Entscheidungsdatum
27.08.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W105 2225040-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Harald BENDA über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2019, Zl. 1233235703/190578799/BMI-BFA_KNT_AST_01, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin (BF) stellte am 07.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Bei der am 07.06.2019 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab die BF an, dem Clan der Madhiban anzugehören und aus Mogadischu zu stammen. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe führte sie aus, dass sie sich in ihrer Heimat in einen Jungen verliebt hätte, der einem höheren Clan angehört habe. Sie selbst gehöre einer Minderheit an. Seine Familie habe sie nicht akzeptiert und mit dem Umbringen bedroht. Er habe sie seiner Familie vorgestellt und hätte diese wissen wollen, welchem Clan sie angehöre. Als sie gesagt habe, dass sie dem Clan Madhiban angehöre, habe die Familie ihres Freundes sie aufgefordert, sich von ihm fernzuhalten. Weil er sie so geliebt hätte, hätten sie sich weiter getroffen. Seine Familie habe sie töten wollen. Deshalb sei sie aus Somalia geflüchtet.
1.3. Am 18.09.2019 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme der BF vor dem BFA. Zu ihren Lebensumständen brachte die BF vor, sie gehöre dem Clan der Madhiban an. Die BF habe keinen Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen in Somalia. Ihr Vater sei verstorben, ihre Mutter habe die Familie verlassen und wüsste sie nicht, wo diese sich befinde und ihr Bruder sei ebenso verstorben. Ihr Onkel sei festgenommen worden und habe sie zu diesem auch keinen Kontakt. Sie sei als kleines Kind mit ihren Eltern in den Jemen gezogen und wäre sie erst als Erwachsene nach Somalia zurückgekehrt, wo sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan mit Diskriminierung konfrontiert gewesen sei. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe führte die BF näher aus, dass sie sich in einen Mann verliebt habe, der zum Clan der Abgaal gehört habe. Ihr Freund habe ein Drogerie-Geschäft gehabt, in welchem sie erstmals dessen Bruder gesehen habe. Dieser habe sie, nachdem er von ihr gehört habe, welchem Clan sie angehöre, aufgefordert, sich von ihrem Freund fernzuhalten. Ihr Freund habe ihr immer wieder gesagt, dass alles nicht so schlimm wäre. Eines Abends hätte der Bruder ihres Freundes sie, als sie mit ihrem Freund gemeinsam in einem Lokal gewesen wäre, erschießen wollen, er habe jedoch den Kellner mit der Pistole tödlich getroffen. Sie habe daraufhin im Schock das Restaurant verlassen und ab diesem Zeitpunkt große Angst gehabt. Ihr Freund habe ihr dann vorgeschlagen, dass sie gemeinsam flüchten. Er habe jedoch während der Flucht in der Türkei die Information erhalten, dass seine Mutter sehr krank geworden wäre und wäre er daraufhin nach Somalia zurückgekehrt. Sie habe dann von ihm nichts mehr gehört, habe sich einer Gruppe somalischer Frauen angeschlossen und wäre weitergereist.
1.4. Mit schriftlicher Stellungnahme vom 26.09.2019 verwies die BF ergänzend auf die Länderberichte Somalias. Danach sei die Menschenrechtssituation vor allem für Frauen besonders prekär. Eine innerstaatliche Fluchtalternative insbesondere in Mogadischu scheide aus. Der Clan der Madhiban, welchem sie angehöre, leide an gravierenden Diskriminierungen und seien Angehörige dieses Clans überproportional Opfer von Tötungen, Folter, Vergewaltigung und Entführungen. Viele dieser Minderheiten würden in schwerer Armut leben und werde die Menschenrechtssituation der Madhiban als prekär angesehen. Eine Rückkehr könne der BF daher keinesfalls zugemutet werden.
1.5. Mit Bescheid vom 30.09.2019, Zl. 1233235703/190578799/BMI-BFA_KNT_AST_01, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) den Antrag der BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Die Abweisung des Asylantrages wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Fluchtvorbringen der BF keine Glaubwürdigkeit zukomme (vgl. AS 248 f.). Die Sicherheitslage für Frauen in Somalia sei jedoch prekär. Es drohe ihr daher eine reale Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. AS 252 f.).
1.6 Gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 30.09.2019 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Die Beweiswürdigung entspräche nicht höchstgerichtlichen Vorgaben. Die belangte Behörde habe es verabsäumt, die Gefahren ausreichend zu ermitteln, mit welchen sich junge, einem Minderheitenclan zugehörige alleinstehende Frauen in Somalia konfrontiert sehen würden.
1.7. Die Beschwerdevorlage langte am 04.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde in Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
Hinsichtlich des Verfahrensinhaltes sowie des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin
Die BF, deren präzise Identität nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ist eine weibliche, volljährige somalische Staatsangehörige. Die BF verließ im Oktober 2018 ihren Herkunftsstaat und kam im Juni 2019 nach Österreich, wo sie am 07.06.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die BF gehört zum Minderheitenclan der Madhiban. Sie ist strafgerichtlich unbescholten. Die BF besitzt keine Schulausbildung.
1.2. Zu den Lebensumständen bzw. familiären Verhältnissen im Herkunftsland
Die BF hat keine Familienangehörigen, mit denen aktuell Kontakt besteht, oder konkrete Bezugspersonen in Somalia. Die BF hat somit kein verlässliches stabiles familiäres Netzwerk in Somalia, das ihr ausreichenden Schutz bieten würde. Es steht ihr auch kein Schutz durch männliche Verwandte, auf staatlicher Seite oder durch schutzfähigen Clan zur Verfügung. Die BF läuft somit Gefahr, im Falle einer Rückkehr in ein entsprechendes IDP-Lager gehen zu müssen. Die BF gehört in Somalia der Gruppe der alleinstehenden Frauen an, denen geschlechtsspezifische Gewalt droht. Eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr ist damit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Somalia gegeben.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Frauen in Somalia
Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.12.2015).
Gewalt gegen Frauen - insbesondere sexuelle Gewalt - ist laut Berichten der UNO und internationaler NGOs in der gesamten Region weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015; USDOS 13.4.2016). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten, Milizionäre (HRW 27.1.2016; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016), Polizisten und Mitglieder der al Shabaab (UNHRC 28.10.2015).
Ohne Netzwerk oder den Schutz durch Clans, sind Minderheiten und Frauen stark gefährdet (ACCORD 25.01.2016). IDPs, die einem Minderheitenclan angehören, sind doppelt benachteiligt. Da sie oftmals nicht auf verwertbare Clanverbindungen oder auf den Schutz eines Clans zurückgreifen können, sind sie Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 03.03.2017). Hinsichtlich Personen, die neu nach Mogadischu kommen, ist die Verfügbarkeit traditioneller Schutzmechanismen, die Unterstützungsmöglichkeit durch die Familie oder den Clan, die Verfügubarkeit grundlegender Infrastruktur und der Zugang zu lebenswichtigten Diensten, die Verfügubarkeit von Einkommensmöglichkeiten bzw. die Möglichkeit zum Brotwererb und der Zugang zu Unterkunft ausschlaggebend dafür, ob diese in IDP Lagern Zuflucht finden müssen.
Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 13.4.2016). Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht aber weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (UKHO 3.2.2015; vgl. AA 1.12.2015; ÖB 10.2015; USDOS 13.4.2016). Bei der Strafjustiz herrscht Unfähigkeit (UNHRC 28.10.2015). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen selbst zu tätigen (Suche nach Zeugen, Lokalisierung von Schuldigen) (USDOS 13.4.2016; vgl. UKHO 3.2.2015). Die Regierung tut wenig, um sich des Problems der sexuellen Gewalt anzunehmen (ICG 27.6.2019, S.3). Bestehende Gesetze werden nicht effektiv durchgesetzt (USDOS 13.3.2019, S.29). Es gibt de facto keinen Rechtsschutz gegen Vergewaltigung (FIS 5.10.2018, S.32). Generell herrscht Straflosigkeit (USDOS 13.3.2019, S.29; vgl. TE 11.3.2019), Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind rar (AA 4.3.2019, S.14). Dabei werden Vergewaltigungen ohnehin nur selten der formellen Justiz zugeführt (USDOS 13.3.2019, S.29), denn sexuelle Gewalt ist ein Tabu-Thema, weswegen viele Opfer nicht darüber sprechen (DI 6.2019, S.9). Außerdem leiden Vergewaltigungsopfer an Stigmatisierung (USDOS 13.3.2019, S.29; vgl. FIS 5.10.2018, S.33). Meldet eine Person sexuelle Gewalt, dann ist es wahrscheinlicher, dass diese Person wegen Verleumdung verhaftet wird, als dass der eigentliche Täter belangt wird (NLMBZ 3.2019, S.45). Opfer, die sich an Behörden wenden, werden oft angefeindet; in manchen Fällen sogar getötet (TE 11.3.2019). Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 13.3.2019, S.29).
Zwangsehen sind weit verbreitet (ÖB 10.2015). Zwangsehen durch Al Shabaab kommen in der Regel nur dort vor, wo die Gruppe die Kontrolle hat (C 18.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016; UKHO 3.2.2015; DIS 9.2015). Dort sind Frauen und Mädchen einem ernsten Risiko ausgesetzt, von Al Shabaab entführt, vergewaltigt und zu einer Ehe gezwungen zu werden (UKHO 3.2.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Eine Verweigerung kann für das Mädchen oder ihre Familie den Tod bedeuten (DIS 9.2015; vgl. NOAS 4.2014). Aus Städten unter Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee gibt es keine Berichte hinsichtlich Zwangsehen mit Kämpfern der Al Shabaab; wohl aber gibt es Berichte über diesbezügliche Drohungen via SMS (DIS 9.2015). Hingegen zwingen auch Angehörige bewaffneter Milizen und Clanmilizen Mädchen zur Eheschließung (UNHRC 28.10.2015).
Für alleinstehende Frauen und Alleinerzieherinnen ohne männlichen Schutz - vor allem für Minderheitenangehörige - ist eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben. Dies gilt in Anbetracht der Umstände, dass weder relevante Unterstützungsnetzwerke noch eine Aussicht auf einen ausreichenden Lebensunterhalt gegeben sind (UKHO 3.2.2015).
