Entscheidungsdatum
15.12.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2225747-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX (auch XXXX oder XXXX ), geboren am XXXX , vertreten durch den Erwachsenenvertreter Rechtsanwalt Dr. Franz Unterasinger, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .09.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots samt Nebenentscheidungen:
A) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer (BF), ein am XXXX in XXXX geborener deutscher Staatsangehöriger, hielt sich zwischen XXXX und XXXX im Bundesgebiet auf. Danach ließ er sich im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland nieder, wo er mit dem Urteil des XXXX vom XXXX zu Fall-Nr. XXXX wegen der Erstellung kinderpornographischer Bilder zu einer 30-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Nach Verbüßung dieser Strafe wurde er nach Österreich überstellt, wo er sich ab XXXX .2017 in Untersuchungshaft und ab XXXX .2017 in vorläufiger Anhaltung befand. Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des XXXX vom XXXX , XXXX , wurde er einerseits wegen der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall, Abs 4 Z 1 und Z 3 lit a erster Fall sowie Z 3 lit b StGB für schuldig erkannt, weil er bis Oktober 2013 Videokassetten mit pornographischen Darstellungen Minderjähriger besessen hatte, wobei unter Bedachtnahme auf das Urteil des XXXX vom XXXX von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde. Er beging diese Taten unter dem Einfluss einer sexuellen Deviation (Pädophilie), war aber zurechnungsfähig. Andererseits wurde der BF mit diesem Urteil gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grade beruht (nämlich einer anhaltend wahnhaften Störung), in XXXX und anderen Orten im Bundesgebiet in der Zeit von XXXX bis XXXX mehrere Personen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzte, dass er sie von Amts wegen zu verfolgender, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohter Handlungen falsch verdächtigte, wobei er wusste, dass die Verdächtigungen falsch waren, indem er in zahlreichen E-Mails an eine Vielzahl von Personen und Behörden (darunter auch an gemäß § 78 StPO zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft verpflichtete Personen und Behörden), drei Kriminalbeamte des Einbruchs, des Diebstahls von Sachen in seinem Haus und des Platzierens von belastendem Material sowie den im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft XXXX bestellten Sachverständigen des Einbruchs in das Haus seiner Mutter, des Diebstahls ihrer Wertsachen und des Zurücklassens von Kinderpornos aus dessen Sammlung bezichtigte.
Es handelt sich um die bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung des BF in Österreich. Seit XXXX .2018 wird die vorbeugende Maßnahme in der Justizanstalt XXXX vollzogen.
Mit dem Bescheid vom XXXX .10.2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, erteilte gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erkannte der Beschwerde des BF dagegen mit dem Teilerkenntnis vom 29.11.2019 die aufschiebende Wirkung nicht zu; das Verfahren über die Revision des BF gegen diese Entscheidung ist noch anhängig. Mit dem Beschluss des BVwG vom 18.05.2020 wurde die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen, weil der BF nicht prozessfähig und der Bescheid mangels wirksamer Zustellung nie erlassen worden sei, sodass dagegen auch keine Beschwerde möglich sei.
Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Beschluss des XXXX vom XXXX , XXXX , wurde der Rechtsanwalt Dr. Franz UNTERASINGER zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter des BF, unter anderem zur Vertretung im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, bestellt. Für Verfahrenshandlungen in diesem Verfahren wurde ein Genehmigungsvorbehalt gemäß § 242 ABGB angeordnet.
Mit dem Schreiben vom 18.08.2020 forderte das BFA den durch den Erwachsenenvertreter vertretenen BF auf, sich zur neuerlich beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern und konkrete Fragen zu seinen privaten und familiären Verhältnissen sowie zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet zu beantworten. Der Erwachsenenvertreter des BF übermittelte dem BFA eine entsprechende Stellungnahme.
