TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/24 W168 2148904-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2020
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Entscheidungsdatum

24.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W168 2148904-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2017, Zahl 1071252605/150583343, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.06.2020, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 sowie § 8 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.


III. Gemäß § 55 Abs. I AsylG 2005 wird XXXX eine "Aufenthaltsberechtigung plus " für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach schlepperunterstützt unberechtigter Einreise am 29.05.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am 31.05.2015 gab der BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu Protokoll, er gehöre der Volksgruppe der Hazara und der Religionszugehörigkeit der schiitischen Moslems an. In Pakistan habe er 10 Jahre die Grundschule besucht. Vor seiner Ausreise sei er als Soldat tätig gewesen. Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, dass er seine Heimat aus Angst um sein Leben verlassen habe müssen. Er sei Soldat bei der afghanischen Armee gewesen und sei aus diesem Grund von den Taliban entführt worden, ihm sei jedoch die Flucht gelungen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre sein Leben in Gefahr.

3. Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 11.01.2017 eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Der BF gab eingangs an, dass er wegen Depressionen Medikamente einnehme und deswegen bereits einen Arzt aufgesucht habe. Er könne über seine psychischen Beschwerden jedoch keine medizinischen Unterlagen in Vorlage bringen. Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, führte der BF an, dass er aus der Provinz Ghazni stamme und zuletzt in Pakistan gelebt habe. Er sei Hazara und schiitischer Moslem und beherrsche die Sprachen Dari, Paschtu, Urdu, Englisch und ein bisschen Deutsch. Seine Exfrau lebe in Afghanistan, er stehe jedoch mit dieser seit ungefähr einem Jahr nicht mehr in Kontakt. Auf Aufforderung, einen kurzen Lebenslauf zu schildern, gab der BF an, dass er im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Pakistan geflüchtet sei. Er habe dort von 1999 bis 2010 die Schule besucht und sich bis 2011 in Pakistan aufgehalten. Ab 2006 sei er fünf Jahre als Hilfsarbeiter in einer Tischlerei in Quetta tätig gewesen, ab 2011 sei er bis 2014 für die afghanische Armee tätig gewesen. Auf Nachfrage, über welche Berufsausbildung er verfüge, entgegnete der BF, dass er lediglich diverse Ausbildungen bei der Armee absolviert habe. Insgesamt habe er etwa 17.000 Afghani pro Monat verdient. Sein Dienstort sei Jaghori und Kabul gewesen. Vor seiner Ausreise habe er mit seinen Eltern, seiner Schwester und seiner Exfrau im Elternhaus in der Provinz Jaghori gelebt. Seine Eltern würden sich nunmehr in einem Mietshaus in Quetta aufhalten, Auf Aufforderung, die Lebenssituation seiner Familie in Pakistan auch hinsichtlich ihrer finanziellen Situation zu schildern, gab der BF an, dass seine Angehörige in Pakistan Flüchtlinge seien und keine Dokumente hätten, deren Lage dort jedoch im Vergleich zu jener in Afghanistan immer noch besser sei. In Afghanistan habe seine Familie nach wie vor Grundstücke, die seinem Vater gehören würden. Der BF stehe mit seinen in Pakistan aufhältigen Verwandten zweimal in der Woche in Kontakt. Auf Nachfrage, welche familiären Anknüpfungspunkte er noch in Afghanistan habe, replizierte der BF, dass eine Tante in Kabul wohnhaft sei und ein Onkel sowie drei Tanten in der Provinz Jaghori in Eigentumshäusern wohnen würden und es diesen finanziell gut gehe, da sie Einkünfte von der Landwirtschaft beziehen würden und auch Vieh hätten. Befragt, wie und wann er zuletzt Kontakt mit seinen Verwandten gehabt habe, erklärte der BF, dass er den Kontakt zu der Tante in Kabul wiederhergestellt habe und auch Dokumente bei seiner Tante gelassen habe. Überdies habe er in Afghanistan noch gute Freunde von der Armee, mit denen er über Facebook in Kontakt stehe. Nachgefragt gehe es diesen finanziell gut.

