TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/11 W168 2156909-1

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Veröffentlicht am 11.12.2020
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Entscheidungsdatum

11.12.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W168 2156909-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Irene Oberschlick, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2017, Zahl 1071051008/150565965/BFA_SBG_AST_01_TEAM_03, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.07.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 11.12.2021 erteilt.

IV. Die mit der Rückkehrentscheidung verbundenen Spruchpunkte III und IV werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach schlepperunterstützt unberechtigter Einreise am 25.05.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am 28.05.2015 gab der BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu Protokoll, er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der Religionszugehörigkeit der Moslems an. Er sei in der Provinz Baghlan geboren. Im Iran (Teheran) habe er fünf Jahre die Koranschule besucht. Vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat habe der BF als Verkäufer gearbeitet. Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, dass sein Vater von den Taliban getötet worden sei und der BF daher das Land verlassen habe. Im Iran habe der BF ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau begonnen, weshalb er und seine Geliebte inhaftiert worden seien. Nach Verbüßung einer zweiwöchigen Haftstrafe sei der BF gegen Kaution entlassen worden. Da ihm aufgrund seines Vergehens die Todesstrafe gedroht habe, sei er aus dem Iran geflohen. Bei einer Rückkehr hätte er Angst um sein Leben.

3. Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 11.10.2016 eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Der BF gab eingangs an, dass er sunnitischer Tadschike sei und im bisherigen Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt habe. Sein Vater sei bereits verstorben und sein Bruder sowie seine Schwester seien bei seiner Mutter im Iran wohnhaft. Vor seiner Ausreise in den Iran sei er in Afghanistan in der Provinz Kapisa wohnhaft gewesen. Auf Nachfrage, wie sein Vater gestorben sei, führte der BF aus, dass sein Vater Erzählungen seiner Mutter zufolge aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist von den Taliban umgebracht worden sei und sich seine Familie in Folge deswegen drei Monate danach in den Iran begeben habe. Es habe zudem einen Grundstücksstreit zwischen seinem Vater und dessen Bruder gegeben. Auch dies wäre ein tragender Grund für die Ausreise in den Iran gewesen. Befragt, woher er über die Ermordung seines Vaters durch die Taliban Bescheid wisse, antworte der BF, dass seine Mutter ihm berichtet habe, dass sein Vater bei einem Gefecht gegen die Taliban getötet worden sei und seine Leiche von Kameraden nach Hause gebracht worden sei. Überdies habe ihm seine Mutter erzählt, dass die ganze Familie in aufgrund der erwähnten Streitigkeiten mit dem Onkel in Lebensgefahr gewesen sei. Nachgefragt, wieso seine Mutter eine Ermordung durch den erwähnten Onkel befürchtet habe, führte der BF aus, dass seine Familie aus dem Haus vertrieben worden sei, da sie dort keinen Platz mehr gehabt hätten. Über die genaueren Umstände dieser Streitigkeiten wisse er jedoch nicht Bescheid. Auf die Frage, ob die Familie des BF weiterhin von den Taliban verfolgt würde, bejahte dies der BF und führte aus, dass sich seine Mutter aufgrund der prekären Lage, sowie der angegebenen Grundstücksstreitigkeiten im Jahr 1999 Sicherheit für sich und ihre Kinder gewünscht habe. Nachgefragt, wer Eigentümer der umstrittenen Liegenschaft gewesen sei, antwortete der BF, dass das Haus seinem Vater sowie seinem Onkel zu gleichen Teilen vererbt worden sei. Der Onkel hätte nach dem Tod seines Vaters jedoch den vollen Besitzanspruch mit Gewalt durchsetzen wollen und seine Mutter bei einer Leistung von Widerstand getötet hätte. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte sich der BF vor einer Ermordung durch die Taliban, da er der Sohn eines Polizisten sei. Zudem würde sein Onkel davon ausgehen, dass dieser Besitzansprüche stellen würde. Der BF sei nie mit dem erwähnten Onkel in Kontakt gestanden. Auf Vorhalt, dass es in Afghanistan kein Melderegister gebe und die Frage, wie er bei einer Rückkehr ausgeforscht werden könnte, brachte der BF vor, dass sein Onkel zahlreiche Freunde und Verwandte habe, weshalb er ihn finden könne. Zum weiteren Vorhalt, dass er an den geschilderten Konflikten wie den Grundstücksstreitigkeiten oder am Tod seines Vaters nicht unmittelbar beteiligt gewesen sei und die Ereignisse lange zurückliegen würden, weswegen ihm nunmehr ein Leben in Kabul zugemutet werden könne, führte der BF an, dass ihn sein Onkel dennoch finden und umbringen könne. Befragt, wie er mit seiner Mutter in Kontakt bleibe, gab der BF zu Protokoll, dass sie in täglichen telefonischen Kontakt stehen würden und diese genauso wie seine Schwester von den Einkünften seines Bruders, der als Hauswächter tätig sei, lebe. Zur Frage, welcher Beschäftigung er selbst im Iran nachgegangen sei, gab der BF zu Protokoll, dass er in Teheran als Verkäufer in einem Eisgeschäft tätig gewesen sei und im Monat durchschnittlich 220-300,- Euro verdient habe. Befragt, welche Schulausbildung er vorweisen könne und welchen Beruf er erlernt habe, führte der BF aus, dass er fünf Jahre die Grundschule besucht habe, anschließend eine Ausbildung zum Feinmechaniker absolviert habe und als Fräser in einer Werkstatt tätig gewesen sei. Seine Mutter habe ihm von einem Leben in Kabul immer abgeraten. Auf Nachfrage ob der BF selbst Kontakt mit den Taliban gehabt habe, verneinte dies der BF. Die Frage, ob er in Österreich familiäre Anknüpfungspunkte habe, wurde vom BF verneint.

Zum Fluchtgrund aus dem Iran befragt, führte der BF aus, dass er eine Beziehung mit einer Iranerin eingegangen sei und deren Vater von diesem geheimen Verhältnis erfahren habe. In weiterer Folge habe dieser mit einigen Polizisten den Arbeitsplatz des BF aufgesucht und gegen ihn eine Anzeige erstattet. Die Freundin des BF sei ebenfalls in Gewahrsam genommen worden. Der zuständige Richter habe im Fall des BF eine Kaution in Höhe von 15.000,- Euro ausgeschrieben, da er diese jedoch nicht erbringen habe können, sei er inhaftiert worden. Nach 15 Tagen sei es seinem Bruder über einen Mann gelungen, die Geldsumme über eine Hypothek aufzutreiben, woraufhin der BF freigelassen worden sei. Anschließend habe er einen Rechtsanwalt konsultiert, der seinen Fall nicht übernehmen habe wollen, da er ihm keine Erfolgschancen eingeräumt habe. Da er die Jungfräulichkeit seiner Freundin nicht habe nachweisen können, habe der BF das Land verlassen. Befragt, ob die erwähnte Frau verheiratet gewesen sei, entgegnete der BF, dass sie ihn darüber nicht aufgeklärt habe. Zur Frage, wieso er seine Geliebte nicht geheiratet habe, brachte der BF vor, dass sie die Beziehung geheim halten hätten wollen. Auf Vorhalt, wieso er sich nicht an das Gesetz gehalten habe, obwohl er die gesellschaftlichen und kulturellen Gepflogenheiten im Iran kenne und die Frau geehelicht habe, erwiderte der BF, dass sie lediglich drei Monate lang zusammen gewesen seien. Zum weiteren Vorhalt, dass seine Freundin eine erwachsene Frau gewesen sei und ebenfalls die Gepflogenheiten im Iran kenne, gab der BF an, dass sie die Beziehung ebenfalls geheim halten habe wollen und keine Bedenken gegen die Beziehung geäußert habe. Sie hätten sich insgesamt 10 bis 12 Mal getroffen und in der Wohnung des BF miteinander geschlafen, als seine Familienmitglieder gerade nicht anwesend gewesen seien. Befragt, wieso das geheime Verhältnis bekannt geworden sei, führte der BF an, dass sie von Bekannten oder Verwandten seiner Freundin auf der Straße gesehen worden seien, was im Iran gesellschaftlich nicht akzeptiert werde. Auf den weiteren Vorhalt, dass seine Fluchtgeschichte bezogen auf die iranische Kultur unglaubwürdig wirke, insbesondere, da der BF seine Freundin nicht geheiratet habe, um die Affäre zu legalisieren, brachte der BF vor, dass ein weiteres Problem seine afghanische Herkunft sei, da seine Freundin davon ausgegangen sei, dass er ebenfalls Perser sei. Zur Frage, wo sich seine erwähnte Geliebte derzeit aufhalte, gab der BF an, dass er von ihr nichts mehr gehört habe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er eine Rache durch die Taliban. Die Fragen, ob er politisch aktiv sei, aufgrund einer politischen Tätigkeit verfolgt worden sei oder ob er in Afghanistan einer gezielten Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religionszugehörigkeit unterlegen sei, wurden vom BF verneint. Er sei auch nie aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt worden und habe nie Probleme mit den afghanischen Behörden oder privaten Personen oder kriminellen Personen im Herkunftsstaat gehabt. Befragt, ob er in Afghanistan Verwandte oder Freunde habe, replizierte der BF, dass sein Onkel nach wie vor in der Provinz Kapisa lebe, er diesen jedoch nie gesehen habe.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, erklärte der BF, dass er bei Veranstaltungen in einem Schloss mithelfe und eine Deutschausbildung absolviere. Die Fragen, ob er Mitglied in Vereinen oder Organisationen im Bundesgebiet sei oder ob er in Österreich bereits Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten gehabt habe, wurde vom BF verneint.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF mehrere Fotos über diverse Freizeitaktivitäten in Österreich, mehrere Empfehlungsschreiben über die gute Integration des BF, eine Bestätigung des Schloss XXXX vom 23.09.2016 über die Mitarbeit des BF bei diversen Tätigkeiten, eine Bestätigung vom Oktober 2016 über die Teilnahme an freiwilligen Tätigkeiten, eine Bestätigung der Volkshochschule XXXX vom 12.07.2016 über die regelmäßige Teilnahme des BF am Deutschkurs für AsylwerberInnen, eine Kursbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 22.08.2016 über den Besuch des Kurses Deutsch für Asylwerbende A 1/2 vom 26.07.2016 bis zum 08.11.2016, eine Anzeige in afghanischer Sprache samt handschriftlicher Übersetzung in Vorlage gebracht.

4. Im Rahmen einer Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs vom 24.10.2016 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF vorgebracht, dass der BF keine familiären Kontakte in Afghanistan habe und den Teil seiner Familie, die dort lebe, nicht persönlich kenne. Beim BF handle es sich um einen alleinstehenden jungen Mann ohne jeden Familienanschluss, der im wehrfähigen Alter für diverse Gruppierungen und Rekrutierungen interessant sei. Nachdem sein Onkel seit Jahrzehnten für die Taliban tätig und gut vernetzt sei, würde die offizielle und registrierte Rückkehr des BF diesem auf jeden Fall bekannt. Aufgrund der zu erwartenden Verfolgungshandlungen gegen den BF liege eine „wohlbegründete Furcht“ vor Verfolgung im Herkunftsland Afghanistan vor und damit das Anrecht auf den Status eines nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Flüchtlings.

5. In einer weiteren Stellungnahme vom 23.03.2017 wurde ebenfalls angemerkt, dass der BF über keine Fluchtalternative in Kabul verfüge. Aufgrund der Tatsache, dass er im Iran aufgewachsen und dort sozialisiert worden sei, sei er für Afghanen in Kabul schon unmittelbar als „Fremder“ identifizierbar. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres Netzwerk und könne daher im Falle einer Rückkehr auch nicht auf die Aufnahme von Verwandten hoffen. Er verfüge darüber hinaus auch nicht über die für den Aufbau einer eigenen gesicherten Existenz notwendigen Dokumente. Zur Gründung eines Geschäftes sei eine Tazkira erforderlich, über die der BF nicht verfüge und die er sich nur in seiner Heimatgemeinde ausstellen lassen könne. Der BF würde daher im Falle einer Rückschiebung nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten, da er weder über ein tragfähiges soziales oder familiäres Netzwerk verfüge, das ihm ein Überleben ermöglichen würde noch die Chance auf eine Erwerbstätigkeit, da ihm die notwendigen Dokumente dafür fehlen würden.

6. In einer eingeholten ACCORD Anfragebeantwortung bezüglich der Notwendigkeit einer Tazkira zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wurde ausgeführt, dass es der Flüchtlingshilfsorganisation „Norwegian Refugee Council“ zufolge keine Unterschiede in der Erwerbsrate von Personen mit Tazkira und ohne Tazkira gebe. Ob jemand über eine Tazkira verfüge, wirke sich weniger auf den Zugang zu Arbeit, sondern darauf aus, für welche Art von Erwerbstätigkeiten die Zugangsvoraussetzungen erfüllt würden. Tazkira und Geburtsurkunden seien für den Zugang zu Bildung wichtig. Afghanische Staatsangehörige könnten sowohl im Heimatdistrikt als auch in Kabul um eine Tazkira ansuchen.

Aus einem Aktenvermerk der Landespolizeidirektion Salzburg vom 24.10.2016 geht hervor, dass eine Überprüfung des Reisepasses des BF die Unbedenklichkeit dieses Dokumentes ergeben habe.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend stellte das BFA fest, dass der BF hinsichtlich des Dokumentenbesitzes nicht der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe. Auch sei festzustellen, dass der BF sein Vorbringen innerhalb des Verfahrens gesteigert habe. In der Erstbefragung seien der Onkel väterlicherseits und die Grundstücksstreitigkeiten vom BF nicht vorgebracht worden. Wenn der BF derartige Fakten, welche insbesondere eine persönliche Betroffenheit auslösen würden, anlässlich seiner Erstbefragung nicht einmal ansatzweise erwähne, so sei davon auszugehen, dass diese erst später im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA geltend gemachten Befürchtungen nicht der Wahrheit entsprechen würden. Jene Vorfälle, die die Familie des BF bewogen habe, das Herkunftsland zu verlassen, würden sich auf Vorfälle beziehen, die sich etwa vor 18 oder 19 Jahren zugetragen hätten. Es sei bedauerlich, dass der Vater des BF im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit als Polizist bei einem Gefecht gegen die Taliban ums Leben gekommen sei. Daraus lasse sich jedoch keinerlei Verfolgung der Person des BF, die ihm aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe, ableiten. Der BF habe angegeben, dass er keinerlei Kontakt zu seinem Onkel im Speziellen habe, gleichzeitig habe er kurz davor in der Einvernahme ausgeführt, dass er sich noch vor seinem Onkel fürchte, weil dieser immer noch als Talib tätig sei. Gründe, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden, hätten auch amtsseitig nicht festgestellt werden können.

8. Gegen diesen Bescheid brachte der BF durch seine nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 25.04.2017 fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde vorgebracht, dass der die Sicherheitslage in Afghanistan höchst instabil und durch einen Mangel an rechtsstaatlichen Strukturen geprägt sei, weshalb die Rechte der Bürger nicht garantiert werden könnten. Sowohl in Afghanistan als auch im Iran werde außerehelicher Geschlechtsverkehr oder Ehebruch als Unzucht bezeichnet und sei sowohl religiös als auch gesetzlich strafbar. Die Art und Weise, in welcher die Behörde ihre Feststellungen getroffen habe, entspreche nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht, da gänzlich außer Acht gelassen worden sei, dass der BF zum Zeitpunkt seiner Flucht aus Afghanistan sehr jung gewesen sei. Da er die meiste Zeit seines Lebens im Iran verbracht habe, verfüge der BF über keine Sozialisierung in Afghanistan. Anhand der angeführten Informationen zu Rückkehrern, die ihr Leben im Iran verbracht hätten, sei zu erkennen, dass eine Rückkehr mit erheblichen Schwierigkeiten und Diskriminierungen verbunden und daher unzumutbar seien. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Glaubwürdigkeit des BF aufgrund der Abweichungen des Geburtsdatums abgesprochen werde, vor allem, da notorisch sei, dass Geburtsdaten im Iran und Afghanistan dieselbe Bedeutung zukommen würde. Der BF habe bereits in der Einvernahme sehr viele Unterlagen vorgelegt, die seine Integration und sein freiwilliges Engagement bestätigen würden. Der Beschwerde wurden ein Zertifikat vom 21.11.2016 über eine gut bestandene Prüfung auf dem Niveau A1, eine Teilnahmebestätigung eines Vereins vom 31.03.2017 über die regelmäßige Teilnahme an einem Deutschkurs, eine Gewerbeanmeldung vom 04.04.2017, eine Urkunde vom 21.05.2016 über die erfolgreiche Teilnahme beim Refugee-Fußballturnier am 21.05.2016, ein Arztbrief vom 02.09.2016 mit den Diagnosen „Kniescheibenverrenkung, Gelenkerguss, Zerrungsverletzung hinteres Kreuzband links, Zerrungsverletzung des medialen Retinaculum links“ mit einer angeordneten medikamentösen Therapie und einen Nachuntersuchungsbefund vom 26.08.2016, 21.09.2016 sowie vom 12.10.2016 angeschlossen.

9. Mit Urkundenvorlage vom 20.05.2020, beim Bundesverwaltungsgericht am 27.05.2020 eingelangt, wurde von der bevollmächtigten Vertreterin des BF eine Teilnahmebestätigung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) über die Teilnahme am Werte-und Orientierungskurs vom 28.08.2018, ein Zertifikat vom 21.06.2019 über die Teilnahme an einem Deutschkurs auf dem Niveau B1 vom 03.09.2018 bis zum 24.06.2019 und eine Bestätigung der HBLFA für Gartenbau und Österreichische Bundesgärten vom 26.11.2019 über die Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten als Gartenarbeiter vom 01.04.2019-20.11.2019 im Ausmaß von 50 Monatsstunden vorgelegt.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.07.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi/Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Zur Frage, weshalb er gegen den Bescheid des Bundesamtes Beschwerde erhoben habe, erklärte der BF, dass er den Iran nicht grundlos verlassen hätte, wenn es keine Probleme gegeben hätte. Die Frage, ob sich bezüglich seiner im erstinstanzlichen Verfahren angegebenen Angaben betreffend seine Betreuungssituation bzw. auch bezüglich seiner Rückkehrsituation irgendwelche wesentliche Änderungen ergeben hätten, wurde vom BF verneint und ausgeführt, dass lediglich seine Schwester im Iran geheiratet habe. Im Iran würden sich seine Mutter, seine Schwester und deren Mann sowie sein Bruder aufhalten. Seine Mutter lebe von den Einkünften des Bruders, der als Wache beim Sicherheitsdienst tätig sei. Auf Nachfrage, welcher Erwerbstätigkeit er selbst im Iran nachgegangen sei, führte der BF an, dass er zwei Jahre als Schweißer gearbeitet habe und anschließend als Verkäufer in einem Eisgeschäft tätig gewesen sei, wo er ungefähr 2 Millionen Tomen verdient habe. Befragt, wie lange er als Verkäufer gearbeitet habe, erklärte der BF, dass er ca. zwei bis drei Jahre in dieser Branche gearbeitet habe und auch sechs Monate als Transporteur beschäftigt gewesen sei. In Teheran habe er auch fünf Jahre die Schule besucht. Auf Vorhalt, ob die Angaben stimmen würden, dass er vor seiner Ausreise aus dem Iran mit einer Frau ein Verhältnis gehabt habe, weswegen er das Land verlassen habe müssen, brachte der BF vor, dass ihn deswegen entweder ihr Ehemann oder ihr Vater inhaftiert habe. Zur Frage, weshalb er bei einer Polizeistation aufgrund einer Affäre tagelang eingesperrt werden sollte, erwiderte der BF, dass im Iran eine solche Beziehung nicht erlaubt sei und deswegen eines Tages drei Männer, darunter ein Ober-und ein Unteroffizier, in sein Geschäft gekommen seien und ihn aufgefordert hätten, sofort mitzukommen. Nachgefragt, wieso iranische Behörden die Beziehung einer Frau und eines Mannes verfolgen und ihn in weiterer Folge einsperren sollten, gab der BF an, dass man ihn an ein anderes Gericht überstellt habe und ihm dort ein Richter mitgeteilt habe, dass er für eine gewisse Zeit inhaftiert werde und demnächst eine Ladung erhalte. In weiterer Folge habe sein älterer Bruder den Staat eine Geldsumme als Garantie bezahlt, sodass er entlassen werden habe können. Auf die weitere Frage, worin die genaue Anklage bestanden habe, entgegnete der BF, dass die bei seiner Geliebten anwesende Person Anzeige erstattet habe, er jedoch die Identität dieser Person nicht kenne. Er habe die besagte Anzeige bereits im Verfahren vorgelegt. Zum Vorhalt, dass er die Ehre dieser Frau durch eine Heirat wiederherstellen hätte können, gab der BF an, dass sie lediglich drei Monate befreundet gewesen seien und noch nicht über Familienplanung nachgedacht hätten. Befragt, was mit der erwähnten Frau nach seiner Ausreise passiert sei, replizierte der BF, dass er diese nicht mehr gesehen habe und daher auch nicht wisse, wie es dieser in weiterer Folge ergangen sei. Er habe mit der erwähnten Frau auch keinen Kontakt mehr aufbauen wollen. Auf Vorhalt, dass er die erwähnte Frau durch seine Handlungen zwar in Gefahr gebracht habe, sich um ihr Befinden in weiterer Folge nicht mehr kümmere, da er sich nur Sorgen um seine eigene Zukunft mache, erwiderte der BF, dass sein Bruder einen Rechtsanwalt konsultiert habe, der sich um seine Belange gekümmert habe, er selbst jedoch seine Mutter nicht verlassen hätte wollen und daher keine Ausreise beabsichtigt habe. Auf Vorhalt, wieso er nach Einbringung der Anzeige im Iran nicht nach Afghanistan zurückgekehrt sei, entgegnete der BF, dass ihm seine Mutter von einer Rückkehr in den Herkunftsstaat abgeraten habe, da sein Onkel alle Besitztümer der Familie beansprucht habe und mit den Taliban zusammenarbeite. Auf weiteren Vorhalt, dass die geschilderten Ereignisse bereits 15 Jahre zurückliegen würden und befragt, wieso er nicht einfach in eine andere Region zurückgekehrt sei bzw. auf die Frage, ob er konkrete Hinweise habe, dass er bei einer Rückkehr verfolgt oder bedroht werden könnte, führte der BF an, dass er nicht in Afghanistan aufgewachsen und sozialisiert worden sei. Zudem habe er dort keine familiären Anknüpfungspunkte. Zur Frage, ob er in Afghanistan bedroht worden sei, gab der BF an, dass er nie in Afghanistan gewesen sei. Auf die Frage, wieso sein Onkel nach so vielen Jahren immer noch ein Interesse an einer konkreten Verfolgung haben sollte, erklärte der BF, dass er mittlerweile kein Kind mehr sei und sein Onkel daher befürchten könnte, dass er aus Rache zurückkehre. Die Frage, ob er konkrete Bescheinigungsmittel vorlegen könne, die seine Annahmen belegen könnten, wurde vom BF verneint. Sein Onkel könnte den BF durch diverse Kontakte ausfindig machen. Befragt, ob er mit seinen Familienangehörigen im Iran in dauernden Kontakt stehe, brachte der BF vor, dass er zwei bis dreimal in der Woche mit seiner Mutter telefoniere und es seinen Angehörigen im Iran gut gehe.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, führte der BF aus, dass er bereits acht Monate lang im Augarten gearbeitet habe und nunmehr im Garten der Begegnung in Traiskirchen beschäftigt sei. Er verdiene in etwa 110 Euro, ansonsten besuche er einen Deutschkurs. Er lebe seit fünf Jahren von der Grundversorgung und sei kein Mitglied in einem Verein. In Österreich habe er zwar Freunde, jedoch keine Beziehung.

Zur Frage, ob er versucht habe, sich vor seiner Ausreise nach Europa in Afghanistan an einen Ort zu begeben, der unter Regierungskontrolle stehe, führte der BF an, dass ihm-wie bereits erwähnt-seine Mutter von einer Rückkehr nach Afghanistan abgeraten habe. Auf die Frage, wieso es ihm nicht möglich sein sollte, nach Afghanistan zurückzukehren, obwohl er in einer afghanischen Familie aufgewachsen sei und mit den soziologischen Gegebenheiten vertraut sei, erwiderte der BF, dass es in Afghanistan keine Sicherheit gebe und er sich zudem vor seinem Onkel fürchte.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF eine Teilnahmebestätigung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) vom 14.05.2018 über die Teilnahme am Werte-und Orientierungskurs, ein Empfehlungsschreiben, ein Kultur Pass (gültig bis 31.07.2019), eine Einstellungszusage des XXXX vom 30.11.2018, mehrere Fotos, eine Bestätigung vom 26.11.2019 über die Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten im Ausmaß von 50 Wochenstunden vom 01.04.2019-20.11.2019, eine Auszeichnung des BMI vom 14.07.2017 für einen bestandenen Integrationskurs sowie einer Prüfung, ein Zertifikat vom 06.06.2018 über den Abschluss des Deutschkurses B1, eine Teilnahmebestätigung der Polizei über die Teilnahme am Modul „Sicherheit & Polizei“ am 06.06.2018, ein Zertifikat vom 10.07.2018 über eine bestandene Prüfung auf dem Niveau A2, mehrere Fotos, mehrere Empfehlungsschreiben, eine Anmeldebestätigung über die Vormerkung für mehrere Kurse, ein Arbeitsvorvertrag vom 07.07.2020 für eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter mit einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 1.680,26,- , ein weiteres Empfehlungsschreiben einer Mitarbeiterin des Gartens der Begegnung, eine Informationsbroschüre über das Haus der Begegnung, ein Lebenslauf des BF und eine Anwesenheitsliste der Österreichischen Bundesgärten für April 2019 und eine Mitgliedschaft für „Get fit“ in Vorlage gebracht.

In einer Stellungnahme der bevollmächtigten Vertreterin des BF vom 27.07.2020, beim Bundesverwaltungsgericht am 03.08.2020 eingelangt, wurde ausgeführt, dass sich der BF nunmehr seit über fünf Jahren in Österreich befinde und sich gut integriert habe. Der BF habe ein Zertifikat auf dem Niveau B1 sowie die Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs vorgelegt. Er sei in Österreich sozial gut vernetzt, habe Freunde und gehe gemeinnützigen Tätigkeiten nach. Er sei unbescholten und selbsterhaltungsfähig. Bezüglich der prekären Lage aufgrund der COVID-19 Pandemie wurde auf mehrere Berichte verwiesen. Der BF sei im Iran aufgewachsen und dort sozialisiert worden. Laut EASO Bericht über Afghanistan vom Juni 2019 sei ersichtlich, dass für Personen, die nicht in Afghanistan geboren worden seien bzw. lange Zeit im Ausland gelebt hätten, eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme, wenn sie am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme über kein Unterstützungsnetzwerk verfügen würden, das sie bei der Befriedigung grundlegender existentieller Bedürfnisse unterstützten könnte. Da der BF in Afghanistan als Rückkehrer ohne jegliche finanzielle und soziale Unterstützung leben würde, wäre für ihn im Falle einer Infektion mit COVID-19 eine ärztliche Behandlung nicht gewährleistet. Es würden keine exzeptionellen Umstände vorliegen, die es dem BF als Rückkehrer, der lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt habe, ermöglichen würde, in Afghanistan Fuß zu fassen. Es sei damit dargelegt worden, dass eine Abschiebung des BF eine Verletzung in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK darstellen würde.

Mit nach Aufforderung des BVwG vom 02.10.2020 erstatteter Stellungnahme des Vertreters des BF vom 29.10.2020 betreffend das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung bzw. einer AB Plus gem. §55 AsylG wurde ausgeführt, dass der BF einen Arbeitsvorvertrag in Vorlage bringen könnte und nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit selbsterhaltungsfähig wäre. Betreffend das Ablegen einer B1 Prüfung wurde ausgeführt, dass der BF beabsichtigt habe diese Prüfung abzulegen. Die Ablegung der Prüfung wäre jedoch aufgrund der nunmehrigen Corona Pandemie nicht möglich gewesen, bzw. wäre de Deutschkurs bis dato nicht wieder aufgenommen worden. Der BF hätte sich selbständig für eine kostenpflichtige externe Prüfung anmelden wollen, doch diese Prüfungen wären alle ausgebucht gewesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. zur Person des BF:

Der volljährige und gesunde Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist Muslim sunnitischer Ausrichtung. Seine Identität steht aufgrund der Vorlage eines unbedenklichen Reisepasses fest. Er stammt aus der Provinz Kapisa und verließ den Herkunftsstaat im Alter von etwa sechs Jahren in den Iran, wo er fünf Jahre die Koranschule besuchte. Anschließend war er im Iran als zwei Jahre als Schweißer, als Verkäufer in einem Eisgeschäft sowie als Transporteur tätig.

Der BF reiste im Mai 2015 unberechtigt ins Bundesgebiet ein, wo er am 25.05.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Mutter, ein Bruder und eine Schwester leben im Iran, der BF steht mit diesen Familienangehörigen eigenen Angaben zufolge in regelmäßigem Kontakt. Der Bruder des BF ist im Iran als Wache beim Sicherheitsdienst beschäftigt. Der BF ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er ist ledig und hat keine Kinder.

1.2. Fluchtgründe

Es wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass der BF Afghanistan aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar konkret betreffenden Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat. Die zu Protokoll gegebene Fluchterzählung ist nicht asylrelevant bzw. bezieht sich ausschließlich auf seine Ausreisegründe aus dem Iran.

Es wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter asylrelevant mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bedroht wäre.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken Verfolgung in Afghanistan droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

1.3.    Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Der BF ist im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten individuellen und ihn konkret betreffenden unmittelbaren Verfolgung ausgesetzt.

Es kann jedoch im gegenständlichen Einzelfall aufgrund der konkreten persönlichen Eigenschaften des Beschwerdeführers und in Zusammenschau mit der gegenwärtigen allgemeinen Situation und der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage insbesondere aufgrund der gegenwärtigen COVID-19 Pandemie, unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen EASO – Richtlinien betreffend Personen die Afghanistan bereits seit längerer Zeit verlassen haben und in Afghanistan über kein tragfähiges familiäres Netz verfügen, gegenwärtig nicht mit erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF als Rückkehrer nach Afghanistan, ein maßgeblicher Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Der BF lebte seit seinem Kindesalter bis zu seiner Ausreise in Iran und verfügt in Afghanistan insgesamt über kein tragfähiges familiäres oder soziales Netzwerk, mit dessen Unterstützung er sich eine Existenzgrundlage aufbauen könnte. Der BF ist zwar in Afghanistan geboren, hat das Land aber als Kind verlassen und nie alleine und auf sich gestellt in Afghanistan gelebt. Er hat zudem keine ausreichende Schul- oder Berufsausbildung absolviert, sondern hat ausschließlich im Iran eine Koranschule für 5 Jahre besucht, bzw. im Iran als Verkäufer gearbeitet, bzw. insgesamt nur als Verkäufer, bzw. in einer Transportfirma verrichtet.

Im Falle einer Rückkehr wird der BF zu Beginn nur Gelegenheits- oder Hilfsarbeiten annehmen können. Durch die COVID-19 bedingten Lock-downs in den Städten Herat und Mazar-e Sharif ist es gerade für Gelegenheitsarbeiter besonders schwierig, Arbeit und Unterkunft zu finden, bzw. sind auch die Nahrungsmittelpreise in den letzten Monaten massiv gestiegen.

Aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass es dem BF gegenwärtig mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan insbesondere bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz oder einer Neuansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der BF vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.


1.4. Integration des BF in Österreich

Der unbescholtene BF ist seit seiner Antragstellung im Mai 2015 durchgehend auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Der BF hat in Österreich keine Verwandte und keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen.

Der Beschwerdeführer hat zum Beleg seiner Integration im Bundesgebiet zahlreiche Empfehlungsschreiben, Referenzschreiben, Unterstützungsschreiben, eine Teilnahmebestätigung betreffend den Besuch eines Werte -und Orientierungskurses, zahlreiche Fotos als Beleg seiner Integration, sowie eine Auszeichnung für einen bestandenen Test im Zuge eines Integrationskurses vorgelegt.

Der BF hat Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 und B1 absolviert und mehrere gemeinnützige Tätigkeiten als Gartenarbeiter für die Bundesgärten absolviert.

Der BF engagiert sich seit mehreren Jahren in einem Verein und kann einen Arbeitsvorvertrag, sowie eine Einstellungszusage als Kochlehrling vorweisen.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020, ua.

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Quellen:

•        AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.4.2020

•        ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

•        BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 9.4.2020, ua.

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen:

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei welchem bedürftigen Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer „inklusiven“ zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban

beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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