zahlreiche Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit diagnostiziert. Bei den Erkrankten wurde eine Infektion mit einem neuartigen Coronavirus nachgewiesen (BMEIA 28.1.2020a). Aktuell steigen die Fallzahlen deutlich an, es es sind Todesfälle aufgetreten und die Erkrankung breitet sich in China weiter aus. Die Quelle und Übertragungswege der Infektion sind nicht abschließend geklärt, die Übertragung von Mensch zu Mensch ist aber inzwischen wissenschaftlich gesichert (AA 28.1.2020). Die Stadt Wuhan ist seit dem 23.01.2020 von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Auch die 70 km östlich gelegene Metropole Huanggang wurde isoliert. Der Bahnverkehr und andere öffentliche Verkehrsverbindungen wurden eingestellt (BMEIA 28.1.2020a). Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus werden Einschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit unterschiedlichen Ausmaßes verhängt. Davon kann zunehmend auch der Fernreiseverkehr betroffen sein. Allgemein ist derzeit mit erheblichen Einschränkungen der Mobilität innerhalb Chinas zu rechnen (AA 28.1.2020).

Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 25.9.2019). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind In den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden. (EDA 23.1.2020). Die Risiken beschränken sich hauptsächlich auf die Autonome Region Xinjiang. Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung, wie auch weit verbreitete „Anti-Halal“ Kampagnen [Anmerkung d. Staatendokumentation: dem Verbot einer Etikettierung von Waren mit den arabischen Schriftzeichen für „Halal“] und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die anhaltende Problematik der muslimischen Gemeinschaft ethnischer Minderheiten über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (AA 28.1.2020; vgl. GW 25.9.2019).

Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlichen Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt (GW 25.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) .

China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem (z.B. Social Credit System) sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (22.12.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

?        AA – Auswärtiges Amt (28.1.2020): China: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/china-node/chinasicherheit/200466#content_1, Zugriff 29.1.2020

?        BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (28.1.2020a): China, Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/china/, Zugriff 29.1.2020

?        

?        GW - GardaWorld (25.9.2019): China Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/china, Zugriff 24.1.2020

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (23.1.2020): Grundsätzliche Einschätzung, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/china/reisehinweise-fuer-china.html, Zugriff 29.1.2020

?        LVAk – Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.228

?        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html, Zugriff 14.10.2019

2.1.    Tibet

Letzte Änderung: 25.1.2020

China regiert Tibet über die Administration der „Autonomen Region Tibet“ (TAR) und 12 autonome Präfekturen bzw. Landkreise in den angrenzenden Provinzen Sichuan, Qinghai, Gansu und Yunnan (FH 1.2019b). Durch die Behörden in den tibetischen Gebieten wird die Religionsfreiheit, wie auch die freie Meinungsäußerung, die Bewegungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit weiterhin stark eingeschränkt (HRW 14.1.2020). Staatliche Repressionen der Meinungs-, Religions-, Bewegungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit von Tibetern in der Autonomen Region Tibet (TAR), wie auch in anderen tibetischen Gebieten haben sich verstärkt und werden in einem höheren Außmaß betrieben als in anderen Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

Unter der tibetischen Bevölkerung besteht angesichts einer chinesischen Politik der wirtschaftlichen Expansion die wenig Rücksicht auf Mitbestimmung, kulturelles Erbe und religiöse Freiheit nimmt, eine große Frustration. Besonders in den tibetischen Gebieten Sichuans, Gansus und Qinghais kam es seit 2009 zu über 100, meist tödlichen, Akten von Selbstverbrennung, die von religiösen Versammlungen, Protesten und schließlich einer oft gewaltsamen Auflösung durch Sicherheitsorgane gefolgt wurden. Einige Tibeter wurden wegen Anstiftung zur Selbstverbrennung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB 11.2019).

Die Regierung geht gegen vermeintlich separatistische Kräfte in Tibet mit besonderer Härte vor (AA 22.12.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (22.12.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

?        FH - Freedom House (1.2019b): Freedom in the World 2019 – Tibet, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/tibet, Zugriff 23.10.2019

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022687.html, Zugriff 20.1.2020

?        ÖB Peking (11.2019): Asylländerbericht Volksrepublik China

?        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html, Zugriff 14.10.2019

2.2.    Xinjiang

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die chinesische Regierung wirft Teilen der uigurischen Bevölkerung in der Autonomen Provinz Xinjiang (XUAR), im äußersten Westen Chinas, separatistische Bestrebungen und terroristische Aktivitäten vor und wertet diese als Bedrohung gegen den Staat (ÖB 11.2019).