Laut dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom XXXX .2020 besteht gegen den BF der Verdacht des Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 StGB), weil er am XXXX .2020 bei der aufgrund seines ungebührlichen Benehmens und der Beschädigung von Anstaltsgut (Beschmieren einer Scheibe mit Edding-Marker) vorzunehmenden Verlegung in einen isolierten Haftraum gegen die einschreitenden Justizwachebeamten getreten hatte.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Dies wurde unter anderem damit begründet, dass seine strafgerichtliche Verurteilung bzw. das dieser zugrunde liegende Verhalten erkennen ließen, dass er nicht gewillt sei, sich der österreichischen Rechtsordnung entsprechend zu verhalten. Sein Fehlverhalten sei geeignet, die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit in einem hohen Maß zu gefährden. Aufgrund der äußerst ungünstigen Gefährdungsprognose und des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei ein Aufenthaltsverbot dringend geboten und der damit verbundene Eingriff in sein Privatleben verhältnismäßig. Durch sein strafbares Verhalten sei seine Gleichgültigkeit gegenüber der österreichischen Rechtsordnung klar zu erkennen. Daraus könne auf seine Einstellung gegenüber dem Staat und den darin lebenden Bürgern geschlossen werden, die geeignet sei, das ordentliche und sichere Zusammenleben zu gefährden. Der BF habe durch sein persönliches Verhalten gezeigt, dass er kein Interesse daran habe, die Gesetze Österreichs zu respektieren. Mit der psychischen Erkrankung des BF und der bei seinen Taten großteils fehlenden Zurechnungsfähigkeit setzt sich die Behörde in der Bescheidbegründung, die durch das Fehlen einer klaren Gliederung und der Wiedergabe des konkreten Sachverhalts, auf dem die Entscheidung basiert, gekennzeichnet ist, ebensowenig auseinander wie mit dem bisherigen Verlauf des Maßnahmenvollzugs.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Erwachsenenvertreter des BF für diesen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Behebung des Bescheids. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass dem dispositions- und diskretionsunfähigen BF seine Tathandlungen nicht vorgeworfen werden könnten. Die erforderliche medizinische Behandlung sei durch seine Sozialversicherung in Österreich sichergestellt. Er habe keine Bezugspersonen in seinem Herkunftsstaat. Im Vereinigten Königreich bestünde aufgrund seiner Vorstrafe ebenfalls die Gefahr einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Es liege kein Grund für ein Aufenthaltsverbot gegen den BF vor. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sei nicht nachvollziehbar, weil keine Dringlichkeit ersichtlich sei.
Das BFA legte die Beschwerde dem BVwG unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der in diesem Verfahren und im Vorverfahren G310 225747-1 dem BVwG vom BFA vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten des BVwG (beinhaltend unter anderem Abfragen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister IZR, im Zentralen Melderegister ZMR und im Strafregister). Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.
Im erstinstanzlichen Strafurteil wird eine schwere paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60) des BF konstatiert. Demgegenüber ergibt sich aus den Rechtsmittelentscheidungen (Beschluss des OGH vom XXXX , XXXX und Urteil des XXXX vom XXXX , XXXX ), dass eine anhaltend wahnhafte Störung (ICD-10: F22) vorlag. Da es sich dabei um ein zumindest gleich schwerwiegendes Erkrankungsbild handelt, liegt insoweit kein maßgeblicher Widerspruch vor.
Bei dem in den bisherigen Verfahren mehrfach erwähnten „ XXXX “ handelt es sich aufgrund eines Schreibfehlers offenbar um den XXXX (siehe hierzu https://de.wikipedia.org/wiki/Teesside, Zugriff am 27.11.2020).
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.
§ 28 VwGVG normiert einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte (siehe z.B. VwGH 19.06.2020, Ra 2019/06/0060). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nur dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Solche gravierenden Ermittlungslücken liegen hier vor.
Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Für die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot erlassen werden darf, ist auf den Zeitpunkt seiner Durchsetzbarkeit abzustellen. Gemäß § 70 Abs 1 zweiter Satz FPG ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde. Das gilt auch für die Dauer der gemäß § 21 Abs 1 StGB verfügten Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Vor allem bei der vorzunehmenden Gefährdungsprognose ist daher auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der (hypothetischen) Entlassung des BF aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abzustellen. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die Gefährdungsprognose jedenfalls zu seinen Gunsten auszufallen hat, weil eine Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug gemäß § 47 Abs 2 StGB nur bei einem Wegfall der Gefährlichkeit in Betracht kommt. Eine Gefährdung iSd § 67 FPG kann grundsätzlich auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung bejaht werden, wenn nicht etwa eine Behandlung und Medikation Gewähr dafür bieten, dass eine derartige Gefährdung künftig auszuschließen sein wird (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0297 mwN). Die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, ist somit für den in der Zukunft liegenden Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit (hier: der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug) zu beurteilen (so auch VwGH 18.12.2008, 2007/21/0555).
Das BFA hat vor Erlassung des angefochtenen Bescheids jegliche Ermittlungen dazu unterlassen, wann das Aufenthaltsverbot voraussichtlich durchsetzbar sein wird und welche Gefährdung dann noch vom BF – insbesondere im Hinblick auf seine Behandlung und Medikation sowie auf die Bedingungen der Entlassung aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (z.B. Weisungen, Anordnung von Bewährungshilfe) – ausgehen wird. Daher kann noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weil noch nicht absehbar ist, wann und unter welchen Bedingungen der Freiheitsentzug beendet werden kann.
Der BF wurde zwar wegen des Besitzes kinderpornographischer Darstellungen für schuldig erkannt, die danach im Zustand fehlender Zurechnungsfähigkeit begangenen Taten (insbesondere die Verleumdung von Polizeibeamten und einem Sachverständigen) können ihm jedoch – anders als das BFA vermeint - nicht zum Vorwurf gemacht werden. Aufgrund seiner schwerwiegenden psychischen Erkrankung hat sich der BF (abgesehen von den Kinderpornographie betreffenden Taten) nicht (zurechenbar) dafür entschieden, die österreichische Rechtsordnung zu missachten, sodass aus seinem Verhalten weder eine negative Einstellung gegenüber der Rechtsordnung noch mangelnder Respekt für die geltenden Gesetze abgeleitet werden kann.
