Entscheidungsdatum
02.07.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L526 2168076-2/6E
L526 2168081-2/6E
L526 2168079-2/6E
L526 2168073-2/6E
L526 2196719-2/6E
BESCHLUSS
1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über den Antrag auf Wiederaufnahme 1) des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 2) der XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 3) der XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 4) des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 5) der XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, BF3 bis BF5 vertreten durch die Eltern XXXX und XXXX , diese vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Mag. Ali POLAT, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019, Zlen. XXXX beschlossen:
A)
Die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren werden als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrenshergang
I.1. Die Antragsteller und Antragstellerinnen, ehemals Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen in den im Spruch genannten Verfahren (in diesem Zusammenhang auch kurz als „BF“ oder gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als „BF1“ bis „BF5“ bezeichnet) sind Staatsangehörige der Türkei. BF1 bis BF4 brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 7.2.2017 (BF1) und am 15.3.2017 (BF2 bis BF4) bei der belangten Behörde (in weiterer Folge auch kurz „bB“ genannt) Anträge auf internationalen Schutz ein. Für die in Österreich geborene BF5 wurde am 20.4.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.
I.2. Der männliche BF1 und die weibliche BF2 sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen BF3 bis BF5.
I.3. Anlässlich seiner Einvernahme durch die Landespolizeidirektion Oberösterreich brachte BF1 im Wesentlichen vor, er habe sein Land verlassen, da er Kurde sei und zur kurdischen Partei in XXXX gehört habe. Er hätte Angst vor der Polizei gehabt und sei deshalb geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von den türkischen Behörden umgebracht zu werden. Zur Frage, ob er ein bestimmtes Reiseziel hatte und warum er dieses bestimmte Land erreichen habe wollen, gab BF1 an, es sei Österreich gewesen; Österreich gefalle ihm einfach.
BF2 gab vor der Landespolizeidirektion Oberösterreich an, sie habe ihr Land wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verlassen, derentwegen sie in der Türkei keine Chance auf Arbeit und ein gutes Leben habe. Sie habe auch zu ihrem Gatten gewollt. Zur Frage nach ihrer Rückkehrbefürchtungen gab BF2 an, sie habe keine Perspektiven in der Türkei; sie habe auch Angst vor der dortigen Polizei, da ihre Schwester und ihr Onkel wegen der Polizei verstorben seien.
Anlässlich seiner Einvernahme vor bB am 5.7.2017 gab BF1 Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):
„[…]
LA: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?
VP: Die Kinder haben eigentlich auch Probleme zB in der Schule. Sie werden unterdrückt, dass sie nicht Kurdisch reden sollen. Aber ich würde sagen, sie sind mit uns gekommen.
LA: Sind Ihre Kinder gesund?
VP: Ja.
LA: Welche Angehörigen haben Sie in der Türkei und wie alt sind diese?
VP: Mutter und Vater sind verstorben. Geschwister: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX . Wie alt sie sind weiß ich nicht genau.
LA: Haben Sie noch Onkeln Tanten, Cousins oder Cousinen?
VP: Ich hatte einen Onkel väterlicherseits, er ist aber bereits gestorben. Drei Onkeln mütterlicherseits, sind auch alle bereits gestorben. Ich habe keine Tanten.
LA: Haben Sie Cousins oder Cousinen?
VP: Ich habe schon Cousins..ich habe viele.
LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten?
VP: Zur Zeit nicht.
LA: Also gegenwärtig besteht kein Kontakt zu Ihren Geschwistern in der Türkei?
VP: Nein.
LA: Wann kommunizierten Sie zuletzt mit Ihren Geschwistern in der Türkei?
VP: Bevor ich nach Österreich kam habe ich mit einem Bruder, der in XXXX gesprochen, mit den anderen auch nicht.
LA: Gibt’s dafür irgendeinen Grund?
VP: Es gibt keinen Grund dafür, das ist einfach so.
LA: Grundsätzlich verstehen Sie sich mit Ihren Geschwistern?
VP: Das schon, ja.
LA: Wo leben Ihre Angehörigen in der Türkei?
VP: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX leben in unserem Dorf, XXXX in XXXX , XXXX und XXXX in Istanbul
LA: Nennen Sie mir bitte Ihre Wohnadresse in der Türkei!
VP: XXXX . Das gehört zu XXXX . Meine Straßennummer weiß ich nicht mehr.
LA: Gab es noch andere Adressen in der Türkei?
VP: Nur hier.
LA: Wie lange lebten Sie dort?
VP: 2004 bin ich von der Heimat weggegangen, also seit 2004 habe ich dort gelebt.
LA: Sie haben dort 13 Jahre gelebt und können sich an die Straße nicht mehr erinnern?
VP: Ich bin generell vergesslich. Ich weiß, dass das mit 2000 begann, aber ich kann mich nicht mehr erinnern…2507 vielleicht.
LA: Mit wem haben Sie in der Türkei zusammengewohnt?
VP: Mit meiner Frau und meinen Kindern.
LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?
VP: Kurz gesagt habe ich so viel erlebt. Aber soll ich bei meiner Kindheit beginnen?
LA: Wie Sie möchten.
VP: Ich konnte die Schule als Kind nicht besuchen, unsere Schulen wurden oftmals angezündet, obwohl ich sehr gerne wollte, konnte ich deshalb die Schule damals nicht abschließen. Als ich beim Militär war starb meine Mutter. Ich bin zur Beerdigung gegangen. Als ich von dort zurückkam wurde ich zusammengeschlagen. Als ich bei der Beerdigung meiner Mutter war, gab es einen Kampf zwischen Soldaten und den Leuten in den Bergen. Man hat 16 Leichen gebracht und sogar am Boden geschleift. Ich konnte aus diesem Grund nicht rechtzeitig zum Militär zurückkehren. Wie gesagt als ich wegen meiner Mutter in der Heimat war bin ich einen Tag zu spät gekommen und ich hätte am Abend Bescheid geben sollen, das konnte ich aber nicht. Nur aus diesem Grund haben sie mich vor allen anderen Soldaten zusammengeschlagen und erniedrigt. Meine Ehre war beleidigt. 2014 übersiedelte ich nach XXXX . Dort erlebte ich auch viele Probleme. Vor allem wirtschaftliche Probleme. Weil ich Kurde war fand ich keine Arbeit. Ich sollte nicht falsch verstanden werden: ich habe schwarz gearbeitet, einen guten Job fand ich nie. Ich habe als Hilfsarbeiter gearbeitet, um das Brot für meine Kinder zu verdienen. zB habe ich auf meinem Rücken große Kühlschränke in den 13. Stock tragen müssen. Wie kann man einen Kühlschrank in den 13. Stock tragen? Aber ich habe das gemacht, weil ich sonst nichts gefunden habe. (VP sagt nichts)
LA: Bitte reden Sie weiter.
VP: Als ich ein Kind war, das habe ich vorher vergessen, zB auf einer Seite des Flusses war ich mit meinen Schafen, auf der anderen Flussseite waren die Sicherheitsbehörden. Sie haben immer absichtlich in unsere Richtung geschossen. Ich habe damals immer wieder Angst gehabt, von einer Kugel getroffen zu werden. Sie haben das spaßhalber gemacht, aber ich hatte Angst, für mich war das kein Spaß.
LA: Bitte reden Sie weiter.
VP: Ehrlich gesagt, ich habe viel erlebt, viel gesehen, viel gehört. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich euch erzählen soll. Man hat einmal meinen Vater, er war alt und schwach, aufs Polizeirevier nur deshalb mitgenommen, weil er Kurde ist. Nicht nur mein Vater, auch die Nachbarn, ich meine damit, solche Ereignisse haben wir immer wieder erlebt, immer wieder gesehen, sie haben sie nur mitgenommen in der Absicht „ihr helft der PKK“. Ob das stimmt oder nicht war ihnen egal.
LA: Relevant für mich ist, wieso Sie sich letztlich entschieden haben, Ihr Land zu verlassen. Also welche Ereignisse letztlich dazu führten, dass Sie nach Österreich ausgereist sind.
VP: Wie gesagt: die Gründe, die ich gesagt habe, noch dazu habe ich immer Druck von der Polizei bekommen. Sie haben mich nicht in Ruhe gelassen. Deshalb musste ich das Land verlassen.
LA: Das heißt, Sie verließen Ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen und weil Sie von der Polizei schikaniert wurden, verstehe ich das richtig?
VP: Eher wegen des polizeilichen Drucks.
LA: Wie kann ich mir den Druck vorstellen und warum wurde dieser „Druck“ überhaupt ausgeübt?
VP: Sie behauptete, du bist ein Kurde und ich würde auch die politische Partei unterstützen. Nachdem ich die Partei unterstütze und Kurde bin haben sie mich immer ausgeschlossen. Wie ich schon erzählte, dann bin ich hierhergekommen und habe um Asyl angesucht.
LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
VP: Ich kann mich nicht an weiteres erinnern, wie ich sagte, ich vergesse sehr schnell. Vielleicht fällt mir in der nächsten Minute wieder etwas ein.
LA: Stehen oder standen Sie oder Ihre Familie in einer Beziehung zur PKK?
VP: Wie soll man Beziehung verstehen? Ich habe sie nicht praktisch unterstützt, aber als Kurde hatte ich schon Sympathien. Ich habe sie auch mündlich unterstützt, aber ich bin nicht in die Berge gegangen und habe mitgekämpft.
LA: Sie meinten, die Polizisten hätten Ihnen unterstellt, die „politische Partei“ unterstützt zu haben. Welche Partei war damit gemeint?
VP: Die kurdische Partei HDP.
LA: Haben Sie die HDP unterstützt?
VP: Ja.
LA: Waren Sie offiziell Parteimitglied?
VP: Ich war Mitglied, jetzt bin ich es nicht mehr. 2015 ist – wie ihr wisst – das Parteigebäude komplett verbrannt, alle Unterlagen, auch meine Daten sind verbrannt.
LA: Das heißt es gibt keine Daten mehr darüber, dass Sie bei der HDP waren?
VP: Ich habe nichts mehr gefunden, was ich anfordern konnte. Nicht nur die Partei, auch die Nachbargeschäfte sind komplett verbrannt.
LA: Bei welcher „Zweigstelle“ der HDP waren Sie aktiv?
VP: In XXXX .
LA: Waren Sie nur Mitglied oder hatten Sie in der HDP auch Aufgaben?
VP: Ich war nur Mitglied.
LA: Waren Sie – aus welchen Gründen auch immer – bekannt als Aktivist für die Rechte der Kurden?
VP: Ich war nicht Aktivist, ich hätte es sein wollen, aber das lässt man bei uns nicht zu. Kaum will man etwas für die Kurden machen, wird man gestoppt.
LA: Waren Sie einer breiteren Öffentlichkeit aufgrund Ihrer politischen Tätigkeiten bzw. aufgrund Ihrer Parteimitgliedschaft bekannt?
VP: Bekannt insofern, dass ich immer am Newroz teilgenommen habe und an Parteiveranstaltungen und Meetings. Überall habe ich teilgenommen.
LA: Wie viele Teilnehmer hatten diese Veranstaltungen circa?
VP: Es war immer unterschiedlich, obwohl es XXXX war und kein kurdisches Gebiet haben immer so ungefähr 2.000 Menschen teilgenommen.
LA: Können Sie einen Mitgliedsausweis oder dergleichen vorlegen?
VP: Nein.
LA: Können Sie mir etwas über Ihre Politisierung erzählen?
VP: Ich habe eine, wie sagt man, herzliche Verbindung zur kurdischen Partei, weil ich selbst auch Kurde bin und wir hatten eine kurdische Partei, die die Kurden vertritt. Deswegen unterstützte ich diese Partei. Und so viel von meiner Politisierung.
LA: Sie sagten mir vorhin, die Polizei hätte Druck auf Sie ausgeübt. Könnten Sie mir bitte näher erläutern, wie dieser „Druck“ konkret aussah?
VP: Vor allem haben sie.. meistens haben sie gesagt, „ihr seid alle PKK“. Obwohl ich Kurde bin, gibt es keine Beweise dafür, dass ich PKK-Kämpfer oder Sympathisant bin, aber sie sagten immer „ihr PKK“, damit haben sie mich erniedrigt. Das sagten sie in einem erniedrigenden Tonfall. Ich wurde beobachtet.
LA: Inwiefern wurden Sie beobachtet?
VP: Zum Beispiel wenn wir an Newroz oder an anderen Veranstaltungen teilgenommen haben, haben sie beobachtet, wer teilnimmt..wer schreit. Deswegen sage ich, dass wir generell unter Beobachtung waren.
LA: Das heißt aber, Sie wurden nur als Mitglied dieser Gruppe bei Veranstaltungen beobachtet und nicht eigens observiert. Verstehe ich das richtig?
VP: Ich wurde schon ein paar Mal beobachtet 1:1 und sie haben mir den Ausweis weggenommen und kurz einvernommen nachdem sie etwas Negatives gefunden haben, haben sie mich wieder freigelassen. Zum Beispiel als ich als Hilfsarbeiter gearbeitet habe, haben wir auch Aufträge für Polizisten bekommen und sie sagten zu unserem Arbeitgeber, dass sie überhaupt keine Kurden beauftragen sollen, sie wollen keine Kurden in ihrem Haus sehen.
LA: Wie oft wurden Sie einvernommen?
VP: Zwei Mal.
LA: Wann war das jeweils?
VP: Kurz bevor ich nach Österreich kam.
LA: Wie lange dauerte die Einvernahme?
VP: Circa 15 Minuten.
LA: Worum ging es in der Einvernahme?
VP: „du bist Kurde“. Ich habe sonst nichts angestellt, meine Schuld ist nur, dass ich Kurde bin.
LA: Wurden Sie im Rahmen der Einvernahme geschlagen oder bedroht?
VP: Geschlagen nicht, bedroht aber schon.
LA: Wie wurden Sie bedroht?
VP: „Warum seid ihr nicht in XXXX geblieben, sondern in unsere Stadt gekommen, wir werden euch vernichten“.
LA: Wie wirkte sich dieser „Druck“ auf Ihr Leben aus?
VP: Ehrlich gesagt, wenn ich Polizisten sehe, habe ich aufgrund dieses Drucks Angst vor Polizisten. Obwohl ich jetzt hier in Österreich lebe habe ich Angst vor Polizisten. Einmal – ich kann es nicht beweisen – hat er seine Waffe gezogen, er wollte fast schießen. Ich bin mit meinem Bruder mit dem LKW gefahren, er hat gemeint, wir hätten ihm den Vorrang geben müssen „seid ihr Kurden alle so ungebildet und wisst nicht, wer Vorrang hat“. Er war gleich so sauer und hat seine Pistole gezogen, nur weil ich nicht stehen geblieben bin.
LA: Woran hat er Sie als Kurde erkannt?
VP: Er ist ein Stückchen gefahren, dann wiedergekommen, inzwischen haben wir an der Seite geparkt und unter uns Kurdisch gesprochen, er muss es an meinem Dialekt bemerkt haben.
LA: Gab es sonst noch Angriffe oder Drohungen seitens Polizeibeamter gegen Sie?
VP: Ich muss überlegen. (VP überlegt) (VP schüttelt den Kopf) Mir fällt nichts ein.
LA: Gab es allgemein Drohungen gegen Sie persönlich?
VP: Außer diese Ereignisse nicht.
LA: Gab es allgemein Angriffe gegen Sie persönlich?
VP: Nein, persönlich nicht. Weil ich ein Kurde war ja, aber persönlich oder direkt nicht.
LA: Also wurden Sie nicht körperlich angegriffen, wenn ich Sie richtig verstehe?
VP: Körperlich angegriffen nicht, nein.
LA: Was hat Sie davon abgehalten, in einen kurdischen Landesteil zu ziehen?
VP: Wo gibt es kurdische Gebiete bitte? Es wird überall bombardiert. In Ostanatolien gab es fast keine Kurden mehr, die sind überall verstreut. In Dörfern vor allem, in ostanatolischen Dörfern lebt fast keiner mehr.
LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?
VP: Ich habe Angst um mein Leben, ich habe Angst um die Zukunft meines Kindes. Die Psychen meiner beiden Kinder sind sehr schlecht. Sie haben solche Angst vor Polizisten. Ich würde gerne ein Ereignis erzählen: Vor zwei Wochen hat die Caritas uns ein Schreiben gegeben, dass wir die Kinder für die Schule anmelden sollen. Ich war mit den Kindern an dieser Adresse. Ich habe diese Adresse stundenlang nicht gefunden. Da sagte ich zu meinen Kindern, gehen wir zum Polizeirevier. Da ist einer, die sollen uns helfen. Meine Kinder haben dann angefangen zu weinen, weil sie solche Angst vor Polizisten haben. Diese Angst kam aus der Heimat.
LA: Fürchten Sie um Ihr Leben aufgrund der bereits geschilderten Ereignisse oder haben Sie noch weitere Gründe, um Ihr Leben zu fürchten?
VP: Aus den Gründen, die ich bereits erzählt habe.
LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?
VP: Ja, viele. Ich konnte nicht einmal sagen, wer ich bin. Ich konnte nicht einmal sagen, wer ich bin: ich bin Alevit, ich konnte aber nicht sagen, dass ich Alevit bin. Könnt ihr euch vorstellen, welche psychische Belastung das ausmacht?
LA: Bei der Polizei sagten Sie, Sie wären Sunnit.
VP: Es war ein Missverständnis zwischen mir und dem Dolmetscher. Ich habe gesagt „Ich bin kein Sunnit“, er hat mich vielleicht umgekehrt verstanden, oder ich habe ihn umgekehrt verstanden. Er hat mich gefragt, ob ich Schiit bin, einer von uns muss einen Fehler gemacht haben. Er hat mich nicht 1:1 gefragt, ob ich Alevit oder Sunnit bin. Er hat mich gefragt, ob ich Schiit bin irgendwie so ist das passiert. Aber ich bin Alevit.
LA: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihres Alevitentums?
VP: Sie denken über Aleviten, Aleviten sind keine Muslime, sie sind Ungläubige. Sie fasten nicht, sie beten nicht. Sie haben keinen guten Eindruck von Aleviten generell. Wir wurden als Aleviten immer von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ich wollte Mitglied einer alevitischen Vereinigung sein, aber nur aus diesem Grund war ich nie ein offizielles Mitglied.
LA: Gab es körperliche Übergriffe oder Drohungen auf Sie, weil Sie Alevit sind?
VP: Ich hatte immer Probleme bei den Behörden als Alevit. Und außerdem gab es private Diskussionen über Aleviten. Wie schon gesagt: wir wurden generell als Alevit ausgeschlossen.
LA: Wovon wurden Sie ausgeschlossen?
VP: Die Moslems, die sich als Moslems bezeichnen, hatten uns ausgeschlossen. Sie wollten mit uns nicht unbedingt zusammen sein, weil wir Aleviten sind, weil wir nicht beten, weil wir nicht fasten.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, die Sie mir heute noch nicht geschildert haben?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen, die Sie mir heute noch nicht geschildert haben?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe?
VP: Nein, ich war nur Mitglied der Partei, sonst nirgends. Daher keine Probleme.
LA: Hatten Sie persönliche Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem Heimatland?
VP: So behördlich oder gerichtlich nicht. Aber behördlich wie oben erwähnt mit der Polizei und so.
LA: Wann genau haben Sie die Türkei verlassen?
VP: Drei Tage bevor ich hier in Österreich um Asyl angesucht habe.
LA: Also am 04.02.2017.
VP: Am 07.02.
LA: Am 07.02. haben Sie den Antrag gestellt. Drei Tage zuvor wäre der 04.
VP: Es muss der 03. oder 04. gewesen sein.
LA: Auf welcher Route kamen Sie nach Österreich?
VP: Ich war in einem geschlossenen Laderaum, in einem kleinen LKW. Ich weiß nicht, über welche Länder ich gekommen bin, da der Laderaum geschlossen war.
LA: Welche Transportmittel nutzten Sie?
VP: Nur den kleinen LKW. Wir sind nicht einmal ausgestiegen.
LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?
VP: Illegal.
LA: Wie lange dauerte die Reise insgesamt?
VP: Drei oder vier Tage.
LA: Also Sie waren drei oder vier Tage durchgehend in dem kleinen Laderaum?
VP: ja.
LA: Wie viel kostete Ihre gesamte Reisebewegung?
VP: 5.000 Türkische Lira.
LA: Was war das Ziel Ihrer Reise?
VP: Ich wollte hierher nach Österreich. Ich habe nicht an ein anderes Land gedacht.
LA: Warum gerade Österreich?
VP: Ich hörte, dass Österreich ein schönes Land ist und man hat über Österreich nur positiv gesprochen.
LA: Was genau erzählt man sich über Österreich?
VP: Dass es ein kleines Land ist, das schön und ruhig ist. Menschenrechte, Kinderrechte und Frauenrechte herrschen in Österreich.
LA: Haben Sie in einem anderen Land jemals einen Asylantrag gestellt?
VP: Nein, ich bin das erste Mal nach Österreich gekommen.
LA: Wo ist Ihr Reisepass?
VP: Ich habe keinen.
LA: Sind Sie zum ersten Mal im Ausland?
VP: Ja.
LA: Gibt es Personen in Österreich, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: Ja. Meine Brüder.
LA: Wo leben Ihre Brüder?
VP: Einer lebt in XXXX , einer in XXXX . Die Schwester meiner Frau ist in XXXX . Ich habe auch einen Cousin, der in XXXX wohnt.
LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in Österreich?
VP: Am Anfang nicht, dann ist mein Bruder irgendwann zu mir gekommen nachdem er hörte, dass ich schon hier bin.
LA: Gibt es Personen in Europa, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: In Deutschland habe ich zwei Schwestern. Sonst nichts.
LA: Bitte schildern Sie mir kurz Ihre Schullaufbahn.
VP: Vier Jahre. Nachdem meine Schule abgebrannt war konnte ich nicht mehr.
LA: Wie haben Sie in der Türkei Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Als Hilfsarbeiter, es war eine sehr schwierige Arbeit.
LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?
VP: Mittelmaß
LA: Waren Sie zuletzt arbeitslos?
VP: Ja, offiziell arbeitslos, aber bei dieser Hilfsarbeit hat man einen Tag Arbeit, dann drei Tage nichts, dann war immer wechselhaft.
LA: Wie konnten Sie sich Ihre Flucht leisten?
VP: Ich habe viel gespart, ich habe jeden Groschen gespart.
LA: Haben Sie explizit auf Ihre Flucht hin gespart?
VP: Ja. Auch nicht unbedingt, man spart, man denkt, irgedwann gibt es eine Not und spart deswegen.
LA: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, Ihr Land zu verlassen?
VP: Bevor ich herkam, vier, fünf Tage vorher.
LA: Haben Sie sonst noch Familienangehörige oder sonstige Verwandte in Österreich?
VP: Nein. Eine Schwester in XXXX . XXXX und XXXX haben wir gesagt, XXXX haben wir nicht gesagt.
LA: Also haben sowohl Sie als auch Ihre Frau jeweils eine Schwester in XXXX ?
VP: Ja, stimmt.
LA: Besteht zu einer Person in Österreich ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis?
VP: Nein.
LA: Können Sie Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?
VP: Ich besuche einen Deutschkurs und lerne auch mit den Kindern Deutsch.
LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Sprechen Sie Deutsch?
VP: (auf Deutsch) Sprechen Sie Deutsch? (VP zuckt mit den Schultern)
LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Wie heißen Sie?
VP: (auf Deutsch) Wie heißen (VP sagt einige Worte auf Türkisch) (auf Deutsch) 37 Jahre alt.
LA: Haben Sie einen österreichischen Freundeskreis?
VP: Ich habe keinen österreichischen Freundeskreis, es ist mir peinlich, dass ich die deutsche Sprache nicht kann. Wir müssen so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen, wenn ich im Krankenhaus bin kann ich mich selbst nicht äußern, dann bin ich sehr traurig. Ich möchte so gerne die deutsche Sprache lernen.
LA: Sind Sie in Vereinen aktiv?
VP: Nein.
LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?
VP: Ich denke nicht zurückzukehren. Aber wenn ich was sagen soll: die Rechte müssen für jeden gleich sein, dass man in der Schule auch die eigene Sprache reden kann und solche Rechte.
LA: Hatten Sie in Österreich Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten?
VP: Bis jetzt nein. Die lächeln alle, es erniedrigt mich keiner hier. Deshalb läuft alles gut.
LA: Wie möchten Sie in Österreich Ihr Leben gestalten?
VP: Ich habe mein ganzes Leben sehr schwer gearbeitet als Hilfsarbeiter und mich juckt es, wenn ich zur Caritas gehe und Taschengeld erwarte, ich möchte gerne arbeiten dürfen und arbeiten und für meine Kinder Brot nach Hause bringen.
LA: Wie finanzieren Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich?
VP: Nachdem ich nicht arbeiten darf muss ich warten, bis die Caritas mir Taschengeld gibt.
[…] “
Anlässlich ihrer Einvernahme vor bB am 5.7.2017 gab BF2 Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):
„ […]
LA: Stimmen die Angaben, die Sie bisher im Verfahren getätigt haben?
VP: Ja. Bei der Polizei hatte ich bei der Polizei ein bisschen Angst. Sie haben mich damals nach meinen Brüdern gefragt, nach deren Alter. Da habe ich bestimmt falsche Antworten gegeben.
LA: Nennen Sie bitte Ihre Daten zu Familienstand, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsbürgerschaft, Volksgruppe, Religionszugehörigkeit!
VP: Verheiratet, XXXX , ich bin Kurdin, ich habe keinen Pass,
LA: Aber Sie sind türkische Staatsangehörige.
VP: Kurdin.
LA: Religionszugehörigkeit?
VP: Islam
LA: Sunnit, Schiit, Alevit?
VP: eher Alevit.
LA: Haben Sie Kinder?
VP: Ja. Zwei.
LA: Habe Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?
VP: Ich habe sie gebracht.
LA: Haben Ihre Kinder auch Probleme in der Türkei?
VP: Mein Sohn hat einige Probleme erlebt. Dazu kommen wir eh noch, warum und wieso.
LA: Welche Probleme haben Ihre Kinder?
VP: Mein Sohn heißt XXXX . Wenn Sie untereinander Kurdisch gesprochen haben in der Schule hat er vom Lehrer immer Schimpfe bekommen, dass sie nicht Kurdisch reden sollen, dass Kurdisch reden verboten ist. Und dadurch war mein Sohn XXXX immer traurig.
LA: Welche Angehörigen haben Sie in der Türkei und wie alt sind diese?
VP: Meine Mutter ( XXXX ) ist circa 65, Vater ( XXXX ) circa 75, Geschwister: XXXX ( XXXX ) circa 38, XXXX ( XXXX ) circa 37, XXXX ( XXXX ) circa 34, XXXX ( XXXX ) circa 40, XXXX ( XXXX ) circa 24; beim Alter bin ich mir nicht ganz sicher wie gesagt, das ist nur ungefähr; XXXX ist bereits gestorben. Zwei Onkel väterlicherseits, fünf Onkel mütterlicherseits in der Türkei, zwei Tanten mütterlicherseits in der Türkei, drei Tanten väterlicherseits
LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in der Türkei?
VP: Mit allen nicht, aber mit meiner Mutter und meinen Geschwistern schon. Mit den restlichen nicht so. Ein Onkel von mir ist ums Leben gekommen im Kampf.
LA: Wie häufig und auf welchen Kommunikationswegen haben Sie Kontakt zu Ihren Angehörigen?
VP: Mit der Mutter und dem Vater meistens telefonisch. Jede zweite Woche meisten.
LA: Wo leben Ihre Angehörigen in der Türkei?
VP: (Anm.: Frage bereits beantwortet, daher nicht gestellt)
LA: Nennen Sie mir bitte Ihre Wohnadresse in der Türkei!
VP: XXXX . Die Nummer müsste 507 sein, ich weiß es nicht genau.
LA: Gab es noch andere Adressen in der Türkei?
VP: Bis 2004 hatte ich in XXXX eine Adresse, aber aktuell war nur eine. Davor habe ich in XXXX eine andere Adresse gehabt, eine Mietwohnung.
LA: Aber an der gerade genannten Adresse haben Sie zuletzt gewohnt?
VP: Ja, stimmt.
LA: Mit wem haben Sie in der Türkei zusammengewohnt?
VP: Mit meinem Gatten und meinen Kindern.
LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?
VP: Als ich ein kleines Kind war, wollte ich so gerne die Schule besuchen, studieren, bin auch in die Schule gegangen. Unsere Schule wurde abgebrannt von Soldaten mit der Absicht, das sei ein Dorf von lauter PKK-Anhängern. Die Soldaten haben unsere Schule abgebrannt, deswegen haben auch die Lehrer Angst gehabt und kein Lehrer wollte mehr zu unserer Schule kommen. Die Familie, diejenigen, die wirtschaftlich in einer guten Lage waren, haben ihre Kinder in einen Bezirk geschickt, wo sie die Schule besucht haben. Mein Vater war ein armer Mann, deswegen konnte er mich nicht an eine Schule in einer anderen Stadt schicken, deswegen konnte ich auch die Schule nicht abschließen. Irgendwann, drei, vier Personen von unserem kleinen Dorf, haben sich der PKK angeschlossen. Und nachdem das bekannt wurde, wurden wir von Behörden vor allem von Soldaten unter Druck gesetzt unser kleines Dorf. Und wir bekommen weder Brot noch andere wichtige Nahrungsmittel. Ich kann mich ganz gut erinnern, als ich jung war haben wir drei Tage nichts zu essen gehabt. Mein Onkel mütterlicherseits wurde getötet von Soldaten mit der Absicht, dass er PKK-Anhänger ist. Dann heiratete ich meinen jetzigen Mann irgendwann in unserem kleinen Dorf. Dann siedelten wir nach XXXX mit ihm. In XXXX hatten wir auch kein einfaches Leben gehabt, wie ich schon sagte, ich konnte nicht in die Schule gehen bzw. diese nicht abschließen. Ich konnte nicht richtig lesen und schreiben. Und ich wurde auch in XXXX auch immer von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen. Und sie sagten zu mir immer „du bist eine Kurdin“, sie wollten mit mir nicht viel zu tun haben. Mein Mann fand auch damals keine Arbeit, er hat so schwer gearbeitet. Mein Mann hat immer inoffiziell der kurdischen Partei geholfen und deshalb haben sie ihn meiner Meinung nach auch nicht in Ruhe gelassen. Meine große Schwester war schwer krank, wir wollten sie nach XXXX bringen. Mein Vater und mein Bruder haben sie hingebracht, ich war nicht dabei. Sie wurden von Soldaten auf dem Weg aufgehalten. Die Soldaten waren so böse und grantig auf meinen Vater und meine Schwester und meine Familie, die dabei waren. Die müssten so einen Druck ausgeübt haben, dabei bekam meine Schwester einen Herzinfarkt und starb auf der Stelle. Mein Vater hat auch diese Soldaten damals angezeigt. Aber es ist leider nichts geworden. Wie gesagt, es ist nichts geworden, weil die Soldaten…wer kann Soldaten etwas antun? Mein Onkel wurde getötet, das war eine traurige Zeit für uns, daraufhin meine Schwester, sie wurde getötet oder war wegen der Soldaten tot. „Trauer auf Trauer“ sozusagen. Wie soll ich sagen, mein Leben bis heute ist so vergangen: mein Leben war immer bitter. Unterdrückung, Armut. Es war ein sehr bitteres Leben. Alles, was ich erlebt habe, hat bei mir eine Spur hinterlassen. Egal, wie gut es mir hier geht in Österreich, ich kann meine Vergangenheit nicht vergessen. Ich habe vielleicht bis jetzt wenig erzählt, aber ich habe viel Negatives erlebt.
LA: Wann sind Ihr Onkel und Ihre Schwester gestorben?
VP: Das Datum kann ich nicht sagen, aber ich war 13 Jahre alt. Jetzt bin ich 30. Ich glaube, es war 2007 als meine Schwester starb.
LA: Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu gebracht hat Ihr Land zu verlassen?
VP: Wir haben ganz großen Druck von Soldaten erlebt. Sie haben uns kein essen gegeben. Sie haben uns nur ein Brot für die ganze Familie gegeben. In der Woche ein Kilo Reis. Sie haben meine Mutter geschlagen. Ich habe meine Kindheit nicht erlebt. Ich habe meine Kindheit nicht erlebt, das war kein Leben für mich. Bis XXXX war es in meiner Heimat sowieso kein Leben für mich. Ich habe ein Leben wie eine Sklavin gelebt unter dem ständigen Druck von Soldaten. Ich dachte, in XXXX hätten wir Ruhe, in XXXX hat sich auch nicht viel geändert.
LA: Wie alt waren Sie als die Soldaten Sie unterdrückt haben?
VP: Seit meinem Schulalter. Ständig und durchgehend. Ich kann mich noch erinnern, ich war klein, sie haben meine Mutter und meinen Vater vor meinen Augen geschlagen.
LA: Wie haben die Soldaten Sie in letzter Zeit unterdrückt? Also nicht als Sie ein Kind waren, sondern in letzter Zeit.
VP: Sie haben oftmals meinen Mann mitgenommen zum Gendarmerierevier. Ohne Grund. Ich hatte kein gutes Leben. Mein Mann war auch schwer krank als wir nach XXXX siedelten.
LA: Jetzt haben Sie mir gesagt, dass Ihr Mann öfters mitgenommen wurde. Wurden Sie selbst auch unterdrückt?
VP: Ich wurde nicht zum Revier gebracht, aber ich habe mitgelitten. Sie sind oft auch zu uns gekommen und haben unser Haus durchsucht. Jedes Mal hatte ich Angst vor ihnen, sie waren bewaffnet.
LA: Wie oft wurde Ihr Haus durchsucht?
VP: Fast jede Woche. Nicht nur unser Haus, das ganze Dorf.
LA: Wann war das?
VP: Ja, bis 2002. 2002 war noch schlimmer. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Sie nannten unser Dorf „Dorf der PKK“. Und alle Jugendlichen haben unser Dorf wegen des Drucks verlassen. Es leben nur mehr alte Leute dort.
LA: Wann wurden Sie das letzte Mal von türkischen Soldaten oder Polizisten drangsaliert?
VP: Mein Mann war hier in Österreich, das letzte Mal sind sie in XXXX zu uns gekommen. Man nennt das „Frühuntersuchung“, das ist gegen 3 oder 4 in der Früh. Sie sind plötzlich vor der Tür gestanden, ich sagte, mein Mann ist nicht zu Hause, sie haben meinen Mann gesucht. Sie haben mich auf die Seite geschubst, ich bin runtergefallen, meine Kinder haben das gesehen und Angst bekommen. Seitdem ist ihre Psyche nicht mehr so gut.
LA: Haben Sie davon Ihrem Mann erzählt?
VP: Ich kann mich nicht erinnern. Mein Mann war ja hier und seine Psyche war auch nicht so gut. Es kann sein, dass ich ihm davon nicht erzählt habe. Ich habe ihm nur gesagt, dass Polizisten da waren und ihn gesucht haben, ich habe ihm das nicht detailliert erzählt. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um uns macht. Nach diesem Ereignis hat er gesagt, „wenn du es schaffst, dann versuchst du zu mir zu kommen“.
LA: Was wollten die Soldaten?
VP: Es waren Polizisten und Soldaten. Sie haben meinem Mann gesucht, sie wollten nichts von mir. Sie haben irgendeinen Beweis gesucht, sie haben das Haus durchsucht. Ich als ein Mensch, normalerweise sollte man vor der Polizei keine Angst haben, aber ich hasse Polizisten und Gendarmen bis es nicht mehr geht, weil ich seit meiner Kindheit nur Negatives gesehen und gehört habe.
LA: Warum ist Ihr Mann für die Polizisten bzw. Soldaten interessant gewesen?
VP: Mein Mann erzählt mir natürlich auch nicht alles. Es kann sein, dass die Polizisten etwas über meinen Mann wissen, was ich nicht weiß. Mein Mann sagte immer wieder, ich muss mich retten, ich muss raus aus der Türkei. Mein Mann wollte immer Mitglied bei der Partei sein, er wurde es aber nie, weil wenn man legal Parteimitglied ist, kommt man sowieso sofort drauf. Schauen sie sich die letzten zwei Jahre an. Die letzten zwei Jahren ist die Türkei ganz anders geworden, man sucht nur einen kleinen Beweis, wenn du der Partei hilfst, dann bist du in ihren Augen ein Terrorist. Die Behörden suchten einen kleinen Beweis, um dich verhaften zu können. Bei den letzten Wahlen, beim Referendum, hat man in unserem Dorf alle Jugendlichen gesammelt und ins Gefängnis gesteckt, damit sie nicht zu den Wahlen gehen können. Der Rassismus wird in der Türkei immer größer.
LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
VP: Nein. Nur das, was ich schon erzählte. Reichen die nicht?! Verstehen Sie mich nicht falsch, seien Sie nicht böse wegen dem, was ich gesagt habe. Ich meinte damit, ich habe viel Negatives erlebt, aber ich kann vieles nicht in Worte fassen. Und ich möchte, dass meine Kinder das, was ich erlebt habe, nicht erleben. Deshalb suche ich hier Schutz.
LA: Stehen oder standen Sie oder Ihre Familie in einer Beziehung zur PKK?
VP: Insofern mit der PKK, wir haben die PKK immer unterstützt und die PKK hat uns nichts angetan, im Gegenteil, sie hat uns immer geholfen. Der Staat hat uns immer unter Druck gesetzt, aber die PKK nicht. Deshalb mögen wir die PKK und haben sie unterstützt. Ich wollte als Kind immer in studieren, das konnte ich nicht. Die einzigen Schulen hat der türkische Staat. Als mein Onkel damals getötet wurde, wurde auch ein Nachbar von uns als er aufs WC ging, die WCs waren draußen damals, er wurde auch angeschossen und getötet. Seine Tochter war schwer verletzt. Sie lebt noch immer mit den Schusswunden. Warum ich das erzähle: weil ich das Ganze auch 1:1 erlebt habe, das belastet mich psychisch. (VP trifft Ausführungen zur psychischen Erkrankung ihrer Schwester, wird mangels Verfahrensrelevanz nicht protokolliert)
LA: Welche Partei hat Ihr Mann unterstützt?
VP: Die kurdische Partei.
LA: Welche Partei genau?
VP: Die HDP.
LA: Welche Aufgaben hatten Ihr Mann in der Partei?
VP: Er erzählt mir solche Sachen nicht, was er macht. Nachdem ich von der Kindheit her immer ängstlich bin erzählt er mir nichts.
LA: Waren Sie auch Parteimitglied?
VP: Nein. Das war nicht möglich. Wenn man Mitglied wird, wird man eingesperrt. Aber ich habe nur hin und wieder an Meetings und diesem und jenem teilgenommen.
LA: Gab es Drohungen gegen Sie persönlich?
VP: Nein.
LA: Gab es Angriffe gegen Sie persönlich?
VP: In der Kindheit. (VP trifft Ausführungen zu ihrer Kindheit, Protokollierung erfolgt mangels Verfahrensrelevanz nicht) Nachdem mein Onkel tot war hasste ich Soldaten und Polizisten.
LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?
VP: Ich werde das, was ich bisher erlebt habe, wieder erleben. Außerdem werden sie mich einsperren. Und sie werden fragen, warum ich ins Ausland gegangen bin und um Asyl angesucht habe.
LA: Bei der Polizei sagten Sie außerdem, Sie hätten keine Perspektiven in der Türkei und hätten keine Chance auf Arbeit. Können Sie mir dazu mehr erzählen?
VP: Das stimmt schon, das habe ich gesagt. Das war auch so. das alles habe ich erlebt. Wenn ich zurückkomme werde ich wieder keine Arbeit mehr finden und werde von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen, das wird gleichbleiben.
LA: Es gibt aber zB in Istanbul große kurdische Gemeinschaften. Was hätte dagegengesprochen, dorthin zu ziehen und sich dieser Gemeinschaft anzuschließen?
VP: Ich und mein Mann, wir sind beide Analphabeten, wir haben zwar die Schule besucht, aber wir können nicht richtig lesen. Istanbul wäre für uns eine Nummer zu groß gewesen. Wir wollen weder nach Istanbul noch in die Heimat. Mein Mann hat als Arbeiter so schwer gearbeitet, bevor Sie uns wieder nach Istanbul oder in die Heimat schicken, lieber sollen wir hier sterben.
LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?
VP: Ja, im Grunde genommen ja. Wir wurden immer von der Mehrheitsgesellschaft aufgrund unserer Religion ausgeschlossen.
LA: Hatten Sie außer dem bereits besprochenen Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
VP: Im Grunde genommen das, was ich erzählt habe.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen?
VP: Nachdem ich offiziell nicht Mitglied bei der Partei war, habe ich nicht unbedingt etwas erlebt. Ich habe illegal, versteckt, an Meetings und so etwas teilgenommen.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie persönliche Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem Heimatland?
VP: Nein.
LA: Wann genau haben Sie die Türkei verlassen?
VP: Ich glaube, am 17. März. 15. oder 17. März.
LA: Welche Transportmittel nutzten Sie?
VP: In einem Klein-LKW. Er war aber nicht so klein.
LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?
VP: Illegal.
LA: Wie lange dauerte die Reise insgesamt?
VP: Drei Tage.
LA: Wie viel kostete Ihre gesamte Reisebewegung?
VP: EUR 6.000,--.
LA: Warum kostete die Reise Ihres Mannes 5.000 TL, aber Ihre 6.000 Euro?
VP: Er ist ein Mann, ich bin eine arme Frau. Kann sein, dass man mich hereingelegt hat. Außerdem hatte ich zwei Kinder dabei, wir waren zu dritt.
LA: Auf welcher Route kamen Sie nach Österreich?
VP: Ich weiß es nicht. Ich habe nichts gesehen. Ich war auf der Ladefläche.
LA: Was war das Ziel Ihrer Reise?
VP: Österreich, weil mein Mann da war.
LA: Haben Sie in einem anderen Land jemals einen Asylantrag gestellt?
VP: Nein.
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