TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/3 W184 2128080-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2020
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Entscheidungsdatum

03.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W184 2128080-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2016, Zl. 1091146805/151550575, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005, §§ 52, 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 13.10.2015 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:

„I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst:

Die beschwerdeführende Partei habe bei der Einvernahme durch das Bundesamt am 04.05.2016 Folgendes ausgesagt: Er sei in XXXX im Iran geboren und habe dort vier Jahr die Schule besucht. Dann sei er gezwungen gewesen, auf Baustellen zu arbeiten. Er habe Fliesen und Steine verlegt. Im Iran habe er mit seiner Familie in einem eigenen Haus gelebt. In seiner Geburtsstadt leben noch seine Mutter und sein 22-jähriger Bruder, dieser arbeite als Vorarbeiter auf Baustellen. Die beschwerdeführende Partei gehöre der Volksgruppe der Hasara an und sei schiitischer Moslem. Er habe außerdem fünf Schwestern, vier leben im Iran und eine in Österreich. Alle seien verheiratet, haben ihre eigenen Familien und wohnen in ihren eigenen Häusern. Zwei Onkel väterlicherseits leben in Bamyan, zu diesen habe er keinen Kontakt. Seine Familie stamme aus Bamyan aus der Region XXXX . Er habe noch einen Onkel mütterlicherseits in Syrien und einen weiteren Onkel im Iran. Er stehe in Kontakt mit seiner Familie, es gehe ihnen gut. Nach dem Tod seines Vaters habe er psychische Probleme bekommen und sei im Iran zweimal beim Arzt gewesen. In Österreich haben sich seine psychischen Beschwerden etwas gebessert. In Afghanistan gebe es keine Sicherheit, dort seien die Taliban. Vor allem sei es für jemanden, der dort noch nie gelebt habe, schwer zu überleben.

Es folgten im angefochtenen Bescheid die Sachverhaltsfeststellungen, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und insbesondere die Beweiswürdigung beanstandet wurde. Die Volksgruppe der Hasara werde in Afghanistan verfolgt und auch alle Rückkehrer werden verfolgt. Die Sicherheitslage sei in ganz Afghanistan unzureichend und eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative gebe es in Afghanistan nicht.

In einer Stellungnahme vom 20.06.2017 wurden die Lage von Rückkehrern nach Afghanistan näher beleuchtet sowie Bestätigungen vom 12.01.2017, 25.04.2017, 17.05.2017 bzw. 20.05.2017 betreffend Deutschkurse vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.07.2020 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher die beschwerdeführende Partei Folgendes aussagte (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht, R = Richter, BF = beschwerdeführende Partei, BFV = Rechtsvertreterin der beschwerdeführenden Partei):

„BFV: legt ein Konvolut von Unterlagen betreffend die Integration vor, welches in Kopie der Verhandlungsschrift beigefügt wird.

R: Wie ich aus dem Akt weiß, sind Sie noch nie in Afghanistan gewesen?

BF: Das stimmt.

R: Wissen Sie, aus welchem Grund Ihre Eltern aus Afghanistan ausgereist sind?

BF: Meine Eltern haben diesbezüglich mit mir nicht gesprochen, warum sie Afghanistan verlassen mussten. Mein Vater sagte zu mir, er war schon damals im Iran gewesen, als Reza Shah regiert hat. Mein Vater hat teilweise mit mir gesprochen, dass er auf Grund von Grundstücksstreitigkeiten mit seinen Brüdern Afghanistan verlassen hat.

R: In welchem Jahr hat Ihr Vater Afghanistan verlassen?

BF: Das weiß ich leider nicht genau.

R: Welche Verwandten haben Sie in Afghanistan?

BF: Laut meinem Vater habe ich nur zwei Onkel väterlicherseits in Afghanistan. Mit denen haben wir keinen Kontakt.

R: Welche Verwandten haben Sie sonst noch in anderen Ländern, im Iran oder in Österreich?