2013 erfolgte eine Eskalation der Gewalt, bei der ca. 200 Menschen ums Leben kamen. Die Gewalt griff zunehmend auch auf andere Regionen Chinas über. 2013/2014 kam es zu drei, offenbar von Uiguren verübten Anschlägen, die sich gegen Unbeteiligte richteten (AA 15.10.2014). Die seit Jahren eskalierende Gewaltspirale konnte durch die umfassende Repression 2016 scheinbar zwar gebremst, aber nicht gestoppt werden, wie eine Reihe bekannt gewordener blutiger Anschläge mit insgesamt 18 Toten seit Jahresende 2016 zeigt. 2015 hat sich nach chinesischen Angaben die Zahl der Verurteilungen wegen Terrorismus und Separatismus auf über 1.400 verdoppelt. Der allergrößte Teil dieser Urteile steht aller Voraussicht nach in Zusammenhang mit Xinjiang, wo im August 2016 das erste Antiterrorgesetz auf Provinzebene verabschiedet wurde. Den Behörden ist es bisher weitgehend gelungen, die Unruhen lokal zu begrenzen. Eine existentielle Bedrohung für China stellen sie nicht dar. Die chinesische Regierung fürchtet jedoch den Fortgang der blutigen Scharmützel und potentiell eine Wiederkehr einzelner Attacken auch außerhalb Xinjiangs (AA 14.12.2018).

Die chinesische Führung hat in mehreren Verlautbarungen darauf hingewiesen, dass es nach ihrer Überzeugung direkte Verbindungen zwischen uigurischen Separatisten und den afghanischen Taliban und Al Qaida gebe und dass ein energisches Vorgehen gegen den uigurischen Separatismus, Extremismus und Terrorismus Teil des internationalen Kampfes gegen den Terror sei (AA 22.12.2019). Zudem macht China seit Jahren im Exil lebende uigurische Separatisten für Angriffe in Xinjiang verantwortlich (Aljazeera 1.3.2017).

In der Autonomen Region Xinjiang (XUAR) verfolgt die chinesische Zentralregierung einen zweigleisigen Ansatz: zum einen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung der Gefährdungs-Triade (religiöser) Extremismus, (ethnischer) Separatismus und (internationaler) Terrorismus, zum anderen Wirtschaftsförderung und Erhöhung des Lebensstandards der Menschen mit dem Ziel der Gewährleistung sozialer Stabilität bzw. Eindämmung von Unruhepotential (AA 22.12.2019).

Die 2014 gestartete besonders repressive Kampagne „Strike Hard“ wird unvermindert gegen die türkisch-muslimische Bevölkerung fortgesetzt (HRW 14.1.2020). Im Laufe des Jahres intensivierte die Regierung ihre Strategie der Massenverhaftung von Mitgliedern muslimischer Minderheitengruppen in der autonomen Region der Uiguren (Xinjiang) deutlich. Es wird berichtet, dass die Behörden schätzungsweise 800.000 Menschen, unter Umständen mehr als zwei Millionen Uiguren, ethnische Kasachen und andere Muslime willkürlich in Internierungslagern festhalten, deren Zielsetzung in der Vernichtung ihrer religiösen und ethnischen Identitäten liegt. Von Regierungsbeamten wird behauptet, dass diese Lager zur Bekämpfung von Terrorismus, Separatismus und Extremismus benötigt würden. Internationale Medien, Menschenrechtsorganisationen und ehemalige Häftlinge berichten davon, dass Sicherheitskräfte in den Lagern Häftlinge misshandelt, gefoltert und getötet haben (USDOS 13.3.2019; vgl. FH.2.2019a).

Vertrauliche Dokumente der Kommunistischen Partei Chinas aus den Jahren 2017 und 2018 beschreiben, wie die Verfolgung und Internierung insbesondere von Uiguren in Umerziehungslagern in Xinjiang organisiert wird. Die „China Cables“ genannten Papiere geben Anleitung zur Gestaltung des Lagerlebens und zur strengen Überwachung der Uiguren in den Lagern und außerhalb davon und bestätigen im Wesentlichen Berichte von Beobachtern und ehemaligen Lagerinsassen. Die Berichte widersprechen der offiziellen chinesischen Darstellung, dass es sich bei den von der Regierung errichteten Lagern lediglich um Einrichtungen zur beruflichen Weiterbildung handelt (NYT 16.11.2019; vgl. WZ 25.11.2019).

