Entscheidungsdatum
16.12.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W226 2215456-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Tadschikistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2019, Zl. 1208073309-180918452, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tadschikistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.12.2020 erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Die minderjährige Beschwerdeführerin (in der Folge: BF) wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Ihre Eltern stellten für sie am 28.09.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie damit begründeten, dass ihnen selbst infolge einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.12.2015 subsidiärer Schutz zukomme.
Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 31.01.2019 den Antrag der BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.). Ihr wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Tadschikistan zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dass für die BF keine asylrelevanten Fluchtgründe geltend bzw. glaubhaft gemacht wurden. Gegen die Bezugspersonen sei ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten anhängig, gegen die Eltern sei eine Rückkehrentscheidung erlassen worden.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht und wurden die Beschwerdegründe ihrer Eltern zu jenen der BF erhoben. Darüber hinaus wurden für die mj. BF keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.12.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Das Verfahren der mj BF wurde mit dem Verfahren der Eltern (W226 1436244-2/11E und W226 1436245-2/9E) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der BF:
Die mj. BF ist die leibliche Tochter der Beschwerdeführer zu W226 1436244-2/11E und W226 1436245-2/9E. Den Eltern wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 15.12.2020 in Stattgebung einer Beschwerde eine weitere befristete Aufenthaltsberechtigung für 2 Jahre, somit bis 10.12.2020 erteilt. Bescheide der belangten Behörde zur Aberkennung des den Eltern erteilten Status des subsidiär Schutzberechtigten wurden damit behoben. Für die mj. BF wurden keine asylrelevanten Gründe geltend gemacht.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungsakten, in die Gerichtsakten sowie in die vorgelegten Urkunden und durch Einvernahme der Eltern in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2020.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der mj BF:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität der mj. BF ergeben sich aus den Angaben ihrer Eltern vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der mj. BF ergeben sich zudem aus der vorgelegten Geburtsurkunde (AS 3 im Verwaltungsakt).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide - Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Es wurde keine individuelle Verfolgung der mj. BF behauptet, sondern nur auf den rechtlichen Status der Eltern verwiesen. Es ist daher keine Verfolgung der mj. BF und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkennbar.
Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zum Herkunftsstaat der mj. BF erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen, solches wurde im Verfahren auch nicht behauptet.
Sohin kann nicht erkannt werden, dass der mj. BF aus den von ihr ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.2. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
3.2.1. § 8 und 11 AsylG lauten auszugsweise:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
…“
„Innerstaatliche Fluchtalternative
§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.“
3.2.2. Gemäß Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
Bei der BF handelt es sich um ein unmündiges minderjähriges Kind. Da die Bescheide betreffend die Eltern vom 31.01.2019, mit denen den Eltern der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, nunmehr mit Erkenntnis vom 15.12.2020, W226 1436244-2/11E u.a. behoben wurden, kommt den Eltern und Geschwistern unverändert der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Gemäß § 34 Abs. 1 und 3 AsylG war demzufolge auch der mj. BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren zuzuerkennen.
Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor.
Die Dauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung war im Hinblick auf § 8 Abs. 5 AsylG im vorliegenden Familienverfahren mit der gleichen Befristung wie im Verfahren der Familienangehörigen (Eltern) zu erteilen.
3.3. Spruchpunkt III. bis VI. der angefochtenen Bescheide
Auf Grund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten waren die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos – gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG (vgl. VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) – zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
befristete Aufenthaltsberechtigung Familienverfahren Glaubhaftmachung mangelnde Asylrelevanz subsidiärer Schutz VerfolgungsgefahrEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W226.2215456.1.00Im RIS seit
11.03.2021Zuletzt aktualisiert am
11.03.2021