Die Beschwerde weist zu Recht darauf hin, dass das BFA keine Erhebungen zum (insbesondere psychischen) Gesundheitszustand des BF durchgeführt hat, ebensowenig zur Frage, welche Medikamente und Therapien er benötigt und unter welchen Bedingungen er diese in seinem Herkunftsstaat erhalten wird.
Zweckmäßigerweise wird das BFA vor der Entscheidung über die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF den weiteren Verlauf des Maßnahmenvollzugs abzuwarten und diese erst dann zu treffen haben, wenn absehbar ist, wann und unter welchen Rahmenbedingungen er entlassen wird. Erst dann kann nämlich beurteilt werden, ob sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit weiterhin gefährdet, ob Behandlung und Medikation allenfalls Gewähr dafür bieten, dass eine auf seiner psychischen Erkrankung beruhende Gefährdung künftig auszuschließen sein wird und (wenn dies bejaht wird) ob die ihm vorzuwerfenden Straftaten (Besitz von Kinderpornographie) – insbesondere im Hinblick auf die verstrichene Zeit und einen allfälligen Gesinnungswandel während des Maßnahmenvollzugs - dann noch die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erfordern. Ohne diese Informationen kann keine Gefährdungsprognose, die auf den Zeitpunkt der (hypothetischen) Entlassung abzustellen hat, erstellt werden. Zu gegebener Zeit wird auch zu erheben sein, ob und unter welchen Voraussetzungen die Therapien, die der BF nach seiner Entlassung allenfalls noch benötigt, bei seiner Rückkehr nach Deutschland möglichst lückenlos fortgesetzt werden können. Sinnvollerweise wird dann auch die richtige Schreibweise des Familiennamens des BF (der in den Akten als XXXX , XXXX und XXXX angegeben wird) zu ermitteln sein.
Das bisherige Ermittlungsverfahren bietet somit noch keine geeignete Grundlage für die vorzunehmende Gefährdungsprognose, sondern ist in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig. Derzeit kann noch keine Gefährdungsprognose erstellt werden, zumal die Rechtsprechung, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184) nicht ohne weiteres auf in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesene, bei der Tatbegehung zurechnungsunfähige Personen übertragen werden kann. Auf diesen Personenkreis ist auch § 133a StVG, der ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen eines Einreise- oder Aufenthaltsverbotes nach Verbüßung der Hälfte der Strafzeit ermöglicht, nicht anwendbar.
Aufgrund des Fehlens zentraler Entscheidungsgrundlagen sind relevante Ermittlungsergebnisse nur ansatzweise vorhanden, sodass die Voraussetzungen für die Zurückverweisung der Sache an das BFA gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG erfüllt sind. Die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erreicht ein solches Ausmaß, dass ihre Nachholung durch das BVwG weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, zumal dafür der Verlauf des Maßnahmenvollzugs und die Entwicklung des BF während der Anhaltung abzuwarten sind. Dafür kann beispielsweise auf die Ergebnisse der vom Vollzugsgericht alljährlich vorzunehmenden Überprüfung der Notwendigkeit seiner weiteren Anhaltung zurückgegriffen werden. Das im Abschlussbericht vom XXXX .2020 geschildete Verhalten des BF legt nahe, dass seine weitere Anhaltung derzeit vermutlich noch notwendig ist.
Da das BFA den nunmehr angefochtenen Bescheid (abgesehen von einem Absatz betreffend den Widerstand des BF gegen die Verlegung in den isolierten Haftraum) gleich wie den Vorbescheid vom XXXX .2019 begründete, sich weder mit der Frage der Zurechnungsfähigkeit des BF noch mit einer allfälligen Behandlung seiner psychischen Erkrankung und deren Verlauf auseinandersetzte und lediglich dem Umstand der Erwachsenenvertretung durch Zustellung des Bescheids an Dr. UNTERASINGER Rechnung trug, ist anzunehmen, dass weitere, über die schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme hinausgehende Ermittlungen bewusst unterlassen wurden, damit diese durch das BVwG vorgenommen werden.
Da das BFA den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht ermittelt hat, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist und wenn ja, für wie lange. Der angefochtene Bescheid ist daher - dem Eventualantrag in der Beschwerde entsprechend - gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids nach Verfahrensergänzung (unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der voraussichtlichen Durchsetzbarkeit eines allfälligen Aufenthaltsverbots) an das BFA zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B):
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war. Die Anwendung von allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen - hier der Zurückverweisung nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG - ist eine im Allgemeinen nicht revisible Frage des Einzelfalls (vgl. VwGH 12.11.2018, Ra 2018/08/0228).
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2225747.2.00Im RIS seit
11.03.2021Zuletzt aktualisiert am
11.03.2021