Es mangelt den IDPs an Schutz (UNHRC 28.10.2015). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen (USDOS 13.4.2016). So sehen sich IDPs der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (UNHRC 28.10.2015). In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich (HRW 27.1.2016). Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu, im Afgooye-Korridor, in Bossaso, Galkacyo und Hargeysa (USDOS 13.4.2016).
Die Aufnahmekapazität der Zufluchtsgebiete ist begrenzt (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015), und die Situation angesichts der mehr als einer Million IDPs sowie durch die Rückkehrer bzw. Flüchtlinge aus dem Jemen sehr angespannt. IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen (NLMBZ 11.2017). Laut UNOCHA gelten IDPs als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet (ÖB 9.2016). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei (USDOS 3.3.2017). In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer – darunter Regierungssoldaten und Miliziönäre – verantwortlich (HRW 12.1.2017) Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 3.3.2017).
IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt (HRW 27.1.2016). Viele IDPs leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (UNHRC 28.10.2015).
Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge
Die somalische Regierung und Somaliland arbeiten mit dem UNHCR und IOM zusammen, um IDPs, Flüchtlinge, Rückkehrer und Asylwerber zu unterstützen (USDOS 13.3.2019, S.21). Die Bundesregierung und einige Bundesstaaten zeigen ihre Willigkeit, Verantwortung für IDPs zu übernehmen, und es wurden einige Gesetze erlassen, um ihren Schutz zu verbessern. Allerdings gibt es noch signifikante Lücken. Zumindest Somaliland und Puntland haben eigene Policies für IDPs (OXFAM 6.2018, S.5). UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 13.3.2019, S.22f). IDP-Zahlen: Schon vor dem Jahr 2016 gab es – v.a. in Süd-/Zentralsomalia – mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, S.5). Gewalt, Unsicherheit und unberechenbares Wetter sorgen auch weiterhin für neue Vertreibung von Zivilisten. Die Zahl an IDPs beträgt 2,6 Millionen. Viele davon leben unter schwierigen Umständen, sind sehr vulnerabel und auf Unterstützung und Schutz angewiesen (UNSC 15.5.2019, Abs.68). Viele der im Jahr 2018 neu Vertriebenen sind zwar auf Unsicherheit zurückzuführen; ebenso viele mussten ihre Heimat aber wegen Dürre und/oder Überschwemmungen verlassen (NLMBZ 3.2019, S.49). In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 sind ca. 248.000 Menschen durch Dürre und Konflikte vertrieben worden (NRC 10.9.2019). Mit Stand Juni 2018 gab es in Somalia 1.843 IDP-Lager und -Siedlungen, knapp die Hälfte davon in der Region Benadir/Mogadischu. Fast 80% dieser Lager und Siedlungen sind spontan und ungeplant errichtet worden (CCCM 26.6.2018). Rechtswidrige Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem (AA 4.3.2019, S.19; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.69). Im Jahr 2018 waren 314.000 IDPs von Zwangsräumungen betroffen, 2017 waren es 200.000 gewesen (UNSC 15.5.2019, Abs.69). In den ersten acht Monaten 2019 waren davon 134.000 Menschen betroffen, davon 108.000 in Mogadischu (NRC 10.9.2019). Viele weitere Delogierungen wurden aus Baidoa gemeldet (UNSC 21.12.2018, S.14). Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke von Mogadischu, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt, und sie unter äußerst schlechten Bedingungen leben (AA 4.3.2019, S.19). Im Zuge von Zwangsräumungen kommt es mitunter auch zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung. Bei einer Räumung im Bereich Sinka Dheere in Mogadischu starben im Juli 2018 drei Personen, nachdem Sicherheitskräfte auf Demonstranten das Feuer eröffnet hatten (SEMG 9.11.2018, S.41). Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So werden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haushalte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt. Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs werden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019).
Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkungen und Diskriminierung aufgrund von Clan-Zugehörigkeiten sind an der Tagesordnung (AA 4.3.2019, S.19); es kommt auch zu willkürlichen Tötungen, Vertreibungen und sexueller Gewalt (HRW 17.1.2019). Vergewaltigungen in IDP-Camps kommen häufig vor (FIS 5.10.2018, S.32). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung und sexueller Gewalt besonders gefährdet (USDOS 13.3.2019, S.22/29; vgl. HRW 17.1.2019), 80% der gemeldeten Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs (NLMBZ 3.2019, S.44). Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer – darunter Regierungssoldaten und Milizionäre – und Zivilisten (HRW 17.1.2019). Andererseits stellen IDP-Lager für al Shabaab kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24/54). Dafür flüchteten im Juli 2019 einige hundert IDPs aus Galmudug, da sie dort als angebliche Kollaborateure von al Shabaab angefeindet und angegriffen wurden (UNOCHA 31.7.2019, S.3).