BF: In Österreich habe ich eine Halbschwester, im Iran habe ich einen Bruder und vier Halbschwestern. Meine Mutter lebt ebenfalls im Iran. Meine Geschwister sind schon verheiratet.

R: Welchen Aufenthaltsstatus hat Ihre Schwester in Österreich?

BF: Sie ist anerkannter Flüchtling.

R: Sie haben gesagt: „Halbschwester“, haben Sie den Vater oder die Mutter gemeinsam?

BF: Wir sind von derselben Mutter, die Väter sind unterschiedlich.

R: Haben Sie mit Ihren Verwandten in Österreich und im Iran Kontakt?

BF: Ja, manchmal schon, nicht sehr oft. Mit denen im Iran bin ich selten in Kontakt, aber mit meiner Schwester in Österreich bin ich zweimal in der Woche in Kontakt.

R: Wo lebt Ihre Schwester?

BF: In XXXX , in XXXX .

R: Wo leben Sie?

BF (in gebrochenem Deutsch): Ich wohne in XXXX .

R: Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, dass Sie in Ihren Herkunftsstaat Afghanistan zurückkehren?

BF: Wenn ich nach Afghanistan zurückkehre, stehe ich völlig auf der Straße. Ich habe kein Geld, keine Arbeit, keine Ausbildung, außerdem bin ich Hazara und Schiit, und es gibt viele Probleme gegen Schiiten und Hazara.

BF (auf Deutsch): Ich kenne dort auch niemanden.

BF: Ich bin im Iran geboren, aufgewachsen und dort sozialisiert. Mein Akzent ist auch iranisch.

R: Was spricht dagegen, dass Sie in den Iran zurückkehren?

BF: Ich darf nicht in den Iran zurückkehren, ich habe keinen Aufenthaltstitel im Iran.

R: Welche gesundheitlichen Probleme haben Sie?

BF: Ich habe teilweise psychische Probleme. Ich habe diesbezüglich auch Unterlagen vorgelegt. Eine Bestätigung habe ich verloren, ich habe sie nicht gefunden. Ich kann Ihnen aber die Telefonnummer eines Arztes zur Verfügung stellen. Die Bestätigung, die verloren gegangen ist, habe ich bei der Diakonie vorgelegt.

BFV: Diese wurde offenbar an das Amt der XXXX Landesregierung weitergeleitet wegen einer Quartierverlegung, offensichtlich wurde sie nicht an das BVwG weitergeleitet. Der Name des Psychiaters ist: Dr. XXXX , Psychiater, Tel.-Nr. XXXX .

BF: Ich bin traumatisiert und habe psychische Probleme.

R: Seit wann sind Sie in Behandlung bei Dr. XXXX ?

BF: An ein genaues Datum erinnere ich mich nicht, seit circa einem Jahr bin ich bei ihm in Behandlung. Ich war sehr depressiv, es ist mir nicht gut gegangen.

R: Wo ordiniert Dr. XXXX oder ist er im Spital?

BF (auf Deutsch): In XXXX , ich weiß nicht genau die XXXX -Haltestelle.

R: In welchem Bezirk oder welcher Straße?

BF: Leider habe ich es vergessen, ich weiß, wo man hingeht.

R: Welche Therapie bekommen Sie?

BF: Gesprächstherapie. Ich habe auch Medikamente bekommen. Ich habe die Medikamente genommen, es ist mir psychisch sehr schlecht gegangen. Ich habe aufgehört, die Medikamente weiter zu nehmen.

R: Welche Medikamente haben Sie genommen?

BF: Ich weiß es nicht, wie die Medikamente geheißen haben.

R: Wann waren Sie zum letzten Mal bei Dr. XXXX ?

BF: Ich erinnere mich nicht.

R: Heuer oder voriges Jahr?

BF: Ich glaube, vor einem Jahr war es. Mir ist es psychisch nicht so gut gegangen, ich erinnere mich an das Datum nicht. Ich bin aber bei Dr. XXXX registriert, und er weiß, wann genau ich dort war.

R: Welche Krankheitssymptome haben Sie?

BF: Ich habe psychische Probleme, körperliche Schmerzen habe ich nicht. Ich bin sehr besorgt, ich bin allein. Ich bin im Stress. Teilweise zittern meine Hände.

R: Was machen Sie beruflich gegenwärtig?

BF: Momentan mache ich nichts, weil ich in einem Dorf bin und es dort keine Möglichkeiten gibt. Wenn ich eine Chance bekomme, möchte ich einen Deutschkurs besuchen.

R: Sie sind im Jahr 2017 in das Gymnasium gegangen, haben Sie dazu Zeugnisse?

BF (in gebrochenem Deutsch): Ja, ich bin im Jahr 2017 ein Jahr ins Gymnasium gegangen, dann hatte ich psychische Probleme und habe die Schule nicht weiter besucht.

R: Haben Sie ein Zeugnis, das ich noch nicht kenne, ein Schulzeugnis oder einen Schulabschluss?

BF: Diesbezüglich habe ich schon alles vorgelegt. Ich habe zwei Wochen die Schule nicht besucht, da ich Probleme hatte, danach habe ich einen Brief erhalten, dass ich nicht mehr die Schule besuchen darf.

R: Ich habe vor ein paar Wochen ein Schreiben von der Polizei bekommen, dass Ihnen die Fingerabdrücke abgenommen wurden, worum ist es da gegangen?

BF: Es ist ein Vorfall passiert. Es tut mir sehr leid, es wird nie mehr vorkommen. Ich war teilweise alkoholisiert, es ist zum Streit mit jemandem gekommen und er ist auch eigentlich mein Freund.

R: Und der Freund hat dann die Polizei gerufen?

BF: Ich weiß es nicht, wer die Polizei verständigt hat. Es war nicht absichtlich und es wird nie mehr vorkommen.

R: Was machen Sie den ganzen Tag hindurch während Ihres Aufenthalts in Österreich?

BF: Ich habe versucht, vom Internet Deutsch zu lernen. Ich habe meinem Quartiergeber Hilfe geleistet, falls er Hilfe braucht bei Gartenarbeiten und so weiter. Fahrkarten hatte ich nicht, nach XXXX konnte ich nicht fahren. Ich musste aus diesem Grund leider zu Hause bleiben, und diese Situation hat meinen psychischen Zustand negativ beeinflusst.

R: Es war von einer Quartierverlegung die Rede, wohin wollten Sie verlegt werden, nach XXXX ?

BF: Es ist nicht „verlegen“ gemeint, ich wollte damit sagen, dass ich keine Fahrkarte hatte, um meine Schwester zu besuchen.

R: wiederholt nochmals die Frage.

BF: Ich wollte nach XXXX . Ich habe dieses Schreiben bekommen, dass ich nicht mehr die Schule besuchen darf. Ich habe mich ein paar Mal bei der Diakonie gemeldet und wollte nach XXXX verlegt werden, damit ich meine Schwester regelmäßig besuchen kann. Mir wurde aber gesagt, dass ich die „weiße Karte“ habe und eine Verlegung nicht möglich ist. Mir ist es dann psychisch schlecht gegangen, deshalb musste ich auch einen Arzt besuchen. Ich habe den Arztbefund auch bei der Diakonie vorgelegt, mir wurde gesagt, dass trotzdem eine Verlegung nicht möglich ist. Mir wurde gesagt, dass ich in der Nähe von XXXX leben kann, aber ich bekomme keine Unterstützung.

R: Sie leben in einer Asylwerberunterkunft?

BF: Ja.

R: In einem Einzelzimmer oder Doppelzimmer?

BF: Ich bin allein, in einem Einzelzimmer.

R: Wie viele Asylwerber sind in dieser Unterkunft?

BF: Maximal zehn Personen.

BF (in gebrochenem Deutsch): Es gibt dort keine sportlichen Möglichkeiten. Die anderen Asylwerber können einen Deutschkurs in XXXX besuchen.

R: Wieso machen Sie keinen weiteren Deutschkurs?

BF: Die Diakonie hat mir die Möglichkeit gegeben, dass ich einen Deutschkurs in XXXX besuche, das Problem waren aber die Fahrkarten. Ich konnte es aus eigenem nicht finanzieren, und im Flüchtlingsheim hatten wir eine einzige Fahrkarte für alle, und so hat das nicht funktioniert, weil die Karte immer bei jemand anderem war.

R: In welcher Sprache findet die Therapie beim Psychiater statt?

BF: Farsi.

R: Ich verstehe nicht ganz, wenn Sie so krank sind, keine Berufstätigkeit und keine Ausbildung machen können, dass Sie nicht laufend in Behandlung sind. Sie wissen nicht einmal, wann Sie das letzte Mal beim Arzt waren.

BF: Ich bin sehr interessiert, eine Ausbildung zu machen, einen Deutschkurs zu besuchen oder den Hauptschulabschluss zu machen. Das Hauptproblem, warum das bis jetzt nicht gegangen ist, liegt darin, dass ich in einem Dorf lebe. Hätte ich die Möglichkeit bekommen, in XXXX zu leben, dann hätte ich das alles geschafft, Deutschkurs, Ausbildung, usw. Das zweite Problem ist mein psychischer Zustand.

R: Sie haben mir zu Ihren Gesundheitsproblemen ziemlich wenig vorgelegt, das Attest ist schon fast ein Jahr alt.

BF: Momentan ist mein größtes Problem, dass ich nach XXXX kommen muss, und hier kann mich meine Schwester voll unterstützen. Ich habe vor, weiter den Psychiater zu besuchen, und habe vor, Kurse zu besuchen, Ausbildungen zu machen und wieder aktiv zu werden.

Über Befragen der BFV:

BFV: Wie ist die wirtschaftliche Situation Ihrer Familie im Iran?

BF: Nicht gut.

BFV: Und Ihrer Schwester in XXXX ?

BF: Sie kann normal leben.

BFV: Waren Sie Mitglied in Vereinen oder haben Sie Sport in Österreich gemacht?

BF: Am Anfang, als ich Österreich erreicht habe, war ich sehr aktiv. Ich habe einen Kickboxclub besucht, aber wegen finanzieller Probleme musste ich aufhören.

R: Wovon lebt Ihre Schwester in Österreich?

BF: Genau weiß ich es nicht, ob von der Sozialhilfe oder einer anderen Quelle, ihr Sohn macht eine Ausbildung, aber mehr weiß ich nicht.

R: Ist Ihre Schwester berufstätig?

BF: Vielleicht arbeitet sie, aber ich weiß es nicht. Ehrenamtlich hat sie viel gearbeitet, aber was sie normal arbeitet, weiß ich nicht.

R: Ist Ihre Schwester verheiratet?

BF: Ja.

R: Was macht ihr Ehemann?

BF: Ich glaube, er besucht einen Deutschkurs A1.

BFV: Haben Sie österreichische Bekannte oder Freunde?

BF: Jetzt nicht mehr, aber als ich das Gymnasium besucht hatte, hatte ich viele österreichische Freunde.

BFV: Betätigen Sie sich ehrenamtlich oder helfen Sie jemandem in Österreich?

BF: Ich habe in XXXX ehrenamtlich gearbeitet. Ich habe im „ XXXX “ (Sozialmarkt) geholfen, d. h. gearbeitet. Es war ein Secondhand-Kleidungsgeschäft, sie haben die Kleidung an arme Menschen verteilt. Zwei oder drei Wochen habe ich dort ehrenamtlich gearbeitet, aber aus finanziellen Gründen, wegen der Fahrkarten, musste ich leider aufhören. Zur selben Zeit habe ich auch noch ehrenamtlich gearbeitet, ich weiß jetzt nicht genau, wie die Adresse war. Dort haben wir Lebensmittel verteilt, und das wurde durch eine Kirche organisiert.

BFV: Gibt es auch jemanden, dem Sie helfen in Österreich, in XXXX ?

BF: Ich habe einer Dame namens XXXX geholfen und Gartenarbeit geleistet.

BFV: Können Sie nochmals beschreiben, wie sich Ihre Depression konkret in Ihrem Alltag auswirkt?

BF: Ich habe keine Beschäftigung, ich muss zu Hause sitzen und warten. Diese Situation beeinflusst meinen psychischen Zustand.

BFV wiederholt nochmals die Frage.

BF: Wegen meines schlechten psychischen Zustandes habe ich wenig soziale Kontakte, und meine Aktivitäten sind sehr beschränkt geworden, Sport, usw. In der Vergangenheit hatte ich gute soziale Kontakte. Auf Grund dieser Krankheit ist das leider nicht mehr so, das ist für mich eine sehr schwierige Situation.

BFV: legt eine Stellungnahme zur Länderinformation vor. Es wird eine Frist zur Vorlage eines aktuellen Attestes beantragt.

R: Es wird eine Frist bis 31.07.2020 (einlangend) zur Vorlage eines Attestes gewährt.

BF: Der Grund, warum ich gegenwärtig meinen Psychiater nicht mehr besucht habe, ist ein finanzieller, ich habe kein Geld für die Fahrkarten und deswegen wollte ich nach XXXX verlegt werden.“

Die beschwerdeführende Partei legte in der Verhandlung folgende Unterlagen vor: ein ÖSD-Zertifikat A1 vom 23.05.2017; vier Teilnahmebestätigungen vom 17.05.2017, 20.05.2017, 14.06.2017 bzw. 21.06.2017 zu Deutschkursen; eine Bestätigung vom 06.09.2017 über den Besuch eines Oberstufenrealgymnasiums; ein Zeugnis des Oberstufenrealgymnasiums vom 02.02.2018 betreffend Sprachstartgruppe Deutsch Niveau A2; ein ÖSD-Zertifikat A2 vom 08.02.2018; eine Teilnahmebestätigung vom 02.07.2018 zu einer Informationsveranstaltung des ÖIF; eine Teilnahmebestätigung vom 14.08.2018 zu einem Werte- und Orientierungskurs; ein Attest einer Allgemeinmedizinerin vom 26.08.2019, worin aus Anlass eines gewünschten Wechsels des Asylwerberquartiers „bestätigt“ wird, dass die beschwerdeführende Partei „unter Depression und Panikzuständen leidet“ und psychiatrisch behandelt werden solle, er leide unter Einsamkeit und wünsche einen Wohnortswechsel zu seiner Schwester nach XXXX , wo er Deutsch lernen, einer Arbeit nachgehen und von einem iranischen Psychiater behandelt werden wolle; sowie eine Stellungnahme zu den Länderinformationen betreffend Afghanistan, wonach wegen der Covid-19-Pandemie eine Rückkehr nicht zumutbar sei.

Schließlich wurde ein ärztlicher Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie Dr. XXXX vom 20.07.2020 mit folgendem Inhalt vorgelegt: „Diagnosen: mittelschwere depressive Episode, Verdacht auf atypische Angsterkrankung, Differenzialdiagnose psychotische Ängste. Medikation: Pram 20 mg 1-0-0. Herr XXXX kam heute ohne Termin unerwartet zu seinem zweiten Termin insgesamt zu mir. Er schildert vor allem Ängste, welche wahnhafter Natur sein könnten oder aus einer schweren Angsterkrankung resultieren könnten. Dazu kommt eine deutliche depressive Symptomatik mit einer gedrückt freudlosen Stimmungslage und reduziertem Antrieb. In Summe benötigt Herr XXXX künftig regelmäßige psychiatrische Termine sowie eine hochfrequente Psychotherapie als auch möglichst stressfreie psychozoziale Bedingungen. Ein Abschub würde zu einer weiteren Destabilisierung seines Zustandes führen, der ohnehin gegenwärtig noch etwas ungeklärt und instabil ist.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person und den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:

Die beschwerdeführende Partei ist Staatsbürger Afghanistans und gehört der Volksgruppe der Hasara und der schiitischen Glaubensrichtung an. Seine Muttersprache ist Dari. Er war noch nie in Afghanistan, sondern lebte in der Stadt XXXX im Iran, wo er geboren wurde und zusammen mit seiner Familie, die aus der Provinz Bamyan, Distrikt XXXX , stammt, aufwuchs und nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur erzogen wurde. Er besuchte vier Jahre die Schule und anschließend verlegte er auf Baustellen Fliesen und Steine.

Der beschwerdeführenden Partei droht im Herkunftsstaat keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Bedrohung in Afghanistan durch Verwandte wegen eines Grundstücksstreites und durch andere Landsleute wegen seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit als schiitischer Hasara kann mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Zur Rückkehrsituation der beschwerdeführenden Partei wird Folgendes festgestellt:

Der beschwerdeführenden Partei droht im Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung. Insbesondere ist im Herkunftsstaat in mehreren Landesteilen die Sicherheitslage ausreichend und die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet, z. B. in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Scharif, sodass es der beschwerdeführenden Partei möglich ist, beispielweise in einer dieser Städte Fuß zu fassen und dort, allenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten, ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Die beschwerdeführende Partei ist 23 Jahre alt und arbeitsfähig, sodass er im Herkunftsstaat zumindest durch einfache Arbeit das nötige Einkommen erzielen könnte, um sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Er absolvierte eine Schulausbildung und arbeitete auch bereits auf Baustellen als Fliesenleger.

In gesundheitlicher Hinsicht leidet die beschwerdeführende Partei an folgenden Krankheitssymptomen: Er ist sehr besorgt, er ist allein, er ist im Stress, und teilweise zittern seine Hände. Eine laufende Krankenbehandlung, etwa eine medikamentöse oder sonstige Therapie, nahm die beschwerdeführende Partei nicht in Anspruch.

Die beschwerdeführende Partei hat mehrere nahe Angehörige, die ihn unterstützen können, nämlich im Iran einen Bruder, der als Vorarbeiter auf Baustellen arbeitet, und vier Halbschwestern sowie in Österreich eine Halbschwester. Zwei Onkel leben in der Herkunfstprovinz Bamyan, ein Onkel in Syrien und ein weiterer im Iran.

Zum Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:

Die beschwerdeführende Partei reiste im Oktober 2015 im Alter von 18 Jahren illegal nach Österreich ein und hält sich seither knapp fünf Jahre aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber im Bundesgebiet auf.

Die beschwerdeführende Partei hat in Österreich kein Familienleben, sondern nur ein Privatleben, er ist ledig und kinderlos. Er besuchte im Jahr 2017 vier Deutschkurse und erwarb am 23.05.2017 ein ÖSD-Zertifikat A1; nach einem weitern Deutschkurs erwarb er auch ein ÖSD-Zertifikat A2 vom 08.02.2018; außerdem nahm er im Jahr 2018 an einer Informationsveranstaltung des ÖIF und an einem Werte- und Orientierungskurs teil. In den letzten zwei Jahren setzte die beschwerdeführende Partei ihre Integrationsbestrebungen nicht mehr fort. Die beschwerdeführende Partei stand in Österreich noch nicht in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis und ist nicht selbsterhaltungsfähig, sondern bezieht laufend die Grundversorgung. Die beschwerdeführende Partei ist strafrechtlich unbescholten.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Zur Lage im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

„Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015), und die Provinzvorsteher sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch wahlbezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in der Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht, und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als „Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019) …;

AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (15.4.2019): Afghanistan: Innenpolitik …;

AAN – Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan’s 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga …;

AAN – Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan‘s Paradoxical Political Party System: A new AAN report …;

AAN – Afghanistan Analysts Network (13.2.2015): The President‘s CEO Decree: Managing rather thean executive powers (now with full translation of the document) …;

AM – Asia Maior (2015): Afghanistan 2015: the national unity government at work: reforms, war, and the search for stability …;

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Bundesrepublik Deutschland, Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration (6.5.2019): Briefing Notes 06. Mai 2019 …;

BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (7.2016): Dossier der Staatendokumentation, AfPak – Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur …;

BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (3.2014): Afghanistan; 2014 and beyond …;

Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, Ricerca elaborata e discussa nell’ambito del Dottorato di ricerca in Sistema Giuridico Romanistico - Unificazione del Diritto – Università degli studi di Tor Vergata – Roma, Facoltà di Giurisprudenza …;

CIA – Central Intelligence Agency (24.5.2019): The World Factbook – Afghanistan …;

CNA – Channel News Asia (19.1.2019): Former Afghan warlord Hekmatyar enters presidential race …;

CR – Conciliation Ressources (2018): Incremental Peace in Afghanistan - Chronology of major political events in contemporary Afghanistan …;

CSO – Central Statistics Organization (2019): Afghanistan Population Estimates for the year 1398 (2019-20) …;

DOA – Daily Outlook Afghanistan (17.3.2019): Challenges of Political Parties in Afghanistan …;

DP – Presse, die (28.1.2019): Afghanistan vor dramatischer Wende …;

DP – Presse, die (16.6.2018): Afghanistan verlängert Waffenstillstand mit den Taliban …;

DW – Deutsche Welle (30.9.2014): Understanding Afghanistan‘s Chief Executive Officer …;

DZ – Die Zeit (8.9.2019): Donald Trump bricht Friedensgespräche mit den Taliban ab …;

DZ – Die Zeit (23.8.2019): USA-Taliban-Gespräche in Katar wieder aufgenommen …;

DZ – Die Zeit (21.4.2019): USA-Taliban-Gespräche in Katar wieder aufgenommen …;

EC – Economist, the (18.5.2019): Why Afghanistan’s government is losing the war with the Taliban …;

FA – Frankfurter Allgemeine (23.8.2019): USA-Taliban-Gespräche in Katar wieder aufgenommen …;

HE – Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident? …;

MS – Messaggero, il (28.1.2019): Afghanistan, fonti Difesa: “Entro un anno via truppe italiane”. Moavero: “Apprendo ora”. Lega: “Nessuna decisione” …;

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NYT – The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism? …;

NYT – The New York Times (28.1.2019): U.S. and Taliban Agree in Principle to Peace Framework, Envoy Says …;

NZZ – Neue Zürcher Zeitung (12.8.2019): USA und Taliban beenden ihre Gesprächsrunde in Doha …;

NZZ – Neue Zürcher Zeitung (27.1.2019): Amerika und die Taliban kommen sich näher …;

REU – Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources …;

RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (20.10.2019): Afghan Presidential Election Results Announcement Delayed …;

RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (29.5.2019): Afghanistan Postpones Two Local Elections …;

RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (6.12.2018): Afghan Commission Invalidates All Kabul Votes In October Parliamentary Election …;

TN - Tolonews (31.5.2019): Taliban Wants An ‚Inclusive Post-Peace Govt‘ …;

TN - Tolonews (19.5.2019): IEC Finalizes Presidential Elections Timeline …;

TN - Tolonews (12.12.2018): IEC Resumes Recounting Of Kabul Votes Under New Method …;

USDOS – United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan …;

USDOS – United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report for 2017 – Afghanistan …;

USIP – United States Institute of Peace (11.2013): Special Report 338: 2014 Presidential and Provincial Council Elections in Afghanistan …;

WP – The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out of U.S.-Taliban peace talks, running short on options …

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen als auch regierungsfeindliche Elemente bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte, die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren, und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran, ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich es keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registrierten die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevante Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierten die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert, wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen, ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433 …

Von Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe sowie Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018) als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten sowie religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: Bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34%, verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurde, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich, Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte, zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten „Geldbußen“ und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018 wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch wahlbedingte Gewalt, die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019).

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016), der Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sei Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afgh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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