TE Bvwg Beschluss 2020/6/17 G313 2219317-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

17.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


G313 2219317-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch RA XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)       Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 27.03.2019 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ein auf die Dauer von ein Jahr befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.), und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 27.05.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist rumänischer Staatsangehöriger.

1.2. Mit Spruchpunkt I. des im Sprucheinleitungssatz angeführten Bescheides wurde gegen den BF ein einjähriges Aufenthaltsverbot erlassen.

1.2.1. Begründend dafür wurde nach Wiedergabe von § 67 Abs. 1. und 2 FPG und der allgemeinen Ausführung, dass bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG auf den Kriterienkatalog des § 53 Abs. 2 und 3 FPG als Orientierungsmaßstab zurückgegriffen werden könne, ohne darauf eingegangen zu sein, ob der einfache Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 Satz 2 FPG oder wegen eines Aufenthalt im Bundesgebiet seit zehn Jahren der erhöhte Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG zur Anwendung gelangt, im angefochtenen Bescheid allgemeingehalten Folgendes ausgeführt:

„In Ihrem Fall liegt jener Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG vor, wenn ein Fremder von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Diese Voraussetzungen treffen auf Sie zu, wofür die Gründe in diesem Bescheid ausführlich dargelegt sind.

(…)

Diese Voraussetzungen treffen für Sie zu (unterstrichen):

Sie wurden bereits im Oktober 2018 im österreichischen Bundesgebiet aufgrund Ihrer finanziellen Lage straffällig und diesbezüglich vom Landesgericht (…) rechtskräftig verurteilt.

Wie schon ausgeführt, haben Sie durch Ihr persönliches – von einem österreichischen Gericht durch die Verhängung einer 2 monatigen bedingten Freiheitsstrafe – Verhalten in Österreich gezeigt, dass Sie kein Interesse daran haben, die Gesetze Österreichs zu respektieren, sondern aufgrund prekärer finanzieller Verhältnisse, zur Verbesserung dieser Situation straffällig wurden. Ihr bisheriger Aufenthalt in Österreich beeinträchtigte ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe, an Sicherheit für die Person und ihr Eigentum und an sozialem Frieden. Das von Ihnen gezeigte Verhalten ist aufgrund der Art der begangenen Strafdelikte einhergehende große Wiederholungsgefahr mit einer Fortsetzung zu rechnen. Es muss daher von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden.

Die beeinträchtigten öffentlichen Interessen, nämlich insbesondere jene an der Unverletzbarkeit des Privateigentums, sind maßgeblich für das Wohlergehen und –befinden der Bevölkerung und können daher als erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung bezeichnet werden.

Aufgrund Ihrer Vermögensdelinquenz ist im Lichte Ihrer feststellungsgemäßen Lebensumstände begründet davon auszugehen, dass im Falle Ihres weiteren Verbleibes im Bundesgebiet das reelle Risiko besteht, dass Sie auf freiem Fuße neuerlich einschlägige Delikte verüben würden. Damit ist auch klar das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit erfüllt. (…).“

Daraufhin folgten nach Wiedergabe der für die Interessensabwägung relevanten Bestimmungen im Hinblick auf die festzulegende Dauer des Aufenthaltsverbotes folgende Ausführungen:

„Wie schon ausgeführt, geht die erkennende Behörde aufgrund der aktuellen Aktenlage davon aus, dass Sie Ihren Lebensmittelpunkt in Rumänien haben.

Unter Berücksichtigung Ihres an sich kurzen Aufenthaltes in Österreich sowie der weiterhin bestehenden Möglichkeit, Ihre familiären Kontakte im Bundesgebiet über die Nutzung moderner Kommunikationsmittel weiterhin pflegen zu können, ist angesichts Ihres besagten und – insbesondere – in seiner Gesamtheit gravierenden Fehlverhaltens davon auszugehen, dass die Erlassung eines gegen Sie gerichteten Aufenthaltsverbotes gemäß § 9 BFA-VG zulässig ist.

(…)

Aus den vorliegenden Aktenunterlagen ergibt sich, dass Sie schon kurze Zeit nach Ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet aufgrund Ihrer finanziellen Situation straffällig wurden. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit ihrem persönlichen Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegt.

(…)

Die Gesamtbeurteilung Ihres Verhaltens, Ihrer Lebensumstände sowie Ihrer familiären und privaten Anknüpfungspunkte haben daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig ist, die von Ihnen ausgehende, erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Es ist auch zu erwarten, dass dieser Zeitraum erforderlich ist, um in Ihnen einen positiven Gesinnungswandel Ihrer Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung zu bewirken.

Es ist zudem zu beachten, dass sich die erkennende Behörde, angesichts der individuellen Umstände des Einzelfalls, ohnehin bei der Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbotes am untersten Bereich des gesetzlich zulässigen Rahmens orientiert hat.

Es muss somit davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit angesichts Ihrer individuellen Verhältnisse lediglich als gering zu bewertenden persönlichem Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegt. (…).“

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergaben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

3.2. Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung des Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

3.3. Auch wenn § 66 Abs. 1 letzter Satz FPG dem Wortlaut zufolge nur die Ausweisung betrifft, muss diese Bestimmung auch im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beachtet werden. Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts handelt es sich sowohl bei einem Aufenthaltsverbot als auch bei einer Ausweisung um „restriktive Maßnahmen“, die nur nach Maßgabe der Bestimmungen des Art. 27 und 28 der Freizügigkeitsrichtlinie zulässig sind.

Der Begriff „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ wird in Artikel 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) verwendet und in den Tatbeständen des § 53 Abs. 3 FPG näher definiert. Eine solche „schwerwiegende Gefahr“ ist im Sinne der abgestuften Gefährdungsprognose(vgl. VwGH vom 22. Februar 2011, 2008/18/0025) unterhalb der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ iSd Artikel 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie einzuordnen.

Die Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist jedenfalls dann gegeben, wenn vom Fremden auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird.

Das persönliche Verhalten muss dabei nach dem einfachen Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 2 FPG eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und bei einem zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nach dem erhöhten Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG auf eine mögliche nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich schließen lassen.

3.4. Mit Spruchpunkt I. des im Sprucheinleitungssatz angeführten Bescheides wurde gegen den BF ein einjähriges Aufenthaltsverbot erlassen.

Das gegen den BF erlassene einjährige Aufenthaltsverbot begründend wurde nach Wiedergabe von § 67 Abs. 1. und 2 FPG und der Ausführung, dass bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG auf den Kriterienkatalog des § 53 Abs. 2 und 3 FPG als Orientierungsmaßstab zurückgegriffen werden könne und in seinem Fall „jener Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG vorliegt, wenn ein Fremder von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist“, ohne darauf eingegangen zu sein, ob der einfache Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 Satz 2 FPG oder wegen eines Aufenthalts im Bundesgebiet seit zehn Jahren der erhöhte Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG zur Anwendung gelangt, Folgendes ausgeführt:

„Diese Voraussetzungen treffen auf Sie zu, wofür die Gründe in diesem Bescheid ausführlich dargelegt sind. (…) Diese Voraussetzungen treffen für Sie zu (unterstrichen):

Sie wurden bereits im Oktober 2018 im österreichischen Bundesgebiet aufgrund Ihrer finanziellen Lage straffällig und diesbezüglich vom Landesgericht (…) rechtskräftig verurteilt.

Wie schon ausgeführt, haben Sie durch Ihr persönliches – von einem österreichischen Gericht durch die Verhängung einer 2 monatigen bedingten Freiheitsstrafe – Verhalten in Österreich gezeigt, dass Sie kein Interesse daran haben, die Gesetze Österreichs zu respektieren, sondern aufgrund prekärer finanzieller Verhältnisse, zur Verbesserung dieser Situation straffällig wurden. Ihr bisheriger Aufenthalt in Österreich beeinträchtigte ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe, an Sicherheit für die Person und ihr Eigentum und an sozialem Frieden. Das von Ihnen gezeigte Verhalten ist aufgrund der Art der begangenen Strafdelikte einhergehende große Wiederholungsgefahr mit einer Fortsetzung zu rechnen. Es muss daher von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden.

Die beeinträchtigten öffentlichen Interessen, nämlich insbesondere jene an der Unverletzbarkeit des Privateigentums, sind maßgeblich für das Wohlergehen und –befinden der Bevölkerung und können daher als erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung bezeichnet werden.

Aufgrund Ihrer Vermögensdelinquenz ist im Lichte Ihrer feststellungsgemäßen Lebensumstände begründet davon auszugehen, dass im Falle Ihres weiteren Verbleibes im Bundesgebiet das reelle Risiko besteht, dass Sie auf freiem Fuße neuerlich einschlägige Delikte verüben würden. Damit ist auch klar das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit erfüllt. (…).“

Von einer hinreichend begründeten Gefährdungsprognose kann diesbezüglich nicht ausgegangen werden, wurde doch auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des BF und die damit gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe eingegangen, ohne sich, wie für eine hinreichende Gefährdungsprognose erforderlich, näher mit dem konkreten (Gesamt-) Verhalten samt den der strafrechtlichen Verurteilung von 2018 zugrunde liegenden, konkreten strafbaren Handlungen des BF auseinandergesetzt zu haben.

Ergänzend wird noch darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde sich insofern widersprochen hat, als sie in den Feststellungen eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des BF zu zwei Monaten Freiheitsstrafe (unbedingt) anführte, im Zuge der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. hingegen auf eine 2 monatige bedingte Freiheitsstrafe, welche auch auf dem, dem Verwaltungsakt einliegenden, Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich aufscheint, Bezug nahm.

Dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, hat sich nicht ergeben, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

3.5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da im gegenständlichen Fall bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2219317.1.00

Im RIS seit

11.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten