TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/14 G305 2236830-2

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Veröffentlicht am 14.12.2020
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Entscheidungsdatum

14.12.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch


G305 2236830-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX , geb. XXXX , StA.: Marokko, Zahl: XXXX zu Recht:

A)       Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Forstsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Feststellungen:

Der betroffene Fremde (in der Folge: so oder kurz: BF) reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle zu einem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt (sohin illegal) ins Bundesgebiet ein.

Am XXXX .07.2020 wurde er durch Organe der PI XXXX einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen. Im Zuge dessen gab er an, dass er über die Türkei, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich eingereist sei und sich auf dem Weg nach Italien befinde. Bei dieser Überprüfung konnte er lediglich einen Barmittelbetrag in Höhe von EUR 14,00 vorweisen. Über eine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet verfügt er nicht.

Noch am gleichen Tag verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: so oder kurz: BFA) - nach erfolgter niederschriftlicher Einvernahme - die Schubhaft über den BF.

Am XXXX .07.2020 leitete das BFA das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (in der Folge: so oder kurz: HRZ) in Bezug auf den Herkunftsstaat des BF, Marokko, ein.

Am XXXX .07.2020 stellte der BF im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom XXXX .09.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf Erteilung von internationalem Schutz in Hinblick auf Asyl gem. § 3 Abs. 1 AsylG und in Hinblick auf subsidiären Schutz gem. § 8 Abs. 1 AsylG ab und sprach aus, dass ihm ein Aufenthaltstitel nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen werde und stellte weiter fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF keine Beschwerde und erwuchs dieser sohin in Rechtskraft.

Am XXXX .11.2020 wurde seitens des BFA das HRZ letztmalig urgiert, bis dato liegt noch kein Ersatzreisedokument vor.

Die Ausstellung eines HRZ ist in höchstem Masse wahrscheinlich und ist zeitnah zu erwarten.

Sollte sich die Abschiebung aufgrund der aktuellen Corona Lage verzögern, rechnet das BFA damit, die Abschiebung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit innerhalb der höchstzulässigen Dauer der Anhaltung in Schubhaft vornehmen zu können.

Einer Mitwirkungspflicht an der Feststellung seiner Identität ist der BF bis dato nicht nachgekommen; überdies hat er versucht, seine Rückschiebung in den Herkunftsstaat durch Stellung eines unberechtigten Asylantrages – 5 Tage nach Verhängung der Schubhaft über ihn – zu verhindern.

Mit Schreiben des BFA vom 14.12.2020 erfolgte die Aktenvorlage an das BVwG. Darin wurde festgehalten, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft weiterhin notwendig sei und erging die Aufforderung an das Bundesverwaltungsgericht, es möge feststellen, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Ein Heimreisezertifikat (im Folgenden: HRZ) für den alleinstehenden Beschwerdeführer wurde am XXXX .07.2020 bereits gestartet, und letztmalig am XXXX .11.2020 urgiert, liegt aktuell noch nicht vor, mit der Ausstellung ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen und ist anschließend die Rückschiebung des BF in den Herkunftsstaat geplant.

1.2. Die formalgesetzlichen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft liegen zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung weiterhin vor.

1.3. Eine Außerlandesbringung des BF zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung ist möglich und höchstwahrscheinlich.

1.4. Er hat keine nahen Angehörigen oder Verwandten im Bundesgebiet. Ebensowenig verfügt er über soziale oder wirtschaftliche Anknüpfungspunkte. Er ist im Bundesgebiet noch nie einer selbständigen oder nichtselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen.

1.5. In Österreich verfügt er weder über eine auf Dauer angelegte, eigene Unterkunft, noch verfügt er über die notwendigen Barmittel für einen legalen Aufenthalt.

1.6. Gegenüber den ihn einvernommen habenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, nach Italien weiterreisen zu wollen. Eine Bereitschaft zur Rückkehr in den Herkunftsstaat Marokko besteht nicht.

In Hinblick darauf, dass eine Rückschiebung in den Herkunftsstaat sehr zeitnah erfolgen könnte, und in Hinblick auf die mangelnde Bereitschaft zur Rückkehr, besteht eine sehr hohe Fluchtgefahr.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Festnahme des BF, zu dessen familiären Verhältnissen, dem rechtskräftig erledigten Asylverfahren, dem Betreiben zur Erlangung eines Heimreisezertifikats, den fehlenden Integrationsschritten, der laufenden Anhaltung in Schubhaft, gründen sich auf dem Inhalt des gegenständlichen Verwaltungsaktes. Die Feststellung zu seiner Staatsangehörigkeit lassen sich ebenfalls den vorgelegten Verwaltungsakten entnehmen.