Die Fragen, ob er in seinem Heimatland inhaftiert gewesen sei oder Probleme mit den Behörden gehabt habe oder ob gegen ihn Fahndungsmaßnahmen bestehen würden, wurden vom BF verneint. Er sei auch nicht politisch tätig gewesen, kein Mitglied einer politischen Partei gewesen und er habe in Afghanistan auch keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses gehabt. Die Fragen, ob er gröbere Personen mit Privatpersonen gehabt habe oder im Heimatland an gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen habe, wurden vom BF ebenfalls verneint.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er von seiner Beschäftigung in der afghanischen Armee gerade in den Urlaub verabschieden habe wollen, als ihn die Taliban aufgehalten und ihm unterstellt hätten, eine von diesen namentlich genannte Person zu sein. Anschließend hätten sie ihm seine Augen verbunden, an einen unbekannten Ort gebracht und in ein Zimmer gesperrt. Nach einigen Stunden habe ihm ein Mann erklärt, ihn freizulassen, wenn er eingestehe, eine bestimmte Person zu sein. Er habe Informationen über Personen in der afghanischen Armee in Jaghori verlangt, da sie dessen Identität gekannt hätten. Obwohl sie ihn gefoltert und geschlagen hätten, habe er sich auch weiterhin nicht dazu bekannt, die Person zu sein. Sie hätten ihn drei Tage einvernommen, geschlagen und daraufhin in einem Zimmer alleine gelassen. In der dritten Nacht habe er vernommen, dass seine Ermordung am nächsten Tag geplant sei. Der BF habe in weiterer Folge seine Handfessel mit einer Schaufel lösen können, das mit Lehm geschlossene Fenster öffnen und in weiterer Folge fliehen können. Die Taliban hätten zwar auf ihn geschossen, ihn jedoch aufgrund eines Baumes jedoch verfehlt und dem BF sei es gelungen, zu einer Straße zu laufen und ein Auto anhalten können, das ihn in eine Stadt gebracht habe. Die Ehefrau des Fahrers habe ihm ein Kopftuch gegeben, sodass er sich als Frau verkleiden habe können und sich vor den Taliban als seine Mutter ausgeben habe können. Von Ghazni aus sei er daraufhin nach Kabul weitergefahren und habe seine Eltern über seine geplante Flucht informiert. Ein weiterer Fluchtgrund sei seine Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara und seine Religionszugehörigkeit als Schiite. Bei einer Rückkehr würde er von den Taliban oder Daesh verhaftet sowie umgebracht werden. Nachgefragt, wie er durch die Taliban aufgehalten worden sei, erwiderte der BF, dass bei einem Check-Point der Taliban das gesamte Auto durchsucht worden sei und sie gesagt hätten, einen Mann namens XXXX zu suchen. Zur Frage, wieso die Taliban Interesse an seiner Person gehabt hätten, entgegnete der BF, dass sie Informationen über seine Freunde erlangen hätten wollen. Er habe sich als Sergeant freiwillig für die Armee beworben und eine Basisausbildung sowie eine Ausbildung zum Sergeant erhalten. Auf die weitere Frage, wo er genau stationiert gewesen sei, gab der BF an, dass zuerst in der Provinz Laghman und anschließend in Kalagusch stationiert gewesen sei. Befragt, ob er auch gelernt habe, mit Waffen umzugehen, gab der BF zu Protokoll, dass er den Umgang mit M-16 Gewehren trainiert und in einem Trainingscenter auf Zielscheiben geschossen habe. Nachgefragt, welche konkrete Funktion er bei der Armee gehabt habe, erklärte der BF, dass er lediglich im Büro der Personalabteilung gewesen sei und für Lohnabrechnung, Urlaubseinteilung, Standesliste und die Krankenstandliste zuständig gewesen sei. Er sei zwar für die afghanische Armee tätig gewesen, habe jedoch nie auf Menschen geschossen und keine Menschen getötet. Sein Aufgabenbereich habe lediglich einfache Büroarbeit am PC umfasst. Auf Nachfrage, wie lange es gedauert habe, bis er sich aus dem Zimmer befreien habe können, brachte der BF vor, dass es ungefähr zweieinhalb Stunden gedauert habe, bis er die Lehmblöcke in seinem Zimmer befreien habe können. Er habe am Vormittag sowie am Abend Essen erhalten. Die Frage, ob er persönlich verfolgt oder bedroht worden sei, wurde vom BF verneint. Während seiner Inhaftierung habe ihn die Taliban durchgehend geschlagen und „ XXXX verlangt, er habe seine eigene Identität jedoch verleugnet. In Kabul habe er familiäre Anknüpfungspunkte in Form einer Tante. Er kenne in Afghanistan keinen sicheren Aufenthaltsort. Die Frage, ob er in Europa oder Österreich Angehörige habe, wurde vom BF verneint.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er in Österreich eine Aufnahmeprüfung als Altenpfleger bestanden habe und sich um eine Ausbildungsstelle als Altenpfleger beworben habe. Er habe in Österreich bereits zahlreiche Kontakte geknüpft und beziehe Leistungen aus der Grundversorgung. In Linz sei er seit einem Jahr Mitglied in einem Box-Verein und helfe älteren Menschen in einem Seniorenheim.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF eine Tazkira samt Übersetzung, ein Militärausweis, mehrere Fotos, ein absolviertes ÖSD Deutsch Zertifikat vom 27.06.2016 auf dem Niveau B1, ein absolviertes ÖSD Deutsch Zertifikat vom 12.05.2016 auf dem Niveau A2, mehrere Fotos, mehrere Dokumente hinsichtlich der Tätigkeit des BF für die afghanische Armee (in Originalsprache) sowie zwei Dankesurkunden in englischer Sprache für die Erfüllung der Aufgaben für die Landesverteidigung mitsamt einer deutschen Übersetzung und eine Bestätigung der österreichischen Roten Kreuzes über die freiwillige Mitarbeit des BF bei der Flüchtlingsbetreuung vom 16.02.2016 bis zum 05.04.2016 in Vorlage gebracht.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend stellte das BFA fest, dass dem BF hinsichtlich der behaupteten Fluchtgründe kein Glauben geschenkt werden habe können, da seine Angaben keinesfalls plausibel und auch nicht nachvollziehbar gewesen seien, da der BF in der Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen lediglich erwähnt habe, dass er Soldat in der afghanischen Armee gewesen sei und aufgrund seiner Tätigkeit von den Taliban entführt worden sei, bezüglich seiner Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit jedoch nichts erwähnt habe. Bei seiner Einvernahme am 11.01.2017 habe er erst auf Nachfrage angegeben, dass er auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara fliehen habe müssen. Es sei nicht verständlich, wieso die Taliban den BF suchen hätte sollen, da sie nicht nachfragen würden, ob der BF tatsächlich die von ihnen gesuchte Person sei. Zudem habe der BF innerhalb der afghanischen Armee nur untergeordnete Tätigkeiten in der Personalabteilung ausgeübt und keinen hohen Rang innegehabt, weshalb nicht nachvollzogen werden könne, weshalb die Taliban Interesse an seiner Person gehabt hätten sollen. Zudem stelle der Umgang mit den Taliban das allgemeine Risiko eines militärischen Bediensteten dar und habe den BF nicht davon abgehalten, vier Jahre der afghanischen Armee zu dienen. Es sei nicht plausibel, wieso der BF erst geflohen sei, als er erfahren habe, dass er von umgebracht werde, da er mit der Schaufel im Zimmer nicht erst nach drei Tagen die Flucht ergreifen hätte können. Überdies sei nicht verständlich, wieso sich in einer Zelle eine Schaufel befinden sollte. Es sei zudem auch nicht logisch nachvollziehbar, dass die Taliban einen von ihnen Inhaftierten innerhalb eines Zeitraums von zweieinhalb Stunden nicht kontrolliert hätten und der BF unbehelligt fliehen habe können. Der BF habe trotz behaupteter Folter keine Verletzungen angegeben. Der BF habe zudem auch keine schlüssigen Angaben hinsichtlich seiner Reiseroute in Afghanistan getätigt, da nicht plausibel sei, weshalb er keine militärische Militärdienststelle kontaktiert habe, sondern mit seinen Eltern von Kandarhar aus nach Pakistan ausgereist sei und sich durch die Fahrt von Kabul nach Kandarhar in Gefahr gegeben habe. Aufgrund der Diskrepanz und mangelnden Plausibilität seiner Angaben werde seine Glaubwürdigkeit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung erheblich erschüttert. Sein Vorbringen, dass er bei der afghanischen Armee gewesen sei, sei zwar glaubhaft, nicht glaubhaft sei jedoch sein Vorbringen bezüglich der Entführung durch die Taliban und seine anschließende Flucht. Aufgrund seiner nicht logischen und nicht nachvollziehbaren Aussagen habe nicht davon ausgegangen werden können, dass die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe der Wahrheit entsprechen.

5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF durch seine nunmehrige Rechtsvertretung am 22.02.2017 fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde vorgebracht, dass der BF seine Ausführungen mithilfe von Beweismitteln belegt habe und die Echtheit der vorgelegten Dokumente von der Erstbehörde nicht angezweifelt worden sei, weshalb nicht nachvollziehbar sei, dass seine Identität infrage gestellt werde. Es sei verabsäumt worden, anhand seiner Dokumente seine Identität zu verifizieren. Die von der Behörde angeführten „Ungereimtheiten“ würden sich relativ leicht widerlegen und sein Vorbringen sei auch vor dem Hintergrund der im Bescheid angeführten Länderberichte völlig plausibel. Der BF habe im Juni 2016 bereits die B1 Prüfung absolviert und sei in einem Box-Club aktiv. Zudem habe er einen großen Freundes-und Bekanntenkreis, helfe ehrenamtlich in einem Seniorenheim und habe die Aufnahmeprüfung als Altenpfleger bestanden. Der Beschwerde wurden ein Schreiben eines Boxclubs vom 08.01.2017 über die Mitgliedschaft des BF, eine Bestätigung über die Absolvierung von 20 Stunden in einem Seniorenheim vom 26.04.-21.06.2016 und ein österreichischer Freiwilligenpass über eine Tätigkeit für ein Seniorenheim sowie den Verein Begegnung in Vorlage gebracht.

6. Mit Schriftsatz des bevollmächtigten Vertreters des BF wurden am 09.01.2018 ein Schreiben eines Boxclubs vom 08.01.2017 über die Mitgliedschaft des BF seit einem Jahr, eine Bestätigung eines Bezirksseniorenheims vom 12.07.2016 über den ehrenamtlichen Einsatz des BF bei verschiedensten Hilfstätigkeiten, mehrere Empfehlungsschreiben, ein bestandenes Zertifikat auf dem Niveau B2 vom 28.03.2017 und mehrere Fotos in Vorlage bezüglich Hilfstätigkeiten im Seniorenheim gebracht.

7. Mit Schriftsatz des bevollmächtigten Vertreters des BF wurden am 22.08.2018 ein Semesterzeugnis einer Schule für Sozialbetreuungsberufe für das Schuljahr 2017/2018 vom 16.02.2018, ein Semesterzeugnis einer Schule für Sozialbetreuungsberufe für das Schuljahr 2017/2018 vom 03.07.2018, eine positive Beurteilung des Sozialbetreuungspraktikums/ der Altenarbeit, zahlreiche Unterstützungserklärungen und zwei Auszeichnungen für eine Arbeit für die afghanische Armee sowie ein Militärausweis in Vorlage gebracht.

8. Mit Schriftsatz vom 04.06.2019, am 05.06.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt, wurde vom bevollmächtigten Vertreter ein Zeugnis einer Schule für Sozialbetreuungsberufe vom 15.05.2019 über die erfolgreiche Absolvierung der Ausbildung in der Pflegeassistenz in Vorlage gebracht.

9. Mit Schriftsatz vom 03.09.2019 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF ein Abschlusszeugnis einer Schule für Sozialbetreuungsberufe vorgelegt, wonach der BF die Fachprüfung mit ausgezeichnetem Erfolg bestanden habe und die Ausbildung mit dem Schwerpunkt „Altenarbeit“ erfolgreich absolviert habe.

10. Mit E-Mail des bevollmächtigten Vertreters vom 28.10.2019 wurde eine Gewerbeanmeldung des BF bei einer Bezirkshauptmannschaft für das freie Gewerbe „Personenbetreuung“ mit Wirksamkeit vom 01.10.2019 übermittelt.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.06.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eines Behördenvertreters und im Beisein des Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Zu seinem Gesundheitszustand befragt, gab der BF an, dass er nur wegen Depressionen Medikamente einnehme, die ihm sein Hausarzt verschrieben habe.

Zur Frage, ob sich in Bezug auf seine Bedrohung wesentliche Änderungen ergeben hätten, entgegnete der BF, dass es sich bei der Zelle, in welcher er inhaftiert gewesen sei, um eine Hütte oder einen Schuppen gehandelt habe. Seine Hände seien mit einem Handtuch gefesselt gewesen. Auf Vorhalt, dass man mit einem Handtuch nur sehr bedingt eine Fesselung durchführen könne, entgegnete der BF, dass Hazara unterschätzt werden würden und er alles unternehmen würde, um sein Leben zu schützen, selbst wenn er mit einem Schal gefesselt sei.

Zum weiteren Vorhalt, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb er als Soldat von den Taliban auf eine Weise gefesselt werden sollte, von der er sich leicht befreien könne, erwiderte der BF, dass er in einer Hütte gewesen sei und er nicht genau wisse, weshalb sie ihn mit einem Schal gefesselt hätten. Zudem seien die Taliban davon ausgegangen, dass er aufgrund seiner Furcht vor ihnen sowieso keinen Fluchtversuch unternehmen würde. Auf Vorhalt, dass er selbst im Gegensatz zu anderen gefangenen Personen jedoch ein Soldat sei, replizierte der BF, dass man afghanische Verhältnisse hinsichtlich der Ausbildung eines Soldaten nicht mit österreichischen Verhältnissen vergleichen könne.

Befragt, ob er Spezialausbildungen genossen habe, erklärte der BF, dass er den Sergeant E6 Kurs absolviert und danach nach ca. zweieinhalb Jahren den E7 als Belohnung bekommen habe. Zur Frage, was er im Zuge dieser Ausbildungen gelernt habe, entgegnete der BF, dass

Er dieses Training erhalten habe, um 11 Soldaten zu führen, es habe sich dabei jedoch um keine richtige Ausbildung gehandelt, sondern lediglich um körperliche Betätigungen.

Auf Vorhalt, dass er zu Protokoll gegeben habe, dass er in der Buchhaltung der des Militärs tätig gewesen sei, führte der BF an, dass er diese Beschäftigung nach seinem Training erhalten habe, da er EDV Kenntnisse gehabt habe und zum Sergeant ernannt worden sei. Nach einem Monat sei er in die Provinz Nuristan versetzt worden.

Zur Frage, woher er lesen und schreiben könne, brachte der BF vor, dass er in Pakistan aufgewachsen sei und dort einen Computerkurs sowie einen Englischkurs besucht habe. Zudem habe er auch eine Ausbildung zum Tischler absolviert und fünf oder sechs Jahre als Tischler tätig gewesen sei. Bei der afghanischen Armee sei er insgesamt drei Jahre gewesen.

Auf Vorhalt, dass man den Ausführungen zufolge ableiten könne, dass er den Taliban zufällig in die Hände gefallen sei, erwiderte der BF, dass es sich um ein geplantes Manöver gehandelt habe, da ihn jemand an die Taliban verraten habe. Nachgefragt, welche Informationen die Taliban konkret herausfinden hätten wollen, erwiderte der BF, dass er für zahlreiche Personalangelegenheiten zuständig gewesen sei, weshalb ihm viele Informationen bekannt gewesen seien. Die Taliban hätten bestimmte Daten zum Personal der Armee verlangt.

Auf Aufforderung, genau zu schildern, wie sich die Befragung durch die Taliban abgespielt habe, dass sie Details erfragt hätten und ihm eine bestimmte Identität unterstellt hätten. Zudem sei er mit Fäusten geschlagen worden und wiederholt genaue Informationen bezüglich Bedienstete der Armee angefordert. In einer Nacht habe er diese belauscht und mitbekommen, dass am nächsten Tag seine Ermordung geplant sei. Mithilfe von Lehmziegeln und einem Baum habe er durch ein geöffnetes Fenster fliehen können, die Wächter der Taliban seien ihm jedoch nachgelaufen und hätten versucht, ihn zu erschießen, hätten ihn jedoch wegen zahlreicher Bäume verfehlt. In weiterer Folge habe ihn ein Auto mitgenommen und der Fahrer habe seine Ehefrau aufgefordert, dem BF ihre Burka zu geben. Bei einem Checkpoint der Taliban sei der Fahrer von den Taliban gefragt worden, ob er einen jungen Hazara gesehen habe und da er diese Frage verneint habe, hätten sie weiterfahren dürfen. Sie seien in Ghazni angekommen und der BF sei von dort aus nach Kabul weitergefahren, wo er bei seiner Tante seine Bankomatkarte sowie seinen Militärausweis abgeholt habe. Anschließend habe er seine Familie in Jaghori verständigt und habe sich mit dieser entschieden, zurück nach Quetta zu gehen, wo er auch aufgewachsen sei.

Auf Vorhalt, dass er bei der ersten Instanz angegeben habe, dass er Urlaub gehabt habe und dann von den Taliban aufgehalten worden sei und nunmehr erkläre, keine aktive Suche der Taliban vorbringe, entgegnete der BF, dass ihn Spione für die Taliban verraten hätten. Nachgefragt, woher er dies wisse, erklärte der BF, dass bestimmte Informationen nur engen Vertrauten in der Armee bekannt gewesen seien. Zum weiteren Vorhalt, welche weiteren Informationen die Taliban benötigen könnten, wenn sie sowieso bereits informiert seien, gab der BF an, dass er drei Jahre in der Personalabteilung tätig gewesen sei und er daher umfassendes Wissen aufweisen könne. Befragt, wieso ihn die Taliban brauche, obwohl sie ohnehin Informanten hätten, erwiderte der BF, dass sie von ihm weitergehende Auskünfte erhalten könnten und er genau gewusst habe, dass sie beauftragt worden seien, ihn zu töten. Auf Vorhalt, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb er mit einem Schal gefesselt werde und von ihm Informationen erpresst worden seien, die den Taliban sowieso durch Spitzel zugetragen worden seien, führte der BF an, dass diese nicht gewusst hätten, dass er Paschtu beherrsche. Zur Frage, ob er in Ghazni bedroht worden sei, brachte der BF vor, dass er dort aufgrund der Taliban Präsenz nicht leben habe können. In Kabul kenne er niemanden und zur erwähnten Tante habe er kein enges Verhältnis, sie habe ihm nur ermöglicht, bestimmte Dokumente bei ihr zu verwahren. Aufgrund seiner Registrierung beim Militär könne er auch nicht in Kabul dauerhaft bleiben. Vor dem geschilderten Vorfall sei es auch mehrmals zu Zwischenfällen gekommen, da alle Bedienstete korrupt gewesen seien und illegal Benzin oder Waffen verkauft hätten.

Zum Vorhalt, dass sich die Frage auf die Taliban bezogen habe und befragt, ob er zuvor bereits konkret von den Taliban bedroht worden sei, entgegnete der BF, dass er als Kind einmal bedroht worden sei.

Zum weiteren Vorhalt, dass er ein einziges Mal bedroht und entführt werden und Afghanistan sofort ohne konkrete neuerliche Bedrohung verlasse und nicht einmal versuche, sich zuvor in eine andere Provinz versetzen zu lassen bzw. sich in einer anderen Stadt wie Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul niederzulassen und sich nach Österreich schleppen lasse, replizierte der BF, dass Herat zwar sicher sei, er jedoch nicht ein ganzes Leben dort bleiben könne und bei einer Fahrt nach Kabul von den Taliban ermordet werden könnte und überdies die negativen Erlebnisse hinter sich lassen habe wollen. Zur Frage, ob er Kontakt mit seiner Mutter, seinem Vater und seiner Schwester habe, gab der BF an, dass er sie ein bis zwei Mal die Woche kontaktiere und diese in Quetta, Pakistan wohnen würden. Sein Vater betreibe ein Lebensmittelgeschäft.

Auf Vorhalt, dass er Computererfahrung aufweisen könne, Paschtu sowie Englisch spreche, schreiben könne und Erfahrung als Tischler habe und auf die Frage, was ihn von einem Afghanen unterscheide, der sich innerhalb Afghanistans auch an einem anderen Ort niederlassen könne, erklärte der BF, dass man afghanische nicht mit österreichischen Verhältnissen vergleichen könne und ihm Sicherheit und Frieden wichtig seien. Diese Werte habe er in seinem Herkunftsstaat jedoch nicht erleben dürfen. Befragt, ob er konkrete Hinweise habe, dass er konkret gesucht werde oder im Falle einer Rückkehr konkret gesucht werden würden, führte der BF an, dass ihn die Taliban innerhalb Afghanistans überall finden würden.

Zur Frage, ob er über konkrete Hinweise verfüge, dass er als Person, die weder eine Spezialausbildung und ohne aktuelles, wertvolles Wissen verfüge und keinen besonderen Wert für die Taliban darstelle, dennoch einer Gefahr ausgesetzt sein könnte, gab der BF zu Protokoll, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zum Militär bzw. einer Minderheit sofort erkannt werden würde.

Auf Vorhalt, dass Mazar– e Sharif oder Herat damals und auch heute noch stabil unter Regierungskontrolle stehen würden bzw. dort auch die Versorgungslage aus ausreichend gesichert anzusehen sei und zur Frage, weshalb er nicht versucht habe, zunächst etwa nach Mazar – e Sharif oder Herat zu gehen, um den angegebenen Bedrohungen zu entgehen, erwiderte der BF, dass man auch in diesen Städten nach seiner Vergangenheit fragen würde und er nicht die Mittel habe, sich in diesen Städten dauerhaft niederzulassen. Zudem sei überall Korruption vorherrschend, er habe keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan und seine Lebensweise orientiere sich nunmehr nach westlichen Werten. Der BF wolle auch nicht mehr religiösen Zwängen unterliegen.

