TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/18 W231 2198884-1

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Entscheidungsdatum

18.12.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


W231 2198884-1/30E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Nadja LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Die übrigen Spruchpunkte werden ersatzlos behoben.

III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) beantragte ein Studentenvisum für Österreich und reiste legal am 02.12.2015 nach Österreich ein. Er erhielt am 15.01.2016 einen Aufenthaltstitel. Am 07.02.2016 flog er von Bratislava aus legal nach Afghanistan. Am 28.09.2016 reiste er erneut legal nach Österreich ein und stellte am 06.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

I.2. Anlässlich seiner Erstbefragung am 06.10.2016 gab der BF an, Staatsangehöriger Afghanistans zu sein und aus Laghman zu stammen. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, spreche Farsi, und sei Sunnit. Er habe 12 Jahre die Grundschule und 4 Jahre ein College in Afghanistan besucht, sowie 1 Jahr Universität in Österreich (Soziologie). Sein Vater sei verstorben, seine Mutter lebe in Afghanistan, er habe einen Wohnsitz in Kabul gehabt. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass die Sicherheitslage in ganz Afghanistan sehr schlecht sei. Außerdem sei er von seinem Cousin mit dem Tod bedroht worden, der das ganze Erbe für sich beanspruche.

I.3. Am 21.07.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien niederschriftlich einvernommen. Er gab an, zum Zwecke des Studiums mit einem Studentenvisum nach Österreich gekommen zu sein. In seiner Vorstellung habe er Afghanistan für immer verlassen wollen. Es gehe um sein Leben und um seine Zukunft. Er sei in den Ferien nach Afghanistan gereist und habe dort Probleme gehabt, er könne nicht mehr zurück.

I.4. Am 04.05.2018 wurde der BF erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (in Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Er führte näher aus, er sei in der Stadt Kabul aufgewachsen, und habe dort 12 Jahre die Schule besucht. Danach sei er 4 Jahre auf eine Privatuniversität gegangen und habe dort Jus studiert, zudem für ein Semester Soziologie an der Kabuler Universität. Danach habe er den Entschluss gefasst, sein Studium in Österreich fortzusetzen und habe dafür ein Studentenvisum erhalten. In den Sommerferien sei er nach Afghanistan gereist, um seine Familie zu besuchen, und habe sich dort drei Monate aufgehalten. Seine Mutter sei Professorin an der Universität Kabul. Sie habe auch für andere internationale Organisationen gearbeitet. Er sei noch klein gewesen, als sein Vater verstorben sei. Seine Mutter sei zunächst nach Herat gegangen und lebe mittlerweile (seit November 2017) bei seiner Schwester in den USA, Kalifornien. Er habe eine Tante vs in Kunar, und eine Tante in Kabul, weiters einen Onkel vs in Laghman, der auch ein Haus in Kabul habe. Seine Familie habe viel Kontakt zur Schwiegerfamilie seiner Schwester gehabt, die Schwiegerfamilie lebe in Kabul, aber die Schwester mit ihrem Mann in den USA. Er habe Kontakt zu seinen Angehörigen in den USA. In Österreich habe der BF eine Tante und deren Tochter (seine Cousine). Er lebe von der Grundversorgung, für den Rest komme seine Familie aus den USA auf. Er besuche den Vorstudienlehrgang, im Oktober beginne das richtige Studium für Soziologie.

Seine Fluchtgründe seien, dass er, als er in den Feiern in Afghanistan gewesen sei, von seinem Onkel vs und dessen Söhnen bedroht worden sei. Zum einen, weil dieser wollte, dass er seine Cousine, der er seit Kindesalter versprochen gewesen sei, heirate, zum anderen sei es um „Besitztümer und Finanzielles“ gegangen. Sein Cousin sei „eine gefährliche Gestalt“, er sei auch schon „kriminell aufgefallen“. Er gehöre zu einer bewaffneten kriminellen Gruppierung, was er genau mache, wisse der BF nicht. Sein Cousin sei „ein Psychopath“, die Familie des Onkels habe immer im Dorf gelebt und sei sehr konservativ. Sein Cousin habe auch schon das Enkelkind des Großonkels, der Minister gewesen sei, entführt. Der BF berichtet dann näher von einem Vorfall, bei dem der BF und seine Mutter in diesem Zusammenhang persönlich bedroht worden seien. Der BF sei gleich danach zur Schwiegerfamilie gegangen und dann wieder nach Österreich gekommen und habe einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, seine Mutter sei zunächst nach Kapisa zu ihrem Onkel (ms) gegangen. Sobald er nach Kabul zurückkehre, würden sie ihn ausfindig machen. Auch in Herat oder Mazar-e-Sharif fürchte er sich vor der Familie seines Onkels. Außerdem wolle er sein Studium fortsetzen, wie solle er in Afghanistan wegen der Sicherheitslage leben, er wolle etwas aus seinem Leben machen.