Im Rahmen des von Amts wegen geführten Ermittlungsverfahrens hat sich gezeigt, dass der Schubhaftbescheid, der der gegenständlichen Anhaltung zu Grunde liegt, bereits in Rechtskraft erwuchs. Aus einer Überprüfung der formalen Grundlagen für die Aufrechterhaltung der gegenständlichen Schubhaft ergibt sich, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung nach wie vor eine durchsetzbare, rechtliche Grundlage für die Abschiebung des BF vorliegt. Mit rechtskräftig, negativem Asylbescheid, wie oa angeführt, wurde der Asylantrag des BF in allen Spruchpunkten rechtskräftig abgewiesen.

Aus der dem Gericht vorliegenden Stellungnahme des BFA ergibt sich, dass der BF in Österreich keinen Wohnsitz hat, kein Einkommen (14 €) und keine Anknüpfungspunkte und nicht rückkehrwillig ist. Er hat sich auf der Durchreise mit Ziel Italien befunden. Vor diesem Hintergrund waren die gegenständlichen Feststellungen zu treffen. Im Verfahren sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass bei der Ausstellung eines HRZ eine geplante Außerlandesbringung des BF nicht möglich wäre.

Es waren daher die entsprechenden Konstatierungen zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A.:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet wörtlich wie folgt:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1.       dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2.       die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1.       ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2.       ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3.       ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4.       ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5.       ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6.       ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7.       ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8.       ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß
§§ 56 oder 71 FPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9.       der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und
§ 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Die Grundlage zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einer Fortsetzung der Schubhaft über die Viermonatsfrist im BFA-VG iVm. § 80 FPG lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1.       er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2.       er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3.       gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

3.1.1. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf Art 1 Abs. 3 PersFrSchG 1988 hinzuweisen, aus dem sich das für alle Freiheitsentziehungen geltende Gebot der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergibt, deren Prüfung im Einzelfall eine entsprechende Interessenabwägung verlangt. Für die Schubhaft ergibt sich das im Übrigen auch noch aus der Wendung „... wenn dies notwendig ist, um ...“ in Art 2 Abs. 1 Z 7 PersFrSchG 1988. Dementsprechend hat der VfGH - nachdem er bereits in seinem Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, die Verpflichtung der Behörden betont hatte, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist - in seinem Erkenntnis vom 15.06.2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Der VwGH hat dazu beginnend mit der Erkenntnis vom 30.08.2007, 2007/21/0043, mehrfach festgehalten, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein dürfe (VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH vom 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389 und vom 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) „nutzlos“. Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (vgl. VwGH vom 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024 zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

3.1.2. Aufgrund der oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, vorzulegen.

Es besteht nun die Verpflichtung, gegenständlich durch die Aktenvorlage die Voraussetzungen für die Fortführung der Schubhaft zu prüfen. Dabei hat die Behörde darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft weiter notwendig und verhältnismäßig wäre. Dem Bundesverwaltungsgericht kommt es zu, hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat das Bundesverwaltungsgericht in deren Rahmen eine Zukunftsprognose vorzunehmen, ob eine weitere Anhaltung als verhältnismäßig angesehen werden kann. Berücksichtigt man die Interessen des BF in Bezug auf sein Recht der persönlichen Freiheit, ergibt sich, dass er im Inland keinerlei integrative Bezugspunkte vorzuweisen vermag und auch sonst soziale Beziehungen zur Gänze fehlen.

Auch hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass er in finanzieller Hinsicht nicht selbsterhaltungsfähig ist, hatte er gerade einmal EUR 14,00 für die Weiterfahrt nach Italien bei sich.

Betrachtet man den Unwillen zur Mitwirkung an seiner Identitätsfeststellung, seinem fehlendem Ausreisewillen und rechtskräftig abgeschlossen negativen Asylverfahren bestehen bei ihm konkrete Anhaltspunkte, die eine sehr hohe Fluchtgefahr durch Untertauchen nahelegen.

In Hinblick auf die Bemühungen der belangten Behörde zur Erlangung eines HRZ ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zum Zeitpunkt der Entscheidungserlassung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine Außerlandesbringung des BF nach heutigem Wissensstand auch in der Covid-Krise durchaus möglich und realistisch ist.

Mit dem Herkunftsstaat des BF, Marokko, funktioniert die Zusammenarbeit, sodass an der Erlangung eines Heimreisezertifikates keine Zweifel bestehen und auch dass eine Abschiebung jedenfalls innnerhalb der gesetzlichen Zeit möglich sein wird.Seitens der Behörde wird durch Urgenzen bei der Botschaft von Marokko auch darauf hingewirkt .

Das erkennende Gericht gelangt daher zum Schluss, dass eine weitere Fortsetzung der Schubhaft weiterhin verhältnismäßig und notwendig ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014,
Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) hinsichtlich Art. 47 iVm. Art. 52 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union (VfGH 14.03.2012, VfSlg. 19.632/2012) festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht hinreichend nachgekommen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G305.2236830.2.00

Im RIS seit

11.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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