TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/19 L502 2150607-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2020
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Entscheidungsdatum

19.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


L502 2150607-1/53E

L502 2150610-1/48E

L502 2150598-1/36E

L502 2150603-1/34E

L502 2150597-1/34E

L502 2150608-1/34E

L502 2150601-1/34E

L502 2150594-1/43E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX, geb. XXXX, 2.) XXXX, geb. XXXX, 3.) XXXX, geb. XXXX, 4.) XXXX, geb. XXXX, 5.) XXXX, geb. XXXX, 6.) XXXX, XXXX, 7.) XXXX, XXXX, und 8.) XXXX, geb. XXXX, alle StA. Irak, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2017, FZ. XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.12.2018 und 28.02.2020 zu Recht erkannt:

A)       

1. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III., zweiter Satz, stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

3. Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 1 AsylG wird XXXX, XXXX und XXXX jeweils eine „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt.

Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG wird XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX jeweils eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und seine Ehegattin, die Zweitbeschwerdeführerin (BF2), stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet für sich sowie für ihre fünf älteren minderjährigen Kinder, die Drittbeschwerdeführerin (BF3), die Viertbeschwerdeführerin (BF4), die Fünftbeschwerdeführerin (BF5), die Sechstbeschwerdeführerin (BF6) und den Siebtbeschwerdeführer (BF7), am 27.09.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes Anträge auf internationalen Schutz. Der Achtbeschwerdeführer (BF8) wurde in Österreich geboren, für ihn wurde von seinen gesetzlichen Vertretern am 05.02.2016 ein Antrag gestellt.

2. Am 28.09.2015 erfolgten die Erstbefragungen des BF1 und der BF2 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In weiterer Folge wurden die Verfahren von BF1 bis BF7 zugelassen und an der Regionaldirektion NÖ, Außenstelle Wiener Neustadt, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) weitergeführt. Das Verfahren des BF8 wurde am 05.02.2016 zugelassen.

3. Am 24.01.2017 wurden BF1 und BF2 vor dem BFA zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen.

Der BF1 legte dabei für sich und seine Angehörigen Identitätsnachweise (Personalausweise, Reisepassdatenblattkopie, Dienstausweis) und sonstige Beweismittel vor, die in die deutsche Sprache übersetzt und in Kopie zum Akt genommen wurden.

4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden der belangten Behörde vom 24.02.2017 wurden die Anträge von BF1 bis BF8 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihnen eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 27.02.2017 wurde den BF von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

6. Gegen die ihnen durch Hinterlegung mit Wirksamkeit vom 03.03.2017 zugestellten Bescheide wurde mit Schriftsatz vom 14.03.2017 innerhalb offener Frist in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Unter einem wurden Vollmachten zugunsten ihrer Vertretung vorgelegt.

7. Mit 20.03.2017 langten die Beschwerdevorlagen des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurden die gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

8. Am 19.04.2017 langte beim BVwG eine Beschwerdeergänzung der BF einschließlich eines Antrags auf Umbestellung des Rechtsberaters durch das BVwG ein.

9. Am 18.05.2017 gab eine anwaltliche Vertreterin der BF ihre Bevollmächtigung durch die BF dem BVwG bekannt.

10. Am 28.07.2017 langten beim BVwG Sprach- und Wertekursteilnahmebestätigungen von BF1 und BF2 ein.

11. Mit 26.11.2018 gab die anwaltliche Vertreterin der BF dem BVwG die Auflösung des Vertretungsverhältnisses bekannt.

12. Am 11.12.2018 führte das BVwG eine mündliche Verhandlung in den Rechtssachen der Beschwerdeführer durch, in der BF1 und BF2 zu ihren Antragsgründen persönlich gehört wurden und sie verschiedene Integrationsnachweise (Schulnachrichten, Teilnahmebestätigungen für Sprachkurse, Unterstützungsschreiben) vorlegten.

Eingangs der Verhandlung hat auch die ursprüngliche Vertretung der BF ihre Vollmacht zurückgelegt.

13. Mit Erkenntnis des BVwG vom 21.01.2019 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

14. Mit Beschluss des BVwG vom 28.01.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf Umbestellung des Rechtsberaters zurückgewiesen.

15. Gegen das Erkenntnis des BVwG vom 21.01.2019 wurde von den Beschwerdeführern Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) sowie außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erhoben.

16. Mit Beschluss des VwGH vom 21.03.2019 wurde einem von ihnen eingebrachten Verfahrenshilfeantrag stattgegeben und ihnen Verfahrenshilfe für das Revisionsverfahren gewährt.

17. Dem in der an den VfGH gerichteten Beschwerde gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss vom 23.05.2019 Folge gegeben.

18. Mit am 23.05.2019 beim BVwG eingelangtem Schriftsatz des VfGH wurde die zuständige Gerichtsabteilung zur Vorlage der Gerichtsakten aufgefordert. Unter einem wurde der an den VfGH gerichtete Beschwerdeschriftsatz übermittelt.

19. Mit Beschluss des VwGH vom 13.06.2019 wurde auch dem in der außerordentlichen Revision gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG stattgegeben.

20. Mit Erkenntnis des VwGH vom 28.11.2019 wurde der außerordentlichen Revision der Beschwerdeführer Folge gegeben und das Erkenntnis des BVwG vom 21.01.2019 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. Das beim VfGH anhängige Beschwerdeverfahren wurde infolge dessen mit Beschluss vom 11.12.2019 eingestellt.

21. Das BVwG führte im fortgesetzten Verfahren am 28.02.2020 eine weitere mündliche Verhandlung durch, bei der die Beschwerdeführer anwesend waren. BF1 bis BF7 wurden zu ihrem hiesigen Aufenthalt befragt und BF1 und BF2 die Gelegenheit eingeräumt ihre Antragsgründe zu ergänzen. BF1 und BF2 wurden zudem zu ihren Lebensumständen im Herkunftsstaat sowie jenen ihrer Verwandten und Angehörigen befragt.