I.5. Das BFA wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.05.2018 den gegenständlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Begründend heißt es zusammengefasst, dass der BF eine aktuelle asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft habe machen können. Es sprächen auch keine Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz. Schließlich würden die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des BF gegenüber seinen privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen.

I.6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht eingebrachte und zulässige Beschwerde. Der BF focht den Bescheid wegen inhaltlicher Fehler, Verfahrensmängeln und unrichtiger rechtlicher Beurteilung an.

I.7. Am 17.09.2020 und fortgesetzt am 07.12.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner anwaltlichen Rechtsvertretung statt. An der Verhandlung nahm auch ein informierter Vertreter der belangten Behörde teil. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet. Als länderkundiger Experte wurde Dr. RASULY in der mündlichen Verhandlung am 17.09.2020 beigezogen. In der fortgesetzten Verhandlung am 07.12.2020 wurden in Österreich aufhältige Angehörige des BF (Tante und Cousine ms) als Zeuginnen einvernommen. Von der erkennenden Richterin wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan 13.11.2019 idF KI 21.07.2020“ sowie die aktuellen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, die aktuellen UNHCR-RL und EASO-Gudelines sowie das ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif, veröffentlicht 16. Oktober 2020, in das Verfahren eingebracht.

Nach der mündlichen Verhandlung am 17.09.2020 brachten beide Parteien Stellungnahmen ein, die wechselseitig im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht wurden.

Nach der mündlichen Verhandlung am 07.12.2020 brachte der BF eine Stellungnahme zur Verankerung des BF in Österreich iSd Art 8 EMRK und zu seinen in Österreich aufhältigen Angehörigen ein, die belangte Behörde verzichtete im Vorfeld auf die Abgabe einer Replik dazu.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Identität und sozialem Hintergrund des BF:

Der BF ist volljährig, führt den im Spruch angeführten Namen und das dort genannte Geburtsdatum, ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Seine Mutter entstammt der Volksgruppe der Tadschiken. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Muttersprache ist Dari, weiters spricht der BF etwas Paschtu, Englisch (Niveau: Gutes Mittelmaß) und Deutsch auf dem Niveau B2.

Der BF wurde in der afghanischen Provinz Laghman geboren und wuchs in der Stadt Kabul auf. Er besuchte in Kabul 12 Jahre die Schule, danach ging er 4 Jahre auf eine Privatuniversität und studierte dort Rechtswissenschaften bis zur Diplomarbeit, zusätzlich studierte er für ein Semester Soziologie an der Kabuler Universität. Danach fasste er den Entschluss, sein Soziologie-Studium in Österreich fortzusetzen und erhielt dafür ein Studentenvisum. Am 02.12.2015 reiste er nach Österreich ein und erhielt am 15.01.2016 einen Aufenthaltstitel.

Der Vater des BF verstarb ca. 2004. Die gebildete Mutter des BF entstammt der Volksgruppe der Tadschiken und spricht Dari. Sie arbeitete seit dem Jahr 1979 (bis 2017) an der Universität von Kabul und zwischenzeitig auch bei internationalen Organisation; sie setzte sich u.a. für Frauenrechte ein. Die Familie des BF hatte in Afghanistan keine finanziellen Probleme. Die Mutter besitzt Grundstücke in der Provinz Kapisa, der Familie gehörigen weiters zahlreiche Grundstücke in Laghman, wobei diese Grundstücke vom Onkel vs faktisch in Besitz genommen und verwaltet sind, und zwei Wohnungen in Kabul, in bester Lage, die ca. 100.000-150.000 Dollar wert sind.

