TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/16 G314 2236843-2

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Veröffentlicht am 16.12.2020
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Entscheidungsdatum

16.12.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch


G314 2236843-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER im Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung des marokkanischen Staatsangehörigen XXXX (auch: XXXX ), geboren am XXXX , in Schubhaft (BFA-Zl. XXXX ) zu Recht:

A)       Es wird gemäß § 22 a Abs 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

XXXX (andere Namensschreibweise: XXXX ), im Folgenden als Beschwerdeführer (kurz BF) bezeichnet, wurde am XXXX .2020 in XXXX bei einer fremdenrechtlichen Kontrolle in einem Zug nach Italien ohne entsprechende Dokumente aufgegriffen und festgenommen. Mit dem Mandatsbescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag wurde gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet, die seit XXXX .2020 im XXXX vollzogen wird.

Am XXXX .2020 beantragte der BF internationalen Schutz. Laut Aktenvermerk vom XXXX .2020 wurde die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 76 Abs 6 FPG aufrechterhalten, weil angenommen wurde, dass er den Antrag in Verzögerungsabsicht gestellt habe.

Im Rahmen der amtswegigen Überprüfung der Anhaltung des BF in Schubhaft gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG stellte das BVwG mit dem am XXXX .2020 in Anwesenheit der Parteien verkündeten und am 25.11.2020 ausgefertigten Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest, dass zum Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

Am 07.12.2020 langten beim BVwG die vom BFA unter Darlegung der Gründe, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig sei, vorgelegten Verwaltungsakten zu einer weiteren Haftprüfung ein.

Das BVwG übermittelte dem BF die Stellungnahme des BFA zur allfälligen Stellungnahme bis 14.12.2020. Er erstattete keine Stellungnahme.

Feststellungen:

Der BF ist marokkanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Berber und spricht neben seiner berberischen Muttersprache auch Arabisch. Er stammt aus der marokkanischen Stadt XXXX . Er ist haftfähig. Es liegt kein Reisedokument für ihn vor, weil er den Reisepass, den er für die Ausreise aus Marokko verwendet hatte, vor der Einreise nach Österreich derelinquiert hatte. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Mit dem Bescheid vom XXXX .2020 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX .2020 ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei, legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erkannte einer Beschwerde dagegen die aufschiebende Wirkung ab. Mit Erkenntnis vom 24.09.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des BF gegen diesen Bescheid als unbegründet ab. Dagegen wurde kein weiteres Rechtsmittel erhoben.

Der BF ist nicht bereit, freiwillig nach Marokko zurückzukehren. Er hat im Bundesgebiet keine relevanten familiären oder sonstigen sozialen Bindungen. Er hat keine Unterkunft und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Das BFA leitete am XXXX .2020 ein Verfahren zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments für den BF ein, das bislang trotz regelmäßiger Urgenzen bei der marokkanischen Botschaft (zuletzt am XXXX .2020) noch nicht ausgestellt wurde. Für den BF wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Monaten ein Ersatzreisedokument ausgestellt werden.

Bis März 2020 wurden regelmäßig Abschiebungen nach Marokko durchgeführt. Seither finden aufgrund der weltweiten Covid-19-Pandemie und der damit einhergehenden (Flug-) Reisebeschränkungen keine Abschiebungen nach Marokko statt. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Abschiebung des BF innerhalb von 18 Monaten ab Festnahme und Anordnung der Schubhaft realisiert werden kann.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unstrittigen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des BVwG (Verfahren I403 2235169-1, G314 2236843-1 und G314 2236843-2).

Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des BF konnten nicht abschließend geklärt werden, weil keine Dokumente vorliegen. Kenntnisse der arabischen und der berberischen Sprache werden anhand seiner Angaben bei der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am XXXX .2020 festgestellt, bei der er auch seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Berber und seine Herkunftsregion bekanntgab. Eine Verständigung mit dem beigezogenen Arabisch-Dolmetscher war problemlos möglich.

Es sind keine Hinweise auf so schwerwiegende Erkrankungen des BF, die zu seiner Haftunfähigkeit führen würden, aktenkundig.

Der BF gab bei der Verhandlung am XXXX .2020 an, er sei mit seinem marokkanischen Reisepass aus Marokko ausgereist und habe diesen dann in der Türkei „begraben“. Es gibt keine aktenkundigen Hinweise dafür, dass ein Reisedokument für ihn vorliegt. Ein solches ist auch im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) nicht dokumentiert.

Die Unbescholtenheit des BF geht aus dem Strafregister hervor.