22. Der Aufforderung des BVwG vom 28.10.2020 folgend legten die Beschwerdeführer aktuelle Integrationsnachweise samt einer Stellungnahme eines Lehrers vor.

23. Das BVwG erstellte Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des Melde- sowie des Strafregisters und brachte länderkundliche Informationen den Herkunftsstaat der Beschwerdeführer betreffend in das Verfahren ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführer, deren Identitäten feststehen, sind irakische Staatsangehörige, Araber und Muslime, der BF1 gehört der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an, die BF2 der schiitischen. Beide wurden in der Stadt XXXX im Südirak geboren, sind dort bei ihren Herkunftsfamilien aufgewachsen und zur Grundschule gegangen. Am 31.12.2003 schlossen sie dort die Ehe. Die beiden älteren Kinder aus dieser Ehe wurden ebenso in XXXX geboren, die nachfolgenden drei in XXXX, das jüngste in Österreich. Die Familie lebte ab 2008 in XXXX. Der letzte Wohnsitz der Familie dort lag im Stadtteil XXXX .

Der Vater des BF1 ist verstorben, seine Mutter sowie vier Brüder und fünf Schwestern, acht davon sind verheiratet und haben Kinder, leben aktuell in XXXX, die Mutter mit drei Brüdern in einem Eigenheim in der Stadt, die übrigen Geschwister an eigenen Wohnsitzen außerhalb der Stadt. Mit der Mutter und den bei ihr wohnhaften Brüdern steht der BF1 in telefonischem Kontakt. Im weiteren Umkreis der Stadt leben noch Onkel und Tanten des BF1 auf landwirtschaftlichem Gebiet. Die Eltern der BF2 sind verstorben, zwei Brüder leben in XXXX. Dass die Familienangehörigen des BF1 inzwischen in die Türkei ausgereist sind, konnte nicht festgestellt werden. Auch dass die BF2 inzwischen keine Kenntnis mehr vom Aufenthaltsort ihrer in XXXX lebenden Brüder hat, konnte nicht festgestellt werden.

BF1 bis BF7 verließen den Irak am 14.09.2015 ausgehend von der südirakischen Stadt XXXX auf dem Luftweg und auf legale Weise nach Istanbul, setzten einige Tage danach von Izmir auf die Insel Lesbos über, reisten von dort nach Athen und auf dem Landweg weiter bis Österreich, wo sie am 27.09.2015 ihre Anträge stellten und sich seither aufhalten. Der BF8 wurde XXXX in Österreich geboren.

Die Beschwerdeführer sprechen Arabisch als Muttersprache. Der BF1 erwarb durch den Besuch von Sprach- und Integrationskursen und die BF2 durch ihre sozialen Kontakte in Österreich Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Die BF2 hat jedoch bislang noch keinen Sprachkurs besucht. Die BF3 und die BF4 besuchen aktuell den Unterricht der dritten Klasse, die BF5 jenen der ersten Klasse einer neuen Mittelschule. Die BF6 und der BF7 besuchen den Unterricht der dritten bzw. der ersten Klasse einer Volksschule. Die BF3 bis BF6 verfügen über sehr gute, der BF7 über gute Deutschkenntnisse. Der BF8 besucht einen Kindergarten.

Der BF1 betätigt sich seit der Einreise ehrenamtlich in einer katholischen Kirche. BF1 und BF2 führen entgeltliche Tätigkeiten für die Pfarre und die Gemeinde ihres aktuellen Wohnsitzes aus. Sie sind in Österreich bisher noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Alle Beschwerdeführer beziehen für ihren Lebensunterhalt seit der Einreise Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und wohnen in einer organisierten Unterkunft. BF1 und BF2 sind bis dato in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführer leiden bis dato unter keinen maßgeblichen gesundheitlichen Beschwerden.

1.2.1. Der BF1 trat im Jahr 1991 in den Polizeidienst ein. Nach Absolvierung der Polizeischule versah er seinen Dienst in XXXX als Streifenpolizist und im Innendienst. Nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 verblieb er im Polizeidienst. Ihm wurden 2005 ein Dienstausweis mit unbefristeter Geltung sowie mehrere Ausbildungsdiplome ausgestellt. Er wurde im Jahr 2008 nach XXXX versetzt, wo er weiter seinen Dienst versah. Er war auch dort in der Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt.

Wie lange er letztlich im Polizeidienst stand und auf welche Art und Weise er seinen Dienst quittierte, war nicht feststellbar.

1.2.2. Der BF1 hat seinen Herkunftsstaat nicht aufgrund individueller Verfolgung durch Mitglieder einer bewaffneten Miliz im Zusammenhang mit seiner vormaligen Tätigkeit als Polizist verlassen und ist im Falle einer Rückkehr in den Irak auch nicht der Gefahr einer solchen ausgesetzt.

Er wurde auch nicht von Angehörigen oder Stammesmitgliedern eines Getöteten, für dessen Tod er verantwortlich gemacht worden sei, verfolgt und unterliegt im Falle einer Rückkehr in den Irak auch nicht der Gefahr einer individuellen Verfolgung durch diese.

1.2.3. Eine individuelle Verfolgung der BF2 und ihrer minderjährigen Kinder als Angehörige des BF1 im Zusammenhang mit seiner vormaligen beruflichen Tätigkeit war ebenso nicht feststellbar.

1.3. Die Beschwerdeführer sind bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht aus sonstigen individuellen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt und finden dort eine hinreichende Existenzgrundlage vor.

1.4. XXXX ist die Hauptstadt der Provinz Dhi Qar, sie liegt am Fluß Euphrat und ca. 360 km südlich von XXXX und hatte im Jahr 2003 ca. 560.000 Einwohner, deren Mehrheit der schiitischen Glaubensgemeinschaft angehört. (Wikipedia)

Vor dem Hintergrund einer landesweiten Arbeitslosenrate von ca. 10% wird u.a. für einzelne Bezirke von Dhi-Qar von einer im Umfang von 25% berichtet. Der Anteil der Bevölkerung der südlichen Provinzen des Iraks, der unter der Armutsgrenze lebt, wird auf ca. 30% geschätzt. Demgegenüber beziehen bis zu 95% der irakischen Familien staatliche Lebensmittelzuteilungen. (EASO, key socio-economic indicators, Iraq)

Die Sicherheitslage in Dhi-Qar wie in allen südlichen Provinzen wird von der irakischen Armee sowie Polizei gemeinsam mit schiitischen Milizen kontrolliert. In Dhi-Qar finden sich insbesondere die Milizen der sogen. Kataib Sayeed al-Shuhada und der Saraya al-Jihad (ehem. Mahdi-Armee des Muqtadr al-Sadr). Massenproteste, eines deren Zentren XXXX war, fanden von Oktober 2019 bis Februar 2020 statt. (EASO, security situation, Iraq, S. 233-239; ACCORD, Themendossier schiitische Milizen, 1.4.).

1.5. Für den Zeitraum des zweiten Quartals 2020 wurden landesweit im Rahmen von 1170 registrierten Konfliktvorfällen (Proteste, Explosionen, Ausschreitungen, Kämpfe, Gewalt gegen Zivilisten, strategische Entwicklungen) 834 Todesopfer gezählt, darunter fanden sich jedoch 277 Vorfälle iZm der allgemeinen Protestbewegung in irakischen Großstädten.

Demgegenüber wurden für den Raum XXXX im genannten Zeitraum 71 Vorfälle mit 19 zivilen Todesopern, für die Provinz Dhi-Qar mit der Stadt XXXX 58 Vorfälle mit 8 Todesopfern gezählt.

(ACLED – Armed Conflict location & Event Data Project; ACCORD, 28.10.2020)

1.6. Mit 30.04.2020 standen im Raum XXXX ca. 36.000 weiterhin intern Vertriebenen ca. 90.000 Rückkehrer gegenüber, während es in der Provinz Dhi-Qar lediglich ca. 3.400 intern Vertriebene gab, dies bei einer landesweiten Gesamtzahl von ca. 1,4 Millionen weiterhin intern Vertriebenen und ca. 4,7 Millionen Rückkehrern.

(IOM Iraq, Displacement Tracking Matrix; Nr. 115; März – April 2020)

1.7. Bis zum 5.8.2020 gab es im Irak 134.722 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 5.017 Todesfällen (WHO 5.8.2020A; vgl. UNHCR 4.8.2020). 96.103 Personen sind wieder genesen (UNHCR 4.8.2020). Der höchste Anstieg an Infektionszahlen wurde in XXXX gemessen, gefolgt von Basra und Sulaymaniyah in der Kurdischen Region im Irak (KRI) (UNHCR 4.8.2020).

Aufgrund der weiterhin stark steigenden Infektionszahlen hat die irakische Regierung für 30.7. bis 9.8.2020 eine neuerliche komplette Ausgangssperre beschlossen (BMEIA 6.8.2020; vgl. GoI 27.7.2020; UNHCR 4.8.2020). Diese Einschränkungen gelten nicht für die KRI (BMEIA 6.8.2020).

Bereits im Juli 2020 gab das Gesundheitsministerium bekannt, dass die Krankenhäuser fast vollständig ausgelastet sind (IRC 2.7.2020). Es herrschen Engpässen bei der Versorgung mit Sauerstoff und mit Schutzausrüstungen (MEMO 3.8.2020).

Nachdem private Kliniken im Juli temporär geschlossen wurden (GoI 7.7.2020), erlaubt die irakische Regierung deren Wiedereröffnung, sofern sie die vom Gesundheitsministerium und dem irakischen Ärzteverband festgelegten Bedingungen erfüllen (GoI 27.7.2020).

Die Sicherheitskräfte sind angewiesen, die Richtlinien zur Schutzmaskenpflicht, zur sozialen Distanzierung und weitere umzusetzen, einschließlich der Verhängung von Geldstrafen und der Beschlagnahme von Fahrzeugen derjenigen, die gegen die Regeln verstoßen (GoI 27.7.2020; vgl. MEMO 3.8.2020).

Seit dem 23.7.2020 sind die internationalen Flughäfen XXXX , XXXX und Basra wieder für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Sämtliche Flughäfen wurden zuvor am 17.3.2020 geschlossen (Al Jazeera 23.7.2020; vgl. Rudaw 1.8.2020). Passagiere müssen vor dem Boarding einen negativen Covid-19 Test vorweisen (Al Jazeera 23.7.2020). Mit der Wiedereröffnung des Internationalen Flughafens Erbil (KRI) am 1.8. wird es auch wieder eine Luftverbindung zwischen XXXX und Erbil geben (Rudaw 1.8.2020).

Seit Beginn des COVID-19-Ausbruchs im Irak im März 2020 gehören vertriebene Familien zu den am stärksten betroffenen Personen, auch durch sekundäre Auswirkungen, wie mangelnde Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu verdienen und sozioökonomische Folgen davon (UNHCR 4.8.2020).

(Kurzinformation der Staatendokumentation, Naher Osten, COVID-19, aktuelle Lage; 14.08.2020)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF1 und der BF2, der bekämpften Bescheide, der Beschwerdeschriftsätze, einer Beschwerdeergänzung und der vom BF1 vorgelegten Beweismittel, die Durchführung von zwei mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG, die Einsichtnahme in die unten genannten länderkundlichen Informationsquellen sowie die Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems die Beschwerdeführer betreffend.

2.2. Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer waren auf der Grundlage der als Kopien vorgelegten Identitätsnachweise von BF1 bis BF7 sowie der Geburtsurkunde des nachgeborenen BF8 feststellbar.

Die Feststellungen ihrer Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe und zur muslimischen Religionsgemeinschaft stützen sich auf den Umstand, dass diese von BF1 und BF2 bereits beginnend mit ihrer Erstbefragung angeben wurden, woraus wiederum auf jene ihrer minderjährigen Kinder zu schließen war.

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen konnten angesichts der vor dem BVwG demonstrierten Kenntnisse sowie der vorgelegten Kurs- und Schulbesuchsbestätigungen getroffen werden. Die Feststellungen zum Schulbesuch resultierten aus einer Zusammenschau dieser Schulbesuchsbestätigungen und der persönlichen Angaben von BF4 bis BF7 in der am 28.02.2020 durchgeführten mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat vor der Ausreise sowie in Österreich im Gefolge derselben ergaben sich aus einer Zusammenschau ihrer persönlichen Angaben im Verlauf des gg. Verfahrens, dem Inhalt der von ihnen vorgelegten Unterlagen sowie aus den vom BVwG eingeholten Informationen der genannten Datenbanken.

Zwar behauptete BF1 im fortgesetzten Verfahren vor dem BVwG, anders als zuvor, dass seine Mutter und neun Geschwister inzwischen den Herkunftsstaat verlassen und sich in der Türkei niedergelassen hätten, allerdings stellte sich dieses neue Vorbringen als nicht glaubhaft dar.

Zunächst fiel auf, dass sich seine Ausführungen dazu sehr vage gestalteten und er sie nur über mehrmalige Nachfrage präzisierte. Als Grund für die Ausreise seiner Verwandten nannte er zunächst bloß allgemein „anhaltende Demonstrationen“ in XXXX, wobei der bloße Umstand, dass dort Demonstrationen stattfanden aus Sicht des erkennenden Gerichts keinen nachvollziehbaren Grund für deren Ausreise darstellt, zumal es sich bei XXXX um eine Großstadt mit ca. 550.000 Einwohnern handelt und sich in den eingesehenen Länderinformationen keine Anhaltspunkte dafür fanden, dass die Einwohner dort wegen der Demonstrationen zur Flucht gezwungen gewesen wären. Nach Vorhalt dieses Umstandes in der mündlichen Verhandlung steigerte der BF1 sein Vorbringen insoweit, als er meinte seine Verwandten hätten an Demonstrationen teilgenommen. Schon angesichts dieser Steigerung war am Wahrheitsgehalt dieser neuen Angaben zu zweifeln. Zudem meinte er, dass jeder, der an Demonstrationen teilgenommen habe, getötet werde, sobald er die Straße betrete, was durch keine Länderinformationen bestätigt wäre und im Übrigen auch nicht plausibel ist, zumal tausende Menschen an diesen Demonstrationen teilgenommen haben. Auch dies erhärtete die Zweifel am Tatsachengehalt seiner neuen Angaben. Seine weiteren Ausführungen, denen zufolge sich die Demonstrationen in der gesamten Herkunftsregion inklusive der ländlichen Gebiete, in denen seine übrigen Verwandten leben, zugetragen hätten, rundeten die fehlende Glaubhaftigkeit seines neuen Vorbringens ab, zumal nichts von auf ländlichem Gebiet stattfindenden Demonstrationen bekannt ist. Es war daher weder glaubhaft, dass seine Angehörigen im Irak an den Demonstrationen im Süden des Landes teilnahmen noch, dass sie infolge dessen den Irak verlassen hätten. Seine Ausführungen zur angeblichen Ausreise seiner Verwandten aus dem Irak, waren daher als bloßes gedankliches Konstrukt zu bewerten und war in der Folge davon auszugehen, dass seine Familienangehörigen nach wie vor in XXXX bzw. in der Umgebung von XXXX leben.

Auch dem neuen Vorbringen der BF2, wonach auch sie nicht sagen könne, wo sich ihre beiden Brüder aktuell aufhalten würden, kam keine Glaubhaftigkeit zu. Zum einen fiel auf, dass sie noch in der ersten mündlichen Verhandlung meinte, sie habe wegen familiärer Streitigkeiten keinen Kontakt mehr zu ihren Brüdern, in der zweiten Verhandlung hingegen meinte sie dagegen, sie habe zuletzt vor einem Monat Kontakt gehabt und wisse seither nichts mehr von ihren Brüdern. Mehrere Onkel und Tanten der BF2 leben ihren Angaben zufolge weiterhin in XXXX. Wie schon hinsichtlich des BF1 war daher auch bei ihrem neuen Vorbringen nicht davon auszugehen, dass es den Tatsachen entspricht, dass gerade ihre Brüder wegen angeblicher Teilnahme an Demonstrationen ihren Wohnsitz nach unbekannt verlegen hätten müssen, und war daher festzustellen, dass hinsichtlich der familiären Anknüpfungspunkte in XXXX und Umgebung in Wahrheit keine Änderungen eintraten und sich die Verwandten der Beschwerdeführer nach wie vor dort aufhalten. Hingegen führten diese neuen, jedoch nicht glaubhaften Ausführungen von BF1 und BF2 im fortgesetzten Verfahren dazu, dass ihre persönliche Glaubwürdigkeit weiter anzuzweifeln war, was auch bei der Beurteilung der vorgebrachten Fluchtgründe zu berücksichtigen war.

Die Feststellungen zum Reiseverlauf resultieren aus einer Zusammenschau der Aussagen von BF1 und BF2 dazu.

2.3. Zur Feststellung fehlender individueller Verfolgung des BF1 vor der Ausreise aus von ihm behaupteten Gründen bzw. der fehlenden Gefahr einer solchen pro futuro gelangte das erkennende Gericht aufgrund folgender Erwägungen:

2.3.1. Anläßlich seiner Erstbefragung am 28.09.2015 brachte der BF1 zu seinen Antragsgründen befragt vor, dass er als Polizist mit den „Befreiungstruppen“ zusammengearbeitet und gemeinsam mit diesen „gegen verschiedene Milizen gekämpft“ habe. Nach dem Abzug der Truppen hätten die Milizen begonnen „alle Verräter aufzuspüren und zu verfolgen“, viele seiner Kollegen seien dabei getötet worden. Als er selbst dann zu Hause Drohungen erhalten habe, habe er Angst um seine Familie bekommen und beschlossen mit dieser zu flüchten.

Anläßlich seiner Einvernahme vor dem BFA am 24.01.2017 legte er dar, dass es am 01.05.2014 zu einem Vorfall gekommen sei, als er auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle in seinem PKW eine Leiche gefunden habe. Er habe Rettungskräfte und Polizei verständigt, die zum Fundort gekommen und ihre Aufgaben erledigt hätten. Am Folgetag sei es aber zur versuchten Verhaftung seiner Person an seinem Wohnsitz gekommen, er sei dieser nur deshalb entgangen, weil er sich bei seinem Bruder befunden habe. Seine Gattin habe ihn davon verständigt und habe er daraufhin einen Kollegen, der „Offizier beim Geheimdienst“ gewesen sei, angerufen, der ihm geraten habe zu verschwinden, weil man ihm die Leiche wohl mit Absicht untergeschoben habe. Er selbst habe angenommen, dass dieser Vorfall damit in Zusammenhang stehe, dass er als Polizist auch einige Terroristen verhaftet habe, die bewaffneten Milizen angehörten, diese hätten wohl versucht ihm die Sache mit der Leiche „anzuhängen“. Sein Dienstgeber habe ihm dann Waffe und Fahrzeug entzogen. Er werde nun sowohl von der Polizei als auch von bewaffneten Milizen wie auch von der Familie des Getöteten verfolgt. Auch weil er seinen Dienst unerlaubt verlassen habe, werde er von der Polizei gesucht und drohe ihm diesbezüglich eine Haftstrafe. Er habe sich nach dem Vorfall in XXXX und später in XXXX versteckt gehalten. Auch nach der Ausreise sei noch nach ihm gesucht worden, wie ihm sein Bruder mitgeteilt habe. Den Zeitpunkt des genannten Vorfalls berichtigte er schließlich auf den 01.03.2014. Als Beweismittel legte er eine Kopie eines gegen ihn gerichteten Haftbefehls vom 05.04.2014 vor, den sein Bruder gegen Bestechungsgeld erhalten habe.

In der Beschwerde und der Beschwerdeergänzung des BF1 fanden sich keine Ergänzungen oder Änderungen des bisherigen Sachverhalts.

Seine Gattin, die BF2, gab in ihrer Erstbefragung an, dass der BF1 von Milizen bedroht worden sei, weil er Polizist war. Auch die Familie sei von unbekannten Männern bedroht worden. In ihrer Einvernahme wiederholte sie – zusammengefasst - das Vorbringen ihres Gatten in seiner Einvernahme.

2.3.2. Die belangte Behörde gelangte auf der Grundlage dieses Vorbringens zur Feststellung, dass diese als Flucht auslösend behaupteten Ereignisse angesichts von Widersprüchen im Vorbringen sowie mangels Plausibilität nicht glaubhaft gewesen seien.

2.3.3.1. Für das BVwG war bereits die gravierende inhaltliche Divergenz zwischen der Aussage des BF1 zu seinen Antragsgründen im Rahmen der Erstbefragung und jener dazu im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA – wie auch schon für die belangte Behörde – ein maßgebliches Indiz gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens.

Zwar hat sich die Aussage eines Antragstellers zu diesem Thema in einer Erstbefragung in Entsprechung der gesetzlichen Vorgaben auf die bloßen Eckpunkte des „Wer, wann, wie und wo“ der die Flucht auslösenden Ereignisse zu beschränken.

Dennoch konnte nicht außer Betracht blieben, dass der BF1 in der Erstbefragung – sinngemäß - ins Treffen führte, dass er Polizist gewesen sei und in dieser Funktion mit den alliierten bzw. amerikanischen Streitkräften nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 zusammengearbeitet und in diesem Rahmen gegen bewaffnete Milizen vorgegangen sei, nach dem Abzug dieser Truppen hätten die Milizen versucht die „Verräter“ aufzuspüren und seien dabei einige frühere Kollegen von ihm zu Tode gekommen. Auch er selbst habe Drohungen erhalten. In seiner Einvernahme trug er demgegenüber einen inhaltlich vollkommen anderslautenden Sachverhalt vor, der sich im Wesentlichen auf den oben wiedergegebenen Vorfall des Versuchs seiner Diskreditierung als Polizist bezog, indem man ihm eine Leiche bzw. damit einen Mord unterschieben habe wollen, weshalb es zur Fahndung nach ihm sowie darüber hinaus zur angedrohten Rache durch Angehörige des Toten gekommen sei.

Auch seine Gattin, die BF2, änderte ihr eigenes Vorbringen zu den Ausreisegründen in Entsprechung zu den Angaben des BF1 zwischen Erstbefragung und Einvernahme ab.

2.3.3.2. Über diese Erwägungen hinaus stellte sich das vom BF1 in der Einvernahme behauptete und in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 11.12.2018 neuerlich dargelegte Verfolgungsszenario als nicht plausibel dar.

Schon die erstinstanzliche Schilderung des Ablaufs der von ihm behaupteten Ereignisse, insbesondere des von ihm dargelegten Verhaltens nach dem Auffinden der Leiche in seinem Fahrzeug und der darauffolgenden behördlichen Maßnahmen war für das erkennende Gericht konstruiert.

So vermeinte er, er habe seiner Ausbildung und Erfahrung entsprechend nach dem Auffinden der Leiche die üblichen Schritte gesetzt und habe seine Kollegenschaft auch die entsprechenden Ermittlungen aufgenommen. Als es bereits am Folgetag zu seiner Festnahme kommen sollte, habe er sich mit einem Kollegen vom Geheimdienst in Verbindung gesetzt, der ihm bedeutet habe, dass er sich absetzen sollte, weil ihm die Leiche mit Absicht untergeschoben worden sei. Aus diesem Geschehen folgerte er unmittelbar, dass er sowohl von der Polizei als auch von Milizen, die er für den Vorfall verantwortlich machte, als auch von der Familie des Getöteten gesucht wurde.

In Anbetracht seiner langjährigen Erfahrung im Polizeidienst erschien es jedoch nicht als plausibel, dass er – sofern man den plötzlichen Festnahmeversuch hier hypothetisch als wahr voraussetzt – lediglich über diesen Kollegen vom Geheimdienst versucht habe Informationen zu diesem Geschehen zu erhalten, wobei auch nicht nachvollziehbar wurde, weshalb gerade dieser damit dienen konnte. Dass er demgegenüber nie mit seinen unmittelbaren Polizeikollegen in Kontakt getreten sei um näheres zu erfahren, und dies offenbar selbst während des gesamten nachfolgenden Aufenthalts im Irak zwischen März 2014 und September 2015 nicht, stellte sich als lebensfremd dar. Auch die abrupte Schlussfolgerung, dass er von Milizangehörigen wie auch von der Familie des Getöteten bedroht worden sei, war nicht schlüssig, wurde doch nicht nachvollziehbar, woraus sich denn diese Annahme konkret ergeben habe. Zwar wiederholte er auf Nachfragen in der Einvernahme mehrmals, dass er von diesem Kollegen beim Geheimdienst erfahren habe, dass Milizangehörige für die Suche nach ihm verantwortlich seien. Die von ihm in der Folge in den Raum gestellte Annahme, dass dies wiederum mit einer von ihm zu einem früheren Zeitpunkt vorgenommenen Festnahme von Milizangehörigen in Zusammenhang gestanden sei, stützte sich aber weder auf konkrete Aussagen dieses Kollegen noch auf sonstige von ihm dargelegte Informationen.

In der ersten Beschwerdeverhandlung im Dezember 2018 dazu nochmals befragt vermochte der BF1 keine erhellenden Angaben zu machen. Dort versuchte er lediglich seine Behauptung, dass hinter seiner Denunzierung ehemals von ihm festgenommene Kriminelle, die Milizangehörige gewesen seien, gestanden seien, durch den neuen Sachverhalt glaubhafter darzustellen, er sei einmal damit konfrontiert gewesen, dass Unbekannte durch seine Bestechung versucht hätten die Freilassung von zwei schiitischen Festgenommenen zu erreichen. Eine Erklärung dafür, woraus sich denn für ihn schließen ließ, dass gerade diese Personen hinter dem per se nicht weiter erklärten Vorfall mit der Leiche in seinem Fahrzeug zu tun hatten, war daraus nicht zu gewinnen.

Zudem mutete auch diese Darstellung insofern unschlüssig an, als er behauptete, die gewünschte Freilassung sei von der Ausfolgung einer Festnahmebestätigung durch ihn abhängig gewesen. Weshalb aber zutreffendenfalls nur dieser von seiner Person abhängige Umstand – über die fehlende Logik eines solchen hypothetischen Vorgangs hinaus – zur Freilassung von Festgenommenen führen hätte können und sich keine sonstige Möglichkeit dafür finden hätte lassen, war für das Gericht angesichts der notorischen Kontrolle der Sicherheitskräfte gerade durch schiitische Kräfte sowie des hohen Grades an behördlicher Korruption im Irak nicht verständlich. Letzteres bestätigte er indirekt insofern, als er im Zusammenhang mit seinen eigenen polizeilichen Aktivitäten beobachtet habe, dass sich Verdächtige „durch einen einfachen Anruf“ bei maßgeblichen Personen ihrer unmittelbaren Festnahme entziehen oder ihre nachfolgende Freilassung bewirken konnten.

2.3.3.3. Zuletzt war noch darauf abzustellen, dass das Vorbringen von BF1 und BF2 mehrfach zueinander in Widerspruch stand.

Vor dem BFA vermeinte der BF1 zum einen, nach dem ersten Festnahmeversuch am Folgetag des Vorfalls mit der Leiche in seinem Fahrzeug habe man „ständig“ an seinem Wohnsitz nach ihm gesucht. Auf Nachfrage, wie oft dies denn gewesen sei, erwiderte er, es habe nach dem ersten Festnahmeversuch nur noch einen weiteren Besuch der Polizei bei seiner Gattin gegeben, dieser habe ca. drei Monate danach stattgefunden. Bei seinem Elternhaus sei zwei Mal nach ihm gesucht worden, als er schon außer Landes gewesen sei. Seine Gattin legte demgegenüber dar, dass zwischen den beiden Festnahmeversuchen an ihrem Wohnsitz nur ca. eine Woche vergangen sei.

Zur behaupteten Bedrohung durch den Stamm des Toten in seinem Fahrzeug legte er auf Nachfrage dar, dass er davon von seinem Stammesoberhaupt, einem Cousin von ihm, erfahren habe, unmittelbar nachdem dieser zwei Tage nach dem Vorfall das Stammesoberhaupt des Toten getroffen habe. Seine Gattin gab demgegenüber an, der Vater des Toten sei gemeinsam mit anderen Personen zu ihr nach Hause gekommen und habe mit der Tötung ihres Gatten gedroht, dies habe sie dann der Familie ihres Gatten berichtet. Wann dies gewesen sei, konnte sie zudem nicht einmal annähernd zeitlich einordnen.

Auch diese Diskrepanzen in den Aussagen der beiden waren der Glaubhaftmachung des behaupteten Bedrohungsszenarios abträglich.

2.3.3.4. Für das Gericht war aus diesen Gründen der behauptete Vorfall im Jahr 2014 im Zusammenhang mit einer Leiche in seinem Fahrzeug nicht glaubhaft.

Die Behauptung einer Verfolgung durch die Familie des Toten in seinem Fahrzeug war folgerichtig ebenso nicht glaubhaft.

2.3.3.5. Über einen im Jahr 2005 ausgestellten Dienstausweis und einige bis dahin erworbene Ausbildungsdiplome hinaus legte der BF1 keine Nachweise für seine polizeiliche Tätigkeit vor.

Aus seiner mündlichen Darstellung vor dem BVwG war zu gewinnen, dass er bereits ab 1991 Polizist war, vorerst über viele Jahre hinweg in seiner engeren Heimat im Südirak und ab 2008 in XXXX. Von 1991 bis 2008 sei er einfacher Polizist gewesen, der sowohl im Innen- als auch im Außendienst bei der Bekämpfung von „gewöhnlicher“ Kriminalität wie etwa von Vermögensdelikten eingesetzt war. Die Frage in der Beschwerdeverhandlung, ob er ab 2008 in XXXX die gleichen polizeilichen Aufgaben wahrgenommen habe, beantwortete er vorerst zustimmend. In der Folge vermeinte er jedoch, seine dortige Dienststelle sei nicht für diese kleineren Formen der Kriminalität zuständig gewesen, sondern für „Terrorismusbekämpfung“. Nachgefragt erklärte er dies so, dass es um „Leute, die Bomben legen und Morde begehen“ gegangen sei, an anderer Stelle sprach er von „Mördern, Plünderern, Bombenlegern“. Er habe einer Einheit angehört, die auf konkrete Hinweise bzw. Verdachtsmomente hin Verdächtige aufgespürt und festgenommen habe, die ihrerseits unterschiedlichen Personenkreisen angehörten. Die Ausbildung dafür habe er bereits vor seiner Übersiedlung nach XXXX erhalten und diese auch schon in XXXX umgesetzt, konkret nannte er den Waffengebrauch und ein Nahkampftraining. Im Offiziersrang sei er selbst nicht gestanden. Nähere Erklärungen dazu, aufgrund welchen Informationsflusses es schließlich zu den von ihm beschriebenen Fahndungen und Festnahmen gekommen sei, konnte er auf Nachfrage nicht geben.

Daraus war für das Gericht insgesamt zwar zu gewinnen, dass der BF1 als Polizist über viele Jahre hinweg an beiden Einsatzorten in der Bekämpfung geringfügiger wie auch gravierender Kriminalität eingesetzt war. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass er im Rahmen dieser Polizeiarbeit eine besonders exponierte Stellung eingenommen hätte, die wiederum ein Verfolgungsinteresse auf Seiten bestimmter Milizen oder Gruppierungen erklärt hätte, ergaben sich aus seiner Darstellung jedoch nicht.

Auch der genaue Zeitpunkt der Beendigung seines Dienstes wie auch die Art und Weise der Beendigung desselben waren angesichts dieser Darstellung nicht feststellbar.

2.3.3.6. In der zweiten mündlichen Verhandlung nach etwaigen Neuerungen zu den bisher vorgetragenen Antragsgründen seit der ersten Beschwerdeverhandlung befragt verneinte der BF1 solche ausdrücklich.

Darüber hinaus behauptete er, auch wenn er nicht nach XXXX , sondern nach XXXX zurückkehren würde, wäre er dort einer Verfolgung durch die schiitische Miliz des Muqtadr Al Sadr ausgesetzt. Dabei fiel auf, dass er erstmals genau diese Miliz als Bedrohung identifizierte, während er zuvor nur in allgemeiner Form von einer schiitischen Miliz gesprochen hatte, was seiner Glaubwürdigkeit was das behauptete Bedrohungsszenario angeht weiter abträglich war. Aber auch eine plausible Erklärung für eine allenfalls über XXXX , seinen früheren Dienstort, hinausgehende Bedrohung blieb er schuldig.

2.3.4. Aufgrund dieser Erwägungen war zu den Feststellungen oben unter 1.2.1. und 1.2.2. zu gelangen.

2.3.5. Die BF2 gab in ihrer Erstbefragung zu ihren Antragsgründen an, dass ihr Gatte „von Milizen“ und sie selbst „von unbekannten Männern“ bedroht worden sei.

In ihrer Einvernahme vor dem BFA machte sie zwar Angaben zu den Ausreisemotiven ihres Gatten, für sich selbst und ihre Kinder machte sie aber keine individuellen Fluchtgründe geltend, sondern verwies sie bloß allgemein auf eine unsichere Lage im Irak.

Ausgehend von den Feststellungen des Gerichts zu den Antragsgründen ihres Gatten war eine individuelle Verfolgung der BF2 und ihrer Kinder vor der Ausreise aus dem Irak daher ebenso wie die Gefahr einer solchen bei einer Rückkehr nicht festzustellen.

2.4. Die Annahme, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch insoweit keiner maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wären, als sie etwa in wirtschaftlicher Hinsicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden, stützt sich darauf, dass es sich beim BF1 um einen arbeitsfähigen Menschen handelt, der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für seinen Unterhalt und den seiner Familienangehörigen sorgen kann, zumal er auch bereits vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer langjährigen beruflichen Tätigkeit nachging und sohin über berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Wenngleich die BF2 vor der Ausreise keiner Erwerbstätigkeit nachging, ist auch sie grundsätzlich gesund und arbeitsfähig und kann ihr daher zugemutet werden sich im Rückkehrfall um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu bemühen. Auch die Möglichkeit einer verwandtschaftlichen Unterstützung stünde den Beschwerdeführern angesichts zahlreicher entsprechender Anknüpfungspunkte in ihrer Herkunftsregion im Südirak zur Verfügung. Dass diese unter akuten gravierenden Erkrankungen leiden, war nicht festzustellen.

2.5. Die vom BVwG getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak stützen sich auf die unten angeführten Berichte und länderkundlichen Informationen und stellten sich in den für die gg. Entscheidung wesentlichen Aspekten als ausreichend und tragfähig dar.

Soweit das BVwG in die in der zweiten mündlichen Verhandlung vom Februar 2020 als Auskunftsquellen herangezogenen länderkundlichen Berichte (S. 159 bis 171 des EASO Länderberichts zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019; EASO, Informationsbericht Irak, zentrale sozioökonomische Indikatoren, Februar 2019; Bericht zur Lage der Binnenvertriebenen und Rückkehrer in ihre Herkunftsgebiete des IOM IRAQ vom Juli 2019; jeweils Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA, Sicherheitsupdate 2. Quartal 2019 v. 25.07.2019, sowie Proteste und Ausgangssperren in XXXX und im Südirak v. 04.10.2019; ACCORD, Themendossier schiitische Milizen; Al Monitor, online report, Nasiriyah becomes the Iraqi protest capital, 24. Februar 2020;) Einsicht nahm und zu diesem Beweisthema den Beschwerdeführern die Möglichkeit zur Darlegung ihrer Positionen einräumte, ergänzte es diese zum Entscheidungszeitpunkt noch durch aktuelle länderkundliche Informationen (ACCORD, Kurzübersicht über sicherheitsrelevante Vorfälle, 2. Quartal 2020; EASO, Iraq, Security situation, October 2020, S. 68 bis 83 und S. 233 bis 239; EASO, Iraq, Key socio-economic indicators, XXXX etc., September 2020; IOM Iraq, DTM, Master List Report 115, März/April 2020; Kurzinformation der Staatendokumentation, Naher Osten, COVID-19, aktuelle Lage, 14.08.2020).

In Ansehung dessen ergab sich ein in sich stimmiges Gesamtbild, das seine Entsprechung in den länderkundlichen Feststellungen oben fand, zumal von den Beschwerdeführern selbst kein maßgeblich abweichendes Vorbringen zur Sicherheits- und Versorgungslage in ihrer engeren Heimat erstattet wurde.

Soweit der VwGH in seiner kassatorischen Entscheidung u.a. auf die Indizwirkung von Richtlinien des UNHCR zur Frage eines Schutzbedarfs hingewiesen hat, war aus den vom BVwG eingesehenen, bereits vom Mai 2019 datierenden und ihrerseits auf Quellen aus 2018 gestützten „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen“ angesichts deren fehlender Aktualität nichts für das gg. Verfahren zu gewinnen.

Aus den länderkundlichen Feststellungen des BVwG war auch abzuleiten, dass es aktuell weder in XXXX noch in den südlichen Provinzen, insbesondere im Gouvernement Dhi Qar, wo auch die Herkunftsstadt der Beschwerdeführer XXXX liegt, wie auch in den übrigen Landesteilen einen bewaffneten Konflikt gibt, unter dem die Zivilbevölkerung in einer Weise zu leiden hätte, dass ein Aufenthalt ebendort jeden, sohin auch die Beschwerdeführer, in eine maßgebliche Gefahrenlage bringen würde.

Letzteres trifft sinngemäß auch auf die aktuelle Lage im Irak bezüglich der globalen COVID-19-Pandemie zu.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 56/2018.

Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-VG obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des BFA-VG und des AsylG 2005 idgF.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheides des Bundesamtes.

Zu A)

1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Darüber hinaus darf keiner der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen, andernfalls der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Im Hinblick auf die Neufassung des § 3 AsylG 2005 im Vergleich zu § 7 AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 anzuwenden ist.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

1.2. Die von BF1 und BF2 behauptete Bedrohung vor der Ausreise, aus der wiederum eine Gefährdung im Falle der Rückkehr resultieren würde, war nicht als glaubhaft anzusehen.

Die belangte Behörde kam daher zu Recht zum Ergebnis, dass die beiden Beschwerdeführer nicht in der Lage waren mit ihrem Vorbringen glaubhaft darzulegen, dass sie vor der Ausreise einer individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt waren oder der Gefahr einer solchen für den Fall der Rückkehr ausgesetzt wären.

Die Asylbegehren ihrer Kinder wurden auf kein sonstiges individuelles Vorbringen gestützt. Eine Asylgewährung an diese im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 Abs. 2 AsylG kam für diese mangels einer solchen an ihre Eltern nicht in Betracht.

1.3. Die Beschwerde war sohin zu Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

2.2. Zu den Kriterien für die allfällige Zuerkennung von subsidiärem Schutz hat sich der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in seinem Erkenntnis vom 26.06.2019, Ra 2019/20/0050 bis 0053-10, unter Bezugnahme auf seine vorgehende Judikatur in grundsätzlicher Weise geäußert.

Hatte er zuvor in seinem Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/01/0106, näher dargelegt, dass der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Weiteren kurz: StatusRL) betreffend den Status des subsidiär Schutzberechtigten im Sinn der Auslegung der Bestimmung des Art. 15 lit. b iVm Art. 3 StatusRL entgegen der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) und somit fehlerhaft umgesetzt hat (siehe Rn. 45 der Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses), und in diesem Erkenntnis auch darauf verwiesen, dass zur Erfüllung dieser Verpflichtung es der Grundsatz der unionskonformen Auslegung von den mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichten verlangt, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel im Einklang steht, so stellte er dem gegenüber, dass die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen findet und nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf (Rn. 47 ff. der Entscheidungsgründe).

Im zitierten Erkenntnis Ra 2018/01/0106 hat der VwGH sodann die Frage, ob § 8 Abs. 1 AsylG 2005 einer dem Unionsrecht (im Sinn der zu Art. 15 StatusRL ergangenen Rechtsprechung des EuGH) Genüge tuenden Auslegung zugänglich ist, ausdrücklich dahingestellt gelassen (Rn. 60 der Entscheidungsgründe). Auch im Beschluss vom 21. November 2018, Ra 2018/01/0461, wurde lediglich darauf hingewiesen, dass es der StatusRL widerspreche, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen.

Den genannten Entscheidungen war somit - ungeachtet des jeweils vorhandenen Hinweises auf die Unionsrechtswidrigkeit des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 - nicht zu entnehmen, dass der Verwaltungsgerichtshof damit seine bisherige zum Umfang des Anwendungsbereiches des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ergangene Rechtsprechung als nicht mehr beachtlich angesehen hätte.

Zwischenzeitig hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit der Frage, ob in Bezug auf den Status des subsidiären Schutzes eine unionsrechtskonforme Lösung gefunden werden kann (und allenfalls das Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung in Erwägung zu ziehen sein wird), in seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, beschäftigt. Er ist dort zum Ergebnis gelangt, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der StatusRL in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln ü

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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