Die Mutter des BF, seine Schwester und deren Mann leben aktuell in den USA; sie haben den Status von Asylberechtigten und der BF hat zu ihnen regelmäßig Kontakt. Seine Schwester arbeitet in einem Möbelhaus als Managerin, seine Mutter bekommt staatliche Hilfe. Der Ehemann seiner Schwester arbeitet als Uber-Fahrer. Nebenbei kauft er Autos bei Auktionen, restauriert sie und verkauft sie wieder. Der BF wird in Österreich von seiner Familie aus den USA finanziell unterstützt.

Der BF und seine Familie haben ein sehr gutes Verhältnis zur Schwiegerfamilie seiner Schwester, die in Kabul lebt und eine Wechselstube betreibt; diese Familie stammt ursprünglich aus Herat. Die finanzielle Situation der Schwiegerfamilie ist sehr gut, die Geschäfte (mit der Wechselstube) laufen gut und sie verdienen viel.

Der BF hat noch Angehörige in den Provinzen Laghman, Kapisa und Kunar, zu denen der BF keinen Kontakt pflegt.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er gehört keiner Risikogruppe in Bezug auf COVID-19 an. Nach Erhalt des negativen behördlichen Bescheides entwickelte der BF für ca. 6 Monate bis ein Jahr psychische Probleme, die der BF weder medikamentös noch therapeutisch behandelte. Der BF war wegen seiner psychischen Probleme nicht beim Arzt und es liegt keine Diagnose dazu vor. Hinweise auf eine aktuell schwerwiegende psychische Erkrankung liegen nicht vor.

II.1.2. Zum Leben des BF in Österreich:

Der BF reiste am 02.12.2015 mit einem Studentenvisum nach Österreich ein und erhielt am 15.01.2016 einen Aufenthaltstitel. Am 05.03.2015 wurde er zum Bachelorstudium Soziologie zugelassen.

Der BF stellte nach seiner Rückkehr aus Afghanistan am 06.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

In Österreich leben schon länger zahlreiche Angehörige des BF, zu denen der BF ein sehr enges Verhältnis hat (und auch in Afghanistan schon hatte), so zwei Tanten und deren Ehemänner und Kinder, die Cousins und Cousinen des BF. Der BF wohnt aber nicht im gemeinsamen Haushalt und es besteht keine finanzielle Abhängigkeit. Die Angehörigen haben entweder bereits die österreichische Staatsbürgerschaft, einen Daueraufenthalt EU oder jedenfalls den Status von Asylberechtigten. Insbesondere zu einer Schwester seiner Mutter (seiner Tante) und deren Kindern, seiner Cousine und seinen beiden Cousins, pflegt der BF ein familiäres Verhältnis. Diese Tante des BF hat mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft, hat studiert und arbeitet aktuell in der Flüchtlingsbetreuung beim Samariterbund. Seine Cousine besitzt den Aufenthaltstitel EU-Daueraufenthalt, hat Politikwissenschaften studiert und arbeitet derzeit als Verkäuferin. Seine Cousins arbeiten als Angestellte eines Zahlungsdienstleisters.

Der BF trifft diese Angehörigen regelmäßig ca. einmal in der Woche und ist so in dieser Familie eingebunden. Der BF ist am Wochenende bei ihnen zum Essen eingeladen, oder es gibt gemeinsame Unternehmungen, die Angehörigen unterstützen den BF beim Deutschlernen, bei seinen Hausübungen und in weiteren Belangen, etwa bei der Frage der Ausbildungs- und Berufswahl. Der BF wird von seinen Angehörigen auch emotional und psychisch unterstützt, der BF ist für seine Tante wie ein Sohn. Mit seinen Cousins schmiedet der BF Pläne für eine gemeinsame berufliche Zukunft. Seine Cousins sind seine besten Freunde in Österreich. Aktuell ist der gegenseitige Kontakt Corona-bedingt einschränkt.

Der BF hat im Sommersemester 2016 den Vorstudienlehrgang an der Universität Wien „Deutsch für Anfänger ohne Vorkenntnisse“, im Wintersemester 2016 den Vorstudienlehrgang „Deutsch für Anfänger mit geringen Vorkenntnissen“ und im Sommersemester 2017 jenen „Deutsch für Studierende mit erweiterten Vorkenntnissen“ erfolgreich abgeschlossen. Er hat eine Anmeldung über die Zulassung zum Vorstudienlehrgang im Sommersemester 2018 vorgelegt.

Der BF ist im Schuljahr 2020/2021 als ordentlicher Schüler am XXXX zum fünfsemestrigen Aufbaulehrgang Elektronik und Technische Informatik eingeschrieben, wobei er aufgrund seiner bereits guten Deutschkenntnisse die Ausbildung abkürzen kann. Er möchte seine Ausbildung möglichst rasch abschließen und finanziell auf eigenen Beinen stehen. Der BF hat in seiner Schule Freunde gefunden, mit denen er gemeinsam lern und Zeit verbringt.

Der BF hat in Österreich Deutschkurse besucht, und sich bereits gute Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 angeeignet. Er war ab Jänner 2020 zu den Kursen „Schreiben ab B2“ und „Konversation ab B2 Plus“ angemeldet. Im Deutschkurs werden ihm große Lernfortschritte, rasche Auffassungsgabe und eine sehr hohe Eigenmotivation attestiert.

Er besucht eine Fahrschule und bereitet sich auf die Führerschein-Prüfung vor.

Seit Mitte Jänner 2020 unterstützte der BF einen Sportverein auf freiwilliger Basis bei diversen Tätigkeiten. Seit September 2018 arbeitete der BF als freiwilliger Mitarbeiter in einem Kulturzentrum, wobei diese ehrenamtlichen Tätigkeiten bedingt durch die Covid-19 Pandemie aktuell eingeschränkt sind bzw. eingestellt werden mussten. Er wird als verlässlich, pünktlich, sehr engagiert, zuvorkommend und an Kultur und an einem gemeinschaftlichen Miteinander interessiert beschrieben.

Der BF wohnt in Wien gemeinsam mit einem afghanischen Freund, der in Österreich geboren wurde, in einer Wohnung.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

II.1.3. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Der BF ist in Afghanistan nicht vorbestraft und er hatte keine Probleme mit Behörden, Gerichten oder der Polizei.

Der BF hat seinen Herkunftsstaat nicht aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten.

Übergriffe des in Laghman ansässigen Cousins bzw. Onkels vs des BF erfolgten primär wegen zahlreichen Grundstücken in Laghman und sind rein kriminell motiviert. Dass der Cousin vs den Taliban angehört, wird nicht festgestellt.

II.1.4. Zur Rückkehrsituation des BF:

Der BF wäre im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Dem BF könnten bei einer Rückkehr in seine Heimatstadt Kabul kriminell motivierte Übergriffe durch seinen Cousin vs, allenfalls auch durch seinen Onkel vs, drohen. Der BF kann sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan aber in Mazar-e Sharif niederlassen, das dem BF als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. Es ist für das erkennende Gericht kein plausibler Grund ersichtlich, dass der BF dort eine Bedrohung zu befürchten hätte.

In Mazar-e-Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF hat sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise in seinem Familienverband in Afghanistan verbracht, er ist dort geboren und in der Hauptstadt Kabul aufgewachsen und wurde dort sozialisiert. Er spricht Dari und ein wenig Paschtu. Der BF ist mit städtischen Strukturen vertraut und kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und dort einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten: Der BF weist eine langjährige Schulbildung, ein weit fortgeschrittenes JUS-Studium sowie weitere universitäre Kenntnisse in Soziologie auf. Aufgrund seines Besuchs einer HTL in Wien hat er auch zumindest technische Grundkenntnisse erworben. Er hat in Österreich ehrenamtlich gearbeitet, ihm werden große Lernfortschritte, eine rasche Auffassungsgabe und eine sehr hohe Eigenmotivation attestiert, dazu ist er verlässlich, pünktlich, und sehr engagiert.

Vor diesem Hintergrund wird es ihm möglich sein, seine Existenz – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, bevor er eine qualifizierte Erwerbsmöglichkeit findet. Insbesondere wird der BF aktuell von seiner Familie aus den USA finanziell unterstützt. Sowohl seine Schwester als auch sein Schwager arbeiten dort, seine Mutter erhält staatliche Hilfe. Zudem ist die finanzielle Situation der Schwiegerfamilie in Kabul, mit der die Familie ein enges Verhältnis hat, sehr gut. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch weiter finanziell von seiner Familie aus den USA und/oder auch von seinen Angehörigen (Schwiegerfamilie) in Kabul finanziell unterstützt wird; eine räumliche Trennung steht dem nicht entgegen. Zudem hat auch die in Österreich ansässige Tante des BF in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, den BF bei einer allfälligen Rückkehr nach Möglichkeit finanziell zu unterstützten (VH 07.12.2020, 8). Schließlich gehören der Familie des BF zwei Wohnungen in bester Lage von Kabul im Wert von ca. 100.000 bis 150.000, die notfalls veräußert werden könnten, um die Lebenshaltungskosten des BF zu finanzieren. Der BF kann zusätzlich auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Es wird dem BF möglich sein, nach anfänglichen Schwierigkeiten in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Auch die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Der BF ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

II.1.5. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge auch „LIB“) vom 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 1. Politische Lage).

COVID-19:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Afghanistan wurden bis 30. Oktober 2020 41.268 Erkrankungsfälle registriert und 1.532 Todesfälle offiziell bestätigt (https://covid19.who.int/region/emro/country/af ).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet. 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar. Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte. Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19)).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren. Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde. Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind. Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lockdown Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen. Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden. Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt. Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind; in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert. Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig. COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird. Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt. In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden. Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden. Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen. Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans; dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert. Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen. Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden. Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert. In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt, wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar. Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt. Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze: Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden(LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise: 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen. Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Auszug aus ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif, veröffentlicht 16.10.2020:

Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA) schreibt im Mai 2020, dass die Daten des Gesundheitsministeriums zeigen, dass in Afghanistan 8.145 Menschen in 34 Provinzen Afghanistans positiv auf COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) getestet wurden. Etwa 930 Menschen haben sich von der Erkrankung erholt, und 187 Menschen sind gestorben. Zwölf Mitarbeiter des Gesundheitswesens gehören zu denjenigen, die an COVID-19 gestorben sind. Es wird erwartet, dass die Zahl der Fälle in den kommenden Wochen rapide ansteigen wird, da die Übertragung in den Gemeinden zunehmend rasch voranschreitet, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen in Afghanistan haben wird. Kabul ist der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Kandahar und Balch. Die humanitären Organisationen sind nach wie vor besorgt über die Auswirkungen der erweiterten Ausgangssperren („lockdowns“) auf die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen, insbesondere auf Familien, die auf Gelegenheitsjobs angewiesen sind und denen die Möglichkeiten auf alternative Einkommensquellen fehlen. (OCHA, 20. Mai 2020, S. 1).

Städtische Gebiete in fast 34 Provinzen des Landes waren durch die Einschränkungen des Zugangs zu einem Einkommen und die Schwächung der Kaufkraft aufgrund des Covid-19-Lockdowns betroffen. Insbesondere Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit haben die Beschäftigungsmöglichkeiten in den Provinzen Kabul, Herat und Nangarhar erheblich verringert. Der eingeschränkte Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten und die deutlich gestiegenen Lebensmittelpreise in städtischen Gebieten schränken den Zugang zu Nahrungsmitteln und Einkommen in städtischen Gebieten des Landes erheblich ein. Am schlimmsten betroffen sind Haushalte in Kabul, Herat, Jalal Abad, Mazar, Kandahar und anderen großen Städten, die von Kleinunternehmen/Kleingewerbetreibenden, Geldüberweisungen aus dem Ausland, nichtlandwirtschaftlicher Lohnarbeit und Niedriglohnarbeit abhängig sind. Angesichts der deutlich verringerten Kaufkraft und des Mangels an Ersparnissen werden die meisten dieser Haushalte voraussichtlich mit Ausfällen in der Versorgung mit Lebensmitteln oder Schlimmerem konfrontiert werden. (FEWS, April 2020)

Die Auswirkungen von Covid-19 und der damit einhergehende Lockdown hatten katastrophale Auswirkungen auf die Lebensgrundlage der afghanischen Bürger. Aufgrund des Lockdowns verloren viele Menschen Arbeit und Einkommen. Die Inflation der Preise bei Grundnahrungsmitteln wie Öl und Kartoffeln verschärfte die wirtschaftliche Notlage eines erheblichen Teils der afghanischen Bevölkerung. Nach Angaben des Biruni-Instituts haben sechs Millionen Menschen aufgrund der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren.

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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