TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/7 W282 2236925-1

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Veröffentlicht am 07.12.2020
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Entscheidungsdatum

07.12.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
Dublin III-VO Art28 Abs2
FPG §76 Abs2 Z3
FPG §76 Abs6
VwGVG §35

Spruch


W282 2236925-1/16E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 20.11.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom XXXX .2020, Zl. XXXX wegen der Anhaltung in Schubhaft seit XXXX .2020 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2020 zu Recht erkannt:

A)       

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft am XXXX .2020 gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG und Art. 28 Abs. 2 VO (EU) 604/2013 als unbegründet abgewiesen.

II. Für den Zeitraum von 04.11.2020 bis 20.11.2020 wird die Anhaltung in Schubhaft sowie der Schubhaftbescheid gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 6 FPG für rechtswidrig erklärt.

III. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 6 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

IV. Der Antrag auf Aufwandsersatz des Beschwerdeführers sowie jener des Bundesamtes wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Feststellungen:

1. Zum Beschwerdeführer und dem Vorverfahren:

Der Beschwerdeführer (BF) ist afghanischer Staatsbürger und reiste zu einem nicht mehr genau feststellbarem Zeitpunkt Ende Oktober 2020 von Serbien kommend illegal unter Hilfe von Schleppern nach Rumänien ein. Er wurde dort von den Behörden aufgegriffen, befragt und erkennungsdienstlich behandelt. Der BF hat am 20.10.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Rumänien gestellt, dieser wurde mit den biometrischen Daten des BF in der EURODAC Datenbank als Kategorie 1 Eintrag gespeichert. Der BF wurde in Folge in ein Grundversorgungsquartier in Rumänien gebracht.

Aus diesem Quartier entfernte sich der BF am 28.10.2020 ohne Abmeldung und Nachricht an die rumänischen Behörden und reiste er schlepperunterstützt über Ungarn nach Österreich weiter. Eine Asylwerberkarte, die dem BF in Rumänien aufgrund seiner Antragstellung ausgefolgt wurde, hat der BF vor seiner Weiterreise zerrissen. Am 02.11.2020 um XXXX wurde der BF in Wien XXXX von Polizisten in einem Park wahrgenommen. Als der BF die Polizisten wahrnahm, entfernte er sich schnellen Schrittes aus dem Park und versuchte sich einer Personenkontrolle zu entziehen. Erst nach einer Nacheile und mehren lauten Aufforderungen durch die Polizei, stehen zu bleiben, blieb der BF stehen und wurde kontrolliert.

Der BF wurde, da er keine Dokumente bei sich hatte und angab afghanischer Staatsbürger zu sein, festgenommen und im Anschluss in ein Polizeianhaltezentrum in Wien eingeliefert. Bei der folgenden erkennungsdienstlichen Behandlung schien in der EURODAC Datenbank ein Treffer der Kategorie 1 (offener Antrag auf internationalen Schutz) aus Rumänien auf.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2020 wurde an ebendiesem Tag über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung Rücküberstellung nach Rumänien gemäß Art. 28 VO (EU) 604/2013 („Dublin-III VO“) verhängt. Der BF wurde zur Schubhaftverhängung vom Bundesamt „aufgrund einer ansteckenden Krankheit“ nicht einvernommen, ebenso wenig wurde er zur Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG nach seinem Folgeantrag auf internationalen Schutz am 04.11.2020 einvernommen. Noch am XXXX .2020 wurde ein Konsultationsverfahren mit Rumänien begonnen und ein Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 23 Dublin-III VO gestellt.

Am 04.11.2020 stellte der BF aus dem Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt änderte mit diesem Datum die Rechtsgrundlage der Schubhaft auf
§ 76 Abs. 6 FPG, und folgte dem BF einen entsprechenden Aktenvermerk aus. Dieser ist wie folgt begründet (Zitierung im Original):

„Sie wurden am 02 11 2020 einer Personenkontrolle unterzogen.

?        Sie hatten keine Dokumente und sie hielten sich unrechtmalig im BG auf.

?        Sie wurden am 02 11 2020 um 12 20 Uhr von der Polizei festgenommen.

?        Eine erkennungsdienstliche Behandlung ergab einen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 in Rumänien.

?        Am XXXX 2020 wurde gegen Sie ein Verfahren zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung nach Antrag auf internationalen Schutz eingeleitet.

Sie haben am 04 11 2020 in Schubhaft einen Asylantrag gestellt.

Dazu wird festgehalten:

?        Sie sind zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Osterreich eingereist Als Begründung für ihren Aufenthalt haben Sie angegeben, Österreich sei ein schönes Land.

?        Sie wurden bereits in Rumänien einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen Ein Konsultationsverfahren mit Rumänien läuft, es ist davon auszugehen, dass Rumänien ihrer Überstellung zustimmt.

?        Bei der Festnahme durch die LPD haben Sie keinen Asylantrag gestellt.

?        Sie haben selbst angegeben am 31 10 2020 eingereist zu sein, Sie haben jedoch nirgendwo, mit keinem Wort bis dato eine Gefährdung, Verfolgung in ihrer Heimat erwähnt. Es ist evident, dass es ihnen nicht um die Sicherheit geht ansonsten waren Sie im sicheren Rumänien verblieben.

?        Sie waren im EU Raum noch nie gemeldet. Sie sind für die Behörde nicht greifbar Es ist ganz offensichtlich, dass der Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung ledig ich der Tatsache dient der Schubhaft und der drohenden Abschiebung zu entkommen Sie missbrauchen damit das Instrument der Asyantragstellung. Es besteht höchste Fluchtgefahr.

?        Nachdem in Rumänien ihr Verfahren geführt wird, ist davon auszugehen, dass ihre Antragstellung ausschlich der Verzögerung bzw der Unterminierung ihrer Abschiebung dient.

?         Rumänen ist für ihr Verfahren zuständig.

Deswegen ist die errachte Maßnahme verhältnismäßig.“

Ebenfalls am 04.11.2020 wurde der BF zu seinem in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz erstbefragt. Dabei gab er an, er wollte nicht in Rumänien bleiben, sei aber gezwungen worden, dort einen Asylantrag zu stellen, sonst hätte man ihn nach Serbien zurückgebracht. Er habe sein Verfahren in Rumänien keinesfalls abwarten wollen, er habe den Antrag in Österreich gestellt, um in Österreich bleiben zu können. Der BF will keinesfalls nach Rumänien zurück und wird nicht freiwillig dorthin zurückreisen.

Am 16.11.2020 langte die Zusage zur Wiederaufnahme des BF der rumänischen Behörden ein. Hierin ist ausgeführt, der BF habe am 20.10.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Rumänien gestellt und sei in Folge in Rumänien in ein Quartier der dortigen Grundversorgung überstellt worden. Er habe sich am 28.10.2020 aus diesem Quartier ohne Nachricht entfernt und sei seitdem abgängig.

2. Zu dem Vorrausetzungen der Schubhaft:

BF verfügt im Bundesgebiet über keine soziale Verankerung. Der BF hat keinen gesicherten Wohnsitz bzw. ist er obdachlos, er hat keine sozial verfestigten familiären Kontakte im Bundesgebiet und ging bis dato keiner legalen Erwerbstätigkeit zur Bestreitung seiner Existenzmittel im Bundesgebiet nach, er verfügt über keine Barmittel und er ist nicht krankenversichert.

Der BF ist nicht vertrauenswürdig und nicht zuverlässig. Der BF wird versuchen seine Rücküberstellung nach Rumänien im Rahmen seiner Möglichkeiten zu be- bzw. verhindern. Der BF ist nicht ausreisewillig. Der BF hat seinen Folgeantrag auf internationalen Schutz in Österreich in der Absicht gestellt seine Rücküberstellung nach Rumänien zu verhindern und in Österreich bleiben zu können. Der BF hat sich seinem Verfahren über internationalen Schutz in Rumänien bewusst entzogen.

II. Beweiswürdigung

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des Bundesamtes und in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts sowie durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel bestehen, durch Einsichtnahme im die Anhaltedatei des BMI und durch Einvernahme des Beschwerdeführers am heutigen Tag.

Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensablauf ergeben sich insoweit widerspruchsfrei aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes und dem angefochtenen Bescheid, insb. aus dem Polizeibericht (AS 13f), dem EURODAC Protokoll (AS 21f), dem Aktenvermerk nach
§ 76 Abs. 6 FPG (AS 59) sowie der Erstbefragung des BF zu seinem Antrag auf internationalem Schutz am 04.11.2020 (Verwaltungsakt) und der Zusage der Wiederaufnahme des BF seitens Rumänien vom 16.11.2020 (OZ 10).

Die Feststellungen zum BF selbst und seiner mangelnden sozialen oder sonstigen Verankerung im Bundegebiet ergeben sich aus seinen Angaben bei seiner Erstbefragung aufgrund seines Folgeantrags und seinen Angaben am heutigen Tag bei seiner Einvernahme in der mündlichen Verhandlung. Der BF konnte dabei beim erkennenden Richter keinen maßgeblich vertrauenswürdigen Eindruck hinterlassen. Er gab an, aufgrund der Tatsache, dass er in Rumänien niemanden kenne, keinesfalls nach Rumänien zurückzuwollen und auch freiwillig sicher nicht dorthin zurückzukehren. Auch gestand der BF zu, seine Asylkarte aus Rumänien zerrissen zu haben, damit man dann seinen bereits in Rumänien gestellten Antrag nicht mehr nachvollziehen könne. Die vom BF in der Beschwerde behauptete Unwissenheit, dass er nicht wusste, dass er in Rumänien bleiben müsse, ist ebenfalls nicht glaubwürdig, zumal er aussagte, dass die rumänische Grenzpolizei zu ihm und dem mit ihm Aufgegriffenen gesagt habe, sie wüssten, dass sie (die Aufgegriffenen) nicht lange in Rumänien bzw. im dortigen Quartier bleiben würden. Diese Aussage macht aber nur in einem Kontext Sinn, in dem diese Gruppe auch darüber aufgeklärt wurde, dass sie (eigentlich) verpflichtet wären, das Verfahren in Rumänien abzuwarten. Daher war festzustellen, dass sich der BF in Kenntnis der Verpflichtung bis zum Abschluss seines Verfahrens in Rumänien zu bleiben, seinem Verfahren dort bewusst entzogen hat. Unterstrichen wird dieser Eindruck auch durch die Tatsache, dass sich der BF für seine Weiterreise über Ungarn nach Österreich eines Schleppers bedient hat und ihm - wie er aussagte - klar war, dass die ungarischen Behörden ihn sofort nach Rumänien zurückgeschickt hätten, wäre er in Ungarn aufgegriffen worden.

Aufgrund dieser Umstände kommt auch das Verwaltungsgericht nach Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom BF zum Schluss, dass der BF seinen Asylantrag in Österreich nur zur Verhinderung der Rücküberstellung nach Rumänien gestellt hat und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten dieser auch entziehen wird. So gab der BF klar und unmissverständlich an, keinesfalls nach Rumänien zurück zu wollen, um sich seinem Verfahren dort zu stellen. Auch auf entsprechendes Befragen gab der BF an, mit seinem Antrag einen Verbleib in Österreich erreichen zu wollen, um nicht nach Rumänien zurückzumüssen. Auch sind für das Bundesverwaltungsgericht keine anderen plausiblen Gründe für die Folgeantragstellung in Österreich ersichtlich, als jener, dass der BF seine Rücküberstellung verhindern will, da der BF keine Familie hier hat, bei denen er u.U. bleiben könnte und auch sonst nur Bindungen auf „Bekanntenebne“ in Österreich hat. So gab er an, es hielten sich „Leute“ iSv Bekannten aus seinem Dorf in Afghanistan in Österreich auf, mit diesen wollte er in Kontakt treten. Auch ist es plausibel nicht zu erklären, dass der BF sich bei seinem Aufgriff versuchte der Kontrolle durch die Polizei zu entziehen: Wenn der BF wie in der Beschwerde behauptet wird, davon ausging, in Rumänien laufe gar kein Verfahren über seinen Erstantrag, dann wäre es logisch gewesen, sofort nach der Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Im Gegenteil versuchte der BF aber sich der Polizeikontrolle zu entziehen, was dafür spricht, dass er eigentlich vorhatte unterzutauchen und bei seinen Bekannten im Bundesgebiet zu verbleiben, dies höchstwahrscheinlich ohne Folgeantragstellung. Hieraus ergibt sich aber auch, dass der BF den Folgeantrag aus dem Stande der Schubhaft nur deshalb gestellt hat, weil ihm klar war, dass ihm die Rücküberstellung nach Rumänien droht.

Auf diese Umstände und den persönlichen Eindruck des BF stützt sich auch die Feststellung, dass der BF in Summe nicht vertrauenswürdig und nicht zuverlässig ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A):

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides anzurufen, wenn gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Für diese Beschwerden gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 22a Abs. 2 leg. cit. hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

Nach § 22a Abs. 3 leg. cit hat, sofern die Anhaltung noch andauert, das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

3.1 Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Die Art. 2 lit. n), 23, 25 und 28 Dublin-III VO lauten wie folgt:

Artikel 2

Definitionen

[..]

n)

„Fluchtgefahr“ das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.

Artikel 23

Wiederaufnahmegesuch bei erneuter Antragstellung im ersuchenden Mitgliedstaat

(1) Ist ein Mitgliedstaat, in dem eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Auffassung, dass nach Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

(2) Ein Wiederaufnahmegesuch ist so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Artikel 9 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu stellen.

Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.

(3) Erfolgt das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der neue Antrag gestellt wurde.

(4) Für ein Wiederaufnahmegesuch ist ein Standardformblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien im Sinne der beiden Verzeichnisse nach Artikel 22 Absatz 3 und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung der betroffenen Person enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist.

Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Wiederaufnahmegesuchen fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 gennanten Prüfverfahren erlassen.

Artikel 25

Antwort auf ein Wiederaufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

(2) Wird innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Artikel 28

Haft

„(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.

(4) Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU.“

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 und der mit „Gelindere Mittel“ betitelte § 77 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lauten auszugsweise:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen [..].

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen. [..]“

3.2 Zur Judikatur:

3.2.1 Zur Schubhaft allgemein:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

3.2.2 Zur Schubhaft nach dem Regime der Dublin-III VO:
„Vor dem Hintergrund der Vorgaben des Art. 2 lit. n Dublin III-VO vermögen ausschließlich die Tatbestände des § 76 Abs. 3 FrPolG 2005 "Fluchtgefahr" an sich zu konstituieren. Der demonstrative Charakter des § 76 Abs. 3 legcit kommt demgegenüber lediglich insofern zum Tragen, als neben den dort genannten Tatbeständen andere Aspekte nur im Rahmen der abschließend vorzunehmenden konkreten Bewertung aller im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte miteinbezogen werden können (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021).“ (VwGH 26.04.2018, Ro 2017/21/0010).

Weiters:

„Maßgeblich für die vom VwG getroffene Annahme, es sei keine erhebliche Fluchtgefahr iSd Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO gegeben gewesen, wäre gewesen, ob sich die Fremde für ein Verfahren zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung zur Verfügung gehalten und danach - anders als zuletzt in Deutschland - einer formalisierten Überstellung nach Italien (vgl. dazu Art. 7 Dublin-II DV) nicht entzogen hätte. Dieser entscheidende Aspekt hätte vom VwG bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigt werden müssen.“ (VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0133).

Sowie:

„Es ist evident und bedarf daher weder einer Klärung durch den EuGH noch durch den VwGH, dass unter "erheblicher Fluchtgefahr" iSd Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO allgemein eine solche Fluchtgefahr zu verstehen ist, die in ihrer Intensität über das hinausgeht, was unter Art. 2 lit. n dieser Verordnung als "Fluchtgefahr" definiert wird. Daraus ergibt sich umgekehrt, dass es - anders als für "Fluchtgefahr" an sich - keiner abstrakten innerstaatlichen Festlegung von Fällen "erheblicher Fluchtgefahr" bedarf und dass § 76 Abs. 3 FrPolG 2005 auch im Anwendungsbereich der Dublin III-VO nicht sein Ziel verfehlt (Hinweis B 15. September 2016, Ra 2016/21/0256).“ (VwGH 29.06.2017, Ro 2017/21/0011).

3.3. Zum konkreten Fall:

3.3.1. Zur Schubhaft allgemein, zur erheblichen Fluchtgefahr und zur Anhaltung in Schubhaft am XXXX .2020 (Spruchpunkt I.):

Gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 FPG kann die Schubhaft zur Sicherung des Rücküberstellung nach Art 28 Dublin-III VO verhängt werden, wobei sich der Sicherungsbedarf und die Tatbestände für die Annahme von Fluchtgefahr nach Art. 2 lit. n) iVm § 76 Abs. 3 FPG richten. Entgegen der Ausführungen in der Beschwerde ist dabei mit dem Begriff „erheblicher Fluchtgefahr“ in Art. 28 Abs. 2 Dublin-III VO kein anderer Begriff von Fluchtgefahr verbunden, als jener der den Tatbeständen des § 76 Abs. 3 FPG zu Grunde liegt (vgl. VwGH 29.06.2017, Ro 2017/21/0011, Zitat oben).

Die Anordnung der Schubhaft erfordert zu allererst das Vorliegen eines bestimmten Sicherungsbedarfs iSd § 76 Abs. 2 FPG. Im gegenständlichen Fall hat das Bundesamt die Schubhaft auf § 76 Abs. 2 Z 3 FPG gestützt. Gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 FPG kann die Schubhaft zur Sicherung des Rücküberstellung nach Art28 Dublin-III VO verhängt werden, wobei sich der Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr nach Art. 2 lit. n) iVm § 76 Abs. 3 FPG richten.

Im ggst. Fall ist klar, dass der BF unter die Bestimmungen der Dublin-III VO fällt, da er in Rumänien am 20.10.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der in der EURODAC Datenbank als Kategorie 1 Eintrag gespeichert wurde. Nachdem der Antrag des BF in Rumänien bei seiner Festnahme und erkennungsdienstlichen Behandlung aufschien, hat das Bundesamt bereits am XXXX .2020 ein Wiederaufnahmeersuchen bei erneuter Antragstellung im ersuchenden Mitgliedstaat nach Art. 23 Dublin-III VO an Rumänien gerichtet, das innerhalb der zweiwöchigen Frist (Art. 25 Abs. 1 S 2 leg. cit.) am 16.11.2020 von Rumänien mit der Zusage der Wiederaufnahme des BF beantwortet wurde. Es ist daher grundsätzlich der Sicherungszweck des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG iVm Art. 28 Abs. 1 u. 2 Dublin-III VO gegeben.

Gegenständlich hat die belangte Behörde im angefochtenen Mandatsbescheid die Annahme von Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr (aus der Begründung erkennbar) auf die Erfüllung der Tatbestände der Z 1, Z 3 und Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG gestützt.

Es besteht für den erkennenden Richter aufgrund der Feststellungen und des persönlichen Eindrucks vom BF kein Zweifel, dass der BF nicht nach Rumänien rückreisewillig ist. Er gab mehrfach an, unbedingt in Österreich bleiben zu wollen und keinesfalls nach Rumänien zurückzuwollen, weil er dort niemanden kennt. Das Bundesamt ging daher zu Recht davon aus, dass der BF seine Rücküberstellung zu be- oder verhindern versuchen wird bzw. sich einer solchen mit allen Mitteln zu entziehen versuchen wird, zumal er auch versuchte sich der Personenkontrolle durch die Polizei zu entziehen. Auch ist zu berücksichtigen, dass der BF aufgrund der knapp bemessenen Rücküberstellungsfristen der Dublin-III VO nun ein vitales Interesse daran hat, sich seiner Rücküberstellung durch Untertauchen zu entziehen, da bei ausreichend langem Untertauchen Österreich für seinen Antrag zuständig werden würde, womit sein intendiertes Ziel letztlich erreicht wäre. Der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG ist daher jedenfalls erfüllt.

Weiters liegt auch der Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z 3 leg. cit. vor, da sich der BF seinem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz in Rumänien bereits wissentlich entzogen hat. Ihm war klar, dass sein Verfahren in Rumänien anhängig ist, nur wollte er dort keinesfalls bleiben, weil er dort keine Freunde hat bzw. wie er angibt „niemanden kennt“. Entgegen der Angabe in der Beschwerde, wonach ihm von rumänischen Behörden keine Dokumente ausgefolgt worden wären, gab der BF in Verhandlung zu, ihm sei eine dort eine Asylkarte ausgefolgt worden. Diese habe er aber vor der Weiterreise per Schlepper über Ungarn nach Österreich zerrissen. Letztlich spricht auch diese Handlung klar dafür, dass der BF vorsätzlich seinen Antrag in Rumänien verschleiern wollte. Es kommt dabei auf die subjektive Sichtweise des Fremden an und nicht darauf, ob der Fremde mit dieser Handlung einen - angesichts der EURODAC Datenbank - tatsächlich „tauglichen“ Versuch unternimmt, seine bereits erfolgte Antragstellung in einem anderen Mitgliedsstaat zu verbergen.

Zu § 76 Abs. 3 Z 9 FPG ist festzuhalten, dass sich das Bundesamt zu Recht auch auf diesen Tatbestand für die Annahme von Fluchtgefahr stützt. Die BF hat im Bundesgebiet keine familiären Anknüpfungspunkte, er geht und ging keiner (legalen) Erwerbstätigkeit nach und besitzt keine maßgeblichen Vermögenswerte und verfügt auch nicht über die Geldmittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Der BF ist de-facto obdachlos und hat keinen festen Wohnsitz im Bundesgebiet. Er gab lediglich an, es würden sich Personen aus seinem Dorf in Afghanistan in Österreich befinden, diese hätte er kontaktieren wollen. Es besteht somit auch Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 Z 9 FPG. Die dagegen eingewandte Judikatur, wonach erst kurz aufhältigen Asylwerbern die mangelnde soziale Verankerung nicht zur Last gelegt werden kann, geht hier ins Leere, weil es bei einem Sachverhalt nach der Dublin-III VO eben gerade typisch ist, dass der BF kurzfristig in ein Land weiterreist, in dem er sich gar nicht aufhalten dürfte, da ein anderes Land für sein Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist. Dies bedingt aber letztlich auch, dass in so kurzer Zeit keine maßgeblichen sozialen Bindungen etabliert werden können. Eine mangelnde soziale Verankerung im Bundesgebiet bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass den BF nichts von einer Weiterreise bzw. Flucht in einen anderen Mitgliedsstaat um seiner Rücküberstellung zu entgehen oder vom Untertauchen im Bundesgebiet abhält, letzteres um durch Fristablauf eine Zuständigkeit Österreichs für seinen Antrag auf internationalen Schutz zu erreichen.

Aus diesem Gründen lag und liegt im Entscheidungszeitpunkt fortgesetzt die von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III VO geforderte erhebliche Fluchtgefahr iSd Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 vor und erfolgte die Verhängung der Schubhaft am XXXX .2020 durch das Bundesamt daher zu Recht bzw. war diese verhältnismäßig, weshalb die Beschwerde soweit die Anhaltung in Schubhaft am XXXX .2020 betroffen ist, gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG und Art. 28 Abs. 1 u. 2 VO (EU) 604/2013 als unbegründet abzuweisen war.