Versorgung: Gerade auch für IDPs hat eine Dürre schlimme Konsequenzen (UNOCHA 31.7.2019, S.1). Hier steigt die Rate akuter schwerer Unterernährung bei Kindern schnell (UNOCHA 31.5.2019, S.2). [Siehe dazu Abschnitt 21.2]
Unterstützung: Die EU unterstützt über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür werden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt (EEAS 17.1.2018). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können. Insgesamt hat die EU mit ähnlichen Programmen bisher 60.000 Menschen helfen können (EC 13.7.2019). Auch die UN beteiligt sich an diesbezüglichen Programmen, um für IDPs langfristige Lösungen herbeizuführen (UNDP o.D.).
Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen, wie die ursprünglichen Einwohner (LIFOS 9.4.2019, S.9).
Flüchtlinge: Somalia ist ein äußerst unattraktives Zufluchtsland für Asylsuchende. Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt und beschränkte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf ethnische Somali aus dem äthiopischen Somali Regional State. Seit Beginn des Konflikts im Jemen sind mehr als 6.500 Flüchtlinge aus dem Jemen in Somalia angekommen (AA 4.3.2019, S.19). Somalia beherbergt nur eine relativ kleine Zahl an Flüchtlingen. Diese stammen v.a. aus dem Jemen, Äthiopien und Eritrea. Wirtschaftsmigranten passieren Somalia auf dem Weg zum Arabischen Golf (USDOS 13.3.2019, S.21). Im Juni 2019 befanden sich 34.558 registrierte Asylwerber und Flüchtlinge in Somalia. Mehr als die Hälfte davon befinden sich in Somaliland, nahezu alle anderen in Puntland und Mogadischu. Fast alle stammen aus Äthiopien und dem Jemen (UNHCR 30.6.2019a). Der UNHCR betreibt ein Unterstützungs- und Integrationsprogramm zur möglichst schnellen Eingliederung von Flüchtlingen in das öffentliche Leben (AA 4.3.2019, S.19).
Wirtschaft und Arbeit
Generell erholt sich die somalische Wirtschaft weiterhin von der Dürre der Jahre 2016 und 2017. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 2,3% (UNSC 21.12.2018, S.4), 2018 bei ca. 2,8% (UNSC 15.8.2019, Abs.22) und wird vom Internationalen Währungsfonds für 2019 und 2020 auf jeweils 3,5% prognostiziert. Das Wachstum hat sich also erholt, die Inflation wurde gebremst und das Handelsdefizit reduziert. Zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben gute Regenfälle und wachsende Remissen (BLO 27.2.2019), die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen und von Geldflüssen aus Geberländern (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist also die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia (v.a. Mogadischu und die Hauptstädte der Bundesstaaten) zu investieren (BS 2018, S.5). Auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei das Land wiederaufzubauen (ÖB 9.2016, S.23). Allerdings hat sich das BIP pro Kopf seit 2013 von 316 US-Dollar auf 313 US-Dollar verringert, da die Bevölkerung schneller wächst als das BIP (UNSC 15.8.2019, Abs.22; vgl. UNSC 21.12.2018, S.4). Das Wirtschaftswachstum ist für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern würde (UNSC 21.12.2018, S.4). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 13.3.2019, S.21). Folglich gehört Somalia auch weiterhin zu den ärmsten Ländern der Erde. Bei den gängigen Indikatoren zur Messung der wirtschaftlichen Entwicklung (BSP, Lebenserwartung, Mütter- und Kindersterblichkeit) liegt Somalia zumeist auf den letzten Plätzen. In Puntland ist die Situation besser (AA 5.3.2019a). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 9.2016, S.2).
Staatshaushalt: Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen; ca. 46% der Staatsausgaben entfallen auf die nationale Sicherheit (BS 2018, S.36). Die staatlichen Steuereinnahmen nehmen zu, die Finanzverwaltung wird besser und das Vertrauen der Wirtschaft wächst (SRSG 13.9.2018, S.2; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5). Durch Verbesserungen bei der Finanzgebarung hat Somalia nunmehr das Potenzial, einen weiter positiven makroökonomischen Kurs einzuhalten und Raum für Investitionen über konzessionäre Darlehen zu schaffen (AA 5.3.2019a). Das Budget für 2019 wird mit 340 Mio. US-Dollar. veranschlagt, im Jahr 2018 waren es ca. 277 Mio. 56% des Budgets stammen aus eigenen Einnahmen, 44% werden von Gebern beigesteuert (UNSC 21.12.2018, S.5).