Befragt, wieso er nicht versucht habe, legal auszureisen, entgegnete der BF, dass er in Pakistan keine Dokumente erhalten habe und eine legale Einreise unmöglich sei. Zum weiteren Vorhalt, dass er sich mit der hohen Summe, die er für den Schlepper investiert habe, auch an einem anderen Ort in Afghanistan niederlassen hätte können, führte der BF an, dass ihm sein Leben am wichtigsten gewesen sei. Aufgrund des Verrates seiner Kollegen habe er keine Möglichkeiten gesehen, auch zukünftig in Afghanistan leben zu können.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF an, dass er im Bundesgebiet bereits ehrenamtlich in einem Seniorenheim gearbeitet und eine Ausbildung als Altenpfleger abgelegt habe. Seit 2019 sei er Betreuer bei einer älteren Familie in Linz und verdiene ca. 1800-1900 Euro. Er sei jedenfalls selbsterhaltungsfähig und habe vor drei Jahren die Deutschprüfung auf dem Niveau B2 absolviert. In seiner Freizeit gehe er ins Fitnesscenter und sei auch Mitglied in einem Boxclub gewesen. Zudem habe er im Bundesgebiet bereits zahlreiche Kontakte geknüpft. Befragt, ob er in Österreich Personen habe, zu denen ein besonderen Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis bestehe, führte der BF aus, dass ihn „seine Mutter“ und „seinen Vater“ sowie die gesamte Familie finanziell und emotional unterstützt hätten.

Auf die Frage des Rechtsvertreters in welchem Bereich er Sergeant gewesen sei, brachte der BF vor, dass er für Personalverrechnung, Urlaube und Planung für 1000 Personen verantwortlich gewesen sei. Er habe keine Militärkleidung getragen und von außen daher nicht als Bediensteter des Militärs erkennbar gewesen, sei jedoch von seinen Kollegen verraten worden. Den Taliban sei seine Identität bekannt gewesen, obwohl er diese geleugnet habe. In seiner Ausbildungsphase habe es von Seiten der Taliban einen Bombenanschlag gegeben.

Zur Frage des Behördenvertreters, weshalb die Eltern, die Schwestern sowie die Ehefrau des BF gleichzeitig ausgereist seien, obwohl diese keiner Verfolgung ausgesetzt waren, entgegnete der BF, dass diese aufgrund von Spionen ebenfalls in Gefahr gewesen seien. Er sei mit seiner Familie nicht in Pakistan geblieben, da er dort auch zahlreiche schlechte Erfahrungen gemacht habe. Zudem wäre seine Vergangenheit beim Militär dort ebenfalls aufgedeckt worden.

Ein einvernommener Zeuge führte aus, dass er den BF in der Ausbildung kennengelernt habe und dieser aufgrund perfekter Deutschkenntnisse sowie seiner Hilfsbereitschaft im Umgang mit Menschen herausrage.

Ein weiterer einvernommener Zeuge gab zu Protokoll, dass er der Lehrer des BF gewesen sei und durch Toleranz und Hilfsbereitschaft sowie seiner Wertschätzung seinen Mitmenschen gegenüber aufgefallen sei.

Die dritte Zeugin (Heimleiterin) führte aus, dass der BF als Mitarbeiter im Pflegebereich ein Gewinn sei und auch gut mit schwerwiegenden Krankheiten wie Demenz umgehen könne. Man habe zudem für den BF auch eine Einstellungsbewilligung erwirken können.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF ein Personalausweis/Geburtsurkunde, ein Meldezettel, ein Führerschein, ein Abschlusszeugnis einer Schule für Sozialbetreuungsberufe für das Schuljahr 2018/19 über die erfolgreiche Absolvierung der Fachprüfung mit ausgezeichnetem Erfolg, ein Zeugnis einer Schule für Sozialbetreuungsberufe vom 15.05.2019 über die Absolvierung der Ausbildung als Pflegeassistent, ein Dienstvertrag des Sozialhilfeverbandes vom 11.07.2019 über die Verwendung als „Fachsozialbetreuer Altenarbeit“ im Ausmaß von 40 Wochenstunden, ein Auszug aus dem Gewerbeinformationssystems Austria vom 18.10.2019 über das Gewerbe „Personenbetreuung“, ein Ausweis für Gesundheitsberufe für den Beruf „Pflegeassistent“, eine Bestätigung der Caritas vom 26.05.2020 über die Selbsterhaltungsfähigkeit des BF seit November 2019, eine Einnahmen-und Ausgabenrechnung und zwei Empfehlungsschreiben in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. zur Person des BF:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist Muslim schiitischer Ausrichtung. Seine Identität steht aufgrund der Vorlage einer Tazkira fest. Er stammt aus der Provinz Ghazni und verließ den Herkunftsstaat im Alter von etwa fünf Jahren nach Pakistan, wo er ca. 10 Jahre die Schule in Quetta besuchte. Anschließend war er in Pakistan ungefähr fünf Jahre als Hilfsarbeiter in einer Tischlerei und ab 2011 in Afghanistan in der Personalabteilung der afghanischen Armee tätig.

Der BF reiste im Mai 2015 illegal ins Bundesgebiet ein, wo er am 29.05.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Eltern und die Schwester des BF leben in Pakistan, der BF steht mit diesen Familienangehörigen eigenen Angaben zufolge in regelmäßigem Kontakt. Der Vater des BF betreibt in Pakistan ein Lebensmittelgeschäft. Der BF leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und ist im erwerbsfähigen Alter. Er nimmt wegen Depressionen Medikamente ein. Er ist ledig und hat keine Kinder.

1.2. Zum Fluchtgrund des BF:

Es wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass der BF Afghanistan aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar konkret betreffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre bzw. ein besonderes Interesse an seiner Person besteht bzw. bestehen könnte. Insbesondere konnte der BF nicht glaubhaft machen, dass die Taliban nach wie vor ein derart großes Interesse an seiner Person haben, dass sie diesen auch in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat gezielt suchen würden.

Es wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung in den großen Städten wie Masar - e Sharif, Herat, besteht für den BF als arbeitsfähigen jungen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF kann die Städte Mazar-e-Sharif und Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Bei dem BF handelt es sich um einen jungen arbeitsfähigen gesunden Mann, der in Pakistan 10 Jahre die Schule besucht hat bzw. in Pakistan fünf Jahre als Tischler und in Afghanistan drei Jahre für die Armee tätig war. Überdies hat der BF in Österreich eine Ausbildung zum Pflegeassistent absolviert und war bereits im Bereich der Sozialbetreuung beschäftigt. Er hat das freie Gewerbe der Personenbetreuung angemeldet und ist selbsterhaltungsfähig. Dem BF kann eine weitere Teilnahme am Erwerbsleben in Afghanistan zugemutet werden.

1.3.    mögliche Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat

Der BF ist im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan keiner individuellen, asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt.

Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr nach Afghanistan kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Er wird grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen können und voraussichtlich nicht in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten.

Der BF ist jung, gesund, arbeitsfähig und könnte, innerstaatlich zum Beispiel in Mazar-e Sharif oder Herat das Lebensnotwendigste an Nahrung und Wohnraum erlangen.

Der BF kann die Städte Mazar-e Sharif und Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Die Stadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternativ zum Mohnanbau werden. Die Stadt Herat ist eine vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Sie ist relativ sicher. Die Taliban konnten die Stadt Herat nicht einnehmen, da sie von den Sicherheitskräften sehr gut bewacht ist. In Herat ist nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Insgesamt ist die Sicherheitslage in der Stadt Herat als ausreichend sicher zu bewerten.

Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke schwach ausgeprägt bzw. nicht vorhanden sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls gesundheitliche Beschwerden einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Auch die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Krankheiten und ist arbeitsfähig. Der BF gehört zudem mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.


1.3. Integration des BF in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit Mai 2015 durchgehend in Österreich auf und ist bereits außerordentlich gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Der BF hat die Schule für Sozialbetreuungsberufe für Berufstätige mit dem Schwerpunkt Altenarbeit in den Schuljahren 2017/18 und 2018/19 besucht und die Fachprüfung und Ausbildung zum „Fach-Sozialbetreuer“ bzw. „Pflegeassistent“ mit ausgezeichnetem Erfolg bestanden. Er hat vom 10.01.2018 bis zum 28.02.2918 ein Sozialbetreuungspraktikum absolviert und für diese Tätigkeit eine gute Beurteilung erhalten. Er war Mitglied im Boxverein und in einem Bezirksseniorenheim als freiwilliger Helfer tätig.

Der BF hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau B2 absolviert, bezieht keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung und ist selbsterhaltungsfähig. Er hat das freie Gewerbe „Personenbetreuung“ angemeldet. Zudem hat dieser merhre Empfehlungsschreiben, Referenzschreiben, Unterstützungsschreiben und zahlreiche Fotos als Beleg seiner Integration vorgelegt. Er hat in Österreich keine Verwandte und keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020, ua.

Stand: 18.5.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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