3.3.2 Zur Anhaltung ab 04.11.2020 bis zum Fortsetzungsausspruch am 20.11.2020 (Spruchpunkt II.):

Der BF stellte am 04.11.2020 aus dem Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt änderte mit dem BF ausgefolgten Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG noch am selben Tag die Rechtsgrundlage für die Aufrechterhaltung der Schubhaft auf diese Bestimmung ab.

Wie die Beschwerde hierzu aber zutreffend ausführt, gilt für die Aufrechterhaltung der Schubhaft nach § 76 Abs. 6 FPG, wegen angenommener Stellung des Antrags auf internationalen Schutz in der Absicht der Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, nach der Judikatur des VwGH folgendes:

„Anders als die zitierte Bestimmung stellt der Wortlaut des § 76 Abs. 6 FPG nur auf die Absicht zur "Verzögerung" der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ab; das erfasst allerdings im Sinne eines Größenschlusses ohnehin auch die beabsichtigte "Vereitelung" einer Abschiebung. Bedeutsam ist jedoch, dass im Text der nationalen Regelung - anders als in der damit umgesetzten Norm der Aufnahme-RL - nicht zum Ausdruck kommt, die beabsichtigte Verzögerung müsse der ausschließliche Grund für die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gewesen sein (vgl. dazu auch EuGH 30.5.2013, Arslan, C-534/11, Rn. 63, in dem in einer solchen Konstellation, wenn auch noch vor dem Hintergrund der damals geltenden Unionsrechtslage, für die Zulässigkeit der Fortsetzung der Haft verlangt wurde, dass der Antrag auf internationalen Schutz "einzig und allein" zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden). Insoweit ist somit eine unionsrechtskonforme korrigierende Auslegung vorzunehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits zum Ausdruck gebracht, es könne kein Zweifel bestehen, dass im Anwendungsbereich der Aufnahme-RL eine an deren Regelungen zur Haft orientierte unionsrechtskonforme Auslegung des § 76 FPG Platz zu greifen habe (VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, Rn. 18; siehe darauf Bezug nehmend auch VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, 0013, allgemein in Rn. 17 und im Besonderen zur richtlinienkonformen Auslegung des § 76 Abs. 6 FPG in Rn. 21). 15 Vor diesem Hintergrund wäre bei der gebotenen Begründung für die Annahme, die weitere Anhaltung in Schubhaft sei nach § 76 Abs. 6 FPG gerechtfertigt, einzubeziehen gewesen, dass der Revisionswerber den Antrag auf internationalen Schutz den diesbezüglich angegebenen Gründen zufolge auch stellte, um bei seinen Familienangehörigen in Österreich bleiben zu können. Das wäre bei verständiger Würdigung dahin zu deuten gewesen, dass der Revisionswerber auf diesem Weg im Hinblick auf die schon in der Vernehmung am 6. Juni 2019 vorgetragenen geänderten Prämissen in Bezug auf sein Familienleben in Österreich eine "Revidierung" der Rückkehrentscheidung erreichen wollte. Davon ausgehend war es nicht offensichtlich, dass der Asylfolgeantrag ausschließlich und zur Gänze missbräuchlich zur Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde, sodass das BVwG nicht ohne Weiteres und ohne diesbezügliche Begründung die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FPG hätte unterstellen dürfen.“ (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0204)

Das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes zu dieser Frage vermag aber die Umstellung auf
§ 76 Abs. 6 FPG als Rechtsgrundlage der Schubhaft schon dem Grunde nach nicht zu tragen, da der BF vom Bundesamt „aufgrund einer ansteckenden Krankheit“ weder vor noch nach seiner Folgeantragstellung einvernommen wurde. Anzumerken ist hierzu, dass die ggst. Verhandlung am 20.11.2020 vor dem BVwG ohne jedwede zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, die über jene die aufgrund der COVID-19 Pandemie derzeit ohnehin Platz greifen, durchgeführt wurde.

Ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks über die Motive für die Antragstellung durfte das Bundesamt daher nicht bloß aufgrund des bis dahin diesbezüglich eher dürftigen Akteninhalts von einer ausschließlichen Missbrauchsabsicht des BF bei Stellung seines Folgeantrags ausgehen. Daran ändert auch der getroffene Fortsetzungssauspruch (sogleich unten Punkt 3.3.3) des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls auf Basis von § 76 Abs. 6 FPG nichts mehr, da sich der erkennende Richter nun eben diesen persönlichen Eindruck vom BF und seinen Motiven verschafft hat und ihn hierzu befragt hat. Hätte das Bundesamt den BF einvernommen und zu seiner Folgenantragstellung befragt, hätte es hierdurch – wie nun auch das Verwaltungsgericht - zulässigerweise beweiswürdigend zum Ergebnis kommen können, dass der BF keinen glaubwürdig nachvollziehbaren Alternativgrund für seine Folgeantragstellung, außer jener der Verhinderung oder Verzögerung seiner Rücküberstellung nach Rumänien, wohin er – wie er selbst unumwunden angibt- keinesfalls zurückmöchte, vorbringen kann.

Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, die vom Bundesamt auf § 76 Abs. 6 FPG gegründete Anhaltung des BF in Schubhaft einer nachträglichen Kontrolle zu unterziehen (vgl. in diesem Sinn zuletzt VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0122, Rn. 9, mwN). Eine rückwirkende Sanierung des Ermittlungsverfahrens des Bundesamtes ist daher im Gegensatz zum Administrativbeschwerdeverfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG nicht möglich, auch wenn das BVwG aufgrund der nun durchgeführten Ermittlungen und der Einvernahme des BF letztlich zum gleichen Ergebnis gelangt, wie zuvor das Bundesamt. Das Bundesamt durfte daher ab 04.11.2020 aufgrund der diesbezüglich grob unzureichenden Ermittlungen nicht per-se von der Stellung des Folgenantrags durch den BF ausschließlich zum Zwecke der Verhinderung bzw. Behinderung seiner Rücküberstellung nach Rumänien und somit auch nicht vom gesicherten Vorliegen des Tatbestandes des § 76 Abs. 6 FPG ausgehen. Es hätte hierzu einer zumindest grundlegenden Motivforschung entsprechend der oben angeführten Judikatur des VwGH erfordert, zumal es sich um den ersten Folgeantrag des BF handelt. Die im Aktenvermerk des Bundesamtes nach § 76 Abs. 6 FPG enthaltene Begründung dafür, dass der BF den Folgeantrag ausschließlich zum Zwecke der Verhinderung bzw. Behinderung seiner Rücküberstellung nach Rumänien gestellt hat, vermag daher die Aufrechterhaltung der Schubhaft auf Basis dieser Bestimmung, aufgrund der grob unzureichenden Ermittlungen nicht zu tragen.

Aus diesem Grund war die Anhaltung des BF in Schubhaft und der Schubhaftbescheid, soweit er die Anhaltung in Schubhaft vom 04.11.2020 bis zum heutigen Tag (20.11.2020) betrifft gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm und § 76 Abs. 6 FPG für rechtswidrig zu erklären.

3.3.3 Zum Fortsetzungsausspruch ab dem heutigen Tag (Spruchpunkt III.):

Wie bereits angesprochen und umfänglich beweisgewürdigt, kommt das Bundesverwaltungsgericht in Summe aufgrund der heutigen Einvernahme und des hierbei gewonnen persönlichen Eindrucks zum Ergebnis, dass der BF keine glaubwürdigen bzw. nachvollziehbaren Alternativgründe ins Treffen führen kann, die zeigen, dass er den Folgeantrag am 04.11.2020 nicht nur zur Verhinderung oder Verzögerung seiner Rücküberstellung nach Rumänien gestellt hat. Der BF hat hierzu auch immer wieder klargemacht keinesfalls nach Rumänien zurück zu wollen. Im Gegenteil will er vielmehr, dass sein Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz unbedingt in Österreich geführt wird. Die – angesichts des klaren Dublin-Sachverhalts letztlich fast aussichtslose – Stellung eines Folgeantrags in einem anderen Mitgliedsstaat als dem Zuständigen, in der (rechtsirrigen) Absicht, damit eine Behandlung dieses Antrags in diesem Mitgliedsstaat erzwingen zu können, weil der BF keinesfalls in jenen Mitgliedsstaat zurückwill, in dem er seinen noch nicht erledigten Erstantrag gestellt hat, ist aber aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts geradezu musterhaft tatbestandserfüllend für § 76 Abs. 6 FPG. Unter dem Begriff der „Verzögerung“ ist nämlich auch der Begriff der gewünschten „Vereitelung“ der Vollstreckung bzw. der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (in diesem Fall der Anordnung zur Außerlandesbringung) inkludiert (VwGH 19.09.201, Ra 2019/21/0204, Rn. 13). Wie schon zuvor festgehalten, kommt es dabei nur auf die Absicht bzw. die dahinterstehende Motivation des Fremden an und nicht auf die tatsächlichen Erfolgsaussichten der Antragstellung zur Verzögerung bzw. Vereitelung der Außerlandesbringung. Somit genügt auch ein „untauglicher Versuch“ des Fremden zur Verzögerung oder Vereitelung der Abschiebung bzw. Rücküberstellung zur Tatbestandserfüllung des § 76 Abs. 6 FPG, solange nur die Verzögerung bzw. Vereitelung durch den Fremden tatsächlich beabsichtigt ist. Auch liegt unverändert und weiterhin erhebliche Fluchtgefahr vor (vgl. Punkt 3.3.2), die durch die zwischenzeitig eingelangte Zusage der Rückübernahme durch Rumänien und somit durch das deutliche Näherrücken der Rücküberstellung nach Rumänien – die der BF unbedingt verhindern will – zusätzlich erhöht ist.

Zur Verhältnismäßigkeit:

Der BF hat gegenüber den öffentlichen Interessen an seiner Rücküberstellung nach Rumänien keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Rücküberstellung überwiegen würde. Das Verwaltungsgericht ist aus diesen Gründen auch nicht davon überzeugt, dass ein gelinderes Mittel nach § 77 FPG im gegenständlichen Fall ausreichend wäre, da der BF aufgrund der Rücküberstellungsfristen der Dublin-III VO ein vitales Interesse am Untertauchen hat, zumal er hierdurch die von ihm gewünschte Zuständigkeit Österreichs für seinen Antrag auf internationalen Schutz erzwingen könnte. Weiters hat der BF auch klar und unmissverständlich angegeben, nicht nach Rumänien rückreisewillig zu sein und auch freiwillig dorthin nicht zurückzukehren. Es mangelt dem BF im Hinblick auf ein gelinderes Mittel daher an der notwendigen Vertrauenswürdigkeit und auch an Kooperationsbereitschaft. Auch ist anzuführen, dass er sich nach seiner Einreise nicht an die zuständigen Behörden gewandt hat um einen Asylantrag zu stellen, sondern zuerst seine Bekannten per „Facebook“ kontaktieren wollte. Es ist daher auch davon auszugehen, dass der BF bei diesen Bekannten unangemeldet Unterkunft nehmen bzw. untertauchen wollte und letztlich gar nicht die Absicht hatte, in Österreich unmittelbar einen Asylantrag zu stellen. Einen nachhaltig gegenteiligen Eindruck vermochte der BF bei seiner Einvernahme jedenfalls nicht zu erzeugen.

Auch ist nicht ersichtlich, dass das Bundesamt das Wiederaufnahmeverfahren nach den Art. 23 u. 25 Dublin-III VO nicht gehörig betrieben hätte, da noch am XXXX .2020 das Rückübernahmeersuchen an Rumänien gestellt wurde und auch mit 16.11.2020 die Rückübernahme durch Rumänien zugesagt wurde. Daher ist die Dauer der nunmehrigen Schubhaft ohnehin gesetzlich gemäß Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3 leg. cit. auf sechs Wochen ab 16.11.2020 beschränkt, wobei nicht mit einer vollständigen Ausnutzung der zulässigen Haftdauer bis zur Rücküberstellung zu rechnen ist. Da sonst keine Allgemeinen oder COVID-19 bedingten Hindernisse bei „DUB-OUT“ Rücküberstellungen nach Rumänien bekannt sind, ist mit der zeitnahem Außerlandesbringung des BF in den nächsten Wochen nach höchstwahrscheinlicher Zurückweisung seines Folgeantrags im Zulassungsverfahren (§§ 4, 5 AslyG 2005) zu rechnen.

Insgesamt kann daher im ggst. Fall nicht mit einem gelinderen Mittel das Auslangen gefunden werden und sind auch keine Gründe ersichtlich die zum Entscheidungszeitpunkt für eine Unverhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft sprechen würden.

Es war daher nunmehr in Bezug auf den Fortsetzungsausspruch auf Basis des § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG und auch § 76 Abs. 6 FPG festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

3.4 Zur Kostenentscheidung (Spruchpunkt IV.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren sind beide Verfahrensparteien teilweise obsiegende und teilweise unterliegende Partei, da der angefochtene Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (AuvBZ) in Form der Verhängung von und der Anhaltung in Schubhaft für einen bestimmten Zeitraum für rechtmäßig und für einen bestimmten Zeitraum für rechtswidrig erklärt wurde. Das Prinzip des teilweisen oder überwiegenden Obsiegens hinsichtlich eines als Einheit zu betrachtenden AuvBZ ist § 35 VwGVG jedoch fremd. Ein Aufwandersatzanspruch im Schubhaftbeschwerdeverfahren kommt nur im Fall des gänzlichen Obsiegens hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft und des Fortsetzungsausspruchs in Betracht (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0228, Rn. 5) weshalb beide Anträge auf Aufwandsersatz abzuweisen waren.

Zu B):

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es finden sich im keine schlüssigen Hinweise auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Weiters ist festzuhalten, dass der ggst. Fall überwiegend tatsachenlastig war bzw. für die Frage einer Ausreise und der Fluchtgefahr nur beweiswürdigende Überlegungen anzustellen, aber keine erheblichen Rechtsfragen zu lösen waren.

Schlagworte

Asylantragstellung Dublin III-VO Ermittlungsmangel Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung schriftliche Ausfertigung Schubhaft Sicherungsbedarf Überstellung Untertauchen Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit Verzögerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2236925.1.00

Im RIS seit

11.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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