Arbeit / Lebensunterhalt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen (USDOS 13.3.2019, S. 37). Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar (ÖB 9.2016, S.18), auch wenn in Puntland und Teilen Südsomalias – insbesondere Mogadischu – der tertiäre Bildungsbereich boomt (BS 2018, S.32). Der Wirtschaft ist es nicht gelungen, ausreichend Beschäftigung zu schaffen – v.a. für Frauen und Junge (UNSC 21.12.2018, S.47). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund ab (BS 2018, S.30). Aufgrund des Fehlens eines formellen Banksystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clan-Verbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greissler anschreiben lassen (RVI 9.2018, S.4). Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2018, S.26). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, S.2; vgl. OXFAM 6.2018, S.4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (UNFPA 8.2016b). Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: Auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2% der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30%). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel – v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, S.10). NGOs und der Privatsektor bieten den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, S.4). Von in der Reintegrationsphase befindlichen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab wurden im September 2017 folgende Berufe genannt: Köhler; Hilfsarbeiter am Bau in Dayniile (10 Tage pro Monat; 10 US-Dollar pro Tag); Koranlehrer am Vormittag in Dayniile (120 US-Dollar pro Monat); Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre (10-12 US-Dollar pro Tag); Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, S.30). Ärzte verdienen im Banadir Hospital 1.500-2.000 US-Dollar, Krankenschwestern 400-600 US-Dollar (FIS 5.10.2018, S.36). Generell hat die verbesserte Sicherheitslage in den Städten zu einem Bau-Boom geführt (OXFAM 6.2018, S.4). Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. So berichten Personen, die aus Kenia in Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 13.3.2019, S.22f). Eine Arbeit zu finden ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Auch Unternehmensgründer sind auf den Clan angewiesen. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz (FIS 5.10.2018, S.22). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, S.22f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, S.10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, S.22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, S.10).
Arbeitslose: Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose keinerlei Unterstützung (LI 1.4.2016, S.11). In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt zu werden (IOM 2.2016, S.42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, S.5/32f; vgl. GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z.B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.9/32ff).
Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 13.3.2019, S.23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58%, bei Frauen bei 37% (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58% der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016a, S.4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2016 mit 6,6% angeführt (BS 2018, S.25). Wieder eine andere Quelle nennt für 2012 eine Jugendarbeitslosigkeit von 67% bei 14-29jährigen (DI 6.2019, S.22). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24jährigen eine Quote von 48% (OXFAM 6.2018, S.22FN8). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).
In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schüler/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 8.2016b):
•Ländlich: 68,8% der Männer - 40,5% der Frauen
•Urban:52,6% der Männer - 24,6% der Frauen
•IDP-Lager:55,2% der Männer - 32,6% der Frauen
•Nomaden:78,9% der Männer - 55,6% der Frauen (UNFPA 8.2016b)
Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4% der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4% gelten als Arbeitssuchende. 44,2% der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 8.2016, S.29):
Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, S.10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, S.22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43% der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, S.10). Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z.B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80%-90% des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, S.24f). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, S.10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, S.24f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). All diese Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, S.10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z.B. können sie nicht Taxifahrer werden (FIS 5.10.2018, S.24f).
Remissen: Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 5.10.2018, S.22). Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,2 (DI 6.2019, S.5), nach anderen Angaben 1,3 (UNSC 15.5.2019, Abs.20) bzw. 1,4 Milliarden US-Dollar in die Heimat (RVI 9.2018, S.1). Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2018, S.30) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, S.5). Nach einer Angabe empfangen nur 15% der Haushalte Remissen (UNSC 15.5.2019, Abs.20), nach einer anderen Angabe erhalten 40% der Bevölkerung Überweisungen. Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72%. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, S.1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, S.28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v.a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, S.2). Mindestens 65% der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise – etwa jener von 2017 – wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, S.2f). UN-HABITAT führt ein Ausbildungsprogramm für Jugendliche in Somalia, namentlich in Kismayo, Garoowe und Mogadischu durch. 400 jungen Frauen und Männern der Altersgruppe 15-35 sollen Kenntnisse im Bauwesen, Wirtschaft, Gründertum und Soft Skills vermittelt werden (UNHABITAT 16.8.2018). Auch der Bürgermeister von Mogadischu hat im Feber 2019 ein Projekt gestartet, bei welchem 400 Jugendliche aus Mogadischu, Baidoa und Kismayo eine Berufsausbildung erhalten sollen. Das Projekt wird von UNDP finanziert (AMISOM 28.2.2019).
Grundversorgung / Humanitäre Lage
Die humanitäre Krise in Somalia bleibt eine der komplexesten und am längsten dauernden weltweit (SRSG 3.1.2019, S.4f). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet (AA 5.3.2019a; vgl. AA 4.3.2019, S.20). Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 4.3.2019, S.4; vgl. AA 5.3.2019a). Auch der bewaffnete Konflikt trägt seinen Teil dazu bei (SRSG 3.1.2019, S.4f).
Armut: Große Teile der Bevölkerung sind hinsichtlich Armut und Nahrungsversorgung vulnerabel. Eine Schätzung besagt, dass rund 77% der Bevölkerung mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen müssen und daher als extrem arm gelten – insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern (UNSC 15.5.2019, Abs.20). Nach anderen Angaben leben 69% der Bevölkerung in Armut (USDOS 13.3.2019, S.37), fast einer von drei Somalis lebt in extremer Armut. Dabei finden sich die höchsten Raten bei IDPs, in ländlichen Gemeinden und bei Nomaden (UNSC 21.12.2018, S.4). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 13.3.2019, S.32). Die ländliche Bevölkerung und IDPs befinden sich in der am meisten vulnerablen Position. Erstere verfügen kaum über Mittel, um die durch die Dürre entstandenen Verluste wieder wettzumachen. Dadurch sind sie hinsichtlich neuerlicher Katastrophen wehrlos (UNSC 21.12.2018, S.14).