Der Einsatz von Technologien zur massenhaften Überwachung und sozialen Kontrolle durch die Behörden ist beispiellos. Die Integrated Joint Operations Platform (IJOP), ein Computerprogramm, das im Mittelpunkt der Massenüberwachungssysteme von Xinjiang steht, überwacht viele Facetten des Lebens der Menschen, einschließlich ihrer Bewegungen und ihres Stromverbrauchs und alarmiert die Behörden, wenn Unregelmäßigkeiten aufscheinen (HRW 14.1.2020). So werden über eine App, die sogenannte Integrated Joint Operations Platform (IJOP) personenbezogene Daten gesammelt. Das IJOP-System registriert und überwacht Bewegungs- und Standortdaten auf ID-Karten und Mobiltelefonen. Durch das System als problematisch gekennzeichnete Vorfälle haben sofortige Untersuchungen zur Folge. Abhängig vom Grad der wahrgenommenen Bedrohung und basierend auf der Programmierung, kann die Bewegungsfreiheit einer Person eingeschränkt werden, indem das Verlassen eines registrierten Standorts ebenso, wie auch ein Betreten öffentlicher Räume wahrgenommen werden (HRW 1.5.2019).

Die IJOP-App bewertet auch Regierungsbeamte nach ihrem Arbeitserfolg bei der Erfüllung von Aufgaben und ist ein Werkzeug übergeordneter Vorgesetzter zur Überprüfung untergeordneter Beamter (HRW 1.5.2019). Mehr als eine Million Beamte sind durch die Regierung zur Überwachung mobilisiert worden (HRW 17.1.2019).

Um der wachsenden internationalen Besorgnis über die Niederschlagung entgegenzuwirken, organisierten die chinesischen Behörden mehrere, streng kontrollierte Reisen für ausgewählte Journalisten und Diplomaten - auch von der UN - nach Xinjiang und erklärte Ende Juli 2019, dass „die meisten“ in den Lagern für „politische Bildung“ in Xinjiang „in die Gesellschaft zurückgekehrt“ sind. Beide Behauptungen werden von Beobachtern bezweifelt (HRW 14.1.2020), zumal Berichten zufolge eine unbekannte Zahl Internierter nicht in Freiheit, sondern in streng kontrollierte Zwangsarbeit entlassen worden sind (BAMF 16.12.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Darüber hinaus werden durch die Behörden auch weiterhin Kinder, deren Eltern interniert sind oder sich im Exil befinden, ohne elterliche Zustimmung in staatlichen „Kinderfürsorge-Einrichtungen“ und Internaten ohne Zugang betreut (HRW 14.1.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (22.12.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China,

?        AA - Auswärtiges Amt (14.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456146/4598_1547112750_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-volksrepublik-china-stand-oktober-2018-14-12-2018.pdf, Zugriff 6.12.2019

?        AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

?        Aljazeera (1.3.2017): ISIL video threatens China with 'rivers of bloodshed', http://www.aljazeera.com/news/2017/03/isil-video-threatens-china-rivers-bloodshed-170301103927503.html, Zugriff 20.11.2019

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (16.12.2019): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2022112/briefingnotes-kw51-2019.pdf, Zugriff 21.1.2020

?        FH - Freedom House (2.2019a): Freedom in the World 2019 – China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002611.html, Zugriff 21.10.2019

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022687.html, Zugriff 20.1.2020

?        HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002248.html, Zugriff 22.10.2019

?        HRW - Human Rights Watch (1.5.2019): China’s Algorithms of Repression, https://www.hrw.org/report/2019/05/01/chinas-algorithms-repression/reverse-engineering-xinjiang-police-mass-surveillance, Zugriff 14.10.2019

?        NYT – New York Times (16.11.2019): The Xinjiang Papers. ‘Absolutely No Mercy’: Leaked Files Expose How China Organized Mass Detentions of Muslims, https://www.nytimes.com/interactive/2019/11/16/world/asia/china-xinjiang-documents.html, Zugriff 21.11.2019

?        ÖB Peking (11.2019): Asylländerbericht Volksrepublik China

?        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html, Zugriff 14.10.2019

?        WZ – Wiener Zeitung (25.11.2019): Enthüllungen um chinesische Umerziehungslager, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2039665-Enthuellungen-um-chinesische-Umerziehungslager.html, Zugriff 25.11.2019

2.3.    Hongkong

Letzte Änderung: 25.1.2020

Vor der Rückgabe Hongkongs durch die Briten am 1. Juli 1997 wurde ausgehandelt, dass Hongkong nach der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ als Sonderverwaltungsregion seine freie Marktwirtschaft, seine eigene Währung, sein eigenes Rechtswesen, ein politisches System mit demokratischen Elementen und garantierten bürgerlichen Freiheiten wie der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit, 50 Jahre lang beibehalten dürfe, also bis 2047 (AA 8.2019).

Im ersten Jahrzehnt nach der Übergabe funktionierte dieses Arrangement für beide Seiten weitgehend reibungslos. 2010 kam es zu ersten großen Demonstrationen, 2014 zu wochenlangen Massenprotesten, an denen Zehntausende teilnahmen. 2019 entzündete sich die Protestwelle an Plänen für ein umstrittenes Auslieferungsgesetz. Die Demonstranten werfen der Führung in Peking eine immer stärkere Einmischung in Hongkonger Belange und den Abbau der bürgerlichen Freiheiten vor (AA 8.2019; vgl. LVAk 9.2019). Seit Anfang Juni 2019 führen Großdemonstrationen, unangekündigte Protestaktionen sowie Aufrufe zum Streik immer wieder zu Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Seit dem 11. November 2019 finden täglich Demonstrationen mit Straßenblockaden in vielen, auch touristisch frequentierten Stadtteilen, statt. Es kommt zu teils heftigen Zusammenstößen mit der Polizei, bei welchen bisher mehrere Personen getötet worden sind (AA 22.11.2019; vgl. TG 14.11.2019, ZO 11.11.2019).

Die chinesische Staats- und Parteiführung hat die Regierung von Hongkong wiederholt aufgefordert, mit aller Härte gegen die Demonstranten vorzugehen und sie wegen „Aufstand“ strafrechtlich zu verfolgen. Mittlerweile werden nur noch vereinzelt Demonstrationen und Versammlungen genehmigt, was eine deutliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit darstellt (AA 22.12.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (22.12.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

?        AA - Auswärtiges Amt (14.11.2019): Hongkong: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/hongkongsicherheit/200854, Zugriff 20.11.2019

?        AA - Auswärtiges Amt (9.2019): China – Außen- und Europapolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/hongkong-node/sonderstatus-hongkong/2239262, Zugriff 23.10.2019

?        LVAk – Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.228

?        TG – The Guardian (14.11.2019): Second death in week as Xi Jinping demands end to Hong Kong violence, https://www.theguardian.com/world/2019/nov/14/second-death-in-hong-kong-protests-as-xi-demands-end-to-violence, Zugriff 20.11.2019

?        ZO – Zeit Online (11.11.2019): Polizei schießt erneut Demonstranten an, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-11/hongkong-demonstration-gewalt-schuesse-video-verletzter, Zugriff 20.11.2019
3.         Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 25.1.2020

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen (AA 22.12.2019). Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei auf ungeteilte Macht gegenüber (FH 2.2019a). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert, neben sozialer Not eine der Hauptquellen von Unzufriedenheit in der chinesischen Gesellschaft (AA 3.2019a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 22.12.2019). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2019). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sogenannter „Leitlinien“. Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen „Leitlinien“ der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 2.2019a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines „sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung“ unter dem Motto „den Gesetzen entsprechend das Land regieren“. Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2019).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2019).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen „Unabhängigkeit“ von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es – vor allem auf unterer Gerichtsebene – noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2019).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll „Fehlverhalten“ von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) und die Oberste Staatsanwaltschaft haben wiederholt gefordert, „Falschurteile“ der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die tatsächliche Gerichtspraxis ist allerdings davon noch weit entfernt (AA 22.12.2019).

Das umstrittene System der „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurde 2013 offiziell abgeschafft. Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten aber auch willkürliche Festsetzungen in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“) ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 22.12.2019).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die „Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte“ an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden – in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine „Behinderung der Ermittlung“ bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem „designierten Ort“ bis zu 6 Monate unter „Hausarrest“ gestellt werden können. Dieser Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2019).

Die Staatsorgane greifen verstärkt auf den „Hausarrest an einem festgelegten Ort“ zurück – eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern – einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften – zu unterbinden (ÖB 11.2019; vgl. AA 22.12.2019, AI 22.2.2018).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem „Verwaltungsstrafen“ verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer „Verwaltungshaft“ (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten „schwarzen Gefängnissen“ kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 22.12.2019).

Das 2019 erneut revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert dem Wortlaut nach die Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und des Verteidigers im Ermittlungs- und Strafprozess. Die Umsetzung steht aber in jedem Fall unter dem politischen Eingriffsvorbehalt der jeweiligen Parteiorgane, die fester integrierter Bestandteil auch bei den Strafgerichten sind.(AA 22.12.2019).

Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 2.2019a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen „konterrevolutionären Straftaten“ abgeschafft und im Wesentlichen durch „Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden“ (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 22.12.2019). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr 2017 über an (AI 22.2.2018). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder „Verrat von Staatsgeheimnissen“ lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 22.12.2019).

Auch 2018 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlicher Verfolgung fort (FH 2.2019a). Anwälte, Mitarbeiter von Kanzleien und Aktivisten, droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von Schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TAZ 29.3.2016).

Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der „Umerziehung durch Arbeit“ werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht „geschaffen“ werden (ÖB 11.2019). Häufig wurden Anklagen wegen „Untergrabung der staatlichen Ordnung“, „Anstiftung zum Separatismus" oder „Terrorismus“, „Anstiftung zu Subversion" oder „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“, wie auch „Streitsucht und Unruhestiftung“ erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Millionen Eingaben [Petente] eingereicht. Petitionäre, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unlie

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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