Die Feststellungen zum Asylverfahren des BF basieren auf den Entscheidungen des BFA und des BVwG (Verfahren I403 2235169-1).

Die fehlende Ausreisebereitschaft des BF ergibt sich aus der Stellungnahme des BFA und aus seiner Aussage am XXXX .2020. Es sind keine Hinweise auf eine familiäre oder soziale Verankerung in Österreich oder auf eine gesicherte Wohnmöglichkeit aktenkundig. Mangels eines Aufenthaltsrechts und einer Beschäftigungsbewilligung besteht auch keine legale Erwerbsmöglichkeit, sodass davon auszugehen ist, dass er nicht selbsterhaltungsfähig ist, zumal keine wesentlichen Vermögenswerte oder Ersparnisse aktenkundig sind. Laut Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung hat der BF weder wesentliche Barmittel noch Wertgegenstände.

Die Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikats für den BF wurden vom BFA schlüssig und im Einklang mit den Angaben im vorangegangenen Schubhaftüberprüfungsverfahren dargelegt. Da der BF bei der Ausreise aus Marokko noch einen Reisepass hatte, ist mit der Ausstellung eines Ersatzreisedokuments für ihn in absehbarer Zeit zu rechnen, zumal er bei den marokkanischen Behörden offenbar registriert ist.

Das BFA weist in der Stellungnahme vom 06.12.2020 darauf hin, dass derzeit aufgrund der Covid-19-Krise keine Abschiebungen nach Marokko durchgeführt werden. Dort wurde zwar der sanitäre Ausnahmezustand wegen der Pandemie zuletzt bis 10.01.2020 verlängert. Da die Einreisebestimmungen aber seit September 2020 gelockert wurden und zuletzt mehrere Fluglinien den Flugverkehr nach Marokko wieder aufgenommen haben (siehe z.B. https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-in-marokko.html; Zugriff am 15.12.2020), besteht die begründete Aussicht, dass die Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten, also bis 23.01.2022, realisiert werden kann.


Rechtliche Beurteilung:

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom BVwG zu überprüfen. Dieses hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

An den Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft hat sich seit der letzten Entscheidung des BVwG darüber am XXXX .2020 nichts Entscheidungswesentliches geändert. Der während der Schubhaft gestellte Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde rechtskräftig abgewiesen und gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen. Gemäß § 76 Abs 5 FPG gilt die ursprünglich zur Verfahrenssicherung angeordnete Schubhaft seit der Durchsetzbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme als zur Sicherung der Abschiebung verhängt. In Zusammenschau mit der fehlenden sozialen Verankerung und der mangelnden Rückkehrbereitschaft liegt nach wie vor Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 3 Z 3 und 9 FPG vor.

Der Zweck der Schubhaft kann auch nicht durch Anwendung eines gelinderen Mittels erreicht werden, zumal der BF kaum finanzielle Mittel hat und keine gesicherte Unterkunftmöglichkeit besteht.

Die Schubhaftdauer überschreitet die in § 80 Abs 2 Z 2 FPG für den volljährigen BF grundsätzlich vorgesehene Maximaldauer von sechs Monate noch nicht. Da er deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil seine Identität und Staatsangehörigkeit noch nicht geklärt werden konnten und kein Reisedokument vorliegt, kann die Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 1 und 2 FPG aus heutiger Sicht voraussichtlich für bis zu 18 Monate aufrechterhalten werden.

Da davon auszugehen ist, dass innerhalb dieses Zeitraums eine Identifizierung des BF erfolgen, ein Ersatzreisedokument für ihn ausgestellt und er danach in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden kann, ist die Schubhaft trotz der aktuellen Reisebeschränkungen aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie derzeit noch verhältnismäßig und die Voraussetzungen für ihre Fortsetzung liegen vor. Da der BF jedenfalls bei der Ausreise aus Marokko einen Reisepass hatte, ist die zeitnahe Ausstellung eines Ersatzreisedokuments für ihn, die vom BFA gleich nach der Festnahme beantragt wurde und regelmäßig urgiert wird, wahrscheinlich.

Da der BF zuletzt am XXXX .2020 vor dem BVwG zur Frage der Fortsetzung der Schubhaft einvernommen wurde und seither keine signifikanten Änderungen eingetreten sind, die bei einer mündlichen Verhandlung zu erörtern wären, unterbleibt eine weitere Verhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 Abs 4 VwGVG, weil der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt werden konnte.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil bei der vorliegenden Einzelfallentscheidung keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war und sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2236843.2.00

Im RIS seit

11.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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