Hintergrund: 60% der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23% sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, S.4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019). Zusätzlich verstärken Mangel an Bildung, übermäßige Abhängigkeit von einem Einkommen aus der Landwirtschaft, Arbeitslosigkeit, geringes Vermögen und eine große Personenzahl im Haushalt die Vulnerabilität im Fall eines Katastrophen (z.B. Naturkatastrophe) (UNSC 15.5.2019, Abs.20). Bereits 2016/17 wurden im Zuge der Dürre fast eine Millionen Somali vertrieben. Nur aufgrund großangelegter und erfolgreicher humanitärer Hilfe wurde eine Hungersnot verhindert (SLS 12.7.2019; vgl. SRSG 13.9.2018, S.1). Zwischenzeitlich hatte sich die humanitäre Situation aufgrund guter Regenfälle im Jahr 2018 etwas entspannt (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.49). Die Sicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung hatte sich verbessert (UNSC 21.12.2018, S.14; vgl. USDOS 13.3.2019, S.22) – nicht zuletzt aufgrund fortgesetzter humanitärer Hilfe und aufgrund überdurchschnittlicher Regenfälle (USDOS 13.3.2019, S.22). Trotzdem blieb auch dann die Zahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen bei 4,2 Millionen (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.14).
Aktuelle Lage: Somalia steht wieder vor einem großen humanitären Notfall. Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen (SLS 12.7.2019; vgl. UNOCHA 31.7.2019, S.1). Das Land leidet unter den negativen Folgen unterdurchschnittlicher Regenfälle in der Gu-Regenzeit (April-Juni) 2019 (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Letztere hat sehr spät eingesetzt. Der gefallene Regen hat die Dürre-Bedingungen zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs etwas verbessert; trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Am Ende ist die Gu zwar normal oder fast normal ausgefallen; doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Außerdem kam er um ein Monat später als normal (FAO 19.7.2019, S.1). Bereits zuvor war die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) 2018 schlecht ausgefallen und Anfang 2019 war ungewöhnlich trocken. Mit Ausnahme der Gu im Jahr 2018 ist seit Ende 2015 jede Regenzeit unterdurchschnittlich ausgefallen (UNSC 15.8.2019, Abs 38ff).
Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNOCHA 31.7.2019, S.1). In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (FEWS 31.7.2019). Der Preis für Sorghum befindet sich bereits auf einer außergewöhnlichen Höhe (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Viele Menschen aus ländlichen Gebieten sind in Städte gezogen, um Zugang zu Hilfsgütern zu erhalten (BAMF 20.5.2019, S.5).
Verarmte Pastoralisten mit kleinen Herden stehen in den nächsten Monaten vor Lücken in der Nahrungsmittelversorgung. Davon sind landesweit auch viele Agropastoralisten und Bauern betroffen. Während der Viehbestand vorübergehend von besserer Weide profitiert, ist in der Landwirtschaft mit einem Ernteausfall von 50% zu rechnen (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff) – etwa bei Mais und Sorghum (DEVEX 9.7.2019). Nach neueren Angaben war die letzte Ernte in Südsomalia die schlechteste seit 1995 – 68% unter dem Durchschnitt; im Nordwesten lag sie mit 44% unter dem Durchschnitt (FEWS 2.9.2019a).
Schätzungen zufolge werden bis September 2019 5,4 Millionen Menschen von Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung betroffen sein; davon 3,2 Millionen in IPC-Phase 2 (UNOCHA 14.8.2019) und 2,2 Millionen in den Phasen 3 und 4 (UNOCHA 14.8.2019; vgl. UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Ca. eine Million Kinder unter fünf Jahren werden bis Mitte 2020 vor einer Situation der akuten Unterernährung stehen, 178.000 vor schwerer akuter Unterernährung. Bis zu 2,1 Millionen Menschen werden sich hinsichtlich Nahrungsmittelversorgung in einer Krisensituation finden (IPC >2), 6,3 Millionen werden von einer Versorgungsunsicherheit bedroht sein (UNOCHA 9.9.2019, S.1f; vgl. FEWS 2.9.2019a; STC 3.9.2019). Dieses Szenario gilt dann, wenn die gegenwärtig getätigten humanitären Interventionen nicht verstärkt werden (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Mit Stand September 2019 verhindert eine großangelegte humanitäre Hilfe schlimmere Zahlen. Geht die Hilfeleistung zurück, ist von einer Verschlechterung auszugehen. Und auch für den Fall, dass die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) besser ausfallen sollte, wird sich dies frühestens Ende Dezember auf die Versorgungslage auswirken (FEWS 2.9.2019a).
Bei gegebener humanitärer Hilfe gilt für die meisten ländlichen Gebiete im September 2019 IPC 2. In Agrargebieten von Guban (Somaliland), Bay und Bakool sowie in Teilen von Hiiraan, Galgaduud, Lower und Middle Juba gilt IPC 3. Dahingegen haben stabile Lebensmittelpreise und Arbeitsmöglichkeiten in den meisten städtischen Gebieten dazu beigetragen, dass IPC 2 nicht überschritten wurde oder auch nur IPC 1 gilt. Lediglich in Städten in Sool, Sanaag und Hiiraan wird mitunter auch IPC 3 verzeichnet – bedingt durch hohe Lebenskosten und begrenzte Einkommensmöglichkeiten (FEWS 2.9.2019a).
Humanitäre Hilfe: Die Bundesregierung und Hilfsorganisationen haben einen Drought Impact Response Plan (DIRP) auf die Beine gestellt, damit soll 4,5 Millionen Menschen kritisch notwendige lebenserhaltende Unterstützung zukommen (UNOCHA 31.7.2019, S.1; vgl. SLS 12.7.2019). Mit der Umsetzung wurde bereits begonnen. Die Kosten werden bis Dezember 2019 mit 686 Millionen US-Dollar beziffert. Insgesamt sind die Hilfsprogramme aber unterfinanziert, manche Agenturen müssen ihre Maßnahmen sogar zurückfahren (UNOCHA 31.7.2019, S.1f). Im September 2019 war der DIRP nur zu 50% ausfinanziert (UNOCHA 9.9.2019, S.2). So wurden z.B. im Juni 2019 nur 1,4 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreicht, angepeilt wurden hingegen 2,2 Millionen (UNSC 15.8.2019, Abs.43). Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen (AA 4.3.2019, S.20). Organisationen wie Safe the Children versuchen der Krise mit Wasserversorgung, Behandlung unterernährter Kinder, Gesundheitsversorgung, Geld- und anderen Hilfen entgegenzutreten (STC 3.9.2019). Überhaupt wird Hilfe oft in Form von Geldhilfen mittels mobiler Überweisungen zur Verfügung gestellt. Bereits im Jahr 2017 erhielten ca. drei Millionen Menschen derartige Geldhilfen. 60% der Nahrungsmittelhilfe des WFP wurde schon 2017 über mobile Überweisungen ausgegeben (DEVEX 26.1.2018). Von den unterschiedlichen Programmen im Bereich Geldtransfers wurden schon damals mehr als drei Millionen Menschen erreicht (DI 6.2019, S.27).
Folgende Organisationen sind beispielsweise in folgenden Städten in einem oder mehreren der genannten Bereiche tätig:
Baidoa (Kinderschutz, Gesundheit, Rückkehr/Unterkunft, Lokalverwaltung, Katastrophenmanagement, Kommunikation): World Vision, Save the Children International, Médecins Sans Frontières, International Organization for Migration (IOM), IMC Worldwide, Somalia’s Ministry of Resettlement, Disaster Management and Disability Affairs, Ministry of Humanitarian Affairs, Ministry of Planning, Baidoa District Administration, Bay Regional Administration, Gargaar Relief and Development Organization (GREDO), Social-life and Agricultural Development Organization (SADO), Radio Baidoa, Baidoa Specialist Hospital;
?Belet Weyne (Bildung, Schutz, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsversorgungssicherheit, humanitäre Hilfe, Geldtransfer-Programme): UNICEF, Danish Refugee Council (DRC), the International Committee of the Red Cross (ICRC), Relief International, World Food Programme (WFP), Merci, World Health Organisation (WHO), UN OCHA, WARDI, Green Hope, Global Guardian Somalia Security Services, Beledweyne Private School; ?Kismayo (handwerkliche Ausbildung, Unterstützung beim Lebensunterhalt mit Lebensmittelgutscheinen und anderen Aktivitäten, Unterkunft, Bildung): Jubaland Chamber of Commerce & Industry (JCCI), American Refugee Committee (ARC), IOM, CARE, Norwegian Refugee Council (NRC), Daallo Airlines, Kismayo University (DI 6.2019, S.25f); Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile – speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 13.3.2019, S.15/21; vgl. SEMG 9.11.2018, S.5f/42; UNSC 15.5.2019, Abs.72). In den Gebieten unter Kontrolle der Gruppe wurden Aktivitäten humanitärer Organisationen gänzlich verboten. Eine Ausnahme davon gibt es für die der al Shabaab zugerechnete al Ihsaan (SEMG 9.11.2018, S.5f/42). Nach anderen Angaben erlaubt al Shabaab Hilfsorganisationen zunehmend, auf ihrem Gebiet tätig zu sein (ICG 27.6.2019, S.11). Es kam außerdem zur Plünderung humanitärer Hilfsgüter durch al Shabaab (USDOS 13.3.2019, S.16). Im Jahr 2018 gab es mindestens 110 gewaltsame Zwischenfälle mit Auswirkungen auf humanitäre Organisationen. Dabei kamen neun Mitarbeiter ums Leben, 13 wurden verletzt, 18 entführt und 17 vorübergehend verhaftet (UNSC 21.12.2018, S.145).
Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2018, S.30), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 4.3.2019, S.20). In Mogadischu muss für jede Dienstleistung bezahlt werden, es gibt keine öffentlichen Leistungen (FIS 5.10.2018, S.22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2018, S.30). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, bilden (Sub-)Clan (OXFAM 6.2018, S.11f; vgl. BS 2018, S.30, AA 4.3.2019, S.20), erweiterte Familie (BS 2018, S.30; vgl. AA 4.3.2019, S.20) und Remissen aus dem Ausland (BS 2018, S.30). Während Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) helfen neben Familie und Clan auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, S.15). Generell stellt in (persönlichen) Krisenzeiten die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar (DI 6.2019, S.17). 22% der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28% bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 28% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, S.11f). In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, S.20f). Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clan-Heimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, S.12). Andererseits liegen keine Informationen vor, wonach es gesunden jungen Männern im arbeitsfähigen Alter (15-29 Jahre; 14 % der Gesamtbevölkerung Somalias) an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden (BFA 11.5.2018, S.18).
Rückkehrspezifische Grundversorgung
Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.5/31f). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein (ÖB 9.2016, S.17; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.63). Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Im herausfordernden Umfeld von Mogadischu sind entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist z.B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig [siehe Abschnitt 21.1] (FIS 5.10.2018, S.22). Eine andere Quelle gibt an, dass ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung sein wird, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist (NLMBZ 10.2017, S.73f).
Unterstützung extern: Außerdem haben Rückkehrer nach Mogadischu dort üblicherweise einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen (REDSS 3.2017, S.29). Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, S.63) und Kenia gibt es seitens UNHCR finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, S.6; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS 3.7.2019, S.63). Rückkehrer aus Tansania erhielten Hilfe im Rahmen einer EU-IOM-Initiative (TC 7.10.2018). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 4.3.2019, S.20).
Unterkunft: Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2018, S.29). Die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit ist bei der Rückkehrunterstützung nicht inbegriffen und wird von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen. Diesbezüglich auftretende Probleme können durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden (LIFOS 3.7.2019, S.63). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, S.63; vgl. AA 4.3.2019, S.20; USDOS 13.3.2019, S.22). Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden (AA 4.3.2019, S.20f).
Frauen: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, S.23).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia vom 17.09.2019 mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten und dem von Amts wegen eingeholten Strafregisterauszug vom 26.08.2020.
2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin
Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt. Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zur Person der BF beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF im Verfahren und wurden diese auch durch die belangte Behörde nicht angezweifelt. Aufgrund der diesbezüglich immer gleichbleibenden Angaben der BF hat auch das Bundesverwaltungsgericht keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln. Hinweise auf eine schwere Erkrankung kamen im Verfahren nicht hervor. Die Feststellung zur mangelnden Schulbildung der BF ergibt sich aus den glaubhaften Angaben. Dass die BF strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem Auszug aus dem Strafregister vom 26.08.2020.
2.2.2. Zu den Lebensumständen bzw. familiären Verhältnissen im Herkunftsland
Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen im Herkunftsland ergeben sich aus den glaubhaften Verfahrensangaben. Die BF hat gleichbleibend angegeben, dass sie bereits vor dem endgültigen Verlassen im Jahr 2018 Somalias keinen Kontakt mehr zu ihren Angehörigen in Somalia gehabt habe (vgl. AS 60 f.). Die Feststellung, dass die BF daher in Gefahr wäre, im Falle einer Rückkehr als IDP in ein entsprechendes Lager gehen zu müssen, stellt eine Konsequenz zu ihren fehlenden sozialen Anknüpfungspunkten in Somalia dar. Sie ergibt sich aus der festgestellten Situation im Herkunftsstaat. Frauen und Mädchen sind systematischer sexueller Gewalt ausgesetzt. Staatlicher Schutz ist nicht gewährleistet und sind insbesondere alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz besonders vulnerabel. Frauen werden im Vergleich zu Männern systematisch benachteiligt und schwer ausgegrenzt. Darüber hinaus sind Binnenvertriebene oder IDPs, wie die BF, im Fall ihrer Rückkehr mangels familiärer Unterstützung wäre, extrem vulnerabel und von (sexueller) Gewalt besonders betroffen. Personen mit wenigen Ressourcen sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen, auf diese kann die BF jedoch nicht zurückgreifen. Nach den Länderberichten richtet sich die Vulnerabilität gegen Frauen ohne männlichen Schutz per se; die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ist nicht erforderlich. Im Übrigen weist die BF keine konkreten Anknüpfungspunkte zu einem schutzfähigen Clan auf. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass ein Clan eine reale Schutzmöglichkeit bieten kann. In diesem Zusammenhang muss weiter davon ausgegangen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr als IDP in ein entsprechendes Lager gehen müsste.
Damit besteht für die BF die Gefahr, als alleinstehende Frau ohne Rückhalt durch Familie oder einen Clan im Falle einer Rückkehr nach Somalia Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.
2.2.3. Zur Situation in Somalia:
Die Feststellungen zu 1.3. beruhen auf den im angefochtenen Bescheid rezipierten Länderinformationen, die nicht bestritten wurden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. zu A)
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“ Das ist im gegenständlichen Fall zweifellos Somalia, da die BF somalische Staatsangehörige ist.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN, vom 30. September 2015, Ra 2015/19/0066, und vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0220, sowie etwa VwGH vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher die BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft.
Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung